Damit die Technologie keinen globalen Überwachungsstaat ermöglicht

Grenzen für die virtuelle Welt

12.11.1999
Die Technologie schreitet in Meilenstiefeln voran, der Mensch hinterher - wie fast immer in der Geschichte der technischen Errungenschaften. Über die Gretchenfrage, welche Gefahren in der Weite des Cyberspace auf den Homo sapiens und seine Lebenswelt lauern, darüber denken nicht viele Menschen ernsthaft nach. Einer von ihnen ist der Publizist und Medientheoretiker Florian Rötzer.

In seinem Buch "Megamaschine Wissen. Vision: Überleben im Netz" führt der Autor anhand zahlreicher Beispiele vor Augen, wie das Internet und die modernen IuK-Technologien die Lebensrealität des Menschen auf den Kopf stellen. "Die Faszination des Internet besteht darin, daß es einen neuen Lebensraum eröffnet hat, der sich anders bewohnen läßt, als dies bei vorhergehenden Techniken und Medien der Fall war."

Das Andersartige sieht Rötzer darin, daß der Mensch nicht mehr einfach nur von einer Welt in eine andere wechselt, sondern daß er gleichzeitig zwischen verschiedenen Welten und Orten hin- und herpendelt oder gar präsent ist: "Man hört oder sieht nicht nur fern, sondern man ist hier und dort, gebunden an seinen Körper und doch eingetaucht in eine entfernte oder virtuelle Welt."

Die Gefahr der "gigantischen neuen Großstadt" besteht für ihn darin, daß "der virtuelle Raum zu einem neuen Schlachtfeld für Informationswaffen wird, in dem das Wettrüsten bereits begonnen hat". Hinter dem martialisch anmutenden Bild steckt eine ernstzunehmende Warnung: Die neuen Technologien haben das Potential, um den globalen Überwachungsstaat zu realisieren: "In der Wissensgesellschaft droht die Privatsphäre zu schwinden. Das bereits existierende Maß an Überwachung ist bedenklich." Und in falschen Händen, so ein weiterer Warnruf, kann die IT-Technologie bewirken, daß wenige, aber mächtige Menschen das kollektive Wissen zur eigenen Bereicherung okkupieren.

Evolutionäre UmbrücheDeshalb fordert der Technikkritiker: Politik und Gesellschaft müssen endlich ihre Hausaufgaben machen. Die Staatengemeinschaften müssen dringend ein demokratisch ausgehandeltes Regelwerk auf die Beine stellen, das die Grenzen der vernetzten Welt klar definiert und ihren Mißbrauch so weit wie möglich einschränkt. Nur dann, so der Autor, ist die Menschheit in der Lage, die Vorteile der neuen Technologien positiv zu nutzen. "Wir brechen gleichzeitig in die neue Lebenswelt des Cyberspace sowie in die Wissensgesellschaft auf und verändern uns selbst dabei. Solche evolutionären Umbrüche können durchaus produktiv sein", glaubt der Cyberwelt-Experte.

Fünf internationale Berichte aus der Welt der Netze ergänzen das spannend geschriebene Buch.

Florian Rötzer: "Megamaschine Wissen. Vision: Überleben im Netz." Campus Verlag, Frankfurt am Main, 1999, 36 Mark, ISBN 3-593-36044-6. *Angelika Fritsche ist freie Journalistin in Bonn.