FH Furtwangen: Wir sind zum Erfolg verdammt

16.03.2001 von Judith Rauch
An der Fachhochschule Furtwangen zu studieren heißt: kleine Klassen, moderne Themen, interessante Projekte, gute Berufsaussichten. Es heißt aber auch: strenge Prüfungen und wenig Freizeit. Heraus kommen Informatiker der Spitzenklasse, wie Manager wissen.

In dem Schwarzwaldstädtchen Furtwangen ist dieses Jahr der Winter ausgefallen. Statt meterhohen Schnees herrscht Mitte Februar strahlender Sonnenschein. Auch die Augen von Prorektor Werner Ruoss strahlen: Dass seine Fachhochschule beim COMPUTERWOCHE-Ranking erneut als beste abgeschnitten hat, macht ihn stolz. Schließlich hat Furtwangen eine Tradition zu verteidigen: Auf ”150 Jahre Innovationskultur” blickte die FH im vergangenen Jahr zurück, als das Jubiläum der 1850 als Uhrmacherschule gegründeten Lehranstalt gefeiert wurde.

Es sind schon merkwürdige Kontraste: In Furtwangen leben gerade mal 10 000 Einwohner, eine idyllische Provinzstadt. Aber die Fachhochschule mit ihren 2600 Studenten hat Kontakte zu mehr als 60 Universitäten im Ausland. Der Ort hat nicht einmal einen Bahnhof. Doch von hier aus machte sich vor drei Jahren, in die Lüfte gehoben von einem Bundeswehrhubschrauber, ein Trimaran auf den Weg, um führerlos die Weltmeere zu befahren, ferngesteuert von einem interdisziplinären Projektteam aus Studenten und Professoren der FH.

Von der Uhrmacherei kündet heute nur noch ein Museum. Aus der Uhrmacherschule wurde eine Ingenieurschule, an der bereits 1891 Elektrotechnik, 1926 Radiotechnik und 1969 ”Informatorik” unterrichtet wurden. Da wundert man sich nicht, dass die heutige Hochschule für Technik und Wirtschaft die modernsten Studiengänge aufweist, welche die Wirtschaft sich nur wünschen kann: Online-Medien, Wirtschaftsnetze, Business Consulting kann man hier studieren, neben Klassikern wie Maschinenbau, allgemeiner Informatik und internationaler Betriebswirtschaft. Neben dem deutschen Diplom wurden internationale Abschlüsse wie MBA und Bachelor of Computer Science eingeführt.

”Gerade weil wir in der Diaspora liegen, sind wir zum Erfolg verdammt”, erklärt Helmut Kernler, Professor am Fachbereich Wirtschaftsinformatik, das Phänomen Furtwangen. Durch höchste Lehrqualität erreiche das Institut einen ”hohen Durchdringungsgrad” in der Region: Handwerker- und Industriellenfamilien aus dem Schwarzwald schicken ihre Söhne traditionell auf die Ingenieurschule – und neuerdings die Töchter auch. Der Frauenanteil liegt mit 20 Prozent für eine technische Fachhochschule relativ hoch. 30 Prozent der Studierenden kommen von außerhalb des 70-Kilometer-Umkreises, elf Prozent aus dem Ausland. Osteuropäer, Chinesen und Inder prägen das Bild.

Christian Unger kam aus dem Ruhrgebiet, Christoph Reitz aus Hessen in den Schwarzwald, um Wirtschaftsinformatik zu studieren. Beide hatten vor ihrer Bewerbung auch Angebote anderer Hochschulen unter die Lupe genommen. Überzeugt wurden sie durch das ”gute Informationsmaterial” (Unger) und den guten Ruf der Schule; Reitz hat sogar gezielt das CW-Ranking von 1997 angefordert. Nun haben die beiden das fünfte Semester und die abschließenden drei Prüfungswochen hinter sich. Sie haben sich an den Leistungsdruck und die ländliche Umgebung gewöhnt. ”Die Gegebenheiten sind hier schon darauf angelegt, dass man viel Zeit zum Studieren hat”, spottet Reitz, der ”nebenher” Vorstand einer studentischen Consulting-Firma ist. Von den rund 100 Kommilitonen, die mit Unger und Reitz das Grundstudium aufgenommen haben, sind nur 30 übrig geblieben. ”Da wurde schon gesiebt”, sagen die beiden. Inzwischen wurde in ihrem Fach ein Numerus clausus eingeführt, und nur die Bewerber mit den besten Abiturnoten werden aufgenommen. 35 Studenten pro Studiengang und Semester ist die Richtgröße, welche die FH Furtwangen anstrebt, weil sie sich bewährt hat.

Werner Ruoss

Gesiebt wird auch bei den Professoren, wie Prorektor Ruoss erläutert. Die Anforderungen sind hoch: Universitätsabschluss und Promotion werden in aller Regel verlangt, fünf Jahre Berufserfahrung sind ein Muss. Der Kandidat muss Interesse am wissenschaftlichen Arbeiten haben, zeitaufwendige Lehrverpflichtungen übernehmen, und das bei einem gegenüber den Gehältern in der Wirtschaft schmalen Salär. Ein Beraterjob nebenher ist erlaubt, aber, so schränkt Ruoss ein, ”nur einen Tag in der Woche”. Dass ihre Hochschule es sich leistet, bei den Lehrkräften wählerisch zu sein, auch wenn sie manchmal ein wenig länger suchen muss, wissen die Studenten zu schätzen. Einmütig schwärmen Unger und Reitz von der ”hohen Qualifikation” ihrer Professoren und dem ”immensen Erfahrungspotenzial, das man abschöpfen kann”.

Das lässt sich auch in der Praxis beobachten. Im Videostudio des Fachbereichs ”Digitale Medien” hat sich ein Grüppchen Studentinnen versammelt, um alte Fotos und Dokumente abzufilmen. ”Abfilmen ist besser als einscannen”, erklärt ihnen der Studioleiter, der einst als Kameraassistent beim Rundfunk gearbeitet hat. ”Die Fotos wirken dann weniger starr, und man kann durch die Beleuchtung besondere Effekte erzielen.” Der Dokumentarfilm über die Geschichte der Hochschule, den die angehenden Medieninformatikerinnen drehen, ist eines der Praxisprojekte, die als Pflichtbestandteil zu ihrem Studienplan gehören. ”Eine Gruppe von vier bis sechs Studenten arbeitet dabei selbständig an einem Thema”, erläutert Michael Waldowski, der Dekan des Fachbereichs, ”ähnlich wie in einer kleinen Firma.”

Der Vergleich ist bewusst gewählt. Denn dass Studenten nach dem Diplom ihr eigenes Internet-Unternehmen gründen, ist bei den Medieninformatikern eher die Regel als die Ausnahme. ”Nach dem Studium?”, stöhnt Wilhelm Walter, der vom Wintersemester 2001 an den neu eingerichteten Studiengang Online-Medien im Fachbereich betreuen wird. ”Manche haben schon im zweiten Semester ihre eigene Firma.” Das Studium wird dann leicht zur Nebensache. Dekan Waldowski sieht es positiv: ”Dieses Problem ist mir lieber als das Gegenteil: dass die Leute nicht unterkommen.” Diese Gefahr besteht indes nicht. Aus ”fünf bis zehn Angeboten” könne jeder seiner Absolventen wählen, schätzt Prorektor Ruoss, und das nicht nur in den Informatikstudiengängen. Mindestens drei verschiedene Betriebe lernt ein typischer FH-Student schon während seines in der Regel vierjährigen Studiums von innen kennen. Dafür sorgen allein schon die beiden vorgeschriebenen Praxissemester, von denen eines gleich im Grundstudium, eines im Hauptstudium zu absolvieren ist.

Alexander Göttel beispielsweise, Student der allgemeinen Informatik im vierten Semester, hat in seinem ersten Praktikum die aufregende ”Atmosphäre im Großraumbüro” von Hewlett- Packard in Sindelfingen genossen und kann sich vorstellen, dort einmal als Softwareentwickler einzusteigen. Seine Kommilitonin Claudia Gärtner war nicht so begeistert von ihrem Praktikum in einem Kleinbetrieb der Region. ”Das zweite Praxissemester will ich unbedingt im Ausland machen, am liebsten in England”, sagt sie. Das akademische Ausland samt der FH wird ihr helfen, die nötigen Kontakte zu knüpfen. Auch die Themen für die Projekte stammen meist aus der Industrie. Da wünscht sich der ”Schwarzwälder Bote” ein virtuelles Museum, eine Münchener Medienagentur bestellt ein Content-Management-System für Lernprogramme, ein frisch gegründetes Startup-Unternehmen braucht eine Patentrecherche – und die Studenten machen es. Als Revanche fließt meist eine Spende in Höhe von mehreren Tausend Mark an die Hochschule zurück.

So sehr reißen sich die Unternehmen um Furtwangener Absolventen, dass bei der letzten Hochschulkontaktbörse im November 2000 der Platz knapp wurde: 60 Firmenstände drängten sich auf der begrenzten Ausstellungsfläche in den Räumen der FH. Große Namen wie Bosch, Commerzbank, Siemens und Lufthansa waren darunter. ”Da können wir nicht mithalten”, dachten sich die Chefs einer kleinen Internet-Agentur aus dem Schwarzwald. Sie bauten stattdessen im Sommer einen Stand auf der kleinen Brücke auf, die gleich bei der Fachhochschule über das Flüsschen Breg führt. Und verschenkten Eiscreme an die dankbaren Studenten.