PLM- und MES-Software koppeln sich an betriebswirtschaftliche Abläufe an

Hannover Messe: Die Digitale Fabrik scheitert oft noch an der Datenintegration

17.04.2008 von Frank Niemann
In Industriebetrieben führen Business-Applikationen ein Eigenleben. Auf der Hannover Messe zeigen Hersteller deshalb Integrationslösungen, um betriebswirtschaftliche Abläufe mit Konstruktion und Produktion abzustimmen.

Ohne Software läuft in Industriebetrieben nicht mehr viel. Allerdings passen die Applikationen für die Konstruktion, Arbeitsvorbereitung und Produktion oft noch nicht zusammen, weder deren Funktionen, noch deren Daten . Doch mit dem Wunsch nach schlankeren Prozessen, kürzeren Einführungszeiten für neue Produkte, der Internationalisierung sowie dem ständigen Kostendruck nimmt auch der Bedarf an nahtlos integrierten Softwarelösungen zu.

Einblick in Echtzeitdaten

Fertigungsprozesse sollen sich besser planen, überwachen und auswerten sowie dokumentieren lassen. Das Problem dabei: Zwar verfügen Industriebetriebe in der Regel bereits über Software für die Warenwirtschaft, Produktionsplanung und das Rechnungswesen, wissen aber wenig davon, was in ihrer Fertigung wirklich vorgeht. Dauert die Produktion eines Bauteils länger als im Auftragsplan vorgesehen oder verzögert sich eine Warenlieferung, ohne dass diese Information von der Werkstatt in die ERP-Software zurückgespielt wird, ist der Liefertermin des Endprodukts unter Umständen nicht zu halten. Des Weiteren verursachen Liegezeiten von Material Kosten, die sich durch bessere Übersicht vermeiden lassen. Einen guten Durchblick braucht auch der Vertrieb, damit er einerseits den Kunden über den Status seiner Aufträge berichten und andererseits bei neuen Projekten realistische Terminzusagen treffen kann.

Verlässliche Aussagen zu Terminen, Ausschuss und Kosten

Die Situation verschärft sich, weil Industriefirmen zunehmend ihre Abläufe genau dokumentieren und die Qualität ihrer Erzeugnisse darlegen müssen (Qualitäts-Management). Einerseits fordern Auftraggeber dies, andererseits sind es gesetzliche Richtlinien, die dazu veranlassen. Breiten Raum nehmen verstärkt Berichtsfunktionen ein. Das Management will über den aktuellen Status von Fertigungsaufträgen, Ausschussmengen, Termintreue und Kosten informiert sein.

Die Daten sollen jedoch nicht erst in ein Data Warehouse wandern, da diese Systeme bislang überwiegend vergangenheitsbezogen arbeiten, sondern möglichst sofort (in Echtzeit) zur Verfügung stehen. "Die Firmen wollen die gläserne Produktion", beschreibt es Franz Gruber, Chef des auf Manufacturing Execution Systems (MES) spezialisierten Softwareherstellers Forcam aus Friedrichshafen. Dessen Produkt "Factory Framework" nutzen Unternehmen wie Motorenhersteller, um die Produktionsabläufe besser zu überblicken und zu steuern. Laut Gruber lassen sich die Echtzeitinformationen zudem aufbereiten, um sie an Datenanalysesoftware zu übergeben. Forcam-Kunden transferieren beispielsweise aufbereitete Rohdaten der Werkzeugmaschinen und Bearbeitungszentren an SAP BW, um dort die geplanten Kosten mit den Ist-Kosten zu vergleichen. An dieser Stelle hat Forcam das Produkt stark ausgebaut. An der Menge an Echtzeitdaten mangelt es nicht, was fehlt, waren Methoden, um daraus verlässliche Aussagen abzuleiten sowie Daten so zu verdichten, dass ERP- beziehungsweise Business-Intelligence-Software etwas damit anfangen kann.

Werkstatt spricht mit der Fibu

Um Fertigungsprozesse mit der Betriebswirtschaft besser zu verzahnen, entwickeln Anbieter von Fertigungssteuerungssystemen immer bessere Integrationsmodule für ERP-Software. Der MES-Spezialist MPDV liefert schon seit einigen Jahren SAP-Schnittstellen und bindet seine Steuerungsfunktionen nun zusätzlich in Netweaver ein. Hierzu greift das Unternehmen auf die Composite Application Manufacturing Integration and Intelligence (xMII) zurück. xMII wurde von SAP zur Integration von MES-Produkten entwickelt. Die Composite Application dient dazu, sowohl die Daten und Prozesse als auch die Frontends verschiedener Applikationen zu kombinieren. Gegenüber einer reinen Datenschnittstelle bietet xMII beispielsweise die Möglichkeit, in einem SAP-Portal neben ERP-Funktionen Fertigungsdaten zu präsentieren. Bei dem SAP-Produkt handelt es sich jedoch nicht um eine fertige Anwendung, vielmehr stellt es Werkzeuge bereit, die Firmen wie MPDV verwenden können, um die eigenen Programmfunktionen in die Netweaver-Umgebung einzubinden. Bereits vor einem Jahr hatte Freudenberg-IT das hauseigene MES-System "Adicom" per xMII mit der SAP-Plattform verbunden. SAP selbst bietet kein eigenes MES-Produkt an, betätigt sich aber als Wiederverkäufer einer Lösung des Kooperationspartners Visiprise.

Standard-ERP-Systeme reichen oft nicht

Anwenderunternehmen aus der Industrie haben viele Abläufe in ERP-Systemen abgebildet, sehen sich aber nun mit Forderungen konfrontiert, die sie nicht mehr mit den Standardprozessen ihrer Software erfüllen können. "Einzel- und Sonderfertiger müssen sich zunehmend mit der projektbezogenen Herstellung von Produkten beschäftigen", hat Andreas Voss, Produkt-Manager bei Tectura aus Münster, festgestellt. Das Unternehmen hat sich auf Fertigungslösungen spezialisiert, die auf den Microsoft-ERP-Systemen "Dynamics NAV" und "AX" aufsetzen. Voss zufolge ist die Projektorientierung dem Trend geschuldet, dass Betriebe vermehrt die Fertigung in andere Länder verlagern. Dies erhöhe den Abstimmungsbedarf und die Kommunikation über Standorte und Firmengrenzen hinweg - nicht eben eine Stärke vieler ERP-Produkte. Tectura bietet solchen Firmen Zusatzbausteine an, die es Einzelfertigern gestatten, ihre ERP-Prozesse um Methoden für die Projektfertigung zu erweitern.

Industriebetriebe wünschen sich außerdem Softwarelösungen, die nicht nur Aufträge verwalten können, sondern ihnen Hinweise liefern, ob eine Baugruppe besser im eigenen Werk oder bei einem kooperierenden Fertigungsbetrieb im Ausland produziert wird ("Make or Buy"). Außerdem müssen Firmen viel stärker als früher bereits bei der Konstruktion von Investitionsgütern ihre Kunden beteiligen.

Auf schwankende Rohstoffpreise reagieren

Doch neben den sich ändernden Fertigungsabläufen sind es auch die Marktbegebenheiten, die klassische ERP-Abläufe in Frage stellen. Beispielsweise hat der Preis für Rohstoffe unterschiedlichen Einfluss auf die Konstruktion und Produktion. "Unternehmen aus der Kunststoffindustrie beschäftigen sich intensiv damit, welches Granulat sie zu welchem Preis beschaffen können und wie sich der Tausch einer Zutat auf die Qualität des Endprodukts auswirkt", so Tectura-Spezialist Voss. Mit einer rein buchungsorientierten Software lassen sich solche Entscheidungen kaum unterstützen. Vor dem Hintergrund schwankender Preise und Konditionen wächst zudem die Bedeutung von Reporting-Tools, die dem Unternehmer möglichst auf Knopfdruck mitteilen können, welche Warenwerte im Lager vorhanden sind und wie bereits angefangene Aufträge in die Gesamtbewertung der finanziellen Situation des Unternehmens einfließen. Neue Abläufe fordert auch die Vertriebsabteilung: Waren es Industriefirmen bisher gewohnt, ihre Erzeugnisse zu verkaufen, gehen sie nun auch dazu über, diese zu vermieten.

Konstruktion und Arbeitsvorbereitung abstimmen

Doch nicht nur in der Produktion, sondern schon während der Konstruktion lassen sich Abläufe verbessern, indem man unterschiedliche Softwaresysteme verbindet. Eine bessere Abstimmung zwischen dem Konstruktionsbüro und der Arbeitsvorbereitung verspricht der PLM-Hersteller (Product-Lifecycle-Management) PTC. Die Idee dabei: Statt erst am Ende der Konstruktionsphase mit der Fertigungsprozessplanung zu beginnen, sollen sich beide Arbeitsschritte überlappen, um Zeit zu sparen. Ermöglichen soll dies das Produkt "Windchill MPM Link" (MPM = Manufacturing Process Management). PTC zufolge können Ingenieure und Arbeitsvorbereiter damit auf ein und demselben Datenbestand arbeiten, so dass eine Übergabe leichter möglich ist. Die Datenhaltung der PTC-Software enthält die Konstruktions- und Fertigungsstücklisten sowie Beschreibungen der Produktionsabläufe. Oft, so der PLM-Spezialist, setzen beide Abteilungen unterschiedliche Systeme ein, die eine enge Zusammenarbeit erschweren. In manchen Fällen nutzen Arbeitsvorbereiter schlicht Excel oder andere Desktop-Werkzeuge. Mit Windchill MPM Link sollen Industriebetriebe nicht nur neue Produkte effizienter bauen, sondern vor allem Änderungen an bestehenden Erzeugnissen mit weniger Aufwand realisieren können.

PTC bezeichnet das Produkt einerseits als Applikation, andererseits aber auch als Integrationswerkzeug, mit dem Anwender bestehende Programme und deren Daten einbinden können. Fertigungsstücklisten und Arbeitspläne übergibt die Software beispielsweise an ERP- und MES-Programme. Windchill MPM Link setzt auch Technik der Firma Polyplan auf, die der PLM-Anbieter im Jahr 2005 gekauft hatte. Die Software wurde komplett umgeschrieben und auf die Softwareumgebung Windchill gehoben.

Allumfassendes PLM bleibt ein Traum

Foto: Ju-Young Uam

PTC wie auch andere PLM-Anbieter offerieren zwar Standardsoftware, doch Anwenderunternehmen müssen diese Produkte massiv anpassen. Anders als im ERP-Umfeld, wo viele Vorgänge standardisiert sind, arbeitet beispielsweise die Konstruktion in jedem Unternehmen individuell. Und entsprechend vielfältig sind auch die Softwareprodukte in den Betrieben. Zwar hegen die Softwarehersteller den Wunsch, den Wildwuchs durch eine allumfassende PLM-Software zu ersetzen, doch das dürfte nur in den seltensten Fällen Realität werden. "Ein System für alles gibt es nicht", meint Ju-Young Uam, PLM-Experte beim Werkzeugmaschinenlabor der RWTH Aachen. Uam berät Firmen dabei, PLM-Prozesse aufzusetzen. Den Unternehmen wäre Uam zufolge aber schon sehr geholfen, wenn sie die unterschiedlichen Datentöpfe integrieren könnten. Die größte Herausforderung für Industriebetriebe sei heute das Änderungs-Management. Hier geht viel Zeit verloren und inkonsistente Daten führen zu Produktionsfehlern und Abstimmungsproblemen. Besonders deutlich zu spüren bekam das beispielsweise der Flugzeughersteller Airbus. Unter anderem führten Probleme mit der Datenverwaltung zu den Verzögerungen beim Großraumflugzeug A380. Da sich in solchen komplexen Produkten Baugruppen häufig ändern, muss sichergestellt sein, dass die Bestandteile noch zueinander passen.