US-Medien

Geschäftsmodell verzweifelt gesucht

11.08.2009
Der Verleger der "New York Daily News", Mortimer Zuckerman, glaubt, den Stein der Weisen zur Rettung der US-Zeitungen gefunden zu haben

Der Kongress solle den Verlagen erlauben, ihre Web-Portale als Casinos - mit Glücksspielen und Sportwetten online - zu nutzen. "Das würde jede Zeitung in Amerika retten", sagte Zuckerman der Zeitschrift "Forbes". Casinos seien schon für darbende Indianer-Reservate die ökonomische Rettung gewesen.

Amazons Kindle als Ersatz für die gedruckte New York Times? Schwerlich...
Foto: Amazon

Die Idee unterstreicht die Verzweiflung der US-Verleger. Nach Jahrzehnten satter Profite müssen sie angesichts sinkender Auflagen und Anzeigenerlöse sowie wachsender Internet-Konkurrenz neue Geschäftsmodelle finden. Die Hoffnung, mit Werbegeldern aus dem Web die Verluste der Druckausgaben ausgleichen, ist bisher enttäuscht worden. Wer zehn Prozent seiner Einnahmen online erzielt, gilt schon als erfolgreich. Der Markt ist zwar da: Die Nachfrage, die Neugier der Menschen nach Informationen hat nicht nachgelassen - nur zahlen will dafür kaum jemand.

Die Gratiskultur im Internet, wo ungeniert abgeschrieben und geklaut werden kann, gilt als Hauptschuldige. Zwar sind in den USA neue Medien wie "Huffington Post" oder "Drudge Report" erfolgreich - aber ohne das Material der oft geschmähten "alten" Medien wären sie nach Ansicht mancher Experten ziemlich aufgeschmissen. "Der Parasit tötet das Wirtstier", warnte drastisch der Medienexperte David Simon bei eine Anhörung im US-Senat vor der Ausbeutung der traditionellen Medien durch "neue" Rivalen. Denn obwohl zuweilen als aussterbende Gattung verspottet, sind es auch laut Studien oft weiterhin die klassischen Medien wie Nachrichtenagenturen, Zeitungen oder Fernsehen, die das Weltgeschehen aufzeichnen, gewichten und erklären - mögen sich der Kurznachrichtendienst Twitter oder Blogger noch so sehr in ihrer neuen Bedeutung sonnen.

Inzwischen gibt es ein ganzes Bündel neuer Ideen, mit denen die Zeitungsbranche - abgesehen von drastischen Sparmaßnahmen - ihr Heil zu finden sucht. Manche setzen auf neue Bezahlmodelle oder neue Elektronik, anderen hoffen auf Sponsoren oder den Staat. Die Krise zwingt alle zum Umdenken. In Florida kooperieren bisher konkurrierende Zeitungen und versuchen, damit Kosten zu sparen. In Ann Arbour (Michigan) gaben die "Ann Arbour News" die tägliche Druckausgabe auf, um im Internet zu überleben - ähnlich machte es der "Christian Science Monitor" (Boston, Massachusetts).

Hoffnungen ruhen auf "Freemium" und Micropayments

Die meisten Hoffnungen ruhen auf dem Web, wo der Erfolg kaum Schritt hält mit den Erlösen. Viel erwägen nun mit Micropayments - also Kleinstgebühren für einzelne Beiträge oder Videos - die Einnahmen zu erhöhen. Das neue Zauberwort der US-Branche heißt "Freemium" und bedeutet eine Mischung aus einem reichhaltigen kostenlosen Angebot und einem kleinen Teil hochwertigen "Premium"-Materials, das bestimmte Zielgruppen im Auge hat - und das etwas kostet.

Das Freemium-System garantiert zwar, dass noch viele User die kostenlosen Web-Portale besuchen und damit auch die Werbeerlöse einigermaßen hoch gehalten werden können. Gleichzeitig hat es kostenpflichtige Edel-Nischen, in denen zusätzlich Geld verdient wird. Der Chefredakteur des Magazins "Wired", Chris Anderson, meinte zwar, dass sich Freemium nur Qualitätsmedien leisten könnten. Aber auch Regionalblätter diskutieren Möglichkeiten, exklusives oder besonders begehrtes Material (beispielsweise aus dem Regionalsport) als "Premium"-Produkt zu offerieren.

Die Verunsicherung der Branche ist offensichtlich. Medien-Tycoon Rupert Murdoch, der 2006 noch spöttisch US-Verlegern vorgehalten hatte, "die Internet-Revolution verschlafen" zu haben und "Nischenblätter für Senioren" zu produzieren, wirkt nun selbst ratlos. Als er 2007 das "Wall Street Journal" erwarb, wollte er die kostenpflichtige Online-Nutzung der Zeitung trotz des ungewöhnlichen Erfolgs mit einer Million Abonnenten künftig umsonst anbieten. Nun hat er - angesichts herber Verluste - verkündet, dass in seinem gesamten Medienimperium auch im Netz für Inhalte bezahlt werden soll. "Qualitätsjournalismus ist nicht billig", konzediert Murdoch.

Die US-Verleger schauen besonders auf die altehrwürdige "New York Times", oft als "beste Zeitung der Welt" gerühmt. Auch sie kämpft ums Überleben, was aber nicht nur mit der Krise, sondern auch mit manch hausgemachter Fehlentscheidung zu tun zu haben scheint. Fieberhaft sucht der Verlag jetzt nach neuen Erlösquellen. Nur wenige glauben, dass das kürzlich vorgestellte, auch für Zeitungen gedachte digitale Lesegerät "Kindle DX" des weltgrößten Online-Einzelhändlers Amazon.com wirklich nennenswerten Markterfolg bringen kann.

Vor allem im Internet will das Traditionshaus mehr verdienen - obwohl schon zwei Versuche kostenpflichtiger Angebote gescheitert sind. Noch wird nach der richtigen Marketing-Strategie gesucht. Zunächst offeriert die "New York Times" ein "Mini-Abo" für fünfzehn Dollar monatlich, für die man täglich die Zeitung auf den Computer herunterladen kann. Wie tief der Pessimismus der Branche sitzt, zeigen Überlegungen des geschäftsführenden "NYT"-Redakteurs Craig Whitney, der glaubt, Mäzene oder Stiftungen könnten vielleicht den aufwendigen Journalismus des Blattes finanzieren, das noch immer rund 1400 Journalisten unter Vertrag hat.

Inzwischen gibt es im Land der Mäzene, ohne die viele Universitäten, Museen und Wohlfahrtsorganisationen gar nicht leben könnten, auch im Medienbereich marktfremde Finanzierung. Die von der reichen Sandler-Familie finanzierte, gemeinnützige "ProPublica.org" ist mit einem Angebot an hintergründigen und investigativen Berichten erfolgreich. Und auf der neuen Webseite "Spot.Us" werben US-Journalisten um Spenden, um Geschichten und Recherchen finanzieren zu können.

Das widersprüchliche Stimmengewirr von Medienmanagern und Verlegern über Wege aus der Krise belegt, dass es noch keine schlüssige Antwort auf den dramatischen Strukturwandel gibt. Viele fürchten, dass es nicht nur um einen der üblichen und schmerzhaften Markt-Anpassungen einer Branche geht, wie das in den vergangenen 250 Jahren Kapitalismus immer wieder der Fall war. Die Sorge wächst, dass die Krise der Zeitungen auch den seriösen Journalismus bedroht - und damit die Kontrollfunktion der "vierten Gewalt" in der Demokratie in Frage stellt. CBS-Legende Dan Rather forderte jetzt sogar, dass Präsident Barack Obama eine Kommission zur Rettung des Journalismus in den USA einsetzen solle.

Hintergrund: Die US-Zeitungskrise

Die Zeitungen in den USA befinden sich seit mehreren Jahren in einer schweren Krise. Die Rezession hat sie noch verschärft. Im Folgenden die wichtigsten Fakten und Zahlen dazu:

Zeitungssterben: Zwölf US-Zeitungen sind laut dem Blog "Newspaper Death Watch" seit März 2007 vom Markt verschwunden, unter ihnen die "Rocky Mountain News" und "Kentucky Post". Sieben weitere Zeitungen gibt es ausschließlich oder bis auf eine Wochenausgabe im Internet, darunter befindet sich der "Christian Science Monitor". Allerdings existieren in den USA laut Zeitungsverlegerverband NAA noch über 1400 Zeitungen. 1990 gab es noch etwa 1600. Laut NAA lesen täglich 104 Millionen Amerikaner, also jeder dritte US-Bürger, eine Zeitung.

Auflagen: In den USA befinden sich die Auflagen zum Teil im freien Fall. Viele Jahre lang galt die Faustregel, dass die Gesamtauflage der Zeitungen jährlich um etwa ein Prozent sinkt. Inzwischen hat sich der Trend dramatisch beschleunigt. Allein zwischen Oktober 2008 bis März 2009 sank die Auflage der Zeitungen um 7,1 Prozent auf rund 42 Millionen. 1984 gab es mit über 63 Millionen Zeitungen pro Tag den US-Rekord. Die auflagenstärksten US-Blätter sind die "USA Today" (2,2 Millionen), das "Wall Street Journal" (2,1 Millionen) und die "New York Times" (1,1 Millionen).

Internet: Zwar ist die Zahl der Nutzer von Zeitungs-Webportalen stetig gewachsen - für den Juni meldete der NAA mehr als 70 Millionen Besucher der Zeitungen im Internet. Allerdings sind die ohnehin spärlichen Werbeeinnahmen angesichts der Rezession auch hier gefallen (fünf Prozent im zweiten Quartal).

Anzeigen: Seit zwei Jahren gehen die Werbeeinnahmen zurück. Im ersten Quartal 2009 sanken sie sogar um 29,7 Prozent. 2006 hatten die Zeitungen noch 49,3 Milliarden Dollar an Anzeigenerlösen, 2008 waren es bloß 38 Milliarden. Die Investmentbank Goldman Sachs schätzte 2008, dass diese Einnahmen weiter sinken werden.

Profit: Die US-Zeitungsverleger haben über Jahrzehnte hinweg meist blendend verdient. Noch bis vor zwei Jahren lagen die Gewinnmargen bei 20 Prozent des eingesetzten Kapitals - und immer noch werfen viele US-Zeitungen Gewinne ab, wenn auch nicht mehr so viel wie früher.

Redaktionen: Eine der wichtigsten Sparmaßnahmen in den Zeitungsverlagen waren Entlassungen und Lohnkürzungen. Überall wurden Redaktionen verkleinert, Verwaltung, Produktion und Vertrieb rationalisiert. Seit 2007 wurden (geschätzt) insgesamt über 9000 Journalisten entlassen. Medienexperte Ken Doctor hat ausgerechnet, dass 2009 in den US-Blättern rund 800.000 weniger journalistische Beiträge veröffentlicht werden würden als 2008.

Perspektiven: Nur wenige sagen den Tod der Zeitungen voraus. Noch nie haben neue Medien alte verdrängt: Zeitungen verschwanden nicht, als das Radio aufkam, das Radio blieb erhalten, nachdem das Fernsehen die Wohnzimmer eroberte. Offen bleibt die künftige Rolle der Zeitung: Wird sie, wenn auch mit geschrumpfter Auflage, als Massenmedium bleiben oder nur noch eine Nischenrolle - etwa für eine "Informationselite" - spielen? Das Medien-Institut Borrell Associates (Williamsburg, Virginia) sieht in den USA schon 2010 das Ende der Zeitungskrise kommen. Analyst Peter Conti meinte, die Zeitungskrise sei überschätzt worden.
(dpa/tc)