Frankfurt: Das Geld sitzt nicht mehr so locker

17.10.2003 von Marc Voland
Die Region Rhein-Main hat einiges zu bieten: Finanzzentrum, Verkehrsknoten und eine gewachsene Industrie, für qualifizierte IT-Fachkräfte sogar freie Stellen. Ein Portrait des Münchner Konkurrenten.

Hessen - das ist der Finanzplatz Frankfurt. In jedem Fall der Flughafen, vielleicht denkt man an Opel in Rüsselsheim oder an Hoechst, den ehemaligen Chemieriesen. Und die IT-Branche? Nein, die liegt eher in München und Umgebung. Doch zwischen den gläsernen Banktürmen Mainhattans und den Industriekomplexen hat sich mit dem Boom der Informationstechnologie eines der größten IT-Zentren der Republik etabliert, vor allem im Süden Hessens, im Rhein-Main-Gebiet: Telekommunikationsfirmen und IT-Dienstleister in Frankfurt, technische Universität und Fraunhofer Institut für grafische Datenverarbeitung (IGD) in Darmstadt, und in Wiesbaden Berater von CSC und der Pluralis AG. Das Spektrum reicht von vielen

Ein-Mann-Softwarefirmen über den Mittelstand bis zu global organisierten Unternehmen, darunter die amerikanische Computer Associates, die in den 90ern eine deutsche Niederlassung in Darmstadt eröffnete und eine kleine Ansiedlungswelle auslöste.

Über Frankfurt, Deutschlands wichtigsten Internet-Knoten, laufen 80 Prozent des inländischen Datenverkehrs. In der Mitte der Republik gilt das Bundesland als Drehscheibe und Verbindung auch zu den europäischen Nachbarländern. "Besonders für Unternehmen mit internationaler Ausrichtung ist die Infrastruktur ein enormer Vorteil", weiß Claudia Erben, Geschäftsführerin der Gründerinitiative Forum Kiedrich.

Zentrale Lage und günstige Verkehrswege sind wichtig, um schnell bei Kunden und Auftraggebern zu sein. Für Toni Schnell von Inxire, einem Startup im Bereich Informations- und Kommunikationsmanagement, war dies einer der ausschlaggebenden Gründe, mit seinem Partner das Unternehmen in Frankfurt zu gründen und nicht in Berlin oder München, den Gegenspielern der hessischen Hightech-Region.

Konkurrenz der Regionen

Gemessen am Umsatz schneiden Hessens Multimedia-Dienstleister laut iBusiness Ranking 2003 am besten ab. Der durchschnittliche Pro-Kopf-Umsatz liegt bei etwa 150 000 Euro, die bayerischen Interaktiven erzielen etwa 50 000 Euro weniger. Zufrieden mit ihrem Standort sind mehr als die Hälfte der über 6000 hessischen Softwareanbieter, so eine Studie der Technologie-Stiftung Hessen, einer Wirtschaftsfördergesellschaft des Landes. Trotz der wirtschaftlichen Probleme beurteilten knapp 50 Prozent die Situation ihres Unternehmens als gut.

Doch die Flaute hat auch Hessen, eines der wirtschaftlich stärksten Bundesländer, getroffen. "Leiden Industrie und Banken, leiden auch die Dienstleister", sagt Frank Hammer, Seminarleiter des Frankfurter Existenzgründerprogramms Kompass. Er beschreibt die Stimmung als wenig euphorisch. "Die potenziellen Auftraggeber schauen sich viel um, sind mit Aufträgen aber eher zurückhaltend." Vor allem die Nachfrage der Geldhäuser, die früher massiv in IT investierten, fehlt.

Konservative Hausbanken

Zwar fragen Banken noch verhältnismäßig viel Beratung ab, so Hammer, doch mit ihrer eigenen Krise hätten sie einen Dominoeffekt ausgelöst: "Erst spürte es die Werbebranche, und schließlich kamen auch die Software- und Telekommunikationsunternehmen dran." Das Geld sitzt nicht locker, klagen Firmeninhaber und Unternehmensgründer. Finanzdienstleister investieren auch nicht mehr so schnell in junge Unternehmen. "Die Hausbanken agieren extrem konservativ, die Risikobereitschaft ist enorm gesunken", sagt Frank Syring, Projektleiter bei der Modell- und Pilotprojektförderung der Technologie-Stiftung.

Auch Günter Högner, stellvertretendes Vorstandsmitglied der Nassauischen Sparkasse, sieht eine erhöhte Sensibilität bei den Banken. "Doch wenn das Konzept schlüssig ist und der Unternehmer uns von seiner Geschäftsidee begeistern kann, dann spricht auch in der momentanen Situation nichts gegen eine Finanzierung." Damit Erfolg versprechende Gründer leichter ein Konto eröffnen können oder einen Kredit erhalten, plant das Land Hessen, künftig mit einer Bürgschaft einzuspringen: Werden Risiken übernommen, dürften Hausbanken eher geneigt sein, mit Kapital auszuhelfen.

Im Gegensatz zu Nordhessen oder anderen Bundesländern darf das Land den Frankfurter Ballungsraum jedoch nicht direkt subventionieren. Die Europäische Kommission schränkt die Förderung von Wirtschaftszentren ein, wie Klaus Willich-Michaelis, Bereichsleiter Beratungsdienste der Investitions-Bank Hessen AG, erklärt. "In diesem Raum gibt es keine ausgeprägte Fördermentalität und -historie". Das Land investiert deshalb indirekt in die Infrastruktur und versucht, wie auch andere Bundesländer, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu verbessern, den Standort wettbewerbsfest zu machen.

Mehr als 100 Projekte initiierte das Land über die Investitionsbank Hessen, die Technologie-Stiftung Hessen und die Landesinitiative Hessen-Media, deren Ziel es ist, die Nutzung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien zu fördern. Dabei verzahnen die Institute mehrere Förderinstrumente, bieten Kredite und Informationen, richten Veranstaltungen aus und sensibilisieren Unternehmen für E-Commerce oder automatisierte Prozesse. "Hessen. Hier ist die Zukunft" lautet der Slogan des Landes, und so ist es nur konsequent, dass neben traditionellen Branchen auch gezielt neue Technologien wie Bio- oder Nano- und Oberflächentechnik unterstützt werden.

Trotz Strukturpolitik und Verbesserung der Rahmenbedingungen: Die Zahlen des Arbeitsamtes unterstreichen die konjunkturelle Misere. Waren im Juni 2002 5000 IT-Fachleute arbeitslos, so sind es Mitte dieses Jahres 7000. Auch im Großraum Frankfurt sieht die Arbeitsmarktsituation nicht viel besser aus. Dabei scheint durchaus Bedarf nach qualifizierten IT-Fachkräften zu bestehen, wie Sprecherin Ulrike Stein von der hessischen Initiative ProIT Fachkräfte für Hessen, einem Projektverbund des Instituts für Wirtschaft, Arbeit und Kultur und der technischen Universität Darmstadt, bestätigt.

Im vergangen Jahr, so eine landesweite Befragung der Initiative, fehlten der hessischen Wirtschaft etwa 4500 IT-Fachkräfte. Heute schätzt die Wissenschaftlerin das Kontingent auf etwa 3000 offene Stellen - Tendenz steigend. "Die Wirtschaft sucht händeringend nach Spezialisten, doch Angebot und Nachfrage passen in vielen Fällen nicht zusammen", so die Soziologin Stein. Die Qualifikationen von Bewerbern seien oft veraltet oder die Kandidaten zu eng spezialisiert. Gesucht werden hauptsächlich Anwendungs- und Softwareentwickler mit Netzwerk- und Datenbankkenntnissen sowie Erfahrung in Anwendung von Betriebssystemen, Internet oder Groupware.

Europaweites Pilotprojekt

"Wer Java beherrscht, hat gute Chancen" - vor allem in Südhessen, hier ist generell der Bedarf an Fachleuten am größten. Auch Softwareingenieure, Berater und Trainer sind weiter gefragt. Um den Mangel zu beseitigen, setzt die Initiative mit einem europaweit wohl einmaligen Pilotprojekt auf formale Qualifizierung. Berufsbegleitend können sich IT-Professionals an verschiedenen Institutionen wie Uni, IHK und anderen Bildungsträgern systematisch weiterbilden und dies mit einem anerkannten Zertifikat nachweisen.

Klein anfangen lautet die Devise. Deshalb bieten Hessens Schulen Projekte an, mit denen Jugendliche langsam an unternehmerisches Handeln herangeführt werden. Ausgestattet mit einer kleinen Anschubfinanzierung gründen Schüler ihre eigenen Firmen und lernen auf diese Weise unternehmerisches Handeln.

Aktive Gründerszene

Claudia Erben: "Die Gründer schrauben ihre Erwartungen nach unten."

Mit Erfolg: Nach zwei Jahren schreiben viele der jungen Unternehmer schwarze Zahlen. Ohnehin gibt es in Hessen eine recht aktive Gründerszene. Über das Land sind 29 Zentren verteilt, die Unternehmer bei ihrem Vorhaben unterstützen. Eine der prominentesten Initiativen ist dabei das Forum Kiedrich, das zweimal im Jahr einen Gründermarkt veranstaltet. Hier präsentieren Entrepreneure aus der gesamten Republik ihre Unternehmen und Geschäftsideen. Das Besondere: Ein Netzwerk von 140 Mentoren aus Wirtschaft und Wissenschaft stellt den Unternehmensgründern unentgeltlich Know-how, Rat und Erfahrung zur Verfügung.

Über 400 Unternehmen haben sich bereits bei der von CSC Ploenzke unterstützten Initiative vorgestellt, mehr als 2000 Arbeitsplätze sind durch deren Aktivitäten entstanden. "Die Geschäftsmodelle sind recht ausgefeilt. Da wird gründlich Aufbauarbeit betrieben", so Erben, Geschäftsführerin der GmbH. Viele suchen kein Fremdkapital, sondern finanzieren sich ausschließlich über die Aufträge. "Die Gründer schraubten ihre Erwartungen deutlich nach unten und sind dennoch weiter als vor zwei oder drei Jahren."

Krise hin, Krise her: Manche können ihr auch etwas Gutes abgewinnen. Nun zeigt sich, ob das eigene Unternehmen gut aufgestellt ist. Wer es jetzt schafft, so die Meinung von Gründern und Geschäftsleuten, der ist für bessere Zeiten gut gerüstet.