Einheitliche Lagerlogistik

Evonik modernisiert Logistik mit SAP EWM

02.05.2013 von Ima Buxton
Das Spezialchemieunternehmen führt die Lagerverwaltungssoftware SAP Extended Warehouse Management ein. Die bislang heterogene Systemlandschaft wird vereinheitlicht.
Foto: Gina Sanders - Fotolia.com

Die Wahrscheinlichkeit für einen durchschnittlichen Verbraucher ist groß, an einem beliebigen Tag mit einem Produkt von Evonik in Berührung zu kommen. Der Essener Spezialchemiekonzern fertigt etwa Superabsorber an, wie sie in Babywindeln zum Einsatz kommen, oder Bindemittel für Heißsiegellacke, die für eine dichte, zugleich aber leicht zu lösende Verbindung zwischen Joghurtbechern und –deckeln sorgen, oder aber Mattierungsmittel für Lacke, die Oberflächen seidenmatt erscheinen lassen. Evonik führt auf seiner Webseite mehr als 80 Produktgruppen auf, mit deren Herstellung und Vertrieb das Unternehmen im Jahr 2012 einen Umsatz von 13,6 Milliarden Euro erwirtschaftete.

Den Spezialchemiekonzern Evonik Industries gibt es seit 2007, doch sind die historischen Wurzeln des Unternehmens vielseitig und reichen bis in die Anfänge der deutschen Industriegesellschaft in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zurück. Zu den Vorgängerunternehmen von Evonik zählt etwa die bereits 1873 gegründete Degussa oder die 1907 gegründete Firma Röhm & Haas, die sich in den 1930er Jahren mit der Erfindung von Plexiglas einen Namen machte, sowie die vor 75 Jahren gegründeten Chemische Werke Hüls.

Heterogene Software-Landschaft verursacht hohen Betreuungsaufwand

Heute betreibt der Spezialchemie-Konzern Produktionsstandorte in 24 Ländern rund um den Globus mit entsprechender Lagerlogistik. Vier Standorte verfügen über Vollautomatik-Lager, in denen unterschiedliche Materialflusssteuerungssysteme zum Einsatz kommen: „Die meisten MFS-Systeme in unserer Lagerlogistik wurden vor mehr als zehn Jahren eingeführt und werden durch externe Dienstleister betreut", erläutert Michael Lehmann, Teamleiter beim internen IT-Dienstleister des Konzerns. "Ebenso alt war die in der Lagerlogistik eingesetzte Software-Landschaft. Ihre uneinheitlichen Systeme führten zu einer hohen Anzahl an Rechnern und Schnittstellen, die einen hohen Betreuungsaufwand erforderten."

Am Evonik-Standort Wesseling ermöglicht es die neue SAP-Lagerlogistiklösung, den Non-Stop-Betrieb an allen Tagen des Jahres aufrecht zu erhalten.
Foto: Evonik Industries AG, Essen

Für den jungen, konsequent auf Spezialchemie ausgerichteten Konzern, war es an der Zeit, auch die IT strukturell und organisatorisch auf gleichzeitig harmonisierte Prozesse des Gesamtunternehmens auszurichten. Das Unternehmen fällte vor diesem Hintergrund zunächst im Bereich der Unternehmensapplikationen eine Entscheidung: An Stelle der zahlreichen eigenständigen ERP-Lösungen an den einzelnen Standorten sollte ein zentrales ERP-System aufgebaut werden, in das künftig die Unternehmensdaten des gesamten Konzerns fließen.

Sukzessive werden daher nun alle großen, bisher dezentralen eigenständigen ERP-Lösungen durch ein neues, intern als „OneERP" bezeichnete System, abgelöst. Bis zum Wechsel des ERP-Systems hatte die Logistik mit den verschiedenen, dezentralen Warehouse-Management-Systemen (WM-Systeme) über Schnittstellen kommuniziert, die als komplexe Eigenentwicklungen ein erhebliches internes Know-how erforderten. Erst durch die Einführung einer zentralen Lösung wurde es möglich, die Schnittstellenvielfalt zu reduzieren.

Das wichtigste Ziel: Vereinheitlichung der Lagerlogistik

Im nächsten Schritt wird nun dieser Bereich der Lagerlogistik vereinheitlicht und mit Standardschnittstellen zum ERP-System ausgerüstet. „Bei der Wahl der Software kam es uns vor allem darauf an, durch die Vereinheitlichung der Lösung Synergieeffekte zu erzielen", führt Lehmann aus. „Unser Ziel war es, Know-how ebenso wie Support nur noch für eine Lösung bereitstellen zu müssen und die Materialsteuerungsfunktionalitäten künftig selbst programmieren zu können, ohne auf externe Partner angewiesen zu sein. Diese Kriterien waren ausschlaggebend bei unser Entscheidung für das SAP Extended Warehouse Management (SAP EWM)."

Der Startschuss für die Entwicklung eines Prototypen des Systems fiel im Oktober 2011. Das eigentliche Projekt begann im Januar 2012 und fand seinen Abschluss mit dem gleichzeitigen Go-Live von SAP EWM in insgesamt vier Lagern, darunter ein Vollautomatik-Lager, an den Standorten in Rheinfelden, Hombourg, Wesseling bei Köln und Bonn im Januar 2013.

„Die gleichzeitige Inbetriebnahme des SAP-Logistiksystems an vier Standorten war ein enormer Kraftakt, und aufgrund einiger Besonderheiten eine große Herausforderung", sagt Lehmann. So galt es SAP EWM in den vier Lagern mit doch sehr unterschiedlichen Lageranforderungen einzuführen – wie Shuttle-Prozess mit Grenzübergang in Rheinfelden, die gleichzeitige Einbindung der SAP-Datenfunk-Software SAP RF in allen vier Lagern sowie die Ablösung des Lagersteuerrechners in Wesseling.

System kann alte und neue Etiketten unterscheiden

Als komplex erwies sich auch die Umstellung der Chargenlogik. Bis Produktivstart galt eine Systematik auf Werksebene. Danach konnte eine Charge in einem Werk zwar nur einmal, unternehmensweit aber durchaus mehrmals vorkommen. Im Neusystem ist die Chargennummer konzernweit eineindeutig. Mit der Umstellung auf „OneERP" änderten sich auch die Materialnummern. Es gelang dem Projektteam, die Anpassung so vorzunehmen, dass Warenetiketten trotz der Änderungen nicht ausgetauscht werden mussten: Das System erkennt, ob es sich um ein altes oder ein neues Label handelt.

Weiterhin gilt für alle vier Lager, dass das Logistik-System in der Lage ist, Prozesse wie Warenein- und -ausgänge unabhängig von der ERP-Lösung zu bearbeiten, etwa wenn das ERP-System sich in einer Wartungspause befindet. Wie wichtig die Eigenständigkeit des Logistiksystems ist, zeigt insbesondere der Standort Wesseling. Dort werden so genannte Schüttgüter, wie gefällte Kieselsäuren, in einem Endlosprozess gefertigt. Da in Wesseling kein Pufferlager vorhanden ist, werden die über automatische Palettier- und Umschrumpfungsanlagen versandfertig verpackten Produkte per Förderbänder in das Hochregallager verbracht. SAP EWM ermöglicht es mit Hilfe der Materialflusssteuerung des Hochregallagers, den Non-Stop-Betrieb an allen Tagen des Jahres aufrecht zu erhalten.

Schnellere Abwicklung bei schadhaften Paletten

Möglich ist an allen Standorten auch die mobile Datenerfassung mittels Handhelds, die Arbeitsabläufe erheblich vereinfacht. Beispiel Bruchabwicklung: Kommen eine Palette oder ein Produkt darauf zu Schaden, darf jene nicht auf den LKW weiter verladen werden. Muss in vielen anderen Systemen der Bruch manuell an einem stationären Terminal gemeldet und eine neue Palette angefordert werden, geschieht dies im Evonik-System vollautomatisch über Scannen des jeweiligen Palettenetiketts und Betätigen einer Funktionstaste am Scanner. Die Wartezeit bis zur Bereitstellung einer neuen Palette verringert sich erheblich.

Die Steuerung komplexer Projekte wie in der Evonik-Logistik kann so minutiös wie möglich geplant werden – die Auswirkungen der vielen einzelnen Programmierschritte auf den Betrieb der Fördertechnik kann jedoch manche Überraschung bedeuten. Die Evonik IT hat alle Prozesse deshalb vor dem Go-Live mit der Fördertechniksimulations-Software SAP SPS auf ihre Funktionsfähigkeit und Zuverlässigkeit überprüft. „Das Test-Tool ermöglicht uns, Tests der Materialflusssteuerung durchzuführen, ohne die Anlage vorübergehend stilllegen zu müssen. Auf diese Weise konnten wird die Programmanpassungen in der Materialflusssteuerung auf Fehlfunktionen überprüfen. Diese Tests waren für uns unverzichtbar und sind es auch weiterhin im laufenden Betrieb." Auch in der aktuellen Betreuungsphase werden Simulationen durchgeführt, wann immer Anpassungen vorgenommen werden.

Change-Management als Erfolgsfaktor

Die Neuerungen in der Logistik waren indes nicht nur für die Evonik IT eine Herausforderung. „Für die Endanwender bei der Evonik blieb kein Stein auf dem anderen", beschreibt Lehmann die Umsetzungsphase im vergangenen Jahr. „An der Komplexität des Systems hat sich gegenüber dem Altsystem nichts geändert, da die daran angeschlossene Technik ja dieselbe ist. Unsere Mitarbeiter mussten sich also auf ein neues Tool einstellen, ohne entscheidend von Vereinfachungen profitieren zu können." Die Einführungsphase von SAP EWM im Januar 2013 fiel überdies in eine Zeit, in der in den Lagern hohe Umsätze zu verzeichnen waren, die für sich genommen schon eine hohe Arbeitsbelastung darstellten. Darüber hinaus ergaben sich mit dem Wechsel auf ein harmonisiertes ERP-System auch umfangreiche Änderungen in den unterlagerten Prozessen. Die Evonik setzte deshalb auf umfangreiche Schulungsmaßnahmen und ein ausgedehntes Change-Management, das den Umbau in der IT mit zahlreichen Aktivitäten unterstützte. In dem Vollautomatik-Lager ist darüber hinaus bis heute eine Vor-Ort-Betreuung verfügbar.