Gartner ruft das "Mobile Business 2.0" aus

05.04.2006
In den nächsten Jahren werden Mobilfunk und Wireless-Techniken alles Lebensbereiche durchdringen. Die Weichen werden jetzt gestellt.

Synchron zum Web 2.0 haben die Berater und Marktforscher von Gartner nun das "Mobile Business 2.0" ausgerufen. Auf der Veranstaltung "Wireless and Mobile Summit", die soeben in London zu Ende ging, lautete die Kernbotschaft: "Mobile Computing wird auch in Unternehmen zum Mainstream". Folgende Trends identifizierten die Gartner-Consultants im Einzelnen:

Mobilfunk-Carrier geraten unter Druck.

"Große Internet-Konzerne wie Google und Yahoo bringen die Mobilfunknetz-Betreiber in Zugzwang", sagte Nick Jones, Vice President und für Mobilfunk zuständiger Analyst bei Gartner. Der Web-2.0-Trend und die Möglichkeit, von unterwegs aus breitbandig auf Web- Inhalte zuzugreifen, unterstützten diese Entwicklung. Google & Co. wollten zumindest einen Teil der Umsätze abzwacken, die mit TK-Konzerne mit Abermillionen von Mobilfunknutzern generieren.

"Die Internet-Größen sind in der Lage, bewährte Geschäftsmodelle empfindlich zu stören, um an dieses Ziel zu gelangen", so Jones.

Sie seien es gewöhnt zu experimentieren und legten dabei ein hohes Tempo vor. Ohne Rücksicht auf Verluste könnten sie ihre Ideen umsetzen. Anders als die Carrier haben die Internet-Champions keine Mobilfunkumsätze, die zu schützen wären, und keine einschlägige Kundenbasis. Sie experimentieren auf der grünen Wiese und kooperieren wann und mit wem sie wollen.

Vodafone und T-Mobile machen sich diesen Umstand zunutze, indem sie Googles Suchmaschine in ihren Diensten "Vodafone Live" beziehungsweise "Web'n'walk" verwenden. Dass von Google & Co. jedoch mehr als nur die Websuche zu erwarten ist, zeigt der Dienst Google Maps. "In diesem Rennen geht es um Innovationen", so Jones. "Die Mobilfunk-Carrier sind dabei nicht in der Pole Position."

Weitere Risiken für die Mobilfunkbranche sehen die Marktforscher im bereits begonnenen Preisverfall. Neue Anbieter setzen die Netzbetreiber unter Druck, gleichzeitig sind die hohen Roaming-Gebühren aufgrund politischer Pression nicht länger zu halten. Darüber hinaus zeigen die Mobilfunkmärkte Anzeichen einer Sättigung. Der Konkurrenzkampf wird härter, das Akquirieren von Neukunden schwieriger und teurer. In den kommenden drei bis fünf Jahren, so prophezeien die Analysten, werden die Profitmargen mancher Mobilfunk-Carrier um 20 bis 25 Prozent schrumpfen.

Die E-Mail wird mobil

Noch in diesem Jahr empfangen 20 Millionen Anwender weltweit ihre E-Mails drahtlos auf einem Handheld, prophezeien die Analysten. Bis 2009 werde diese Zahl auf 100 Millionen ansteigen. "Bislang war die mobile E-Mail eine Nischenanwendung für Executives, hauptsächlich auf dem Blachberry basierend", so Jones. Das werde sich nun ändern. Im ersten Schritt erreiche der Trend das mittlere Management, dann werde der mobile E-Mail-Empfang für alle Mitarbeiter im Unternehmen so selbstverständlich wie die heutige E-Mail am stationären Arbeitsplatz.

Noch seien drahtlose E-Mail-Dienste zu teuer, um unternehmensweit eingeführt zu werden. Bis 2010 wird das Mailen via Hendheld aber allgegenwärtig (Commodity), meinen die Marktexperten. Darauf aus Kostengründen zu verzichten, sei dann nicht mehr zu rechtfertigen. Die dominante Rolle des Blackberry von Research in Motion (RIM) soll schon bald verschwinden: Ab 2008 bekommt Microsoft langsam in den Griff, heißt es bei Gartner (siehe: Microsoft zieht Großauftrag für Windows Mobile 5.0 an Land).

Mobile Collaboration

Mit Bezug auf eine Umfrage unter 1400 Chief Information Officers (CIOs) weltweit sagt Gartner vorher, dass Techniken für die Zusammenarbeit von teils stationär, teils mobil eingesetzten Mitarbeitern und Teams schon von 2006 an zu den vier Topprioritäten der Unternehmens-IT zählen. Die IT-Organisation habe in den letzten Jahren ihren Wert dadurch bewiesen, dass sie die Kosten heruntergefahren und die Automatisierung vorangetrieben habe. Techniken für die einfache Prozessautomation seien mit ERP- und CRM-Systemen eingeführt worden, weshalb die IT in manchen Unternehmen an einem Punkt angekommen sei, an dem sie sich neu unter Beweis stellen müsse. Potenzial liege jetzt vor allem darin, die Effektivität des einzelnen, geografisch verteilten Mitarbeiters zu verbessern. Er müsse gut an das Unternehmen angebunden sein und von überall auf konzernweit zugängliche Informationen zurückgreifen können (siehe: Blackberry lernt Web-Services und Collaboration).

"Mobile Technik wird neue Collaborative Applications ermöglichen. Wir werden Smartphones von besserer Qualität erleben, die Mobilfunknetze, Bluetooth und Wireless LANs unterstützen", prophezeite Jones. "Gleichzeitig gewöhnen sich Konsumenten und Mitarbeiter in Unternehmen an Web-basierende Werkzeuge für die Zusammenarbeit - zum Beispiel Weblogs und Wikis. Damit wird sich das Interesse an mobilen Zugangsgeräten sehr schnell entwickeln", so der Gartner-Mann (siehe: Wege zum mobilen Unternehmen).

Corporate Mobility

Den Ausführungen zufolge befindet sich der Mobility-Markt in der Phase des "Erwachsenwerdens", er werde zunehmend als Teil der konzernweiten IT-Architektur verstanden und entsprechend kontrolliert und verwaltet. Unternehmen entwickeln Policies und Strategien, um die Mainstream-Entwicklung, die über Mobile E-Mail und Außendienst-Anbindung weit hinausgeht, zu beherrschen. Aus Firmensicht gilt es nun, auch strategisch zu entscheiden, wer künftig der Mobilfunk-Provider der Wahl sein soll.

Unterhaltungstechnik überall

Mobile und drahtlose Techniken werden über kurz oder lang alle Lebensbereiche berühren: das Heim, das Büro, das häusliche Arbeitszimmer, die Familie, das Auto, die Freizeitgestaltung. Diese Entwicklung bringt Unternehmen Risiken und Chancen gleichermaßen. Techniken, die im Privatleben zum Einsatz kommen, erreichen auch die Company. Das gilt etwa für WLANs, Handys, PDAs oder auch für Software wie Google Desktop oder Skype. Für die Unternehmensdaten wachsen damit die Sicherheitsrisiken.

Consumer-Technologie wird nach Meinung von Jones so oder so Einzug in die Unternehmen halten. Durch den Mobile-Computing-Trend werde diese Entwicklung noch verstärkt. Dies kategorisch unterbinden zu wollen, sei aussichtslos, Erfolge seien überdies kaum nachprüfbar. Außerdem sei es kontraproduktiv, weil das Experimentieren der Mitarbeiter mit neuen Techniken alternative Wege zur effektiven Bewältigung von Aufgaben aufzeige. Verbote bremsten die Innovation, lieber sollten Unternehmen ihre Mitarbeiter über Risiken aufklären, Nutzungsregeln aufstellen und auf Investitionen in unternehmensweite Lösungen vorbereitet sein - für den Fall, dass Mitarbeiter wirklich wertvolle Lösungen entdeckten.

Die Smartphones kommen

Die Preise für Smartphones fallen rasant, weshalb eine weitaus größere Anzahl an Privat- und Unternehmensanwendern damit arbeiten werden. Zwischen 2005 und 2009 sollen die Smartphone-Verkäufe jährlich im Durchschnitt um 49 Prozent zulegen. Schon 2009 wird laut Gartner jedes dritte Handy ein Smartphone sein.

Sie können als Frontend für einfache Thin-Client-Anwendungen dienen oder als Endgeräte für Fat-Client-Unternehmensanwendungen. Die Geräte werden zunehmend als Business-Tools genutzt und von IT-Managern ausgewählt (siehe: Windows Mobile 5.0 lernt Notes). Damit sind die Anbieter gefordert, Smartphones herauszubringen, die von Unternehmen beherrschbar sind, die nötigen Sicherheitsanforderungen erfüllen und deren Software zentral verwaltet werden kann.

Mobile Business 2.0

Die nächste Welle im Mobility-Markt tauft Gartner "Mobile Business 2.0". Der Name wurde von Web 2.0 abgeleitet. Geschäftsmodelle, kulturelles Verhalten, Technologien und Interaktionen seien vergleichbar. Während im Web aber die Suchfunktion entscheidend sei, werde sich der mobile Anwender vor allem Informationen zu seiner unmittelbaren Umgebung besorgen. Die lokale Recherche spielt eine Schlüsselrolle.

"Das Internet ist wie eine Enzyklopädie, in der man immer über einen Index sucht", so Jones. "Das Mobile Business 2.0 wird mehr wie ein Themenpark sein, in dem man herausfinden möchte, was um einen herum geschieht." Kontextbasierende Daten werden dem Anwender selektiv zugespielt, basierend auf seinen Wünschen und Interessen, seinem bisherigen Nutzungsverhalten, seiner Stimmung und seiner Umgebung. Nutzer werden auf Angebote, Ereignisse oder Probleme in ihrer unmittelbaren Umgebung aufmerksam gemacht. Passiert jemand beispielsweise ein Fastfood-Lokal, erhält er gegebenenfalls die Message: Wer in den nächsten 15 Minuten ordert, bekommt einen Rabatt von zehn Prozent.

Die erste Welle des Mobile Business ist laut Gartner gescheitert, weil die Industrie versucht hat, für das Internet gültige Prinzipien eins zu eins in die Mobilfunkwelt zu übertragen (etwa in Form von WAP-Portalen). Wirklich wertvolle Services gab es nicht, auch die verfügbaren Local-based Services waren nicht besonders überzeugend. Die Idee, Nutzer auf dem Handy in der knapp bemessenen Freizeit vornehmlich mit News und Spielen zu versorgen ging nicht auf. Besser sei es, so die Analysten, lokale Dienste rund um die eigene Repräsentanz anzubieten und so zeitlich begrenzte Communities rund um ein Thema oder ein Angebot zu schaffen.

Mobile Business 2.0 für den Massenmarkt wird es in Westeuropa ab dem Zeitraum von 2009 bis 2011 geben. Trotzdem, so Gartner, sollten Unternehmen schon jetzt planen und kurzfristig sich ergebende Möglichkeiten nutzen. Dazu zählten etwa Angebote, die darüber informieren, was in der Gegend los ist, Hinweise auf Buchungsmöglichkeiten, einfache Maschine-zu-Maschine-Anwendungen, die Verbreitung lokaler Infos und Peer-to-peer-Anwendungen der ersten Generation. (hv)