"Es gibt keine Alternative zum Nearshoring"

01.09.2004
Die Münchner sd&m AG wächst seit Jahresanfang wieder mit der Entwicklung von Individuallösungen für Großkunden und plant daher Einstellungen, viele davon in Polen. Vorstandsvorsitzender Edmund Küpper erläutert den CW-Redakteuren Gerhard Holzwart und Sascha Alexander die Gründe.

Will 150 neue Mitarbeiter einstellen: Edmund Küpper, Vorstandsvorsitzender der sd&m AG.

CW: Wie schätzen Sie die derzeitige Situation im IT-Servicemarkt ein? Ist der Preisverfall gestoppt und zieht der Markt wieder an?

KÜPPER: Das Geschäft hat sich belebt. Ich sehe aber keinen starken und nachhaltigen Trend. Es ist nach wie vor ein sehr fragiler Markt, der auch sehr schnell wieder erschüttert werden kann. Wir haben schon in der Vergangenheit erlebt, das Softwareentwicklungs- und insbesondere Beratungsprojekte von heute auf morgen gestoppt wurden. Es bleibt eine gewisse Vorsicht.

Ich habe das Gefühl, dass der enorme Preisdruck etwas nachlässt. Doch wenn sich der Offshore- und Nearshore-Trend in der erwarteten Form einstellen wird, steigt der Druck auf die Preise wieder. Wir werden im IT-Servicemarkt in den nächsten Jahren weiter in wechselhaftem Wetter segeln.

CW: Wie sieht denn die derzeitige Entwicklung bei sd&m aus?

KÜPPER: Das Geschäftsjahr 2004 ist aus sd&m-Sicht sehr gut angelaufen und setzt sich auch positiv fort. Wir haben zwei schwierige Jahre hinter uns, wenngleich uns die Krise nicht so sehr getroffen hat wie andere Unternehmen. Seit Anfang des Jahres wachsen wir und stellen ein. Im gesamten Jahr 2004 wollen wir 150 neue Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen gewinnen. Seit Jahresanfang haben wir in Deutschland 70 und in Polen 20 neue Stellen geschaffen.

CW: Was veranlasst Sie zu dieser optimistischen Personalplanung?

KÜPPER: Unser Entschluss ist nicht ausschließlich von Zukunftsoptimismus geprägt, sondern hat seinen Grund in der aktuellen Auftragslage. Unser Auftragsbestand beläuft sich auf sieben Monate. Damit können wir unser Personal voll auslasten.

CW: Viele der angesprochenen Einstellungen planen Sie in Polen. Warum?

KÜPPER: Wir wollen bis zum Jahr 2007 in Polen mehr als 200 Experten beschäftigen und werden bezogen auf die Mitarbeiterzahl dort stärker wachsen als in Deutschland. Die Idee dabei ist, die deutlich günstigeren Löhne zu nutzen, um unsere Wettbewerbsfähigkeit im deutschen Markt zu sichern. Das müssen wir tun, es gibt keine Alternative dazu. Ohne diesen Schritt sind wir nicht mehr wettbewerbsfähig.

CW: Akzeptieren die Kunden die Verlagerung der Vorhaben nach Osteuropa ohne Vorbehalte?

KÜPPER: Das Kundenverhalten ist ambivalent. Einige fordern uns dazu auf, Nearshore-Kapazitäten einzubinden, um Preisvorteile zu erzielen. Abstriche bei der Qualität akzeptiert sie jedoch nicht. Andere lehnen die Einbindung von Nearshore-Kapazitäten ausdrücklich ab. Wenn es uns gelingt, über alle Vorhaben eine gute Mischung zu erzielen, dann können wir auch im traditionellen Geschäft unsere Leistungen weiter zu wettbewerbsfähigen Preisen anbieten.

CW: Wenn es nur um die Personalkosten und Qualität ginge, wäre auch eine Auslagerung nach Indien denkbar. Welche Gründe sprechen für die Nearshore- und gegen eine Offshore-Lösung?

KÜPPER: Ich schließe die Nutzung indischer Kapazitäten nicht aus, denn dort gibt es noch viel höhere Kostenvorteile. Wir stehen gerade kurz davor, ein Projekt in das Offshore-Center unserer Muttergesellschaft Capgemini in Mumbai zu verlagern.

CW: Wie bewerten Sie denn die Konkurrenz der indischen Offshore-Anbieter?

KÜPPER: Bislang habe ich Offshoring aufgrund der Sprachprobleme nie als ernste Bedrohung wahrgenommen. Aus diesem Grund konnte sich das Offshoring von Entwicklungsarbeiten ins englischsprachige Indien bislang auch nur in den angelsächsischen Ländern durchsetzen. Und deshalb stellen wir in Polen nur deutschsprachige Mitarbeiter ein.

Die indischen Softwarehäuser haben dieses Problem schon vor langer Zeit erkannt und darauf reagiert, indem sie kleine deutsche Softwarehäuser übernommen haben. Dieser Versuch ist gescheitert, weil sie keinen Zugang zu den Großkunden gewinnen konnten. Ich denke, dass indische Anbieter wie Tata Consultancy Services und Infosys künftig große europäische Softwarehäuser und Marktanteile kaufen werden. Damit erwächst uns eine große Konkurrenz.

CW: Treffen Sie heute schon bei Ausschreibungen auf die neue Konkurrenz?

KÜPPER: Ja, insbesondere bei global agierenden Kunden. Noch sind sie in den erfolgskritischen und schwierigen Projekten keine ernsten Wettbewerber. Sprache und das Verständnis der Anwendung ist hier ein ganz wesentlicher Erfolgsfaktor.

CW: In der alten Diskussion um Individual- versus Standardsoftware gibt es mit der komponentenbasierenden Softwareentwicklung, eine neue Dimension. Wie beeinflusst die Widerverwertbarkeit und die Verfügbarkeit von Integrationsplattformen Ihre Arbeit bei der Entwicklung von Individualsoftware?

KÜPPER: Integrationsprojekte, in denen es darum geht, auf Basis von bestimmten serviceorientierten Architekturen Komponenten miteinander zu verbinden, sind für uns ein Zukunftsmarkt. Ganz interessant ist zudem, dass SAP mit Netweaver eine offene Integrations- und Entwicklungsplattform liefert. Damit tut sich für uns ein neuer Markt auf. Wir können nun auch solchen Unternehmen komponentenbasierende individuelle Lösungen anbieten, die sich bislang schwer taten, mit ihrem installierten SAP-Monolithen individuelle Applikationen zu entwickeln.

CW: In welchen Bereichen haben Kunden den größten Bedarf an Individualsoftware?

KÜPPER: Die größte Nachfrage besteht in der Kundenbetreuung und -orientierung. Dazu zählen etwa Vertrieb und Auftragsbearbeitung. Das gilt nicht für die Automobilindustrie, denn dort wurden diese Projekte bereits in den vergangenen Jahren abgeschlossen. Die Autoindustrie rationalisiert derzeit die Produktion und die Anbindung der Zulieferer, also die ganze Supply Chain.

CW: Dabei geht es doch wohl auch um die Optimierung von Geschäftsprozessen. In diesem Markt sind in den letzten Jahren viele Anbieter von Standardsoftware und Integrations-Tools entstanden. Wo ist in diesem Markt noch Individualität gefragt?

KÜPPER: Man muss unterscheiden zwischen der Standardisierung der Modellierung und der Realisierung. Die Welt träumt seit zig Jahren von einem Modellierungswerkzeug, das zum Schluss lauffähigen Code auswirft. Das gibt es nicht. In der Realisierung sind individuelle Ansätze erforderlich.