Unterschiedliche Denkweisen erschweren die Entwicklung anwendergerechter Programme:

Gesunder Menschenverstand reicht nicht aus

10.06.1988

Umständliche Bedienung, verwirrende Menüs, Meldungen, die nichts aussagen, und "Hilfen", die ihren Namen nicht verdienen - so beurteilen Jutta Lang und Helmut Peters* derzeit die Anwenderschnittstellen der gängigen PC-Software. Abhilfe schafft hier nicht der gute Wille der Entwickler, so die Autoren. sondern lediglich ein konsequenter ergonomischer Ansatz.

Die Gestaltung der Benutzerschnittstelle ist die logische Konsequenz einer ganz bestimmten Entwickler-Philosophie: Bei der Programmspezifikation geben sich die Entwickler viel Mühe, möglichst mächtige und schnelle Programme zu entwickeln. Diese stecken dann voller Funktionen, die für den Benutzer nur schwer nutzbar zu machen sind. Wenn die Produkte auf den Markt kommen, findet man deshalb in ihren Beschreibungen konsequenterweise auch nur Aufzählungen über das, was man damit alles machen kann, aber nicht, für welche Aufgaben und welche Benutzer sie gemacht sind. So beschreibt man Spielzeuge aber keine Werkzeuge!

Dieser Ansatz in der Softwareentwicklung ist falsch und eigentlich auch überholt. Ein Entwickler, der behauptet, mit gutem Menschenverstand allein anwenderfreundliche Software machen zu können, hat den Anschluß verpaßt. Es hilft einem Entwickler nicht, sich soviel Mühe wie möglich zu geben; seine programmiertechnischen Kenntnisse und der jahrelange Umgang mit Computern verstellen ihm de facto den Weg zum Anwender.

Um Entwicklern beim Software-Design die Wünsche und Bedürfnisse der Anwender zu vermitteln, hat sich eine neue Disziplin entwickelt. Mit Hilfe der Software-Ergonomie kann eine Anpassung der Software an den Menschen, insbesondere an seine kognitiven Eigenschaften, erreicht werden. Jeder Mensch weist ganz spezifische Fähigkeiten und Fertigkeiten im Wahrnehmen und Denken auf. Entscheidend geprägt werden diese Eigenarten von den jeweiligen Vorerfahrungen, den zu erledigenden Arbeitsaufgaben und dem organisatorischen Kontext.

Kriterien für den effizienten Umgang

Das Ziel der Software-Ergonomie ist es daher, Werkzeuge zu schaffen, die auf unterschiedliche Benutzer zugeschnitten sind. Um dies zu erreichen, müssen sowohl der spezifische organisatorische Kontext als auch die jeweilige Aufgabenstellung berücksichtigt werden.

Man kann nicht erwarten, daß für das Gebiet der Software-Ergonomie eine abgeschlossene theoretische Entwicklung zur Verfügung steht. Es gibt aber schon heute eine Reihe von wissenschaftlich abgesicherten Erkenntnissen. Sie können konkret dazu beitragen, daß Software wirklich benutzerfreundlich wird. Auf der Anwenderseite haben sich verschiedene Kommunikations- und Handlungsmodelle ergeben, die für die Vorhersage quantifizierbarer Größen des Benutzerverhaltens wie beispielsweise Lernzeiten, Fehler und Informationsverarbeitung herangezogen werden können.

Der Einsatz Software-ergonomischer Erkenntnisse in der Systementwicklung bringt nicht nur den Anwendern Erleicherung im Umgang mit dem Computer, sondern bringt auch eine Reihe nicht zu unterschätzender wirtschaftlicher Aspekte. Für den effizienten Umgang mit dem Werkzeug Computer sind vor allem folgende Kriterien entscheidend:

- Lernzeit: Wie lange braucht ein Benutzer bis er mit seinem Werkzeug effektiv umgehen kann?

- Ausführungszeit: Wie lange braucht ein Benutzer, bis die zu erledigenden Arbeitsaufgaben adäquat abgeschlossen sind?

- Fehlerrate: Wieviele Fehler werden in der Bedienung gemacht, die fehlerhafte Endprodukte oder/und eine länger dauernde Ausführungszeit nach sich ziehen?

- Subjektive Zufriedenheit: Ein Benutzer, der mit seinem Werkzeug zufrieden ist, kann streßfrei und ohne große emotionale Belastung die anfallenden Aufgaben erledigen.

- Behaltenswerte der Bedienungsregeln: Wie gut werden die Regeln zur Bedienung des Systems über die Zeit hinweg im Gedächtnis behalten?

Die Bedeutung der ersten drei Faktoren für die wirtschaftliche Effizenz eines Unternehmens ist eindeutig. Der letztgenannte Faktor erweist sich insbesondere dann als bedeutsam, wenn nicht der regelmäßige Benutzer betrachtet wird, sondern der sogenannte Gelegenheitsbenutzer, der nur sporadisch mit dem System arbeiten muß. Hier ist zu bedenken, daß jeder Systembenutzer durch Urlaub oder wechselnde Arbeitsaufgaben bisweilen für kurz oder lang zu der Gruppe der Gelegenheitsbenutzer gehört.

Die "subjektive Zufriedenheit" zeigt ihre Auswirkungen vor allem auf dem Personal Computer-Markt. Neueste Umfragen zeigen, daß hier nicht zu unterschätzende Käuferpotentiale kaum mehr gewillt sind, benutzerunfreundliche und fehlerhafte Software zu kaufen. In einer Befragung der Zeitschrift "Chip" vom Herbst 1987 zeigte sich, daß 45 Prozent der Käufer einer Software das Produkt nicht noch einmal kaufen würden. Meist traten schon nach drei Monaten erste Fehler auf, die durchschnittlich mit über 2000 Mark pro Fehler zu Buche schlugen.

Eine optimale Gestaltung der Schnittstelle zwischen Mensch und Computer dient somit auch der Effektivitätssteigerung bei der Arbeit mit der DV. Da heutzutage Computersysteme gerade unter dem Gesichtspunkt "Effektivität" im Betrieb eingesetzt werden, darf nicht übersehen werden, daß die DV allein noch keine Leistungssteigerung bringen kann. Nur die optimale Anpassung des Werkzeuges Computer an den Menschen, die Aufgaben und den organisatorischen Kontext führen wirklich zu ökonomischen Verbesserungen im Betrieb.

Die Software-Ergonomie gibt praktische Anweisungen, wie die Eigenschaften und Besonderheiten der Benutzer in die Entwicklung von Systemen einzubeziehen sind. Die Fachleute in dieser Disziplin - meist Spezialisten mit einer wissenschaftlichen Ausbildung in angewandter Psychologie, Ergonomie und Informatik sowie einschlägiger praktischer DV-Erfahrung - sollten insbesondere dann herangezogen werden, wenn es sich um umfangreiche Entwicklungen handelt.

Benutzer wissen nicht, was machbar ist

Die Benutzer sind meist nicht in der Lage, ihre Wünsche und Bedürfnisse in einer Sprache zu formulieren, die die Software-Entwickler verstehen; es fehlt ihnen aber auch an Wissen zum Software-Engineering, um beurteilen zu können, was machbar ist und was nicht. Dies führt dann häufig dazu, daß die Vorstellungen der Anwender grundsätzlich abgeschmettert werden. Bemüht sich der Entwickler, den Vorgaben des Benutzers gerecht zu werden, so können sich die beiden Seiten bei der Abnahme nicht einigen, inwieweit die Anforderungen tatsächlich erfüllt sind.

Die Software-Ergonomie kann hier erfolgreich vermitteln und beiden Seiten zu ihrem Recht verhelfen; denn sie verfügt über grundlegende Kenntnisse (etwa zu den Gesetzmäßigkeiten der menschlichen Informationsverarbeitung) und weitreichende Methoden (zum Beispiel der Aufgabenanalyse), um die Bezugsgrößen Mensch, Aufgabe, System und Organisation ins Gleichgewicht zu bringen. Darüber hinaus kann die Ergonomie-Forschung auf einen umfangreichen und vielfältigen Katalog gesicherter Erkenntnisse zur Software-Gestaltung zurückgreifen, die sich in dieser jungen Disziplin inzwischen angesammelt haben.

Aber auch das fachliche Wissen der Benutzer vermag die Software-Ergonomie gestalterisch umzusetzen und zu operationalisieren. Die Benutzer wissen meist am besten, welche Funktionen sie für ihre Arbeitsaufgaben brauchen und wie diese handhabbar sein sollten. Spezialisten der Software-Ergonomie müssen deshalb möglichst in das Entwickler-Team integriert werden.

So können die Erkenntnisse der Ergonomie von Anfang an in Spezifikation und Entwicklung des Produktes einfließen. Prototypen oder Produktversionen werden dabei frühzeitig auf Schwachstellen hin analysiert und verbessert. Das Testen und Anpassen an die entsprechende Benutzergruppe erfolgt rechtzeitig und professionell. Neue technische Möglichkeiten lassen sich somit auch ergonomisch sinnvoll umsetzen, anstatt sie als "Verzierung" zu verschleudern.

Fehler sind eigentlich ein typisch menschliches Problem. Jeder macht Fehler und aus Fehlern lernt man. Auch in der Arbeit mit dem Werkzeug Computer werden Fehler gemacht, die zum einen wirtschaftliche Bedeutung haben und zum anderen beim Anwender zu Streß und emotionaler Belastung führen. Nichts scheint demnach naheliegender, als das Thema Benutzerfehler ausdrücklich bei der Gestaltung der Software und auch in den Handbüchern zu berücksichtigen.

Beispiele für gutes Fehler-Management

Tatsächlich ist es jedoch so, daß so etwas wie "Benutzerfehler" im Denken der Software-Entwickler nur rudimentär berücksichtigt ist. Bei einigen Produkten wird zwar darauf geachtet, daß grobe Fehleingaben nicht zu Systemabstürzen führen; meist fehlen aber geeignete Techniken, die dem Benutzer helfen, Fehlern vorzubeugen oder ihn bei der Fehlerbehebung unterstützen.

Fehler-Management wäre eine mögliche Technik, um negative Konsequenzen und Kosten von Fehlern zu minimieren. Einige Aspekte, die gutes Fehler-Management auszeichnen, sollen hier exemplarisch aufgezeigt werden:

- Bei fehlerhaften Eingaben erlaubt das System die Wiederherstellung des Ausgangszustandes. Dafür ist es notwendig, daß Ergebnisse in einem Zwischenspeicher selbständig abgelegt werden. Damit lassen sich falsche Befehle rückgängig machen und Löschungen revidieren.

- Bei fehlerhaften Eingaben sind die Fehlermeldungen vom System so zu gestalten, daß der Benutzer zu jeder Zeit erkennen kann, worin der Fehler besteht, wie sich der Fehler auswirkt, in welchem Zustand sich das System durch die Fehleingabe befindet, welche Wege aus der entstandenen Situation herausführen und welche Schritte notwendig sind, um die entstandenen Folgen zu korrigieren.

- Computersysteme treffen auf ganz unterschiedliche Aufgabenbedingungen im Arbeitskontext. Der Benutzer sollte daher die Möglichkeit haben, das System seinen ganz spezifischen Erfordernissen anzupassen. Persönliche Fehlertendenzen und Arbeitsstile könnten so durch eine Systemanpassung am wirkungsvollsten unterstützt werden.

Meist sind fehlerhafte Eingaben für den Benutzer selbst keine Fehler, sondern Versuche, ein angestrebtes Ziel zu erreichen. Das System sollte daher so ausgelegt sein, daß der Benutzer trotz fehlerhafter Eingabe sein Ziel erreichen kann. Dies wird beispielsweise durch ausführliche Fehlermeldungen erreicht.

Das System sollte aber auch Möglichkeiten anbieten, lange Eingabesequenzen oder Operationsabfolgen in denen beispielsweise nur ein Buchstabe falsch geschrieben wurde, auszubessern, statt sie noch einmal eintippen zu müssen.

Dieser Ansatz wäre zum Nutzen der Anwender, die endlich geeignete Werkzeuge erhielten, aber auch zum Nutzen der Hersteller, denen der Markt ihre Bemühungen rasch lohnen würde. Schon sind erste zaghafte Ansätze zu beobachten, die hier geschilderten Leitlinien umzusetzen. Den, der die Vorausschau und den Mut hat, dies in aller Konsequenz zu tun, wird die Konkurrenz später beneiden; der Dank der Anwender wäre ihm überdies gewiß. Bis zum Jahr 2000 werden 90 Prozent aller Arbeitnehmer Computer als Werkzeuge einsetzen. Mehr als 70 Prozent von ihnen sind nicht speziell für den Umgang mit der DV ausgebildet.

Durch die Entwicklungen auf dem Gebiet der Hardware sind Design-Möglichkeiten erwachsen, die den Benutzer nicht mehr nur als Schwachstelle oder Engpaß eines automatisierten Systems ansehen, sondern das automatisierte System als ein wirkungsvolles Werkzeug des Benutzers zu gestalten erlauben.

Bekanntlich hat die Entwicklung der Software-Ergonomie bereits zur Formulierung von Normen geführt die Kriterien zur benutzerfreundlichen Dialoggestaltung festschreiben. Bisher konnte man sich nicht auf generelle Prüfkriterien einigen; daran wird jedoch bereits mit großem Erfolg gearbeitet. Deshalb sei noch einmal betont: Woran es fehlt sind nicht die Methoden und Kenntnisse zur Gestaltung einer benutzergerechten Software, sondern die Bereitschaft, diese Methoden einzusetzen und mit ihnen zu arbeiten.

Dies ist nicht mehr nur eine Frage der Akzeptanz durch die Benutzer, sondern: Da immer mehr Arbeitnehmer ihre Aufgaben unter Einsatz von Rechnern erledigen müssen, stehen hier letztlich die Qualität der Arbeit und eine menschengerechte Arbeitsgestaltung auf dem Spiel.

Der Schlüssel hierzu liegt in diesem Zusammenhang in der Gestaltung der Werkzeuge (der Software).

*Jutta Lang und Dr. Helmut Peters arbeiten als Diplom-Psychologen am Institut für Software

und Ergonomie im Technischen Überwachungs-Verein Bayern e.V. mit Sitz in München.