Firmengründung in der neuen New Economy

01.02.2002 von Manfred Bremmer
MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Während die Risikokapitalgeber hierzulande vielfach noch auf Tauchstation sind und ihre Wunden lecken, ist Guy Kawasaki, CEO der US-Risikokapitalgesellschaft Garage Technology Ventures bereits einen Schritt weiter und analysiert die begangenen Fehler sowie die Konsequenzen für Startups und Finanziers.

Der frühere Apple-Fellow und Autor von Büchern wie "How to drive your competition crazy" und "Rules for revolutionaries" stellte auf dem Munich Network Forum seine Thesen zu den Unterschieden in der Unternehmensgründung einst - also vor dem Börsen-Crash und dem Platzen der Dotcom-Seifenblase - und jetzt vor:

Vergleicht man die gesamte Gründerszene mit einem Krankenhaus, so befanden sich die Startups laut Kawasaki zwischen 1997 und 1999 im Kreissaal und warteten auf die Niederkunft. Teils waren Frühgeburten dabei, teilweise brachten die jungen Gründer aber auch gesunde kräftige Babys auf die Welt. Heute finden sich hingegen viele Startups als Patienten in der Notaufnahme wieder, meint der Garage-CEO. Auch der Schwerpunkt der Geschäftsideen habe sich drastisch verändert: Verglichen mit Medikamenten, suchen die Investoren jetzt nicht mehr nach Vitaminen, sondern nach Schmerztabletten. So seien Anwendungen, die das private und berufliche Leben einfacher machen sollen, kaum noch gefragt. Dringend benötigt würden jetzt vielmehr Lösungen, die versprechen, vorhandene Missstände zu beseitigen!

"Jetzt ist der ideale Zeitpunkt, um ein Unternehmen zu gründen." Guy Kawasaki, CEO von Garage Technology Ventures.          Quelle: Munich  Network

Auch die Schlüsselanwendung bei der Präsentation sieht der Marketing-Guru verändert: Vor dem Platzen der Dotcom-Seifenblase habe Powerpoint dominiert, heute spiele Excel die wichtigste Rolle - gilt es doch, den potenziellen Geldgeber anstatt mit poppigen Slides über zukünftige Märkte jetzt mit harten Facts, sprich finanziellen Basistabellen, zu beeindrucken. Genügte es damals offenbar, das Wort Internet oder E-Commerce in den Mund zu nehmen, stehe nun primär das Unternehmen und nicht allein das Marktsegment im Vordergrund.

Einst die goldene Regel der VCs bei Investments laut Kawasaki: Wer das erste Geld in eine Firma gesteckt hat, hat das Sagen! Statt dessen gelte nun: Wer das letzte Geld investiert hat, schafft an! Ein weiteres Bild des gebürtigen Hawaianers: In der guten alten Zeit sah man Zwischenfinanzierung wie eine Brücke an: Sie wurde benutzt, um weiterzukommen. Heute entspricht sie vielmehr einem Steg: Man lädt das Geld ab und es ist für immer weg.

Etwas konkreter wird Kawasaki, wenn es um Tipps für Startups geht, trotz der bereits aufgeführten Schwierigkeiten an Fördermittel zu kommen: Derzeit habe ein junges Unternehmen kaum Chancen, an Venture-Capital zu kommen, wenn es noch keine Profite schreibt oder mindestens Jahresumsatz von zwei bis drei Millionen Dollar vorweisen kann, meint er. Ausnahmen gäbe es höchstens bei einem Großkunden im Portfolio. Da die VC-Branche nun sehr konservativ geworden sei, ist es hilfreich, von Bekannten oder Freunden vorgestellt zu werden. Außerdem sollte man eifrig bemüht sein, altes Beteiligungswirrwarr an der Firma aufzuräumen und klaren Tisch machen.

Die Risikokapitalgeber hätten mittlerweile auch starke Bedenken, wenn junge Gründer keine Investoren vor Ort suchen: Wenn ein Startup keinen Kapitalgeber in der eigenen Stadt findet, muss an der Geschäftsidee oder dem Businessplan etwas faul sein.

Ein weiterer - auf den ersten Blick - sexistisch anmutender Tipp des Garage-CEOs: Um eine Chance zu haben, müsse das vorgestellte Geschäftsmodell auch für eine Frau verständlich sein. So sei es in der DNA des Mannes verwurzelt, Konkurrenten zu bekämpfen und zu vernichten. Ein Unternehmen werde primär gegründet, um ein anderes vom Markt zu fegen. Ob das Geschäftsmodell jedoch noch andere Vorteile aufweisen könne, erkennt nur eine Frau, erklärt Kawasaki. Ganz anders verhalte es sich mit der dahinterliegenden Technik: Wenn die VCs eine Technologie verstehen, ist sie bereits nicht mehr förderungswürdig!

Trotz aktuell offensichtlich dringend erforderlicher Erklärungsnöte und dem geforderten finanziellen Exhibitionismus sollte sich ein Gründer kurz fassen: Eine Seite E-Mail zur Kurzvorstellung, ein 20-seitiger Businessplan und bei einem Termin vor Ort eine 20-seitige Powerpoint-Präsentation. Bei einem Slide pro Minute verbleiben so noch 40 Minuten, um über die Finanzierung zu diskutieren. Außerdem sei es nicht unbedingt negativ, zu gestehen, dass es im angestrebten Markt bereits Konkurrenz gibt. Im Gegenteil: Wer nicht zugibt, dass es Wettbewerb im anvisierten Segment gibt, hat laut Kawasaki kaum Chancen. Eine mögliche Schlussfolgerung der VCs wäre etwa, dass der aufgezeichnete Markt gar nicht existiert. Im schlimmsten Fall denken die Investoren, dass die Gründer schlichtweg nicht einmal in der Lage sind, zu recherchieren.

Kommt es zu einer Finanzierung, sollten die Gründer alles nehmen, was sie angeboten gekommen: die Vergangenheit beweise, dass bislang nur selten eine Firma an zuviel Geld zugrunde gegangen sei. Aber auch Bescheidenheit habe seine Vorteile, meint der Garage-CEO: Kalkuliert ein junges Unternehmen mit einem geringeren Finanzbedarf, als es eigentlich benötigt, habe es im Falle einer Pleite immer eine gute Ausrede. Außerdem seien die Newcomer dadurch von Anfang an gezwungen, mit dem Geld hauszuhalten.

Guy Kawasakis Top-ten-Lügen von Gründern

1. Unsere Vorstellungen sind sehr konservativ.

2. Laut Prognosen von Jupiter wird unser Markt bis 2003 auf 50 Milliarden Dollar anwachsen.

3. Amazon.com wird unseren Vertrag in der nächsten Woche unterzeichen.

4. Wichtige Mitarbeiter wollen einsteigen, sobald wir Fördergelder erhalten.

5. Wir haben den First-Mover-Vorteil.

6. Andere VCs haben bereits ihr Interesse bekundet.

7. Oracle ist zu langsam, um eine Bedrohung für uns zu sein.

8. Wir sind froh, dass die Dotcom-Blase geplatzt ist.

9. Unsere Patente machen unserer Geschäft unangreifbar.

10. Uns reicht ein Prozent vom Markt.

Die Lügen der VCs würde laut Kawasaki den Rahmen einer Top-Ten-Auflistung sprengen.

Unter dem Strich sieht Kawasaki zwischen der Situation für junge Hightech-Firmen jetzt und vor fünf Jahren keine großen Unterschiede - psychologisch sei dagegen einiges passiert. Außerdem gab es in der Vergangenheit bereits Pleiten und hohe Kurseinbrüche an den Börsen: So wurde etwa nach dem Börsenkrach im Oktober 1987 Cisco gegründet.

Nach der Goldgräberstimmung der letzten Jahre müssen ein Startup nun als Anforderungen wieder eine gute Technologie vorweisen und einen Hang zum Masochismus besitzen, anstatt dem "Quick Money" hinterher zu jagen. Tatsächlich gäbe es auch Vorteile aus der derzeitigen Situation: So sei der Wettbewerb geringer geworden, die Erwartungen nicht mehr himmelhoch und es sei wieder leichter geworden, an gute Mitarbeiter zu kommen.

Obwohl Kawasakis Unternehmen mittlerweile von einer starken Dotcom-Gewichtung auf eine ausgeglichene Mischung im Firmen-Portfolio gewechselt ist, kann er nach wie vor gute Gründe für ein Internet-basiertes Geschäftsmodell aufzuzählen: Wie könnten wir ohne Internet leben, meint er. So sei man in den 40er Jahren, als es zu den Pleiten bei den großen Autoherstellern kam, auch nicht wieder auf das Pferd umgestiegen. (mb)