Standardprozess statt RfP

Fünf Schritte zum schnellen Sourcing

14.12.2010 von Frank Bastian und Oliver Bergius
Seit Jahren schrumpft der Umfang von Sourcing-Projekten. Der enorme Ausschreibungsaufwand ist für Anwender und Anbieter nicht mehr zeitgemäß.
Foto: P. Lecko - Fotolia.com

Das Auftragsvolumen von Sourcing-Vorhaben wird immer kleiner. In 65 bis 70 Prozent aller Fälle entscheiden sich Unternehmen heute für das partielle, selektive Outsourcing einzelner standardisierter Bausteine. Sie vergeben Pakete wie die zentrale Infrastruktur (Mainframe, Server), alle anwendungsnahen Aktivitäten (Datenbank- und Middleware-Management) oder Endgeräte- und Field-Services separat an unterschiedliche Dienstleister. Im Marktdurchschnitt beschäftigen sie 1,5 bis 2,5 Service-Provider.

Auf diese Veränderungen müssen Unternehmen mit neuen Sourcing-Strategien reagieren, denn der klassische RfP-Prozesse (Request for Proposal; Aufforderung und Angebotsabgabe) verursacht zu viel Aufwand. Ein traditionelles Bieterverfahren für einen Deal im Wert von 30 Millionen Euro kostet einen Dienstleister zwischen 800.000 und 1,2 Millionen Euro. Der Kunde muss zwischen 50 und 75 Prozent dieser Summe aufwenden. Hinzu kommen die Kosten für den Berater. Außerdem prüft der Kunde häufig zu spät, ob er überhaupt die Voraussetzungen für das Outsourcing mitbringt. Oft hat ein Unternehmen den kompletten Bietprozess durchlaufen, bevor es am Ende feststellt, dass das ursprünglich angestrebte Potenzial völlig unrealistisch war.

Gegenüber dem klassischen Ausschreibungsverfahren mit RfP (oben) reduziert der standardisierte Sourcing-Prozess (unten) den Aufwand um 30 bis 50 Prozent.

Notwendig ist ein schlanker Sourcing-Prozess, der weitgehend deterministisch abläuft. Sein Kern: Der Auftraggeber tritt ohne RfP, allenfalls unter Verwendung eines RfQ (Request for Quotation, Preisanfrage), direkt in die Vertragsgestaltung ein. Grundlage sind vorher erarbeitete, standardisierte und detaillierte Servicekataloge, für die der Dienstleister konkrete Preisangebote abgibt. In diesem Prozess müssen Kunde, Dienstleister und Berater wesentlich enger zusammenarbeiten als bisher. Der Ablauf sollte wie folgt aufgebaut sein:

1. Die Sourcing-Strategie

Diese Phase enthält folgende Elemente:

Entwicklung der Sourcing-Strategie: Sie beginnt mit einer Potenzialbestimmung. Das Unternehmen sollte einschätzen, ob es grundsätzlich bereit für ein Outsourcing ist. Auch die angestrebten Ziele sollten einem realistischen Blick standhalten. Frühzeitig sollten Fragen nach dem Beweggrund geklärt werden: Will man primär die Stückkosten senken? Oder sollen Qualität und Innovationsfähigkeit verbessert werden? Danach werden die Risiken analysiert und die Fertigungstiefe definiert. Hier sollte das Unternehmen sich darauf einigen, welche Services es künftig intern abwickeln und welche es auslagern möchte. Entsprechend müssen dann die Serviceschnitte festgelegt werden. Das ist eine wichtige Aufgabe, denn ein an der falschen Stelle zertrennter Prozess kann später hohe Overhead-Kosten verursachen. Die Handlungsalternativen werden in Szenarien dargestellt. Bereits hier kann man sich an Leading Practices im Markt orientieren.

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Platz 25: Accra, Ghana
Quelle: flickr, Elegant Machines
Platz 14: Rawalpindi, Pakistan
Quelle: Flickr, Mariachily
Platz 08: Lagos, Nigeria
Quelle: Flickr, Zouzouwizman
Platz 02: Medellin, Kolumbien
Quelle: Flickr, Laloking97
Platz 01: Karachi, Pakistan

Service Requirements: Im nächsten Schritt wird untersucht, inwieweit das Unternehmen tatsächlich auf das Outsourcing vorbereitet ist. Bessere Voraussetzungen haben Unternehmen, die bereits IT-Dienste implementiert haben und bereits eine serviceorientiert arbeiten. Auch eine vorhandene Service-Steuerung erleichtert die Aufgabe. Der Reifegrad der Organisation lässt sich mit Hilfe von Checklisten ermitteln. Von diesen Bedingungen hängt ab, wie schnell der gesamte Sourcing-Prozess durchlaufen werden kann.

Markt- und Anbieter-Screening: Jetzt wird eruiert, ob die erforderlichen Leistungen am Markt erhältlich sind und welche Dienstleister in Frage kommen. Das können je nach Umfang der auszulagernden Leistungen große, internationale Tier-1-Provider oder eher europäisch (Tier 2) und lokal (Tier 3) operierende Anbieter sein. Zur Aufgabe zählt auch eine Stärken- und Schwächen-Analyse die Dienstleister. Die Bewertung hängt aber auch von den Outsourcing-Zielen ab: Braucht der Auftraggeber einen Anbieter von Commodity-Produkten zur Stückkostensenkung? Erwartet er das Management kompletter Servicepakete? Oder sucht er einen Partner, der mit innovativen Services die Basis für neue Geschäftsmodelle legt?

Marktvergleich und Szenariobewertung: Ein Benchmark stellt fest, welche Marktpreise für die auszulagernden Services realistisch sind. Auf dieser Grundlage entwickelt das Projektteam umsetzbare Ziele und bewertet die Szenarien. Sie enthalten auf mehrere Jahre gerechnete Business Cases zur Wirtschaftlichkeitsbetrachtung, die sowohl die Kosten für die externe Leistungserbringung als auch diejenigen für die Übergangsphase und das laufende Management der Outsourcing-Beziehung umfassen. Auf Basis dieser Daten trifft der Auftraggeber zum Abschluss der Strategiephase die Make-or-Buy-Entscheidung.

2. Der Vertragsentwurf

In 80 Prozent der Fälle ist es möglich, den klassischen Request for Proposal (RfP) durch einen Vertragsentwurf und Request for Quotation (RfQ) zu ersetzen. Grundlage sind vorgefertigte Bausteine, die sich an Leading Practices im Markt orientieren und an die konkreten Anforderungen des Auftraggebers angepasst werden. Der Vergleich ist sehr einfach, denn das standardisierte Format lässt keinen Raum für abweichende individuelle Definitionen der Anbieter: Wollen sie sich bewerben, können sie den Leistungen nur in der vorgegebenen Form zustimmen und den entsprechenden Preis dafür nennen. Am Ende dieser Phase kann direkt ein Rohvertrag vorgelegt werden. Die Phase erfasst alle wichtigen Aspekte:

Servicebeschreibungen: In einem Katalog werden die Anforderungen und die Services standardisiert beschrieben - beispielsweise für Arbeitsplatzausstattung, E-Mail, Archivierung, Datenverteilung usw. - inklusive der Serviceschnitte und Service-Level-Vereinbarungen. In dieser Phase wird allein die Servicesicht näher spezifiziert. Die technische Umsetzung ist Sache des Dienstleisters.

Governance und Prozesse: Hier werden die organisatorischen Anforderungen festgelegt, um die Services zu erbringen. Sie stellen sicher, dass die dazu notwendigen Einheiten, Funktionen und Rollen existieren. Definiert werden auch das Service-Management (die Anforderungen, Ziele, Ergebnisse und Erfolgsfaktoren von Prozessen) sowie die daraus abgeleiteten Anforderungen. Zudem beschreiben sie die Aktivitäten zur Implementierung der Service-Management-Prozesse.

Recht und Finanzen: Die rechtlichen und finanziellen Anforderungen werden aufgeführt, ebenso die Abrechnung mit Hilfe flexibler Preismodelle. Diese legen den finanziellen Rahmen fest, in dem sich die Verhandlungspartner bewegen dürfen. Die entsprechende Preisliste füllt der Dienstleister aus. Auch werden die konkreten Bedingungen für die Zusammenarbeit benannt. Dazu gehören zum Beispiel Benchmark-Klauseln, etwa zur Kundenzufriedenheit sowie zum Innovations- und Service-Management.

Transition und Transformation: Diese Phase ist in vielen Outsourcing-Projekten die kritischste. Deshalb sollten Kunde, Berater und Dienstleister die Schlüsselfak-toren für eine reibungslose Transformation bereits im Vertrag berücksichtigen. Dazu gehören Regelungen zum lückenlosen Übergang zwischen den Phasen inklusive der Unterstützungsleistungen des Dienstleisters-, des ordentlichen Personal- und Asset-Übergangs sowie zum Aufbau der Governance-Strukturen.

Vertragsentwurf: Am Ende der RfQ-Phase steht der fertige Vertragsentwurf. Dieser umfasst neben den zuvor beschriebenen Inhalten unter anderem auch den Umgang mit Innovationen und technologischen Änderungen, Benchmarks und enthält Regelungen zu Service-as-before oder Sweeper Clause.

3. Die Due Diligence

In dieser Phase stellen Auftraggeber und Anbieter mit der gebotenen Sorgfaltspflicht sicher, dass sie ein gemeinsames Verständnis des angestrebten Projekts haben.

Datenraum: Es kann sich um einen physischen Raum (klassische Aktenordner) mit limitiertem Zutritt handeln oder um einen virtuellen Raum (zum Beispiel auf einem Sharepoint-Server), auf den der Zugriff nur mit entsprechender Berechtigung möglich ist. In ihm tauschen Auftraggeber und die angesprochenen Provider vertrauliche Informationen aus. Angaben etwa zu Lizenz- und Arbeitsverträgen werden in der Regel auch nicht im Vertrag selbst, sondern in der Anlage aufgelistet.

Beidseitige Due Diligence: Die eigentliche Due Diligence basiert zum großen Teil auf den Informationen aus dem Datenraum. Auftraggeber und potenzielle Provider überzeugen sich jeweils davon, dass die Voraussetzungen der beschriebenen und geforderten Leistungen auch tatsächlich existieren. Für Anwender bedeutet dies, dass sie die Dienstleister daraufhin durchleuchten, ob sie die angebotenen Serviceprozesse tatsächlich beherrschen und über das erforderliche Know-how verfügen. Die Provider wiederum prüfen, ob die dem Angebot zugrunde liegenden Vorleistungen des Auftraggebers auch tatsächlich der Realität entsprechen (etwa: 75 Prozent aller Systeme sind genau dokumentiert).

Wirtschaftlichkeitsbetrachtung: Diese Aufgabe wiederholt sich immer wieder im Outsourcing-Prozess. In dieser Phase ist sie besonders dann relevant, wenn ein Partner im Rahmen der Due Diligence feststellt, dass die Voraussetzungen für das Angebot von den ursprünglichen Annahmen abweichen. Beispiel: Die Qualifikation der zu übernehmenden Mitarbeiter ist geringer oder der Durchschnitt der Gehälter ist höher als erwartet. Der Provider muss deshalb das Angebot neu kalkulieren.

Vertragszustimmung und Preisabgabe: Sind alle Vorprüfungen abgeschlossen, einigen sich die beteiligten Parteien auf den konkreten Text und steigen in die Vertragsverhandlung ein.

4. Die Vertragsverhandlung

Inhaltliche Vertragsklärung: In dieser Phase klären beide Parteien, ob sie wirklich das gleiche Verständnis von den Formulierungen und Vertragsbausteine haben. Das gleiche gilt für die vereinbarten Preise. So könnte etwa ein Passus lauten: "Systeme sind umfassend zu dokumentieren". Die Partner müssen konkretisieren, was mit "umfassend" gemeint ist.

Parallel-Verhandlung: Um den Prozess zu beschleunigen, sollten verschiedene Gewerke wie Personal, Assets etc. in den Projektteams parallel verhandelt werden. Entsprechendes gilt, wenn der Auftraggeber mit mehreren Providern spricht. Die Verhandlungsergebnisse und Vertragsinhalte werden abschließend nochmals wirtschaftlich bewertet.

Entscheidung und Zustimmung: Mit der Vertragsfinalisierung und -unterzeichnung ist die rechtsgültige Zusammenarbeit zwischen zwei Parteien vereinbart. Das Projekt geht in die Transitionsphase über.

5. Die Transitionsphase

Überleitung und Überführung: Bedingung für den Erfolg des Outsourcing-Projekts ist der lücken- und bruchlose Übergang. In dieser Phase wechseln die Verantwortung für die Services und die zugehörigen Prozesse, die vereinbarten Assets (IT-Systeme, Server, Softwarelizenzen etc.) sowie unter Umständen auch Teile der Belegschaft zum Provider. Gerade dem Personalübergang schenken die Verantwortlichen häufig zu wenig Beachtung, weil sie intensiv mit der Betriebsübergabe beschäftigt sind. Die Neuorientierung der Mitarbeiter betrifft Auftraggeber und -nehmer gleichermaßen. Beim Ersteren wechseln Experten in die verbleibende Steuerungseinheit (Retained Organisation). Letzterer baut mit dem übernommenen Personal sein Unterstützungsteam auf.

Beendigungs- und Unterstützungsleistungen: Outsourcing bringt erhebliche organisatorische Veränderungen mit sich. Der Anwender benötigt deshalb Unterstützung im Change-Prozess. Eine konkrete Vereinbarung könnte zum Beispiel sowohl den alten als auch den neuen Dienstleister dazu verpflichten, im ersten Monat nach Übergang zusätzliches Personal zur Verfügung zu stellen.

Implementierung der Governance-Strukturen: Die Regeln für die Zusammenarbeit von Kunde und Dienstleister (Verantwortlichkeiten, Spielregeln etc.) müssen bereits in dieser Phase greifen. Die Governance-Beschreibung sollte am besten das erste Dokument der Transition sein.

Verantwortungsübergang: Der Zeitpunkt für die tatsächliche Übertragung der Verantwortung eines Prozesses sollte exakt vereinbart werden.

Transparentes Zielsystem zum Messen des Erfolgs: Um den Übergang und die laufenden Sourcing-Beziehung steuern beziehungsweise kontrollieren zu können, benötigt der Auftraggeber Indikatoren. Dafür ist ein Kennzahlensystem geeignet, das finanzielle, personelle, serviceorientierte und strategische Ziele misst. Beispiele für Kennzahlen können gesenkte Stückpreise, die erfolgreiche Integration der Mitarbeiter sowie reibungslos funktionierende Gremien sein. Ein konkretes Ziel könnte lauten, die angestrebte Flexibilität innerhalb von 18 Monaten umzusetzen.

Den Geist des Vertrags bewahren: Sowohl Dienstleister als Auftraggebers verpflichten sich, die Vereinbarungen einzuhalten. So kann ein Outsourcing auch die Migration auf neue Technologien (beispielsweise Server-Virtualisierung) zum Ziel haben. Streicht der Anwender jedoch aus Kostengründen später die dafür notwendigen finanziellen Mittel, ist das Projekt hinfällig. Um Spannungen rechtzeitig abzubauen, kann es sinnvoll sein, sich auf einen Sourcing-Advisor zu einigen, der im Streitfall vermittelt.

Vorteile des standardisierten Sourcing-Prozesses

Für den Auftraggeber wie für den Service-Provider hat der standardisierte, deterministische Prozess folgende Vorteile:

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