Buchsuche

Google hat schon über 10 Millionen Bücher gescannt

30.07.2009 von Thomas Cloer
Bei einem Round Table für die Presse in München bemühte sich Google gestern, mit Fakten und Meinungen von Beteiligten etwas mehr Sachlichkeit in die Diskussion um seine Buchsuche zu bringen.

Es gab in letzter Zeit reichlich Verwirrung und Desinformation zum Thema Google Book Search. Das liegt mit daran, dass die Buchsuche eigentlich aus zwei Programmen besteht, die miteinander wenig bis nichts zu tun haben (das Bibliotheks- und das Partnerprogramm nämlich). Vor allem aber liegt es an der grundsätzlich anderen Situation und Rechtslage in den Vereinigten Staaten.

Ein paar nackte Zahlen: Google hat aktuell bereits mehr als 10 Millionen Bücher digitalisiert und volltextindexiert. Dieser Index fließt im Rahmen der sogenannten Universal Search seit einiger Zeit auch in die Ergebnislisten von Internet-Suchen bei Google ein. Gut 1,8 Millionen von den 10 Millionen Titeln kommen von Partnern, das sind üblicherweise Verlage.

Google stellt übrigens weder in den USA noch in Deutschland urheberrechtlich geschützte Bücher komplett ins Netz. Der Konzern tut freilich gern so, als agiere er rein philanthropisch und wolle nur das in so vielen Büchern verborgene Wissen der ganzen Menschheit möglichst einfach zugänglich machen. Dem ist natürlich nicht so - Google ist (auch) eine ganz normale Firma, die Geld verdienen will. Möglichst viel natürlich.

Google hat deswegen sehr frühzeitig damit begonnen, mit großen US-Bibliotheken zu kooperieren und deren Bestände zu digitalisieren. Weil Google natürlich wusste, dass das sonst jemand anderes macht. Amazon.com zum Beispiel. Oder Microsoft.

Google hat dabei einfach alles digitalisiert, was ihm vor den Scanner kam - nur in den USA wohlgemerkt. Auch Bücher, die noch urheberrechtlich geschützt sind. Darunter waren hier und da auch Werke deutscher Autoren. Deswegen gab es in der hiesigen Presse eine ziemliche Aufregung. In Deutschland hat Google im Rahmen des Biblitoheksprogramms aber ausschließlich sogenannte gemeinfreie Bücher digitalisiert, die keinem Urheberrecht mehr unterliegen.

Dass Google die Erfassung noch urheberrechtlich geschützter Werke in den USA überhaupt gewagt hat, geht auf das dortige Rechtskonstrukt eines "fair use" zurück. Google hat dieses proaktiv zu seinen Gunsten ausgelegt. Daraufhin gab es im Jahr 2005 Sammelklagen ("class action suits") von Autoren und Verlagen, die fair use anders auslegten. Auch die Sammelklage ist ein US-amerikanisches Konstrukt ohne Entsprechung im deutschen Recht.

Nach jahrelangen zähen Verhandlungen erreichte Google im Herbst 2008 dann einen Vergleich bezüglich der US-amerikanischen Sammelklagen. Dieser Vergleich ist allerdings umstritten. Ob er in Kraft tritt, darüber soll am 7. Oktober entschieden werden. Eine mögliche breitere Ermittlung der unter Präsident Barack Obama neu aufgestellten US-Kartellbehörden gegen Google könnte diese Entscheidung aufschieben.

In Deutschland hat die Verwertungsgesellschaft VG Wort angekündigt, gegebenenfalls die in den USA verletzten Urheberrechte deutscher Autoren stellvertretend geltend zu machen, sprich von Google Geld einzusammeln und dieses dann an die hiesigen Urheber auszuschütten. Ob es dazu kommt, hängt davon ab, ob der Vergleich durchgeht und ob Google mitspielt. Laut der in der DACH-Region (Deutschland, Österreich und Schweiz) für die Buchsuche zuständigen Google-Frau Annabella Weisl befinden sich beide Seiten gegenwärtig in einem "konstruktiven Dialog".

Das Settlement Agreement

Der in den USA angestrebte Vergleich sieht vor, dass Google vor allem urheberrechtlich geschützte Bücher, die nicht mehr verlegt werden ("vergriffen" sind), wieder öffentlich zugänglich machen will. Dazu würden 20 Prozent der Seiten solcher Bücher als Vorschau ins Netz gestellt. Wer das ganze Buch lesen will, kann den Online-Zugriff - via Browser - darauf kaufen. Dabei sind auch Abonnements für Firmen und Organisationen geplant. Die Urheber erhielten dann 68 Prozent der Einnahmen, die Google mit Werbung und Käufen/Abonnements erzielen würde.

Dieses neue Zugriffsmodell wäre der Standard für urheberrechtlich noch geschützte, aber nicht mehr verlegte Bücher. Ein Rechteinhaber könnte aber jederzeit entscheiden, dass er diese Funktion lieber abschalten möchte - neudeutsch nennt man das "Opt-out". Google würde überdies ein unabhängiges und gemeinnütziges Buchrechte-Register finanzieren, das von Autoren und Verlagen betrieben würde. Das Register würde die von Google im Rahmen des Vergleichs ausgeschütteten Einnahmen sammeln und verteilen sowie idealerweise die Zahl "verwaister" Bücher verringern.

Urheberrechtlich geschützte und immer noch verlegte Bücher könnte man über Google zwar suchen (und finden), aber keinen Einblick in den Inhalt nehmen. Rechteinhaber, die sich dem Vergleich anschlössen, könnten entscheiden, ob sie das beschriebene neue Zugangsmodell nutzen oder lieber am Partnerprogramm von Google teilnehmen wollen. Die offiziellen Book-Search-Partner könnten ebenfalls die neuen Funktionen Onlinekauf und Institutionelle Abonnements aktivieren, wenn sie dies wünschen.

Außerhalb der USA würde Google den Zugriff auf die von dem US-Vergleich betroffenen Titel mittels IP-Blocking sperren. Technisch versiertere Nutzer könnten das natürlich leicht umgehen. Für die meisten Surfer dürfte diese derzeit einzig praktikable technische Maßnahme allerdings eine ausreichend hohe Hürde darstellen.

Den Verkauf der Online-Nutzung von Büchern (jedoch nicht als "Großkundenabo") plant Google laut Annabella Weisl übrigens auch in Deutschland - jedoch nur für Werke, die Google über das Partnerprogramm offiziell zugänglich gemacht wurden. Dieser E-Commerce dürfte bereits Ende dieses Jahres starten, die Details müssen allerdings noch finalisiert werden.

Als Partner ist Google bücher nicht zuletzt für Verlage mit vielen wenig verkauften Titeln ("long tail") interessant, die darauf angewiesen sind, möglichst einfach gefunden zu werden. Julius Mittenzwei vom Buchsuche-Partner GRIN-Verlag berichtete von monatlich immerhin 250.000 Page Impressions der GRIN-Titel bei Google bücher und einer höheren Conversion Rate als auf den verlagseigenen Webseiten.

Der Publizist und Journalist Florian Felix Weyh erklärte, dass er nach anfänglichen Vorbehalten Google bücher mittlerweile sehr sinnvoll und nützlich findet. Unter anderem, weil Bücher von Verlagen inzwischen immer früher (zum Teil schon nach einem Vierteljahr!) verramscht werden. Viele Autoren lebten allerdings noch immer im "Rentenparadigma", unter dem das Urheberrecht ursprünglich einmal ersonnen wurde. Er, so Weyh, sehe einen Verlag zunehmend nur noch als Bank, der die Arbeit an einem Buch über einen Vorschuss finanziere. Bis das Netz so weit sei, dass er seine Leser darüber direkt und ohne zwischengeschalteten Verlag in ausreichender Zahl erreiche, sei Die Google-Buchsuche eine gute Möglichkeit, neue Interessenten für die eigenen Texte zu gewinnen. Sehr lesenswert ist übrigens Weyhs Polemik "Google - der große Literatur-Räuber?" für das "Deutschlandradio Kultur".

Google bücher und auch die Erläuterungen dazu (RTFM, wie man so schön sagt) sollte sich jeder Interessierte einmal selbst in aller Ruhe ansehen. Besonders viele Menschen können das bis jetzt eigentlich nicht getan haben, andernfalls hätte es viele Berichte und Diskussionen in den letzten Monaten gar nicht geben dürfen.

Noch gar nicht richtig über den großen Teich geschwappt ist übrigens eine neue Debatte über Googles Buchsuche, das Settlement Agreement und den Datenschutz. Die Bürgerrechtler von der Electronic Frontier Foundation (EFF) laufen bereits Sturm; Googles Antwort klingt allerdings durchaus überzeugend.

Hinweis: Dieser Text basiert im Wesentlichen auf einem (etwas subjektiveren) Blog-Beitrag, den der Autor bereits gestern Abend veröffentlicht hat.