Studie besagt: KVP mittlerweile selbstverständlich

Firmen reden nicht mehr nur von Re-Engineering

19.07.1996

Die Anforderungen an moderne Firmen sind bekannt: In der Unternehmensstruktur muß eine stärkere Prozeßorientierung die traditionelle Dominanz der funktionalen Gliederung ablösen. Hierarchien sind in ihren bürokratischen Auswüchsen abzubauen übersichtliche, steuerbare Einheiten müssen gebildet werden. "Just-in-time"-Prinzipien sollten in allen Gliedern der Leistungskette verwirklicht und eine präventive Qualitätssicherung in allen Phasen von Produktion und Dienstleistung praktiziert werden. Zudem gilt es, die Arbeit - unter Berücksichtigung der Entlohnung und Arbeitszeitregelung - neu zu organisieren.

Entsprechende Passagen lassen sich in fast jedem Business-Re- Engineering-Lehrbuch finden gleichwohl dienen diese, wenn man so will, Platitüden den Agamus-Unternehmensberatern im Vorwort ihrer Studie als Hilfsmittel zur Problembeschreibung. Fast alle (deutschen) Unternehmen sprechen demnach über Business Re- Engineering, viele praktizieren es auch - aber die meisten, die mitreden können, verstehen darunter etwas anderes und subsumieren die eingeleiteten Maßnahmen unter unterschiedlichen Begriffen und Etiketten.

Gerade auch deshalb haben sich die in Starnberg bei München ansässigen Consultants im Rahmen ihrer Untersuchung für KVP als gemeinsamen Oberbegriff der diversen Business-Re-Engineering- Methoden entschieden. So lasse sich vermeiden, daß "alternative Ansätze ausgegrenzt und eine bei diesem Thema vielfach zu beobachtende polemische Methodendiskussion angeheizt wird". Primäres Ziel der Studie (insgesamt 755 deutsche Unternehmen wurden während der zweiten Jahreshälfte 1995 befragt, 309 machten Angaben zu ihren Erfahrungen mit dem KVP) war es dabei, die Auswirkungen von zum Teil ganz unterschiedlichen Re-Engineering- Methoden auf die Geschäftsprozesse herauszuarbeiten.

Den Beratern zufolge ist Business Re-Engineering nach wie vor ein Topthema in deutschen Firmen - wenn auch erst auf den zweiten Blick. Immerhin gab fast die Hälfte (43,4 Prozent) der befragten Unternehmen zunächst an, nichts mit großangelegten KVP-Maßnahmen am Hut zu haben. Erst bei telefonischen Nachfragen habe sich, so die Agamus-Experten, gezeigt, daß ein Teil dieser Firmen KVP "noch nicht" eingeführt hat oder "gerade dabei ist", entsprechende Prozesse in Gang zu setzen. Und wenn KVP-Projekte laufen - auch das ist eine wesentliche Erkenntnis der Studie - werden sie in aller Regel auf Management-Ebene nicht allzu hoch eingestuft respektive "politisiert". Vielfach existierten eine Vielzahl kleinerer Projektgruppen oder sonstige Formen von Teamarbeit, während von der Institutionalisierung des KVP meistens Abstand genommen wird.

Für die Autoren der Studie bedeutet dies zweierlei. Erstens hätten die Firmen das japanische "Kaizen"-Prinzip verinnerlicht, würden sich also nicht so sehr um strategische und damit oft praxisferne Re-Engineering-Debatten kümmern, sondern um konkrete Fortschritte. Nicht "Was kann ich anders machen?" laute die Leitfrage, sondern "Wie kann ich es besser machen?" Zweitens ist nicht nur dort, wo explizit über KVP gesprochen wird, ein solcher Prozeß im Gange. Viele Unternehmen praktizieren mit unterschiedlicher Konsequenz und Dichte schon länger Maßnahmen, die dem KVP-Gedanken entspringen oder ähneln, oft bleiben dies aber einzelne Elemente ohne strategisches Gesamtkonzept, heißt es.

Wie auch immer KVP definiert und im Einzelfall akzentuiert wird, in ihrer Erwartungshaltung sind sich die Firmen weitgehend einig: Sie versprechen sich davon eine bessere Motivation der Mitarbeiter und - als Folge daraus - Qualitätsverbesserung sowie Effizienzsteigerung. Bei 93 Prozent der befragten Unternehmen ist der KVP, in welcher Form auch immer, ein signifikantes Thema für die Produktion, und auch die Bereiche Planung und Steuerung, Einkauf und Beschaffung sowie zentrale Dienste sind bei mehr als der Hälfte der Firmen an den KVP-Zug gekoppelt (siehe Abbildung "KVP-Bereiche"). Schlußlichter sind momentan noch Marketing und Vertrieb, obwohl dort laut Studie immerhin auch schon 52 Prozent der Unternehmen KVP-Experimente eingegangen sind.

Interessant ist auch das Ausmaß, in dem die Belegschaft in den KVP einbezogen wird. Bei 61 Prozent der befragten Firmen lag die Zahl der in KVP-Aktivitäten engagierten Mitarbeiter unter 20 Prozent. Gleichzeitig steigt dieser Wert aber proportional zum jeweiligen "KVP-Alter". Hieraus läßt sich nach Angaben von Agamus Consult ableiten, daß dem KVP eine Tendenz zur Ausbreitung innewohnt.

Wie schnell und umfassend allerdings ein Unternehmen vom KVP durchdrungen wird, hängt von verschiedenen Faktoren ab: von der Einstellung der Führungskräfte, vom sichtbaren Erfolg des Konzeptes und der Akzeptanz bei den Mitarbeitern. Am guten Willen der Initiatoren von KVP-Projekten mangelt es der Untersuchung zufolge jedenfalls nicht: Mehr als 40 Prozent der befragten Firmen gehen mit ihrer Zielformulierung aufs Ganze und wollen zwischen 81 und 100 Prozent ihrer Belegschaft in den KVP integrieren.

Wie stufen sie nun aber die quantitativen und qualitativen Auswirkungen des KVP ein? Zumindest als Kostenbremse scheint er die in ihn gesetzten Erwartungen zu erfüllen. Die überwältigende Mehrheit der Unternehmen gab an, mit KVP-Maßnahmen zum Teil erhebliche Einsparungen zu erzielen. Lediglich zwei Prozent kamen zu keiner Kostenreduktion. Über ein Drittel der Firmen sparte mit KVP wenigstens fünf Prozent an Kosten ein, mehr als ein Viertel konnte die Ausgaben um zehn Prozent, ein weiteres Fünftel um bis zu 15 Prozent senken.

Ähnlich sieht es in puncto Produktivitätssteigerung aus: Nur ein minimaler Prozentsatz der Firmen konnte hier, so die Studie, durch KVP keinen Erfolg verbuchen. Knapp zwei Fünftel der Unternehmen steigerten ihre Produktivität um bis zu fünf Prozent, ein knappes Viertel um bis zu zehn Prozent. Über dieser Marke siedelte noch einmal jede dritte Firma ihre Produktivitätsverbesserung an. Gleichzeitig konnte mit 31 Prozent ein knappes Drittel der Unternehmen die Durchlaufzeiten um bis zu fünf Prozent reduzieren. Weiteren 21 Prozent der Firmen gelangen Verkürzungen um bis zu zehn Prozent noch einmal 23 Prozent erzielten bei ihren Bemühungen um mehr Effizienz Ergebnisse von bis zu 20 Prozent.

Weniger erfreulich sieht es indes bei den Auswirkungen von KVP- Maßnahmen auf die Umsatzentwicklung aus. Knapp die Hälfte der Firmen erzielte mit dem KVP keine Umsatzsteigerung, nur rund acht Prozent der Unternehmen erreichten Zuwachsraten von mehr als zehn Prozent.

Für die Autoren der Studie sind die Ergebnisse leicht zu erklären: Faktoren wie Kosten und Produktivität seien feste und damit auch relativ leicht zu verändernde Einflußgrößen, während die Umsatzentwicklung stets auch von nur schwer zu beeinflussenden externen Marktmechanismen abhänge. Außerdem habe KVP sogar bei den Nachzüglern Marketing und Vertrieb teilweise doch schon zu nachweisbaren Umsatzsteigerungen geführt.