Gleichstellungsgesetz verunsichert IT-Branche

12.09.2006 von Winfried Gertz
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz verlangt von Unternehmen, diskriminierungsrelevante Sachverhalte aufzudecken und zu entkräften. Das setzt die sich jung und dynamisch gebende IT-Branche unter Zugzwang.

Martin Schmidt ist seit seiner Entlassung bereits mehrere Monate ohne Arbeit. In einer Stellenbörse findet er ein Inserat, in dem ein Systemadministrator für ein "junges Team" gesucht wird. Damit rechnend, eine Absage zu erhalten, verfasst der 45-jährige Informatiker eine Standardbewerbung. Tatsächlich hat er wenige Tage später die Ablehnung in der Hand und überlässt sie seinem Anwalt. Der erhebt Anklage wegen Altersdiskriminierung. Die Aussicht auf eine erkleckliche Schadenersatzsumme ist nicht schlecht.

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  • warum das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz viele Firmen überfordert;

  • welche Risiken es in der jung-dynamischen IT-Branche gibt;

  • was Experten zur Absicherung empfehlen.

Klagen wegen Altersdiskriminierung?

Das fiktive Beispiel illustriert, was auf Unternehmen nach Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes zukommen kann. "Ich erwarte, dass Trittbrettfahrer auf den Plan treten", warnt Volker Schneider, ein Hamburger Fachanwalt für Arbeitsrecht. Wie andere Juristen fordert er die Firmen auf, die neue Rechtslage nicht zu ignorieren. Für Lothar Beseler, den Vorsitzenden Richter des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf, gibt es keinen Zweifel, wo der wunde Punkt der IT-Branche liegt. "Wer sich traditionell jung und dynamisch gibt, ist mehr als andere Branchen von der Altersdiskriminierung betroffen." Eine Argumentation, der sich der Hamburger Arbeitsrechtler Wolfgang Hegels anschließt. Unter Verweis auf den massiven Stellenabbau in IT-Konzernen sagt er: "Womöglich werden auch betroffene Führungskräfte wegen vermeintlicher Altersdiskriminierung vor Gericht ziehen."

Seit dem 18. August ist das neue Gesetz in Kraft. In seinem arbeitsrechtlichen Teil verpflichtet es Arbeitgeber, Benachteiligungen wegen ethnischer Herkunft, Geschlecht, Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter und sexueller Identität zu vermeiden. Dazu müssen Firmen Schiedsstellen einrichten, ihre Dokumente von fragwürdigen Formulierungen bereinigen und den Rekrutierungsprozess weit ausführlicher dokumentieren als bisher. Ferner schreibt ihnen das Gesetz vor, ihre Beschäftigten über den angemessenen Umgang mit alltäglicher Diskriminierung zu informieren und zu schulen, um drohende Schadensersatzklagen abzuwenden.

Doch statt sich rechtzeitig auf die seit Monaten in den Medien breit diskutierten möglichen Auswirkungen vorzubereiten, schiebt die IT-Branche das Thema vor sich her. Beim Branchenverband Bitkom, der keine Gelegenheit auslässt, politische Entscheidungen zu kommentieren, ringt Referent Kai Kulmann um Worte: "Angesichts der geringen Nachfrage von Firmen haben wir noch keine Handlungsrichtlinien herausgegeben." Die Reaktion des Verbandes zeigt, wie unentschlossen IT-Unternehmen, aber auch Firmen anderer Branchen mit dem Problem umgehen. Ein merkwürdiger Zustand, wundert sich Bettina Sudar, Marketing-Leiterin des Münchner Jobportals Stellenanzeigen.de: "Es gibt kaum Anfragen, offenbar hat sich noch niemand informiert."

Paul Lütke Wissing, Sepago: "Kleinen Firmen fehlen die Ressourcen, um rechtzeitig auf das Gesetz reagieren zu können."

Warum die mittelständisch geprägte IT-Branche nicht zu Potte kommt, mag das Beispiel des Kölner IT-Dienstleisters Sepago GmbH verdeutlichen. "Der Chef sitzt morgens beim Kunden, programmiert nachmittags mit, schreibt abends zu Hause Rechnungen und fragt sich, ob er einen neuen Mitarbeiter einstellen soll", erklärt Sepago-Geschäftsführer Paul Lütke Wissing. Man müsse alles selbst abfedern und könne sich keine Strukturen leisten wie Konzerne. Doch auch dort herrscht Zurückhaltung, wie Peter Meussen von der Dresdner-Bank-Tochter DDS Dresdner Direktservice GmbH in Duisburg bestätigt. Zwar habe das Management Unterstützung zugesagt. Doch könne in Zeiten enger wirtschaftlicher Mittel auch das Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz keine "Ressourcen in unangemessenem Rahmen beanspruchen."

Hilfe von Juristen

DDS lässt sich gezielt von Juristen unterstützen. Für die gesetzlich vorgeschriebenen Schulungen konnte Meussen den Richter Lothar Beseler gewinnen. Personaler drücken ganztägig, Führungskräfte halbtags die Schulbank. Vertiefend können sie ein Web-Based-Training zum neuen Gesetz nutzen, das die Dresdner Bank produziert hat. Darin lernen sie, wie sie sich verhalten sollten, wenn sie von Mitarbeitern über vermeintliche Diskriminierung oder Mobbing informiert werden, oder worauf beim Telefonat mit einem Bewerber zu achten ist.

Am größten ist die Furcht vor hohen Schadenersatzforderungen. Ob das Gleichbehandlungsgesetz tatsächlich eine Prozessflut nach sich ziehen wird, ist aber kaum abzuschätzen. Bekannt gewordene Fälle zeigen, dass vor allem Frauen gegen Ungerechtigkeiten vor Gericht ziehen. Spannend wird zu beobachten sein, ob Frauen im mittleren Management, die oft schlechter bezahlt sind, nun eine Klagewelle ins Rollen bringen. Schließlich verbrieft das Gesetz erstmals den Anspruch "Gleiches Geld für gleiche Arbeit".

Peter Meussen, DDS: "Das Gleichbehandlungsgesetz kann in Zeiten enger wirtschaftlicher Mittel keine Ressourcen in unangemessenem Rahmen beanspruchen."

Nach Informationen des Bonner Anwalts Michael Alenfelder ist in Deutschland nur der Fall eines IT-Dienstleisters bekannt, den eine gekündigte leitende Mitarbeiterin auf Schadenersatz verklagt hat. Sie berief sich auf den Umstand, dass trotz einer Frauenquote von einem Drittel in dem Unternehmen nur sieben Prozent der Frauen Führungspositionen besetzten. Die Klägerin war zuvor mehrfach in internen Stellenausschreibungen ohne Begründung abgelehnt worden. Der Prozess endete mit einem Vergleich in Höhe von 120 000 Euro.

Hoher Schadensersatz im Ausland

Im Ausland werden viel höhere Summen als Schadenersatz gezahlt. Auch hier steht die Geschlechterdiskriminierung im Fokus. Eine Angestellte der Deutschen Bank in London verwahrte sich gegen den Vorwurf, ein Verhältnis mit einem Mandanten zu haben. Stattdessen legte sie Beweise vor, dass Frauen in der Bank gern als "Chicks" diskreditiert würden. Ergebnis: ein Vergleich mit einer Zahlung von etwa einer Million Pfund. Rund 500 000 Pfund als Entschädigung erhielt eine Bankerin der BNP Paribas. Ihr Bonus war nach einer Schwangerschaft um 80 Prozent gekürzt worden, was sie sich nicht gefallen ließ.

Zwar fürchtet Sepago-Chef Lütke Wissing solche Konflikte nicht, dennoch schwant ihm Übles. Womöglich kämen findige Unternehmer auf die Idee, unliebsame Konkurrenten durch rechtliche Anwürfe schwer in Beschlag zu nehmen. "Die können sich dann nicht mehr aufs Kerngeschäft konzentrieren und bewegen sich schnell am Rande des Ruins." Eine keineswegs übertriebene Befürchtung, sagt der Jurist Hegels. Diskriminierende Äußerungen, selbst wenn sie unbedacht fielen oder flapsig gemeint seien, könnten teuer werden.

Diskriminierungsfalle Bewerbungsfoto

Am stärksten wirkt sich das Gesetz auf den Einstellungsprozess aus. Schon das Bewerbungsfoto kann laut Arbeitsrechtler Schneider diskriminierungsrelevant sein, etwa weil es Rückschlüsse auf die ethische Herkunft zulasse. Ferner gebe ein Lichtbild auch Aufschluss über das Alter oder eine im Gesicht erkennbare Behinderung, hingegen keine für den Job relevanten Zusatzinformationen. Nicht ratsam sei daher, Bewerber aufzufordern, ein Foto zu schicken. "In den USA gilt es als verpönt, ein Bewerbungsfoto zu verlangen."

Um sich vor dem Vorwurf der Altersdiskriminierung zu schützen, rät Richter Beseler, Alterswünsche in Stellenangeboten und Arbeitsplatzbeschreibungen durch den Begriff "Berufserfahrung" zu ersetzen. Und noch ein Tipp: Firmen, deren Belegschaften zu jung oder überwiegend männlich strukturiert sind, sollten "auf solche Schräglagen Bezug nehmen und ältere wie weibliche Kandidaten ausdrücklich bitten, sich zu bewerben".

Uwe Kloos, Personalchef der Münchner Softlab AG, ist dabei, diskriminierungsrelevante Risikofelder aufzuspüren und einen "Schlachtplan" zu entwickeln. Er geht davon aus, dass Unternehmen ihre Absagen an Bewerber künftig klausuliert formulieren werden. Telefonisch werde man pauschal argumentieren, um kein Risiko einzugehen. "Das ist nicht im Interesse der Bewerber." Kloos weist auf einen zentralen Aspekt hin: Seit Jahren werden Bewerber von einer sich türmenden Ratgeberliteratur aufgefordert, selbstbewusst nach konkreten Gründen für eine Absage zu fragen. Wird das Gesetz aber wortgetreu ausgelegt, werden sie sich fernmündlich oder schriftlich mit inhaltsleeren Phrasen zufrieden geben müssen. Schon im Wortlaut der Stellenanzeigen dürften unkonkrete Formulierungen den Ton angeben. Konsequenz: Personaler sind auf einen Schlag mit deutlich mehr Bewerbungen konfrontiert und müssen einen Riesenaufwand betreiben, um die Spreu vom Weizen zu trennen.

Gleichbehandlung online lernen

"Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz", so der Titel des Web-Based-Training-Programms von Memoray, München, wendet sich in zwei Versionen an Arbeitgeber (Bearbeitungszeit: 60 Minuten) und Mitarbeiter (45 Minuten). Während Mitarbeiter sich Grundlagen erarbeiten und ihr Wissen durch einen Test zertifizieren lassen können, befähigt die Arbeitgeberversion Mitarbeiter aus Personalabteilung und Betriebsrat sowie Führungskräfte, Schaden vom Unternehmen abzuwenden. Der Preis richtet sich nach Anzahl der Nutzer. Info: peter.schoener@memoray.de oder Telefon: 089/ 746 46-505.

Ausgeweitete Dokumentationspflicht

Hinzu kommt die Dokumentationspflicht, die das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz einfordert. Juristen empfehlen, genau festzuhalten, welche Qualifikationen gefordert sind, welche Kompetenzen ein Bewerber mitbringt und warum die Entscheidung für eine bestimmte Person gefallen ist. "Ein Aufwand sondergleichen", sagt der Düsseldorfer Verleger Heinrich Sadler, der einen Newsletter für Personalverantwortliche herausgibt. "Personaler müssen jeden Kontakt dokumentieren und dürfen Unterlagen von abgelehnten Bewerbern nicht wie früher vernichten." Er erwartet sogar, dass Bewerbungsgespräche künftig vor Zeugen geführt werden, um bösen Überraschungen vorzubeugen.