Gute Manager

Führen heißt Kommunikation auf Augenhöhe

10.07.2022 von Mirriam Prieß
Gute Manager kommunizieren mit Team und Mitarbeiter auf Augenhöhe. Doch das ist selten. Viele Chefs kaschieren fehlendes Selbstbewusstsein durch Macht und damit mangelhafte Dialogfähigkeit.
  • Anderen auf Augenhöhe begegnen heißt, sich selbst auf Augenhöhe zu begegnen, inklusive aller Stärken und Schwächen.
  • Führungskräfte sollten auf ihr Bauchgefühl beim Einstellungsgespräch hören, damit Blender keine Chance haben.
Offenheit, Augenhöhe, Interesse und Empathie sind zentrale Merkmale eines erfolgreichen Dialogs.
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Wenn Unternehmen scheitern und in wirtschaftliche Schieflage geraten, hat das meist viele Gründe, zum Beispiel falsche Sachentscheidungen oder nicht wettbewerbsfähige Produkte. Hauptverantwortlich sind aber meist Führungskräfte, die nicht in der Lage sind, ihren Mitarbeitern im Dialog auf Augenhöhe zu begegnen, und am Ende sich, ihr Team und die Existenz des Unternehmens gefährden.

Doch wie können Unternehmen und Verantwortliche hier konkret entgegenwirken? Antworten liefert Mirriam Prieß in diesem Interview. Prieß berät Unternehmen im Bereich Stress und Konflikt-Management. Sie ist auf das Einzelcoaching von Führungskräften und die Begleitung von Teams während Umstrukturierungsprozessen spezialisiert.

Welches Zeugnis würden Sie deutschen Führungskräften ausstellen?

Mirriam Prieß: Es ist immer schwer, ein generelles Zeugnis auszustellen, so auch hier. Wenn Teams und Unternehmen in eine Krise geraten, fällt jedoch auf, dass dies meist an der Schwäche der Führungskräfte liegt, die sich in einem entscheidenden Punkt äußert: Fehlende Dialogfähigkeit im Management - und zwar auf allen Ebenen. Auf den ersten Blick erscheint das kaum glaubhaft, da hinter dem Scheitern meist viel komplexere Gründe vermutet werden. Auf den zweiten Blick wird jedoch sichtbar, dass sich viele Führungskräfte gar nicht darüber im Klaren sind, was Dialogfähigkeit bedeutet.

Was zeichnet Dialogfähigkeit aus?

Mirriam Prieß: Es gibt vier zentrale Punkte, die erfüllt sein müssen, um in einen Dialog treten beziehungsweise diesen halten zu können: Offenheit, Augenhöhe, Interesse und Empathie. Das heißt nicht automatisch, gleicher Meinung zu sein, wohl aber interessiert an der Meinung des anderen zu sein. Dialog ist Grundlage und Voraussetzung für ein innovatives und erfolgreiches Miteinander.

Man befindet sich erkennbar in einem Dialog, wenn man in der Lage ist, den Platz des Gesprächspartners einzunehmen, das heißt, ihn in seiner Position zu verstehen - und zwar nicht nur rational, sondern auch emotional. Wer eine Unterredung anders verlässt, als er sie begonnen hat - sei es mit einem anderen Gedanken oder neuem Gefühl - hat sich in einem Dialog befunden.

Führungskräften wird oft erst nach dieser Definition deutlich, wie sehr sie in Besprechungen stundenlang monologisieren und dass die Zahl der Meetings automatisch mit den Monologen steigt. Der Grund: Jede Entscheidung, die nicht durch einen Dialog, sondern durch eine Ansage aufgrund von "Ober sticht Unter" getroffen wurde, schwächt am Ende alle Beteiligten und lähmt Kreativität, Innovation, Schaffensfreude und Leistungswillen.

Sie sagen, ein Dialog sei viel schwerer zu führen, als allgemein angenommen. Woran liegt das?

Mirriam Prieß: Haben Sie sich einmal gefragt, was die Grundvoraussetzung ist, um anderen auf Augenhöhe zu begegnen? Es ist die Fähigkeit, sich selbst auf Augenhöhe zu begegnen - und zwar nicht mit den eigenen Stärken, sondern auch den eigenen Schwächen. Die meisten Manager verlieren in dem Moment die Augenhöhe vor sich selbst, in dem sie mit den eigenen Defiziten konfrontiert werden. Dies führt nicht nur dazu, dass sie mit eigenen Schwächen nicht umgehen und ein Bewusstsein dafür entwickeln können, sondern ihnen fehlt dann auch das Verständnis für die Schwächen anderer.

Richtiger Umgang mit den eigenen Schwächen

Die Folge sind Verachtung, Ignoranz oder hilfloses Überreagieren. Und: Je höher die Management-Ebene, desto mehr verurteilen sich die Betroffenen für ihre Schwachpunkte, anstatt selbstbewusst daran zu arbeiten. Je schwächer das Selbstbewusstsein eines Menschen ist, umso bedrohlicher erscheinen ihm die Welten, die sich von seinen eigenen unterscheiden. Deshalb kleben diese Personen an der eigenen Position und ihrer vorgefertigten Meinung. Ohne es zu merken, schwächen sie sich dadurch in ihrem Selbstwert und somit auch in ihrer Dialogfähigkeit. Es gilt also die Regel: Eine Führungskraft ist nur so führungsstark, wie stark sie auch mit den eigenen Schwächen umgeht.

Was zeichnet eine starke Führungskraft aus?

Mirriam Prieß: Gute Führungskräfte verwechseln Stärke nicht mit Macht. Wer aus einer Stärke heraus führt, der wird seine Mitarbeiter stärken. Wer Macht ausübt, steuert seine Mitarbeiter sukzessive in die Ohnmacht und das Unternehmen in die Lähmung. Über 70 Prozent der Führungskräfte versuchen, die eigene Minderwertigkeit und innere Ohnmacht durch die Macht ihrer Position zu kompensieren, und verwechseln Macht mit Stärke.

Was raten Sie Führungskräften?

Mirriam Prieß: Da Erfolg nur im Miteinander zu erreichen ist, sind natürlich nicht nur dialogfähige Führungskräfte, sondern auch dialogfähige Mitarbeiter gefragt. Es gibt sechs Fragen, die sich jeder stellen sollte, bevor er ein Gespräch beginnt:

Während des Gesprächs gilt es dann zu überprüfen: Kann ich die Position des anderen emotional und rational wiedergeben, als wäre sie meine eigene? Wie gesagt, Dialog heißt nicht gleicher Meinung zu sein, wohl aber offen für die Meinung des anderen. Nur so kann ein starkes Miteinander entstehen.

Woran scheitern die meisten Dialoge?

Mirriam Prieß: Viele Dialoge kommen gar nicht erst zustande, weil die meisten nicht offen für den anderen sind, sondern ihn von der eigenen Welt überzeugen wollen. Nicht aus Bösartigkeit, sondern oft aus einer eigenen Ohnmacht heraus.

Was ist Ihrer Ansicht nach einer der größten Fehler, den Unternehmen bei der Einstellung von Führungskräften machen?

Mirriam Prieß: Der beste Lebenslauf und die beeindruckendsten Referenzen sind nichts wert, wenn die Führungskraft nicht in der Lage ist, Mitarbeitern oder Vorgesetzten im Dialog auf Augenhöhe zu begegnen. Fakten wie Lebenslauf oder Fachkenntnisse sollten von Personalern immer nur als Basis betrachtet werden - Human-Resource-Abteilungen sollten aber viel mehr Wert auf das persönliche Gespräch legen.

Zu den klassischen Fehlern von Unternehmen gehört es in der Regel, den Bewerber zu idealisieren oder sich selbst zum Maßstab für die Bewertung zu machen und schlechte Bauchgefühle zu ignorieren. Genau auf diese kommt es aber an. Die ersten 30 Sekunden ab Betreten des Raums sollten genau analysiert werden.

Sie sagen "die ersten 30 Sekunden". Worauf soll und muss man achten?

Mirriam Prieß: Hier gibt es mehrere Faktoren, die von Bedeutung sind. Man sollte sich zum Beispiel fragen: Welche Gefühle löst der Bewerber aus? Woran mache ich diese fest? Wirkt er arrogant oder unterwürfig? Diese ersten Sekunden sind wirklich entscheidend für den langfristigen Erfolg einer Einstellung.

Der Fokus sollte vor allem auch auf die Beziehungsgestaltung gelegt werden, mit der entscheidenden Frage: Ist der Bewerber auf Augenhöhe im Dialog? Begegnungsfähigkeit wird in Sekundenschnelle, meist unbewusst, wahrgenommen. Wichtig ist es deshalb, dass die Interviewer ihre ersten Gefühle oder Bedenken notieren und im Anschluss das Gespräch ganz gezielt dazu nutzen, diese Punkte im Gespräch abzuklären.

Kommt es in Unternehmen zu Konflikten mit Managern und Mitarbeitern, hört man immer wieder, dass sich diese schon im Einstellungsgespräch abgezeichnet hatten. Und genau hier liegt das Problem: Bauchgefühle werden häufig unterdrückt, missachtet und bleiben nahezu immer ohne Analyse.

Wie sollten sich Personalverantwortliche in einem Bewerbungsgespräch verhalten?

Mirriam Prieß: Wer erfolgreich einstellen will, kann dies nur, wenn er auch in der Lage ist, dass zu leben, was er von dem Bewerber erwartet. Dies beinhaltet die Fähigkeit, sich von Schubladendenken und Vorurteilen zu lösen und dem Gegenüber offen im Dialog zu begegnen. Wer das nicht tut, wird sich einem starken und selbstbewussten Bewerber gegenüber minderwertig fühlen und sich aus Angst gegen ihn entscheiden - mit mehr oder weniger rationalen Begründungen.

Wenn schwache Blender eingestellt werden

Starke Führungskräfte können nur von selbstbewussten Personalern eingestellt werden - ansonsten besteht die weitverbreitete Gefahr, dass die Wahl auf schwache Blender fällt, die viel versprechen, aber den eigenen Status nicht bedrohen. Vor diesem Hintergrund gilt es für Unternehmen, in deutlich stärkerem Maß an der Dialogfähigkeit und Veränderungsbereitschaft des Personals - auf allen Ebenen - zu arbeiten.