Führungskräfte im Assessment Center testen

26.07.2004 von Horst Dammer
Vorstände geraten ins Kreuzfeuer wegen überhöhter Bezüge, Manager werden vor die Tür gesetzt aufgrund von Fehlentscheidungen oder mangelnder Führungskompetenz. Unternehmen sollten deshalb schon bei der Einstellung und später bei der Beförderung Managern auf den Zahn fühlen, bevor es zum großen Eklat kommt. Ein Mittel dazu sind Assessment Center.

AOL Time Warner, Enron, Parmalat - die Liste der Unternehmen, die durch Manager-Versagen ins Schleudern gekommen sind, ist lang. Was während des New-Economy-Booms in den Hintergrund trat, kommt jetzt schmerzlich ans Tageslicht: Unternehmensführung ist keine Spielwiese, sondern Voraussetzung für wirtschaftlichen Erfolg. Dennoch ist das Topmanagement in vielen Fällen weiterhin unantastbar und der Führungsnachwuchs wird rein nach akademischen Leistungen oder dubiosen Persönlichkeitsmerkmalen ausgewählt.

Dass die präzise Suche nach fähigen Spitzen-Managern an Bedeutung gewinnt, zeigt die US-amerikanische Studie "The CEO Challenge: Top Marketplace and Management Issues". 726 Unternehmen aller Branchen, davon die Hälfte aus den USA und rund ein Drittel aus Europa, wurden zu den zukünftigen Herausforderungen an das Management befragt. Während das Finden und Entwickeln potenzieller Führungskräfte im vorigen Jahr auf Platz 13 landete, wird es im Jahr 2008 auf Platz vier stehen.

Angesichts spektakulärer Fälle von Management-Versagen steigt der Wunsch der Unternehmen, auch Führungskräfte im Vorhinein sorgfältiger auszuwählen. Kein Wunder, denn Fehlbesetzungen auf der Leitungsebene kosten Unternehmen Zeit, Geld und Ansehen. Wie die aktuelle Studie "Missing Millions" der Unternehmensberatung Czipin & Proudfoot herausfand, lässt sich ein Großteil der Produktivitäts-einbußen auf mangelnde Planung und Kontrolle der Führungskräfte sowie auf fehlende Motivation der Mitarbeiter zurückführen. Allein Firmen in Deutschland mussten im Jahr 2002 Verluste von rund 160 Milliarden Euro hinnehmen, das sind 7,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Unternehmen können also eine Menge Kosten sparen, wenn sie Management-Positionen von Anfang an richtig besetzen.

Auswahl nach dem Zufallsprinzip

Bisher herrscht in vielen Unternehmen bei der Auswahl von hohen Führungskräften das "Russisches-Roulette-Prinzip". Selbst große Banken entscheiden oft lediglich auf der Basis strukturierter Interviews, welcher Manager der richtige ist. Wie der Leadership Forecast 2003 von Development Dimensions International (DDI) zeigt, setzen nur 14,7 Prozent der befragten Unternehmen systematisch Assessment Center (AC) mit Simulationen ein, die dem Management-Level entsprechen, um Entscheider im eigenen Unternehmen zu erkennen und zu fördern. Im Rahmen der Studie wurden rund 1600 Führungskräfte, 1500 Mitarbeiter und 117 Personalverantwortliche von Großunternehmen aus 14 Ländern interviewt. Über 80 Prozent der teilnehmenden Unternehmen beschäftigen mehr als 1000 Mitarbeiter.

Assessment Center - Tabu für Führungskräfte?

Assessment Center für Chefs sind in vielen Unternehmen noch undenkbar. Die Gründe dafür sind breit gestreut: Skepsis und Ablehnung bei den Teilnehmern, hoher finanzieller und zeitlicher Aufwand und Misstrauen gegenüber der Aussagekraft der Ergebnisse. Executive Assessments bieten jedoch eine einmalige Chance, den Erwählten dahingehend zu testen, ob er neben überdurchschnittlichen Leistungen auch die gewünschten Kompetenzen und Charaktereigenschaften mitbringt.

Während sich Fachwissen und Erfahrung durch ein Interview oder der Personalabteilung vorliegende Unterlagen ermitteln lassen, kann ein Kandidat unter Umständen sehr gut über seine zwischenmenschliche Kompetenzen sprechen, ohne sie deshalb auch praktizieren zu können. Das Gleiche gilt für persönliche Eigenschaften, die sich positiv oder negativ auf die Führungsrolle auswirken können, so genannte Enabler oder Derailer.

Damit AC die persönlichen Eigenschaften und Kompetenzen eines Kandidaten treffend abbilden, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Dazu gehört die Augenscheinvalidität, also die Realitätsnähe der Testumgebung. Ein AC sollte daher aus der Simulation eines realen Arbeitstages bestehen, an dem der Kandidat mit unterschiedlichsten Situationen, die ihn in der zukünftigen Position erwarten, umgehen muss. Der Kandidat sollte einen ganzen Tag lang aus der zu besetzenden Position agieren. Auf der Agenda stehen beispielsweise ein Gespräch mit einem unkooperativen Mitarbeiter, die Ausarbeitung und Präsentation eines Strategieplans oder die Verhandlung mit einem strategischen Geschäftspartner.

Parallel kümmert sich der Teilnehmer um Aufgaben, die per E-Mail eingehen, führt Telefonate und nimmt an kurzfristig anberaumten Besprechungen teil. Der volle Terminplan und die hohe Arbeitsbelastung reduzieren das Risiko, dass Verhaltensweisen vorgetäuscht werden. In einem integrierten Interview werden die Kandidaten zusätzlich zu typischen Verhaltensweisen aus der Vergangenheit befragt, die in einem Center nicht alleine beziehungsweise nicht ausreichend abgebildet werden können. Die Ergebnisse dieses Gesprächs werden dann mit dem im Assessment gezeigten Verhalten verglichen.

Chancengleichheit und Mehr-Augen-Prinzip

Weitere entscheidende Kriterien für aussagekräftige Ergebnisse sind objektive und genau definierte Beurteilungskriterien sowie Chancengleichheit für alle Kandidaten. Es empfiehlt sich also nicht, Kandidaten miteinander interagieren zu lassen, denn das schafft ungleiche Ausgangslagen. Größere Objektivität verspricht das Mehr-Augen-Prinzip, was bedeutet, dass jeder Kandidat von mindestens zwei geschulten Beobachtern bewertet wird.

Über das Verfahren kann man außerdem sicherstellen, dass jedes Beurteilungskriterium von verschiedenen Beobachtern unabhängig und in verschiedenen Übungen eingeschätzt wird. Erst danach sollten die Beobachter ihre Daten diskutieren und zusammenführen. Auf diese Weise werden unbewusste Beurteilungsfehler und Beeinflussung verringert. Falls der zukünftige Manager schon an anderer Stelle im Unternehmen beschäftigt ist, können zusätzlich Beurteilungen durch Kollegen und Vorgesetzte genutzt werden, um ein realistisches Gesamtbild zu erhalten.

Kritik sollte konstruktiv und motivierend sein

Assessment Center eignen sich nicht nur für die Personalauswahl, sondern auch für die Analyse des persönlichen Entwicklungsbedarfs. Sind die Aspiranten aus dem eigenen Haus, können Unternehmen Entwicklungsmaßnahmen für zukünftige Führungspositionen festlegen. Bei internen Kandidaten kommt dem Feedback eine besondere Bedeutung zu. Die Bewertung der Kompetenzen sollte in einer vertrauensvollen Atmosphäre anhand konkreter Verhaltensbeispiele erläutert werden. Im Mittelpunkt des Gesprächs sollten konstruktive Kritik und motivierende Aussagen stehen, denn nur dann wird der Teilnehmer bereit sein, an der eigenen Entwicklung weiterzuarbeiten. (hk)

*Horst Dammer ist Geschäftsführer von Development Dimensions International (DDI) in Meerbusch bei Düsseldorf.

Assessement Center in der Praxis

Zur Vorbereitung des Assessment Center (AC) erhält der Teilnehmer ein Informationspaket, das ihm das fiktive Unternehmen vorstellt, für das er arbeiten wird. In den Unterlagen finden sich Mitteilungen über Produkte, Mitarbeiter und Arbeitsbedingungen. Am Tag der "Prüfung" selbst bekommt der Teilnehmer eine kurze Einführung, ein eigenes Büro und seine Agenda.

Mögliche Agenda:

9.00 Uhr

Mitarbeitergespräch: Zwei Mitarbeiter erschweren durch unkooperatives Verhalten in der Arbeitsgruppe das Erreichen der Projektziele.

11.00 Uhr

Kundentermin: Der Kunde ist zwar aufgrund der aktuellen Situation unzufrieden, es handelt sich aber trotzdem um eine günstige Gelegenheit, die Geschäftsbeziehungen auszuweiten.

12.00 Uhr

Telefonkonferenz: Ein Hauptzulieferer bringt nicht die vereinbarten Leistungen

13.00 Uhr

Treffen mit einem Fernsehreporter, der im Besitz von sensiblen Geschäftsinformationen ist.

16.00 Uhr:

Strategische Analyse oder Präsentation eines Geschäftsplanes.

Parallel arbeitet der Teilnehmer an seinem Postkorb, seinen E-Mails und Voice-Mails und nimmt an "Ad-hoc"-Meetings teil. Er entscheidet selbst, welche Nachrichten er bevorzugt bearbeitet und wann er Pausen einlegt. Ein Teilnehmer beurteilte den Ablauf wie folgt: "Für einen Manager ein ganz normaler Arbeitstag."