Gartner Symposium

Gartner-Chefanalyst Harris: "Es wird immer ein 'Next' geben"

05.11.2018 von Horst Ellermann
Irgendwie fehlt Peter Sondergaard beim Gartner Symposium in Barcelona. Der ehemalige Chefanalyst hat das Unternehmen im August verlassen. Damit fehlen leider auch die provokanten Thesen. Kernaussage vom Nachfolger Mike Harris: 'Es wird immer ein 'Next' geben'. Folglich heißt das Motto des Symposiums: "ContinuousNEXT".
Keynoter Mike Harris, neuer Chef-Analyst bei Gartner, bei der Eröffnung des Gartner Symposiums 2018 in Barcelona.
Foto: Gartner

Völlig überraschend: Die Welt wandelt sich. Der Wandel kommt sowieso. Also besser gleich auf einen kontinuierlichen Wandel einstellen, meinte Mike Harris, Global Head of Research, in seiner Keynote 2018. Damit das nicht völlig banal klingt, haben sich die Gartner-Analysten fünf Imperative überlegt, die für den Wandel zwingend sein sollen. Interessanterweise fangen die fünf mit "Privacy" an, auf Deutsch vielleicht am besten mit Datenschutz übersetzt:

Datenschutz

Vertrauenswürdige digitale Verbindungen sind für ContinuousNEXT ein dringendes Gebot. Wenn CIOs den Datenschutz nicht erfolgreich managen, ist ihre gesamte digitale Transformation gefährdet. In zunehmendem Maße führt die Privatsphäre zu Vertrauen, und Vertrauen ist Macht. Aufgrund der jüngsten Sicherheitsverletzungen steigt jedoch die Skepsis der Verbraucher, was sich auf das Vertrauen auswirkt.

Zum ersten Mal ist eine große Gruppe von Verbrauchern und Mitarbeitern nicht bereit, Sicherheit, Geborgenheit und Frieden im Austausch für Bequemlichkeit aufzugeben. Viele Verbraucher haben entweder Social-Media-Konten gelöscht oder ihre Datenschutzeinstellungen aktualisiert.

"Als CIO haben Sie das Mandat, den Datenschutz für sensible Daten von Verbrauchern, Bürgern und Mitarbeitern aufrechtzuerhalten", sagte Harris: "Dies bedeutet in der Regel, dass jemand für ein Datenschutzmanagementprogramm verantwortlich ist, Verstöße erkennt und unverzüglich meldet und sicherstellt, dass Einzelpersonen die Kontrolle über ihre Daten haben. Dies ist ein Thema auf Vorstandsebene, aber kaum die Hälfte der Unternehmen verfügt über angemessene Kontrollen."

Augmented Intelligenz

Artificial Intelligence heißt bei Gartner jetzt Augmented Intelligence und ist der logische Schritt über die künstliche Intelligenz hinaus. Harris bemühte sich, zunächst einmal die Angst der Belegschaft vor AI zu entkräften: Nach der neuesten Gartner-Untersuchung berichten nur 16 Prozent aller befragten Unternehmen, dass die Einführung von AI bei ihnen zu Jobverlusten geführt habe.

Dagegen verzeichnen 27 Prozent sogar eine Zunahme an Arbeitsplätzen. (57 Prozent der Befragten antworteten, AI habe weder einen positiven noch einen negativen Effekt gehabt.) "Wenn die Mitarbeiter Seite an Seite mit fortschrittlichen Systemen der künstlichen Intelligenz, Prozessen und Robotern arbeiten, können diese Arbeitsplätze wirkungsvoller werden", sagte Harris.

Kultur

Insgesamt 46 Prozent der CIOs bezeichnen Kultur als das größte Hindernis für digitales Geschäft. Gartner-Analysten meinen, dass die Veränderung der Kultur nicht immer groß sein muss, und sie müsse auch nicht immer hart sein. "Hack deine Kultur, um deine Kultur zu verändern", sagte Jessy Sussin, Managing Vice President bei Gartner. "Mit Culture Hacking meinen wir nicht, einen verwundbaren Punkt zu finden, um in ein System einzudringen."

Beim Hacken geht es darum, kleinere Aktionen durchzuführen, die normalerweise übersehen werden. Große Hacks lösen auch emotionale Reaktionen aus, haben sofortige Ergebnisse und sind für viele Menschen auf einmal sichtbar."

Sussin schätzt, dass CIOs 70 Prozent ihrer Zeit in Meetings und mit E-Mails verbringen. Sie könnten Zeit sparen, indem sie Statusmeetings absagen und durch kurze, schriftliche Updates ersetzen. Führungskräfte sollten Entscheidungskompetenz verlagern, damit andere handeln können: "Machen Sie Personen mit einer tollen Idee zum CEO der Idee."

Digitales Produktmanagement

Das digitale Produktmanagement ist ein Kernbedürfnis von ContinuousNEXT. Die Gartner Umfrage zur CIO-Agenda 2019 zeigt, dass Top-Performer doppelt so häufig produktzentrierte Leistungen erbringen. "Digitales Produktmanagement ist nicht nur eine andere Art, IT zu betreiben. Es ist eine andere Art, Geschäfte zu machen", erklärte Andy Kyte, Research Vice President.

"Die mächtigsten Unternehmen von heute haben die digitale Technologie in Produkte integriert, um eine neue Managementpraxis zu schaffen." Zum Beispiel frage niemand mehr bei Amazon, ob es sich um einen Einzelhändler oder ein Technologie-Unternehmen handelt. Es gewinnt, indem es beides ist; Tesla ist ein Technologie-Unternehmen in der Automobilindustrie; Apple ist ein Technologie-Unternehmen, das heute in der Gesundheitsbranche tätig ist.

Kyte sagte voraus, dass alle Produktmanager bald Design-Denken und agile Methoden anwenden werden, um die Benutzerfreundlichkeit zu gestalten. Analytik und kontinuierliche Intelligenz förderten die ständige Weiterentwicklung der Produkte, und kontinuierliche DevOps lieferten wöchentliche oder manchmal sogar tägliche Produkt-Updates. "Deshalb ersetzt das digitale Produktmanagement das IT-Projektmanagement", sagte Kyte.

Digital Twin

Digitale Zwillinge werden oft verwendet, um physische Dinge wie Strahltriebwerke und Windturbinen durch Sensoren und Computermodellierung zu steuern. Allerdings entwickeln sich digitale Zwillinge weiter und werden immer robuster. Daryl Plummer, Research Vice President und angesehener Analyst bei Gartner, sagte dem Publikum, dass sie einen digitalen Zwilling ihrer Organisation schaffen könnten, den Gartner als DTO bezeichnet.

Mit DTOs können CIOs virtuell sehen, wie Menschen arbeiten, welche Systeme und Prozesse sie berühren und wie sich die Arbeit in ihren Unternehmen von Abteilung zu Abteilung bewegt. "Es ist, als würde man das Dach ihres Arbeitsortes abnehmen und nach innen schauen", meinte Plummer: "Sie kennen das vielleicht schon vom Process Mining."

Alle fünf Imperative sind sinnvoll. Alles sind ein bisschen banal.

Peter Sondergaard war da unterhaltsamer. Der Däne konnte wunderbar polarisieren. Alles, was Medien gerne hören, hat er bereitwilligst bedient. Mit Sondergaard war es einfach, Konfliktlinien aufzuzeigen."2-Speed-IT" hat er unter anderem mitverbrochen. Die Idee, IT-Abteilungen in schnelle und langsame Teams zu zerschneiden - eins für Apps und eins für ERP - hat für Aufregung gesorgt, die kein Unternehmen braucht, uns Medien aber bestens mit guten Schlagzeilen versorgt.

Der "Chief Digital Officer" war ebenfalls auf Sondergaards Mist gewachsen. Der Generalbevollmächtigte für alles Digitale solle alle Versäumnisse etablierter Unternehmen aufholen - oder wenigstens aufzeigen, argumentierte Sondergaard Anfang des Jahrzehnts. Zahllose Firmen richten noch heute einen solchen Posten ein und hoffen auf seine wundersame Wirkung. Dabei hatte Sondergaard seine Meinung schon vor zwei Jahren wieder geändert. In einem Interview mit dem CIOmove-Magazine verkündete er: "Der CDO muss wieder verschwinden. Er war immer nur als temporäre Rolle gedacht."

Etwas widersprüchlich vielleicht - aber immer unterhaltsam. Schade, dass Sondergaard jetzt einen Maulkorb verhängt bekommen hat. Nach 29 Jahren bei Gartner ist er über eine "Workforce Behaviour Probe" gestolpert. Was immer das heißen mag. Weder Sondergaard noch Gartner äußern sich genauer. Wahrscheinlich war es einfach die kantige Art des Dänen, die seine amerikanischen Kollegen im Vorstand genervt hat.

Vielleicht waren ihnen auch die 2,5 Millionen Dollar zu viel, die Sondergaard 2017 verdient hat. Wie auch immer: Nun darf er vorläufig für kein Konkurrenzunternehmen arbeiten, schreibt das Wallstreet Journal. Sehr schade. Wir hoffen schnellstmöglich wieder Zoten von Sondergaard zu hören.