Die Folgen der Gier

"Gut ausgebildete IT-Profis müssen um ihren Job bangen"

05.11.2009 von Hadi Stiel
Kurzsichtige Personalpolitik ist zum Scheitern verurteilt, warnt Rudolf Ruter, Partner bei Ernst & Young und zuständig für den Geschäftsbereich Nachhaltigkeit in Deutschland.

CW: Sie sehen noch kein Licht am Ende des Krisentunnels?

RUTER: Nein. Das Leben nach kurzfristiger Gewinnmaximierung wird ein solides Marktwachstum immer wieder gefährden. Dabei werden gesamtwirtschaftliche, ökologische und soziale Aspekte weiterhin zu kurz kommen. Doch eine Strategie, die kaum anders aussieht als die, die uns in die Finanz- und Wirtschaftskrise geführt hat, wird mittel- bis langfristig zum Scheitern verurteilt sein.

CW: Gilt dies auch für die aktuelle Personalstrategie der meisten Unternehmen?

Rudolf Ruter, Ernst & Young: "Nur eine vorausschauende Personalpolitik führt aus der Krise."

RUTER: Leider ja. Eine Geschäftspolitik, die ausschließlich die eigene Betriebswirtschaft fokussiert, wird sich zwangsläufig in einer kurzsichtigen Personalpolitik niederschlagen. Dabei sollte uns die Krise gelehrt haben, mehr auf langfristige und nachhaltige Unternehmensziele zu setzen. Nur wenn dies gelingt, wird sich auch die Personalpolitik aus den Fesseln eines kurzfristigen Gewinninteresses befreien können. Wir wissen aus einer Reihe von Befragungen junger Akademiker, dass ihnen Verantwortungsbewusstsein von Unternehmern gegenüber Mitarbeitern und der Gesellschaft bei der Entscheidung für einen Arbeitgeber ein wichtiges Kriterium ist. Beim "War for Talents", der weiterhingehen wird, ist es wichtig, dass Unternehmen diesen Wertewandel erkennen und die strategische Ausrichtung ihrer Geschäfts- und Personalpolitik überdenken. An Corporate Responsibility (CR) bis hinein in die Personalabteilung besteht also ein enormer Handlungsbedarf.

CW: Immerhin sind die Arbeitslosenzahlen bisher nicht wie anfangs befürchtet nach oben geschossen. Spricht das nicht für eine verantwortungsbewusstere Personalpolitik in den Unternehmen?

RUTER: Die Begründung dafür liegt weniger in einer wachsenden Personalverantwortung, vielmehr in der Kurzarbeiterregelung. 14 Milliarden Euro hat sie bis heute den Staat und die Steuerzahler gekostet, um einer Personalfreisetzung im großen Maßstab entgegenzuwirken. Die Frage ist: Was wird passieren, wenn die hohen staatlichen Zuschüsse wegfallen? Ich fürchte, dann werden viele Unternehmen und ihre Personalabteilung in die Gangart der Vergangenheit zurückfallen und viel Personal freisetzen.

CW: Sehen Sie gut ausgebildete Spezialisten von dieser Entwicklung ausgenommen?

RUTER: Nein, nicht nur im IT-Bereich, sondern auch im verarbeitenden Gewerbe werden selbst gut ausgebildete Spezialisten um ihren Arbeitsplatz bangen müssen. Eine vorausschauende Personalpolitik müsste anders aussehen: Sie müsste in den Unternehmen auf mehr Verantwortung für die Gesamtwirtschaft, Ökologie und Gesellschaft fußen. Eine "Licence to Operate" ist heute für die Unternehmer kein ökonomischer Persilschein mehr. Diese Lizenz muss in einem veränderten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Klima immer wieder neu abgesichert werden. Immerhin wächst in einigen Unternehmen bei den Verantwortlichen und Entscheidern die Einsicht, dass CR im eigenen Geschäfts- und Personalinteresse stärker betont werden müssen.

CW: Können Sie dafür Beispiele nennen?

RUTER: Die Unternehmen, deren Verantwortliche sich innerhalb des Arbeitskreises Nachhaltige Unternehmensführung (AKNU) der Schmalenbach-Gesellschaft zusammengefunden haben, sind gute Beispiele für eine tendenziell wachsende CR, einschließlich der für die eigene Mitarbeiterschaft. Verantwortungsträger aus über 90 Unternehmen, Organisationen und Interessensgruppen sprechen unter www.aknu.org Klartext. Sie bekennen sich zu einer nachhaltigen Unternehmensführung.Leider ist hier bisher der Finanzmarkt unterrepräsentiert. Dabei spielt er eine wesentliche Rolle, ob es den Unternehmen gelingen wird, mehr CR im operativen Geschäft sowie in der Personalpolitik zu verankern.

überleben in der Finanzkrise
Wie Sie der Krise trotzen . . .
Stellenabbau bei SAP, Kurzarbeit in der Automobilbranche. Wie sich Arbeitnehmer in der Finanzkrise verhalten können, dazu gibt Karriereberaterin Svenja Hofert wertvolle Tipps.
1. Halten Sie sich zurück mit apokalyptischen Prognosen . . .
. . . und zitieren Sie gegenüber dem Arbeitgeber jetzt nicht gleich Karl Marx. Das Unternehmen will und braucht Optimisten – ganz genau wie die Börse.
2. Wechseln Sie derzeit nur . . .
. . . wenn Sie wirklich sicher sind, es beim neuen Arbeitgeber besser zu treffen. Eine alte Regel lautet: Die letzten (Eingestellten), werden die ersten sein, denen man kündigt.
3. Wenn Sie doch wechseln wollen oder müssen, . . .
. . . fragen Sie das neue Unternehmen nach seinen Strategien in der Finanzkrise. Springen Sie nur auf dynamische Motorschiffe und nicht auf sinkende Dampfer.
4. Arbeiten Sie nicht still vor sich hin . . .
. . . in der Hoffnung, nicht entdeckt zu werden. Kommen Sie aus der Defensive: Bringen Sie Ideen, Vorschläge, seien Sie konstruktiv in der Krise, kommunizieren Sie Erfolge.
5. Fordern Sie eine offene Kommunikation von Ihren Vorgesetzten.
Sprechen Sie es an, wenn Sie das Gefühl haben, dass sich hinter verschlossenen Türen etwas zusammenbraut.
6. Beobachten Sie die Entwicklungen in Ihrem Unternehmen sehr genau.
Bewerben Sie sich lieber früher als später woanders, wenn Sie merken, dass sich eine langfristig negative Entwicklung anbahnt.
7. Analysieren Sie Ihr Profil und Ihren Marktwert.
Wenn Sie wissen, wo Sie stehen, werden Sie der Krise auch gelassener begegnen können.
8. Steigern Sie Ihren Marktwert durch Weiterbildung.
Gut ausgebildeten Fachkräften kündigt man nicht so schnell.
9. Nicht einschüchtern lassen!
So lange das Unternehmen nicht direkt von der Krise betroffen ist, gibt es keinen Grund für Gehaltskürzungen. So wie Mitarbeiter ihre Gehaltserhöhung niemals mit zu hohen Kraftstoffpreisen argumentieren sollten, sollten Unternehmen die Finanzkrise außen vor lassen. Es geht um Leistung, sonst nichts.

Wenig Spielraum für Gewinnmaximierung

CW: Wäre die Freisetzung von Spezialisten für die Unternehmen nicht höchst unproduktiv?

RUTER: Richtig. Nehmen wir als Beispiel das verarbeitende Gewerbe als stark exportabhängigen Motor für die deutsche Gesamtwirtschaft. In diesem Bereich die richtigen Spezialisten aufzubauen dauert sechs bis zehn Jahre. Kaum anders sieht es im IT-Bereich aus. Eine kurzfristige und -sichtige Freisetzung von Fachkräften kann sich somit unter dem Strich für die Unternehmen nicht auszahlen. Sie müssten anschließend das abgegebene Spezialisten-Know-how wieder teuer einkaufen und zeitaufwändig aufbauen. Das würde Folgen haben. Die verarbeitende Industrie könnte ihre Funktion als Motor für die deutsche Wirtschaft verlieren. Auch der deutsche IT-Sektor könnte in seiner Bedeutung erheblich Schaden nehmen. Zumal Unternehmen mit einer verfehlten Spezialistenpolitik schnurstracks in den demografischen Wandel hineinlaufen werden. Spätestens in zehn Jahren ist mit erheblich weniger Hochschulabgängern zu rechnen.

CW: Viele Unternehmen wähnen sich wieder mit ihrer unveränderten Strategie und Personalpolitik auf der sicheren Wachstumsseite. Steigende Börsenkurse scheinen ihnen Recht zu geben. Immerhin wurden auch die vergangenen Krisen erfolgreich durchstanden. Was halten Sie von solchen Einschätzungen?

RUTER: Die Unternehmen aller Branchen werden sich selbst nach überwundener Krise auf Jahre hinaus auf geringe Wachstumsraten einstellen müssen. Für kurzfristige Gewinnmaximierung und Gier wird somit wenig Spielraum bleiben. Umso wichtiger wird es für die Unternehmen werden, ihre Geschäfts- und Personalpolitik langfristig auszurichten, und ihre Strategien auf mehr ökonomische, ökologische und soziale Verantwortung auszulegen. Viel Zeit dafür bleibt nicht mehr. Nach meiner Einschätzung werden nur so die aktuelle Wirtschaftskrise überwunden und umfangreiche Personalfreisetzungen vermieden werden können.