Distributed Data Processing mit Datenstationsrechnern:

Gesamtverantwortung zentral wahrnehmen

01.10.1982

MÜNCHEN - Mit großen Erwartungen wurde vor einigen Jahren vom "Distributed Processing", der verteilten Verarbeitung, gesprochen. Zwar hat sich diese Konzeption mittlerweile nicht als das Allheilmittel erwiesen, für das viele es gehalten haben, doch verstärkt sich der Trend "weg vom zentralen Konzept". Die verteilte Verarbeitung beginnt sich durchzusetzen, wenn auch langsamer als erwartet und in differenzierterer Weise.

Mit der zunehmenden Bereitstellung von Datenstationen auch in anderen Branchen öffnet sich dem Endbenutzer das "Fenster zum Computer". Dieser erste Schritt zur Datenfernverarbeitung ist zwar eine entscheidende Verbesserung, erwies sich jedoch für viele als dorniger Weg: Zu verschieden sind die Partner Mensch und Computer, um sie auf so direktem Wege miteinander verbinden zu können.

Die wachsenden Anforderungen des Menschen an Komfort und Leistung "seines" Datenfernverarbeitungssystems überlasten selbst größte Rechner, wenn diese neben der gesamten Verarbeitung und Bestandsverwaltung auch noch für die Steuerung aller Endgeräte eines komplexen Netzes direkt verantwortlich sind. Das Resultat sind Benutzerschnittstellen, die zwar den zentralen Großrechnern viel an Leistung abverlangen, dem Endbenutzer aber noch immer "zu technisch" sind.

Zwei Wege führen zu DDP

Je weiter die technologische Entwicklung voranschreitet, desto deutlicher wird, daß die zentralisierten Lösungen der Vergangenheit oft nicht aus den Anforderungen der Benutzer resultierten, sondern aus den Einschränkungen, die die verfügbare Technik uns auferlegte. Die Akzeptanz der Endbenutzer für solche Zwänge wird jedoch immer geringer, wie die wachsende öffentliche Diskussion um den Bildschirmarbeitsplatz deutlich zeigt. Denn mit der Telekommunikation kam zu dem zahlenmäßig kleinen Benutzerkreis der Operateure in klassischen Rechenzentren ein ganz neuer und wesentlich größerer Benutzerkreis hinzu.

Dieser Benutzerkreis findet seine Bestätigung nicht mehr in der Fähigkeit, komplizierte Abläufe zu durchschauen und die Technik zu bedienen. Er bedient sich der Technik als eines nützlichen Hilfsmittels zur Unterstützung bei der Bewältigung seiner Arbeit, die mit EDV an sich ja gar nichts zu tun hat. Dieser neue Benutzerkreis ist daher immer weniger bereit, auf die Technik Rücksicht zu nehmen.

Grundsätzlich führen zwei Wege zur Dezentralisierung der Datenverarbeitungsleistung. Die erste Alternative teilt die Gesamtaufgabe in mehrere gleiche Teile und verlagert diese nach draußen. Anstatt der allein verantwortlichen Zentrale, die sämtliche Aufgaben für alle Benutzer dieses Systems abwickelt, gibt es mehrere voneinander gänzlich unabhängige Teilsysteme, jedes für sich voll verantwortlich für alle Benutzer eines lokalen Teilbereiches. Auf diese Weise entstehen voneinander unabhängige "Verarbeitungsinseln".

Diese Lösung gestattet zum einen den Einsatz preiswerter Mini- und Mikrocomputer, deren Betriebssysteme in der Regel eine wesentlich vereinfachte Benutzung im Vergleich zu den großen Datenverarbeitungssystemen bieten. Zum anderen kann die dezentrale Organisationsform einen Anreiz für das lokale Management darstellen, sich die Datenverarbeitung auf die Bedürfnisse des eigenen Benutzerkreises zuzuschneiden.

Letztlich sollte dieses Konzept also größere Leistung bei kleineren Kosten, bringen - eine sehr ehrgeizige Zielsetzung. Trotzdem kann dieses Ziel durchaus erreicht werden, wenn die Voraussetzungen für eine solche Insellösung gegeben sind: Die lokalen Teilbereiche des Gesamtsystems müssen auch wirklich voneinander unabhängig sein und die Anzahl gemeinsamer, gleichartiger Aufgaben muß deutlich kleiner sein, als die Anzahl verschiedener Aufgaben.

Zur Anwendersoftware-Erstellung sind Methoden notwendig, die auch von dem EDV-Laien in der Fachabteilung beherrscht werden.

Zwingendes Argument gegen Insellösungen

Wenn diese Voraussetzungen nicht vorliegen, besteht die Notwendigkeit einer Koordinierung der einzelnen lokalen Nutzungsbereiche: Eine gemeinsame Unternehmensführung sollte sich auch in einer einheitlichen EDV-Organisation widerspiegeln. Eine einheitliche EDV-Organisation wiederum wird zu gemeinsamen Anwendungen führen und es wäre recht unwirtschaftlich, diese voneinander unabhängig und mehrfach zu entwickeln. Planung und Erstellung, Einführung und Pflege der Anwendersoftware ist daher eine wichtige Aufgabe, die zentral wahrgenommen werden muß.

Gemeinsame Datenbestände sind ein sehr zwingendes Argument gegen die Insellösung.

Eine wirtschaftliche Notwendigkeit ist auch ein möglichst einheitlicher Gerätepark.

Der zweite Weg zur verteilten Verarbeitung führt über eine "Verteilung von Funktionen": Gemeinsame Aufgaben werden weiterhin zentral wahrgenommen, lokale Probleme werden jedoch eigenverantwortlich lokal erledigt. Das zentrale Verarbeitungssystem ist also nur mehr für Teilfunktionen zuständig.

Kommunikation von Verarbeitung trennen

Voraussetzung für die Lösung der damit verbundenen Kommunikationsprobleme ist die Trennung der Aufgabe Kommunikation von der Aufgabe Verarbeitung. Konsequent in die Tat umgesetzt zeigt die Architektur des gesamten Datenfernverarbeitungssystems ein eigenständiges Kommunikationssystem, dessen sich Menschen und Verarbeitungsprogramme als gleichberechtigte Partner zur Kommunikation bedienen.

Sie brauchen Einrichtungen und Wege des Netzes nicht zu kennen. Wie im Fernsprechnetz beherrschen sie wenige und klare Spielregeln, die ihnen einen individuellen, freizügigen Informationsaustausch ermöglichen.

Träger der dezentralisierten Verarbeitungsleistung sind kleine Verarbeitungssysteme und spezialisierte Kommunikationsrechner, wobei letzteren vorrangig die Steuerung der Datenendstationen und die Unterstützung des Endbenutzers übertragen wird. Neben ihren Aufgaben im Kommunikationssystem übernehmen die Kommunikationsrechner also auch lokale Verarbeitungsfunktionen.

Ein Kommunikationsrechner steuert dabei gleichzeitig mehrere Datenstationen. Eine andere Variante sieht "intelligente" Datenstationen vor, die alle lokal möglichen Verarbeitungsmöglichkeiten selbst erbringen. Sie verkehren direkt ohne Unterstützung eines Kommunikationsrechners mit den zentralen Verarbeitungsrechnern.

Bei allen diesen Lösungssätzen bleibt jedoch der Ablauf der gemeinsamen Verarbeitungsprogramme weiterhin Aufgabe des zentralen Verarbeitungsrechners. Hier sind die gemeinsamen Datenbestände gespeichert und gesichert. Ein oft zu wenig berücksichtigter zentraler Aufgabenbereich ist die Verwaltung aller Resourcen des Gesamtsystems.

Es gibt nun eine Reihe gewichtiger Argumente, die für den zweiten Weg und den Datenstationsrechner sprechen:

Die von den Endbenutzern heute geforderten, komfortablen Mensch-Maschine-Schnittstellen verlangen, schritthaltend mit der Dateneingabe, den verzögerungsfreien Ablauf von Bedienerführungs- und Prüfprogrammen. Auszugebende Daten müssen entsprechend aufbereitet und hinsichtlich des Ausgabezeitpunktes an den Arbeitsablauf des Endbenutzers angepaßt werden.

Alternative für gewisse Fälle

Diesen Service können selbst die größten und kostspieligsten Verarbeitungsrechner nicht für viele hundert Datenendgeräte gleichzeitig neben der eigentlichen Verarbeitung erbringen. Die Verlagerung dieses Aufgabenkreises auf Datenstationsrechner, an die jeweils etwa nur zehn bis 20 Datenstationen angeschlossen sind, ist preiswerter und führt zu besseren Ergebnissen.

Für gewisse Einsatzfälle ist die intelligente Datenstation eine beachtenswerte Alternative. Besonders im Geldinstitutssektor oder in der Betriebsdatenerfassung, wo spezialisierte, branchenspezifische Ein-/Ausgabekomponenten gefordert werden, ist eine Verlagerung der Komponentensteuerung in die Datenstation nützlich. Auch können intelligente Datenstationen mit Datenstationsrechnern vorteilhaft zusammenarbeiten, insbesondere, um die Mensch-Maschine-Schnittstelle optimal zu gestalten.

* Gernot Henning, Siemens AG, München. Der vorliegende Beitrag ist die gekürzte Fassung eines Referates, gehalten während des IKD 82 in Berlin.