Quereinsteiger

"Es gibt keine Budgets für Sackhüpfen"

23.09.2009 von Hans Königes
Psychologie, Pädagogik oder Theologie studiert und auf Stellensuche im IT-Markt? Quereinsteiger haben es in Krisenzeiten schwer, doch mit SAP-Wissen gibt es Chancen. Zusatzwissen ist gefragt.

SAP-Berater gelten als Könige auf dem IT-Arbeitsmarkt, hieß es noch vor einigen Monaten. Motto: Von Headhuntern umschwärmt, von Firmen fürstlich bezahlt. Mittlerweile hat sich die Situation allerdings geändert, die wirtschaftliche Lage ist längst nicht mehr so rosig. Nach der Prognose des IT-Branchenverbands Bitkom sinken 2009 die Umsätze in der Informationstechnik um 2,2 Prozent, für 2010 wird immerhin mit einem Anstieg von 1,3 Prozent gerechnet.

Gleichwohl ist die Lage für Stellensuchende nicht hoffnungslos. Im Gegenteil: "Der Engpass bei Informatikern bleibt ein ernstes Problem", sagte Bitkom-Präsident August-Wilhelm Scheer bei der Vorstellung einer Studie zur Informatikausbildung in Deutschland im Juni 2009: "Die Hochschulen können den Bedarf von Wirtschaft und Wissenschaft an Nachwuchskräften weiterhin nicht decken."

Zwar waren nach Bitkom-Berechnung Mitte 2008 noch 43.000 Stellen für IT-Spezialisten offen, doch mit der Wirtschaftskrise dürfte der Bedarf kräftig geschrumpft sein. Dennoch werden immer noch IT-Experten mit SAP-Wissen gesucht. Über 900 Stellen mit SAP-Kenntnissen sind zum Beispiel in der Online-Stellenbörse Monster ausgeschrieben, rund 200 bei der Arbeitsagentur.

Jan Koblischke, Bebit: 'Fach- und Methodenkompetenz sind ausschlaggebend.'
Foto: bebit

SAP-Berater ist keine geschützte Berufsbezeichnung, es gibt auch keine Standardausbildung, allerdings zertifiziert SAP Ausbildungskurse. Die normale Ausbildung für die SAP-Beratung besteht aus einem Abschluss in Informatik, Wirtschaftsinformatik oder BWL, doch auch Absolventen anderer Studiengänge haben Chancen. Bei der Bebit Informationstechnik GmbH in Mannheim, einem IT-Dienstleister mit Spezialisierung auf SAP-Projekte, Hosting und Personal-Management, schätzt Jan Koblischke "die Zahl der Quereinsteiger ohne Informatikausbildung für die SAP-Beratung auf fünf bis zehn Prozent aller Bewerbungen. In erster Linie sind es Naturwissenschaftler, also Biologen, Geologen, Physiker, Mathematiker, selten Geisteswissenschaftler, die ungewöhnlichste Bewerbung war ein Konditormeister!"

Bis zu zehn Prozent Quereinsteiger ohne Informatik

Koblischke bei Bebit für Recruiting und Personalentwicklung verantwortlich, nennt als wichtigste Anforderung für SAP-Beratung die Fach- und Methodenkompetenz des Bewerbers: "Wir überprüfen diese Voraussetzungen anhand der Unterlagen und zusätzlich durch Vorlage von Anwendungsbeispielen und durch praxisorientierte Nachfragen." Stephan Reichold hat diese Hürde geschafft, obwohl er mit einem für IT-Experten besonders exotischen Studium aufwartet: Er ist Diplomtheologe und kam von der Westfälischen Landeskirche. Reichold, seit kurzem Teamleiter SAP-HCM bei Bebit, erwähnt seinen Abschluss absichtlich auf seiner Visitenkarte: "Viele sind neugierig und wollen wissen, wie ich von der Theologie zu SAP gekommen bin. Die Landeskirche hatte kein Geld für die Vikariatsausbildung. Ich hätte sieben Jahre auf einen Platz warten müssen - und das ohne Garantie für die Übernahme in den Pfarrdienst." Das war Reichold zu lang, als Alternative sei er als Theologe im Personalwesen gut aufgehoben. Den Sprung in die Praxis ermöglichte eine Umschulung durch das Arbeitsamt mit einer Zertifizierung als SAP-Consultant-HR.

Beate Neufang, IDS Scheer: 'Ich hatte nur geringe IT-Kenntnisse.'

Auch Beate Neufang, bei IDS Scheer für Aris Product Services zuständig, gilt als Exotin in ihrem Beratungsteam: Sie ist Diplompsychologin mit Schwerpunkt Kommunikations-, Medien- und Organisationspsychologie, hat als Magister Französisch und interkulturelle Kommunikation abgeschlossen und drei Jahre in Frankreich studiert und gearbeitet. Bei der schwierigen Stellensuche für Psychologen hat sie ein Bekannter auf den Berufsweg IT und Consulting aufmerksam gemacht. "Das Bewerbungsgespräch war spannend, ich hatte nämlich nur geringe IT-Kenntnisse", gibt Neufang zu, "doch IDS Scheer wollte eine bunte Mischung im Team, das war meine große Chance".

Es war nie einfach, den Auftraggebern zu erklären, dass projektbegleitendes Veränderungs-Management notwendig ist. Kundenkommentare wie "Für Sackhüpfen gibt es kein Budget" zeigten das Klischee, gegen das Neufang als Psychologin in der Wirtschaft ankämpfen musste. Denn Unternehmen verschenken nichts, sie achten auf einen klaren Kosten-Nutzen-Effekt. Durch eisernes Büffeln hat sich Neufang das IT-Fachwissen und das betriebswirtschaftliche Rüstzeug angeeignet.

"Ein Mensch läuft nicht wie ein System"

Neufang: "Weil ich mich in der Technologie und in der Projekt-Management-Methodik inzwischen sicher bewege, kann ich mir den `Luxus` leisten, neben Umsatz, Deckungsbeitrag und Budget vor allem den Menschen im Fokus zu sehen." Der Schlüssel zum Erfolg vieler Projekte steckt für sie in der Erkenntnis, dass "ein Mensch nicht wie ein System läuft und die IT-Lastigkeit für viele Anwender häufig als Problem empfunden wird. Meine psychologische Ausbildung hilft mir, die passenden Maßnahmen zum Projekterfolg zu konzipieren und umzusetzen."

Der IDS-Scheer-Beraterin hat der Wandel von der Technik- zur Serviceorientierung beim Einsatz der Informationstechnik in den Unternehmen und die Fokussierung auf Geschäftsprozesse geholfen; das Interesse an Zusatzwissen und die Chancen von Quereinsteigern sind damit gestiegen. Dabei spielen Themen wie Change-Management, Beratungsmentalität und Sozialkompetenz in der Praxis eine immer wichtigere Rolle.

Pädagogische Fähigkeiten sind nützlich

Auch Hans-Heinrich Luker hat Freude am Umgang mit Menschen. Als Technikfan war für den Teamleiter "General Accounting” in der Abteilung "Accounting & Controlling Solutions" bei Bayer Business Services in Leverkusen das IT-Wissen keine besonders hohe Hürde beim Einstieg in die SAP-Welt. Luker hat in Münster die Lehramtsfächer Chemie und Geografie studiert und 1987 das Referendariat erfolgreich absolviert. "Die Einstellungssituation für Lehrer war damals ziemlich trostlos", berichtet der Pädagoge. "Freunde haben mich ermutigt, meine Zukunft im IT-Umfeld zu suchen." SAP-Software war damals in vielen Unternehmen Thema. Nach der Umschulung auf betriebswirtschaftliche Informatik durch das Arbeitsamt kam Luker zu seiner ersten Arbeitsstelle bei ICI, dem ersten SAP-Kunden. Eine seiner anspruchvollsten Aufgaben der jüngeren Vergangenheit war die Einführung von SAP in der Buchhaltung der im Aufbau befindlichen Bayer-Niederlassung in Shanghai. Heute leitet er bei Bayer Business Services ein Team mit rund 30 Mitarbeitern.

Hans Heinrich Luker, Bayer Business Services: 'Mein Pädagogikwissen half mir sehr gut weiter.'

Pädagogische Fähigkeiten sind dabei natürlich besonders nützlich. "Schüler sind äußerst kritische Zuhörer", erinnert sich Luker, "es kommt darauf an, den Lehrstoff verständlich rüberzubringen. Das hilft mir noch heute." So spielt zum Beispiel bei der Präsentation von Arbeitsergebnissen mit Powerpoint das erlernte Wissen um das Tafelbild noch immer eine nützliche Rolle.

Auch für den Theologen Reichold ist die menschliche Komponente wichtig. Als Ergebnis des Studienabschlusses nennt er das hohe Verantwortungsgefühl und "die Fähigkeit, komplexe technische Sachverhalte in Bilder zu übertragen, das schon in der Theologie grundgelegte Verständnis für systemische Zusammenhänge und das Wissen, wie man einen Sachverhalt aus mehreren Perspektiven beleuchtet." Methodenkompetenz und Moderationserfahrung beruhen auch auf der Art, wie im Theologiestudium selbstverantwortlich studiert wurde.