News von der Devcon3

Ethereum, quo vadis?

14.12.2017 von Dirk Röder, Dr. Christoph Niemann und Florian Maier  IDG ExpertenNetzwerk
Im Gegensatz zu heute herrschte im Jahr 2013 die Meinung vor, dass Blockchains eine Lösung sind, für die das Problem erst noch gefunden werden muss.

Die berühmteste Kryptowährung Bitcoin schaffte damals das erste Mal den Sprung über die 1000-Dollar-Marke, was auch zu medialer Aufmerksamkeit führte. Die Bitcoin-Anhänger wähnten die digitale Währung bereits damals als Weltreservewährung, was so ziemlich dem einzigen bekannten Anwendungsfall entsprach und in der Finanzwelt als auch der breiten Bevölkerung lediglich ein Achselzucken auslöste.

Quo vadis, Ethereum?
Foto: Wit Olszewski - shutterstock.com

Ethereum - was ist das eigentlich?

Es war etwa zu dieser Zeit, als ein gewisser Vitalik Buterin sich anschickte, die Blockchain-Technologie als Basis für ein Ökosystem neu zu entwickeln. Das Ergebnis: Ethereum - die aktuelle Nummer zwei der Kryptowährungen mit dem digitalen Token "Ether" und einer Marktkapitalisierung von knapp 29 Milliarden Euro. Die Zielsetzung des Ethereum-Teams unterscheidet sich dabei fundamental von der des Bitcoin-Projekts: Der sogenannte "World Computer" ist explizit für eine Vielzahl von Anwendungsfällen konzipiert. Dazu gehört die Erstellung von Crowdsales, die Erstellung eigener auf Ethereum basierender Token oder auch digitale Stimmabgaben in dezentralen, autonomen Organisationen (DAOs).

Kurz nach Veröffentlichung des Whitepaper von Buterin fanden sich weitere Entwickler, um der Idee Leben einzuhauchen. Aus diesen Bemühungen entstand die Ethereum-Foundation in Form einer Schweizer Non-Profit-Organisation, die heute weltweit die Weiterentwicklung dieses Ökosystems vorantreibt. Bei der Foundation handelt es sich um eine Stiftung, deren Ziel die Bereitstellung der Rahmenbedingungen und Werkzeuge für das Ökosystem ist.

Auch das Kernteam ist mittlerweile gewachsen und besteht aus etwa 30 Entwicklern. Wie so oft sind die ersten Schritte für den Laien wenig revolutionär und weit vom Alltag entfernt. Doch immer mehr Entwickler gesellen sich hinzu und bereichern die Software rund um Ethereum mit Verbesserungen und neuen Ideen.

Devcon3: Entwickler für eine bessere Welt

Wie bei vielen Open-Source-Projekten kommt die dezentral arbeitende Entwicklergemeinde einmal im Jahr im Rahmen eines gemeinsamen Events zusammen. Dementsprechend fand letzte Woche die Entwicklerkonferenz Devcon3 bereits zum vierten Mal (Informatiker fangen mit dem Zählen bei Null an) in Cancun, Mexiko statt. Sie zog zahlreiche Mitglieder des Ethereum-Ökosystems wie Entwickler, Investoren und Startups an.

Neben der Vision für Ethereum ist der einmalige Umstand in der Wirtschaftsgeschichte hervorzuheben, dass die Ethereum-Foundation seit dem Kursstand von circa 100 Dollar für 1 ETH über ein ausreichendes finanzielles Polster verfügt, um ohne externen Eingriff die eigene Vision in Ruhe gemeinsam zu verwirklichen (aktueller Kursstand im Dezember 2017: circa 300 Dollar). Die Agenda geben bestens ausgebildete Entwickler vor, die in finanzieller Unabhängigkeit die Geschichte der Kryptowährung von und mit Vitalik Buterin fortschreiben. Viele dieser Programmierer arbeiten dabei mit viel Idealismus lediglich für ihren guten Ruf innerhalb der Ethereum-Gemeinde und weil sie an der Gestaltung einer besseren Welt teilhaben möchten.

Was ist was bei Blockchain, Bitcoin und Co.?
Ethereum
Eine weitere Kryptowährung, die auf dem Blockchain-Prinzip basiert. Bietet eine Plattform für programmierbare Smart Contracts. Die "Ether" werden von Fans als legitime Nachfolger der Bitcoins angesehen (siehe auch obiges Bild).
Cryptlet
Von Microsoft für die Azure-Cloud entwickelter Service, mit dessen Hilfe Anwender externe Daten in eine Blockchain einpflegen können, ohne ihre Sicherheit und Integrität zu zerstören. Cryptlets können als indvidualisierte Middleware auch von Azure-Anwendern selbst entwickelt werden - in jeder beliebigen Programmiersprache - und sollen die Brücke von der Blockchain hin zu neuen Business-Services in der Cloud schlagen.
Kryptowährung
Digitales Geld, ohne Münzen und Scheine. Mithilfe von Kryptografie wird ein verteiltes, sicheres und dezentralisiertes Zahlungssystem aufgebaut. Benötigt keine Banken, sondern Rechenpower und technische Hilfsmittel wie die Blockchain.
Blockchain
Eine Blockchain ist eine dezentrale Datenbank, die eine stetig wachsende Liste von Transaktionsdatensätzen vorhält. Die Datenbank wird chronologisch linear erweitert, vergleichbar einer Kette, der am unteren Ende ständig neue Elemente hinzugefügt werden (daher auch der Begriff "Blockchain" = "Blockkette"). Ist ein Block vollständig, wird der nächste erzeugt. Jeder Block enthält eine Prüfsumme des vorhergehenden Blocks. <br /><br /> Entwickelt wurde das technische Modell der Blockchain im Rahmen der Kryptowährung Bitcoin - als webbasiertes, dezentralisiertes, öffentliches Buchhaltungssystem aller Bitcoin-Transaktionen, die jemals getätigt wurden.
Bitcoin Core
Die Open-Source-Software validiert die gesamte Blockchain und wurde Anfang 2009 von einem gewissen <a href="http://www.computerwoche.de/a/neue-hinweise-auf-moeglichen-urheber-von-digitalwaehrung-bitcoin,3220391" target="_blank">"Satoshi Nakamoto"</a> unter dem Namen "Bitcoin" veröffentlicht. Bitcoin Core war in C++ zuächst vor allem für Windows-Systeme programmiert worden. Wenig später folgte die Portierung auf GNU/Linux. Weil die Entwickler sich zerstritten, existieren mittlerweile einige Derivate der Bitcoin-Software, unter anderem Bitcoin XT, Bitcoin Unlimited oder Bitcoin Classic.
BigchainDB
Die "skalierbale Blockchain-Datenbank" kann bis zu einer Millionen Schreibvorgänge pro Sekunde verwalten, Petabytes an Daten speichern und wartet trotzdem mit einer Latenzzeit von unter einer Sekunde auf - das alles dezentralisiert verwaltet und bei höchster Datenintegrität. Technische Grundlage ist die Blockchain-Technologie.
Distributed Ledger
Finanz-Fachbegriff für "verteilte Kontoführung". Bitcoin ist ein komplett neuer technischer Ansatz, um Informationen über bestimmte Zuordnungen zu verteilen. Es gibt hier kein klassisches Konto mehr, das zentral bei einer Bank geführt wird, sondern die "Kontoführung" basiert auf einem Netzwerk von kommunizierenden Systemen.
Smart Contract
Ein Computerprotokoll, das Verträge abbilden oder überprüfen oder die Verhandlung eines Vertrags technisch unterstützten kann. Könnte künftig den schriftlichen Vertragsabschluss ersetzen.
R3CEV
Das Startup R3 CEV baut die blockchainbasierte "Global Fabric for Finance". Mit rund 50 Finanzpartnern soll die größte Blockchain der Welt entwickelt werden - ein erster Testlauf mit elf Großbanken, darunter Barclays, Credit Suisse, HSBC, UBS und UniCredit wurde bereits erfolgreich absolviert. R3CEV ist eine strategische Partnerschaft mit Microsoft eingegangen, um Blockchain-Infrastruktur und -Technologie in der Azure Cloud entwickeln zu können.
Ripple
Ein Open-Source-Protokoll für ein Zahlungsnetzwerk - derzeit noch in der Entwicklung. P2P-Zahlverfahren und Devisenmarkt in einem, basiert auf der Kryptowährung "XRP". Ripple-Nutzer sind jedoch nicht auf diese eine Währung festgelegt, sondern können jede beliebige Währung verwenden - also beispielsweise auch Euro, Dollar oder Yen.

Die Stiftung stellt der weltweiten Entwicklergemeinde die Werkzeuge bereit, um Anwendungen mit Mehrwert für die Allgemeinheit zu bauen. Zum Vergleich: Das wäre in etwa so, als würde Apple iPhones verschenken, damit Entwickler darauf Apps entwickeln. Dabei reichen die Ideen von Maschine-zu-Maschine-Kommunikation (M2M), über die Revolution des Energiemarktes bis hin zu wirklich privater Kommunikation in Form von Sprache, Chat oder dem Austausch von Dateien im Netz. Und das alles wird befeuert von einem dezentralen Netzwerk aus Ethereum-Nodes auf der einen Seite und den sogenannten Minern auf der anderen. Eine Regulierung durch eine zentrale Instanz ist nicht möglich.

Der alte "Börsenhase" André Kostolany sagte einst, dass man im Goldrausch nicht in Goldgräber, sondern in Schaufeln und Spaten investieren sollte. In der Krypto-Welt schickt sich Ethereum an, diese Weisheit zumindest teilweise ad absurdum zu führen: Die Schaufeln gibt es gratis, plus Karten für die besten Goldadern. Die Entwickler müssen lediglich graben, also die Bibliotheken nutzen. Grafikkarten-Hersteller wie Nvidia und AMD haben diesen Trend längst für sich erkannt und produzieren dedizierte Hardware für das derzeit noch zur Absicherung des Netzwerks notwendige Grafikkarten-Mining.

Auf der Konferenz selbst stand vor allem die Entwicklung der Kernprotokolls und ergänzender Protokolle im Vordergrund. Neben dem eigentlichen Ethereum-Protokoll entwickeln sich zusätzliche, dezentrale Speicherprotokolle oder auch Protokolle für verschlüsselte Chats.

Das ist neu im Ethereum-Universum

Der geplante Umstieg auf das Konsens-Verfahren Proof-of-Stake war unter dem Namen Casper eins der großen Themen auf der Konferenz. Mit Casper verzichtet Ethereum (laut Planung) vollständig auf den energiehungrigen Konsens via Proof-of-Work.

Die Überlegungen der Ethereum-Vordenker Vitalik Buterin und Vlad Zamfir befinden sich nach wie vor in einem relativ frühen Stadium. Technisch interessierte Leser können die Details bereits in Form der Whitepaper "Casper the Friendly Finality Gadget" (grober Überblick der Funktionsweise), "Automated Censorship Attack Rejection" (insbesondere Resilienz gegen Mining-Angriffe) und "Incentives in Casper the Friendly Finality Gadget" (Details zum Belohnungssystem) im Ethereum Repository auf GitHub einsehen.

Auch wurde das Protokoll Whisper vorgestellt, dessen Name Programm ist. Dessen Entwickler stellten hiermit eine Erweiterung vor, mit der sichere und verschlüsselte Kommunikation über das Ethereum-Netzwerk gewährleistet werden kann. Das Team um das Projekt Status.im macht sich Whisper zu nutze, um den eigenen Ethereum-Browser/Messaging-Client vor Überwachung zu schützen.

Zu guter Letzt ist die Blockchain an sich kein geeigneter Ort für das sichere Speichern großer Datenmengen. Auf der Blockchain werden aufgrund der redundanten Speicherung der Daten auf allen Netzwerkknoten lediglich Hashwerte abgelegt. Doch viele Anwendungsfälle erfordern die manipulationssichere Dateiablage von eben dem Vertrag, dessen Hashwert man in der Blockchain verankert. Auch dieser Forderung hat sich die Ethereum Foundation angenommen und das Protokoll Swarm weiterentwickelt. Swarm stellt als nativer Service innerhalb des Ethereum Web3-Stacks eine verteilte Platform für Speicherplatz und zur Verteilung von Inhalten bereit. Das primäre Ziel von Swarm ist dabei die Bereitstellung von verteiltem und ausfallsicherem Speicherplatz für Anwendungen auf der Blockchain, sogenannte "Dapps".

Das ist aber bei weitem nicht alles. In Zukunft soll Swarm über verschiedene Protokolle unter anderem auch node-to-node-Messaging, Media-Streaming und verteilte Datenbanksysteme für dezentralisierte Ökosysteme bereitstellen. Bei der Vielzahl möglicher Anwendungsfälle verwunderte es daher kaum, dass die P2P-Technologien rund um Swarm am vierten Tag der Konferenz einen eigenen Vortrags-Track erhielten.

Die konservative Kryptowährung

Insbesondere die Vorträge von Vlad Zamfir (Casper) und Vitalik Buterin (Sharding) wurden von vielen Konferenzteilnehmern mit großer Spannung erwartet. In Zeiten von Superlativen, die durch immer mehr ICOs befeuert werden, waren diese dann erfreulich unaufregend und überzeugten mit einem durchdachten, konservativen Plan für den Rollout mit dem Ziel der Weiterentwicklung des gesamten Ökosystems.

Abgerundet wurde die Devcon3-Konferenz mit einer Vielzahl spannender Projekte rund um den "Ethereum World Computer", wie zum Beispiel dezentrale Streaming-Plattformen und Messenger oder die Implementierung der Zero-Knowledge-Technologien aus dem "Zcash"-Projekt, denen ebenfalls ein eigener Track am dritten Konferenztag gewidmet wurde. (fm)