Wenn die Gürtelschnalle kneift

Fitness im Unternehmen: Anspruch und Realität sind weit voneinander entfernt

08.09.2000
Viele Firmenchefs erkennen, dass das Zusammenspiel zwischen körperlicher Fitness und geistiger Leistungsfähigkeit entscheidend zum Erfolg beiträgt. Bei den meisten Mitarbeitern dürften sie mit Fitness-Angeboten auf breite Zustimmung treffen. Gerade weil die Grenzen zwischen Beruf und Freizeit zusehends schwinden, kommt dem Thema eine größere Bedeutung zu. Von Ingrid Weidner*

"Manche Leute hängen die Messlatte ganz hoch oder verzichten aus Unkenntnis darüber, welche sportlichen Übungen für sie geeignet sind, leider ganz auf Sport", sagt Adriane Ernst von der Akademie für Führungskräfte in der Wirtschaft in Bad Harzburg. Dabei verhelfen schon kleine Schritte zu mehr körperlicher und geistiger Fitness: "Eine halbe Stunde tägliches Ausdauertraining fördert die Sauerstoffaufnahme und steigert das Wohlbefinden", so die Expertin. Von 212 Führungskräften aus unterschiedlichen Branchen in Deutschland, Österreich und der Schweiz wollte der Schulungsanbieter wissen, wie sie den Zusammenhang zwischen ihrer Leistungsfähigkeit und dem beruflichen Erfolg einschätzen.

Das auffälligste Ergebnis: Wunsch und Wirklichkeit klaffen weit auseinander. Zwar sehen 75 Prozent der Befragten einen direkten Zusammenhang zwischen körperlicher Fitness und beruflichem Erfolg. Gleichzeitig räumen aber nur vier Prozent dem Thema Fitness einen sehr hohen Stellenwert ein, 48 Prozent halten das Thema für weniger wichtig und 37 Prozent sogar für unwichtig. Nur fünf Prozent der Führungskräfte beurteilen ihre Essgewohnheiten während des Arbeitstages mit sehr gut. Knapp die Hälfte ist da weniger optimistisch, und acht Prozent sind diesbezüglich ausgesprochen unzufrieden.

Bei einigen der Befragten fehlt schlichtweg Zeit und Gelegenheit, mehr in die eigene Gesundheit zu investieren. 40 Prozent arbeiten wöchentlich mehr als 50 und neun Prozent sogar mehr als 60 Stunden. Verständlicherweise fühlen sich 15 Prozent überlastet und zirka drei Viertel stark ausgelastet.

Die Sportwissenschaftlerin Marion Appel-Schiefer lebte fünf Jahre in New York, um sich nach ihrem Studium in Münster und Dortmund weitere Zusatzqualifikationen zu erwerben. Während dieser Zeit arbeitete sie auch mit Unternehmen, die die körperliche Verfassung ihrer Angestellten sehr wichtig nehmen. "In den USA ist das Gesundheitsbewusstsein stärker ausgeprägt", so Appel-Schiefer. "Allerdings sehe ich dies auch als problematisch: Bei der Beurteilung von Führungskräften berücksichtigen die Unternehmen auch deren Fitness und medizinische Werte." Manche bezögen neben den beruflichen Erfolgen vor einer Beförderung auch das Gewicht, die Blutzuckerwerte und die Kondition eines Mitarbeiters mit ein.

Davon sind Unternehmen hierzulande noch weit entfernt. "Wir setzen beim Thema Fitness auf die Eigenverantwortlichkeit unserer Mitarbeiter", so Markus Berner, Sprecher bei SAP in Walldorf. Der durchschnittliche SAPMitarbeiter ist nach Berners Einschätzung Mitte 30 und von Haus aus ein eher sportlicher Typ. Die Softwareschmiede bietet neben Tennisplätzen und Fitnessräumen auch ein sportliches Mittagspausenprogramm an. "Viele sportliche Initiativen entstehen aus dem Engagement der Mitarbeiter heraus; dazu gehören Sportgruppen von Tanzen bis Tauchen."

In vielen Unternehmen sind verbilligte Tarife für das Fitnessstudio besonders beliebt, so etwa bei Brokat in Stuttgart. Bei der Berliner Multimedia-Agentur Aperto gibt es verbilligte Massagestunden für die gestressten Kreativen. "Angebote dieser Art signalisieren den Mitarbeitern, dass sich das Unternehmen um die Angestellten kümmert", so Adriane Ernst. Allerdings sollten sie gut auf die Bedürfnisse und Voraussetzungen des Personals abgestimmt sein, um den erwünschten Effekt zu erzielen. Bei der Siemens AG ist das Sportangebot für die Mitarbeiter dezentral geregelt. "Jeder Standort bietet ein eigenes Programm an", so Unternehmenssprecherin Sabine Metzner. Ein Betriebsarzt und die Arbeitsplatzbegehung gehören zum Standard. Während für die Führungskräfte ein umfassender Gesundheitscheck in dreijährigem Abstand Pflicht ist, können die übrigen Mitarbeiter diese Serviceleistung freiwillig in Anspruch nehmen.

Für Sportwissenschaftlerin Appel-Schiefer kommt es neben den körperlichen Aspekten aber vor allem auf soziale Kontakte und psychisches Wohlbefinden an. Ein medizinischer Basis-Checkup ist in ihren Kursen auch vorgesehen. "Gerade Männer brauchen Fakten", so die Einschätzung von Appel-Schiefer. Die medizinischen Daten dienen dann als Grundlage für die weitere Beratung. In einem anschließenden Gespräch geht es aber vorrangig darum, welche Defizite die Person selbst sieht, wie die momentane Belastung im Beruf und das Stressprofil aussehen und welche Ziele sich für den Alltag stecken lassen. "Wir wollen bei den Teilnehmern ein Bewusstsein für dieses Thema schaffen", betont Appel-Schiefer. Vorträge und Workshops zur besseren Ernährung und ein Übungsplan runden das Programm ab.

"Die schwierigste Hürde ist für viele zweifellos, die alten Gewohnheiten zu durchbrechen und den Transfer in den Alltag zu schaffen", so die Expertin. Sie will die ehemaligen Teilnehmer mit ihrem Team von MAS in Köln bei diesen Problemen auch weiterhin unterstützen. Mittels eines Faxservice, per E-Mail und über eine Hotline haben die Interessierten die Möglichkeit, mit dem Institut in Kontakt zu bleiben und Fragen zum Übungsprogramm oder zur Ernährung zu klären.

Die Akademie für Führungskräfte baut ihre Kurse ähnlich auf. Auch hier steht vor dem ersten Training ein sportmedizinischer Gesundheitscheck an, um anschließend einen individuellen Trainings- und Ernährungsplan zu entwerfen. Die Akademie bietet seit fünf Jahren Wochenendkurse an. "Wir stellen für die Teilnehmer einfache Übungen zusammen, die sich leicht in den Alltag integrieren lassen", erklärt Ernst. Allerdings werden klassische Führungskräfteseminare stärker nachgefragt als Fitnesskurse. "Manche denken über diese Möglichkeit erst nach, wenn sie die ersten Wehwehchen plagen oder die Gürtelschnalle kneift", so der Eindruck von Ernst.

Laut einer Befragung der Akademie interessieren sich 90 Prozent für einen vom Unternehmen angebotenen, jährlichen Gesundheitscheck. Bei der CSC Ploenzke AG gehören seit letztem Jahr verschiedene Angebote vom kostenlosen Sehtest über Arbeitsplatzanalysen und Programme zur Gesundheitsförderung dazu. "Wir möchten das Angebot noch ausdehnen und erarbeiten hierzu weitere Konzepte", berichtet Bettina Kiedrowisz vom Zentralbereich Personal. Angebote und Informationen stehen den Mitarbeitern über das Intranet zur Verfügung. "Dort können sich die Kollegen beispielsweise für Blutdruck-, Blutzucker- und Körperfettmessungen anmelden. Außerdem gehören Stress-Management-Seminare, Ernährungsanalysen und ganzheitliche Trainingsprogramme zur Steigerung und langfristigen Erhaltung der persönlichen Leistungsfähigkeit, Belastbarkeit und Ausdauer dazu", so Kiedrowisz. "Die Gesundheitschecks finden große Resonanz bei unseren Mitarbeitern", freut sie sich.

*Ingrid Weidner ist freie Journalistin in München.