Experte: DVB-H könnte sofort auf Sendung gehen

23.11.2007
Das Handy-Fernsehen per DVB-H wird den deutschen Mobilfunknutzern schon seit vier Jahren als das nächste große Ding angepriesen. Aber irgendwie verschiebt sich der Sendestart immer wieder. AreaMobile suchte deswegen nach Erklärungen bei Claus Sattler, Geschäftsführer des Branchenverbandes Broadcast Mobile Convergence Forum (bmcoforum) und Deutschlands wichtigster Experte für DVB-H.

Claus Sattler ist Geschäftsführer des Broadcast Mobile Convergence Forum (bmcoforum). Der internationale Verein mit mehr als 110 Mitgliedern aus Mobilfunk, Fernsehen und der Hersteller-Branche hat zum Ziel, dem mobilen Fernsehen auf dem Handy zum weltweiten Durchbruch zu verhelfen. Zu seinen Aufgaben gehört das Lobbying bei Regierungen, wenn mal wieder eine Frequenzvergabe ansteht, und die Koordination der Mitglieder, damit die Sendenetze für DVB-H in den verschiedenen Ländern möglichst kompatibel sind. Schon vor vier Jahren leitete er den weltweit ersten Feldversuch mit DVB-H in Deutschlands Hauptstadt Berlin.

Mit AreaMobile diskutierte er, warum wir das mobile Fernsehen aber immer noch nicht sehen können.

Wie weit sind wir schon mit dem Handy-TV?

Neben DVB-H gibt es weltweit verschiedene Techniken für TV auf dem Handy. In Japan verwenden schon mehr als zehn Millionen Nutzer den lokalen Standard ISDB-T(1-Seg). In Korea gibt es ca. 5,5 Millionen Geräte für terrestrisches Digital Multimedia Broadcasting (DMB) sowie mehr als 1,7 Millionen Nutzer für DMB über Satellit. In den USA bietet Verizon mobiles Fernsehen auf der Basis der von Qualcomm entwickelten Technologie MediaFLO an. In Deutschland bietet die Firma Mobiles Fernsehen Deutschland das DMB-Angebot Watcha an, die Anzahl der Nutzer ist jedoch noch gering. In Großbritannien wird von BT Movio die Übertragungstechnik DAB-IP verwendet. Dieser Dienst wird aber Anfang 2008 eingestellt, weil es zu wenig Interesse dafür gibt und sich für diese spezielle Technologie keine Endgerätevielfalt entwickelt hat.

Und was ist mit dem Standard DVB-H?

Der kommt gut voran, allerdings gibt es bisher erst einige kommerzielle Angebote. Weltweit wurde DVB-H in mehr als 70 Feldversuchen getestet, mehr als jede andere Technologie für Handy-TV. In Italien sehen schon über 750.000 Kunden von 3 Italy regelmäßig Fernsehen per DVB-H auf ihrem Handy. Auch Vodafone und TIM bieten ihren italienischen Kunden mobiles Fernsehen an. In Finnland gibt es ebenfalls Fernsehen per DVB-H. Das kann man bis jetzt noch kostenlos sehen, aber demnächst werden die Inhalte nur noch verschlüsselt und gegen Bezahlung angeboten.

In Südafrika und einigen afrikanischen Nachbarstaaten bietet Naspers kommerzielle DVB-H Dienste an. Darüber hinaus gibt es Angebote in Vietnam und Indien. Selbst aus Uruguay haben wir vernommen, dass man sich für DVB-H entschieden hat. In der Schweiz wurde die Lizenzvergabe beendet und man will zur Fußball-Europameisterschaft im Sommer 2008 mobiles Fernsehen über DVB-H anbieten. Ebenso in Österreich, wo die Ausschreibung noch läuft. Frankreich plant entsprechende Dienste für Ende 2008. In Spanien verzögert sich die Lizenzvergabe leider durch bevorstehende Wahlen.

Und wann können wir in Deutschland endlich DVB-H sehen?

In Deutschland wurden erste Lizenzentscheidungen im Oktober 2007 getroffen. Die Funklizenz für den Betrieb des Netzes ging an T-Systems Media&Broadcast und die Plattformlizenz soll an die Firma Mobile 3.0 vergeben werden. Das ist ein Joint Venture, bestehend aus den Firmen Mobiles Fernsehen Deutschland und Neva Media, des ehemaligen Pixelpark-Chefs Paulus Neef.

Mobiles Fernsehen Deutschland bietet in Deutschland bereits den DMB-basierten Dienst Watcha an und hat jetzt als starken Eigentümer das multinationale Medienunternehmen Naspers aus Südafrika bekommen, das bereits kommerzielle DVB-H basierte Dienste in Südafrika und deren Nachbarn betreibt. Bei Neva Media sind die Verlage Burda und Holtzbrinck beteiligt.

Mobile 3.0 hat sich in der Ausschreibung für den Plattformbetrieb gegen eine Konsortium von drei deutschen Mobilfunkbetreibern durchgesetzt. Jetzt müssen sie T-Systems mit dem Netzaufbau beauftragen und die passenden Inhalte einkaufen oder selbst produzieren. Ziel ist es, zur Fußball-Europameisterschaft im Sommer auf Sendung gehen. Offensichtlich gibt es aber wegen des vor der endgültigen Lizenzvergabe geforderten inhaltlichen Konzepts Probleme, denn die endgültige Vergabeentscheidung wird nun wohl erst Anfang 2008 erfolgen.

Warum kommt das mobile Fernsehen denn so langsam voran? Sie haben ja selbst schon vor vier Jahren den ersten deutschen Feldversuch mit DVB-H in Berlin geleitet.

Neue Technologien werden in der Öffentlichkeit oft schon als neue Killer Application dargestellt, wenn sie gerade erst geboren wurden. Doch die technologische Entwicklung braucht Ihre Zeit für die Marktreife. Darüber hinaus erfordert die Konvergenz von Rundfunk und Mobilfunk neue regulatorische Lösungen. Gerade in Europa tut sich die Politik schwer, die entsprechenden Voraussetzungen zu schaffen. Und in Deutschland haben wir mit den 14 Landesmedienanstalten, die sich abstimmen müssen, ja noch eine spezifische Situation.

Dazu kommt, dass für die mobile Ausstrahlung oft erst die urheberrechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden müssen. Und schließlich ist es auch nicht leicht, die Geschäftsstrategien der aus unterschiedlichen Industrien kommenden beteiligten Unternehmen zum gegenseitigen Vorteil unter einen Hut zu bringen.

Aber gibt es denn überhaupt Endgeräte?

Für den Empfang unverschlüsselter Ausstrahlungen gibt es Endgeräte von mehreren Herstellern. Entsprechende interoperable Lösungen hat das bmcoforum mit seinen Mitgliedern bereits Anfang 2006 auf Messen gezeigt. Das und das N92 können beispielsweise DVB-H problemlos empfangen, wenn es unverschlüsselt ausgestrahlt wird. Sie können sich also so ein Handy bei Ebay kaufen und damit in Finnland oder Indien unverschlüsseltes DVB-H sehen.

Leider gibt es aber verschiedene Standards für die Verschlüsselung. Die eine Option basiert auf den vom Bezahlfernsehen bekannten Lösungen des Conditional Access und ist ab einem bestimmten Level herstellerabhängig. Diese Option wird in Italien eingesetzt und dafür gibt es hauptsächlich Endgeräte von Samsung und LG.

Die zweite, von den meisten europäischen Mobilfunkunternehmen bevorzugte Option basiert auf der Nutzung der SIM-Karte für die Entschlüsselung. Diese Lösung wird neben Samsung und LG auch von Nokia und weiteren Herstellern unterstützt. Leider gibt es bei dieser ?Smartcard Profile? genannten Lösung immer noch keinen stabilen Standard. Trotzdem planen die Hersteller, bis zum Sommer 2008 entsprechende kommerzielle Endgeräte anzubieten.

Wozu denn Verschlüsselung? Meinen Fernseher kann ich doch auch einfach einschalten und losschauen.

Das ist eine Frage des Geschäftsmodells. Weil anfangs die Werbeeinnahmen wegen der kleinen Nutzerzahlen nur gering sein werden, geht man davon aus, dass der Nutzer ein Zugangsentgelt für DVB-H bezahlt. Genauso wie man den Kabelnetzbetreiber fürs Kabelfernsehen bezahlt. Da bei DVB-H das Signal über die Luft ausgestrahlt wird, sichert die Verschlüsselung, dass nur diejenigen es empfangen können, die dafür bezahlt haben.

Allerdings werden wohl in Deutschland die öffentlich-rechtlichen Programme unverschlüsselt ausgestrahlt werden, so dass jeder sie auf seinem TV-Handy empfangen kann.

Womit soll denn das Geld verdient werden bei DVB-H?

Zunächst einmal über das Zugangsentgelt. Mit fortschreitender Nutzerzahl werden aber auch die Werbeeinnahmen steigen. Zusätzlich bietet die Konvergenz von Fernsehen und Mobilfunk viele Möglichkeiten für neue interaktive Dienste und Geschäftsmodelle.

In der Anfangsphase werden wahrscheinlich die bekannten Fernsehprogramme weitgehend unverändert ausgestrahlt, soweit die Rechtesituation es erlaubt. Wir wissen aus den Pilotversuchen, dass die Nutzer das erwarten. Später wird es sicher auch Programme geben, die speziell für den mobilen Empfang konzipiert wurden. Dann wird es auch mehr Interaktivität im mobilen Fernsehen geben, bei der wir bisher noch am Anfang stehen, weil es bisher kaum Standards dafür gibt.

Mit den heute eingesetzten Systemen können die Sender im Fernsehbild nur eine Internet-Adresse mitschicken. Der Zuschauer klickt bei laufendem Programm eine entsprechende Taste an und landet auf der Website des Senders. Das Fernsehprogramm ist unterbrochen.

Zukünftig kann man auch eingeblendete Telefonnummern anklicken und damit gleich eine SMS versenden oder weitere Aktionen auslösen. Dabei geht es darum, dass solche Anwendungen auf den Endgeräten aller Hersteller nutzbar sind. Heute müssen solche Anwendungen für jedes Endgerät neu geschrieben werden, weil es keine Standardschnittstellen gibt. Heutige interaktive Dienste sind proprietär und dienen meist der Demonstration auf einem Endgerät. Beispielsweise hat Neva Media auf der Funkausstellung 2005 die Serie ?Verliebt in Berlin" gezeigt und der Nutzer konnte gleich daneben anklicken, um das passende T-Shirt oder einen Schlüsselanhänger zu kaufen.

Im bmcoforum tragen wir jetzt potentielle interaktive Anwendungsbeispiele zusammen, um sie schrittweise auf der Basis einheitlicher Lösungen auf allen Geräten nutzbar zu machen.

Gibt es denn überhaupt genügend freie Frequenzen für die Ausstrahlung von DVB-H?

In den meisten europäischen Ländern wird bis zum Jahr 2012 das analoge Fernsehen abgeschaltet und weil Digital-TV weniger Bandbreite braucht, werden viele Frequenzen frei. Man bezeichnet das auch als digitale Dividende. Das bmcoforum setzt sich dafür ein, dass ein Teil dieser Dividende für mobiles TV bereitgestellt wird. Doch es gibt natürlich auch noch andere Dienste, für die diese Frequenzen attraktiv sind, beispielsweise für HDTV oder für mobile Breitbandanschlüsse.

Wir haben die Erfahrung gemacht, dass in vielen Länden bei entsprechenden Anstrengungen der nationalen Regulierer auch heute bereits Frequenzen für mobiles Fernsehen verfügbar gemacht werden können. Zumindest in den großen Städten, in denen man ohnehin mit dem Ausbau des Netzes beginnen wird. Das ist auch die Grundlage für die jetzt beginnenden kommerziellen Diensteangebote.

Ist denn nicht die EU dafür zuständig?

Die EU-Kommission hat ein berechtigtes Interesse und wohl auch die Aufgabe, Rahmenbedingen zu schaffen, damit Europa technologisch nicht zurück bleibt. Das unterstützen wir.

Die Kommission hat kürzlich ihre Vorstellungen unterbreitet, wie zukünftig die digitale Dividende für die unterschiedlichen Diensteangebote nutzbar gemacht werden soll. Das UHF-Band des bisherigen analogen Fernsehens soll in drei neue Sub-Bänder aufgeteilt werden. Vereinfacht gesagt, soll ein Sub-Band für mobile Breitbandanwendungen reserviert werden, die anderen beiden für terrestrisches Fernsehen, unterteilt nach hoher und geringer Sendeleistung. Wir sind gerade dabei, unsere eigene Position dazu zu erarbeiten.

Für das bmcoforum ist wichtig, dass mobiles Fernsehen als eine Art des terrestrischen Empfangs angesehen wird, die dem stationären Fernsehempfang gleichgestellt ist. Wenn aber DVB-H nur eine geringere Sendeleistung verwenden darf, dann müssen die Anbieter eine ganz andere Netzarchitektur aufbauen, die viel teurer ist. Zahlreiche Marktforschungen haben gezeigt, dass DVB-H bei einem erfolgreichen Netzaufbau in Deutschland viel mehr mobile Nutzer haben wird als das stationäre digitale Antennenfernsehen DVB-T.

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