RFID-Chips

Funketiketten bringen Licht in das Prozessdunkel

02.10.2008 von Konrad Buck
Logistik- und Produktionssysteme profitieren vom Überblick in Echtzeit. Neue Trends wie druckbare Tags und Chip-Miniaturisierung, Kopplung von Funktechnik und Video sowie elektronische Baukarte und herstellerneutrale Middleware helfen, die versprochenen RFID-Potenziale endlich auszuschöpfen.

In Andreas Goerdeler hat der flächendeckende Einsatz von Funketiketten einen vehementen Befürworteter gefunden: "Mangelndes Wissen um Aufenthaltsorte oder Verfügbarkeiten von Bauteilen oder Endprodukten ist für die Unternehmen heute ein wesentlicher Kostentreiber", so der Referatsleiter für die Entwicklung konvergenter Informations- und Kommunikationstechnik im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi). Technik und das Know-how für die Problemlösung seien heute durchaus vorhanden: "Die RFID-Technik hat mittlerweile einen hohen Reifegrad erreicht." Erfahrungen im Aufbau entsprechender Lösungen, in der Integration mit bestehenden IT-Systemen und in der Optimierung komplexer Prozesse stünden ebenfalls zur Verfügung.

Darüber hinaus sinkt der Preis für die Transponder, bisher bei hohen Stückzahlen noch ein erheblicher Kostenfaktor, aufgrund der zunehmenden Verbreitung der Funkchips immer weiter - im Durchschnitt um ein Viertel pro Jahr, so die Schätzungen der Industrie. Das gibt den Unternehmen, so Goerdeler, einen zusätzlichen Hebel an die Hand, mit dem sie dem globalen Kostendruck entgegen wirken können: "Der Einsatz von RFID-Technik ist eine große Chance für mehr Kosteneffizienz, denn dadurch haben die Verantwortlichen einen Echtzeitüberblick über das, was in den Fertigungs- und Lieferprozessen in ihrem Unternehmen passiert." Das BMWi fördert diese Entwicklung unter anderem mit dem Technologieprogramm "Next Generation Media".

Ob Realtime-Locating-Systeme oder Prozess-Monitoring und -Management - längst hat sich in allen Kernsegmenten der Wirtschaft herumgesprochen, dass eine möglichst genaue Kenntnis über Zustände, Verfügbarkeiten und Aufenthaltsorte von Komponenten, Baugruppen oder Endprodukten die Qualität der Produktionsprozesse erheblich verbessert. Vor allem in der Automobilindustrie erwarten Experten für die nächsten Jahre aufgrund hoher Effizienzsteigerungspotenziale einen sprunghaften Anstieg RFID-basierender Prozesse. Aus Variantenfertigung oder Betriebshof-Management sind Transponder-unterstützte Abläufe dort schon nicht mehr weg zu denken. (Zum Thema siehe auch: "Wirtschaftliche Potenziale kaum genutzt".)

RFID: Dinge erhalten Pässe

Druckbare RFID-Chips senken die Stückkosten.
Foto: PolyIC

Die digitale Konvergenz führe derzeit zu völlig neuen Trends - auch in Branchen wie der Fertigungsindustrie, sagt Goerdeler. Grund dafür sei die zunehmende Durchdringung der Logistik- und Produktionsprozesse mit kleinen bis kleinsten Transpondern: "Die Dinge erhalten quasi Pässe, die Auskunft über ihre Verfügbarkeit, ihre Zustände oder ihren Werdegang geben." (Siehe auch das Interview mit Wolfgang Wahlster zum Thema Web 3.0.) Die Zukunft liegt hier in druckbaren Chips, wie sie beispielsweise das deutsche Unternehmen Poly IC aus Fürth liefert. Die dafür verwendete Polymerelektronik hat die Marktreife erreicht und wird sich zunehmend verbreiten. Dann werde ein RFID-Chip schnell nur noch einen bis maximal fünf Cent kosten.

Smart Dust: Intelligenter Staub

Ein zweiter Trend ist der "intelligente Staub" (smart dust). Dazu zählt der bereits verfügbare und nur 0,05 mal 0,05 Milimeter kleine 2,45-Gigahertz-Chip von Hitachi. Anwendungsszenarien sieht Goerdeler unter anderem in den Bereichen Sicherheit und Logistik, aber auch im Unterhaltungssektor. Einer Erhebung des BMWi zufolge wurden bis 2007 immerhin 492 RFID-Anwendungen in den Bereichen Logistik, Produktion, Produktsicherheit, Zugangskontrolle, Kundenkarten, Gesundheitswesen sowie Sport, Freizeit und Haushalt umgesetzt.

Middleware für RFID-Konnektivität

Jeder RFID-Anwender hat heute mindestens zwei, meist vier oder mehr Systeme unterschiedlicher Anbieter im Haus. Sie müssen für jede Applikation mit hohem Programmieraufwand integriert werden. Marc Onnen, beim Systemintegrator Dimension Data aus Oberursel für AutoID-Systeme verantwortlich, erwartet allerdings den Willy Brandt-Faktor: "Jetzt muss zusammenkommen, was zusammen gehört." Integrierte Systeme werden, so der RFID-Insider, einen neuen Produktivitätsschub mit sich bringen: "Wer genau weiß, was läuft, kann präziser entscheiden und handeln."

Mit RFID lassen sich Autos erheblich leichter orten.
Foto: Konrad Buck

Dimesion Data hat mit seinem Wireless Connect System (WCS) eine neue Middleware im Programm, mit der sich unterschiedlichste RFID-Systeme einbinden und die Daten über eine Standard-API an alle gängigen ERP-Systeme übergeben lassen. Die Software ist herstellerunabhängig auf jeder Ebene und in ihrer Mehrfach-Kompatibilität derzeit einmalig am Markt. Am Beispiel eines großen Automobilherstellers wird der Nutzen des WCS deutlich: Das Unternehmen hat derzeit in allen seinen Werken ein Ortungssystem für mehrere Millionen Euro eingeführt. Dank der Middleware kann es seine vorhandene RFID-Technik mit der neuen Lösung integrieren. Zudem soll das Integrations-Tool sicherstellen, dass trotz zweier oder auch mehrerer RFID-Systeme, beispielsweise im Finishing-Bereich, immer der richtige Transponder und das richtige Fahrzeug erkannt werden.

RFID meets Video

Ein nächster Schritt bei der präzisen Verortung von Produkten oder Waren ist die Verknüpfung von RFID und Video. Sie kommt heute in den großen Logistik-Hubs zum Einsatz, um den Schwund durch Diebstahl einzuschränken.

Ohne Wareneingangs-Scn verschwinden schon mal ganze Paletten.
Foto: Intermec

Ein einzelnes "verdunstetes" Handypaket fiel sofort auf, weil es auf der Palette fehlte. Dann gingen die Diebe dazu über, die ganze erste Lage verschwinden zu lassen. Und heute gehen ganze Paletten verloren. Wenn kein Wareneingangs-Scan erfolgt, lassen sie sich unbemerkt aus dem Lager schleusen. (Siehe auch: "Metro ist es ernst mit RFID".) Moderne Ortungssysteme setzen hier an, indem sie die Scanner filmen. Dafür koppeln sie den gescannten Waren-Barcode mit der Position des Scanners und verknüpfen die beiden Daten mit einem Videobild. Dasselbe geschieht beim Warenausgang. So lässt sich beweisen, dass eine bestimmte Palette definitiv auf den LKW gelangt ist. Logistiker, die solche Lösungen im Einsatz haben, konnten ihre Versicherungsbeiträge Insidern zufolge um bis zu 80 Prozent verringern.

Baukarte erleichtert Rückrufaktionen

Mit einer elektronischen Baukarte auf Transponderbasis sind Fertigungsprozesse in der Automobilproduktion zusätzlich optimierbar. Auf dem Chip werden sämtliche Produktionsdaten vermerkt: was, wann von wem im Fahrzeug verbaut wurde. Wenn genau bekannt ist, zu welchem Zeitpunkt ein als schadhaft erkanntes Bremskabel eingebaut wurde, lässt sich die Rückrufaktionen auf wenige hundert Personen beschränken.

Der Flaschenhals weitet sich

Nicht zuletzt lässt sich das Bottleneck-Management im Fahrzeugbau effektiver gestalten oder vermeiden. Bisher werden absehbare Engpässe bei der Bauteilversorgung mehr oder weniger per Hand ausgeglichen. Die Verfügbarkeitsdaten des Vortages waren die Basis für die Entscheidung, in welchem Werk die Produktion langsamer laufen oder gar stehen musste, weil wichtige Teile fehlten oder zu spät kommen würden. Die Zusatzkosten eines Automobilherstellers für Ersatzverpackungen oder Sondertransporte erreichen da schnell einen zweistelligen Millionenbetrag. Dazu Onnen: "Ein Kunde von uns zahlte 30 Millionen nur dafür, dass er nicht wusste, dass Gestelle fehlten. Wir konnten mit einer RFID-Lösung einspringen und erzielten einen Return On Investment in gerade mal sechs Wochen. RFID matters!" (qua)