Work-Life-Balance für Berater

"Es gibt auch Freizeit unter der Woche"

12.05.2009 von Gabi Visintin
Berater sind ständig unterwegs, die Arbeitsbelastung ist hoch. Ebenso wie die Versuchung, die freie Zeit ganz dem Job zu opfern.

In Krisenzeiten verlieren viele Arbeitgeber softe Themen wie Work-Life-Balance aus den Augen. Sie übersehen, dass ausgeglichene Beschäftigte mehr zum Unternehmensergebnis beitragen als Workaholics oder gestresste IT-Berater. Das Negativbeispiel liefert dafür den besten Beweis: "Bis sich ein Mitarbeiter von einem Burnout oder Herzinfarkt erholt hat, können Monate vergehen", sagt Sandra Eggelhöfer, Inhaberin der Beratung Talent Management Service. Laut Kienbaum-Studie ist in jeder zweiten Firma das Gleichgewicht zwischen Beruf- und Privatleben kein Thema.

Dank Handy und der Möglichkeit, zu jeder Zeit und von jedem Ort aus zu arbeiten, verschwimmen die Grenzen zwischen Job und Freizeit immer mehr. Die ständige Verfügbarkeit wird für viele zur Verpflichtung, der sie sich nicht mehr zu entziehen trauen. Klaus Blaschek, Geschäftsführer der IT-Beratung btelligent aus Garching, sieht hier die Führungskräfte in der Pflicht. Diese müssten Antennen dafür entwickeln, ob ein Mitarbeiter zeitlich überfordert wird, und darauf reagieren.

Ein verständnisvoller Chef erleichtert vieles

Ein verständnisvoller Chef erleichterte auch IT-Beraterin Silvia Löcher die Rückkehr zur IDS Scheer AG nach der Babypause: "Dass mein Vorgesetzter ebenfalls kleine Kinder hat, sorgt für Verständnis und hilft ungemein dabei, den Arbeits- mit dem Familienalltag zu vereinbaren." So ist es dem Team klar, dass Löcher kurz vor 16 Uhr ihre Arbeit unterbricht, um ihre zwei Kinder im Kindergarten abholen zu können. Ebenso klar ist aber, dass sie von zu Hause aus weiterarbeitet.

Oft müssen auch die Mitarbeiter erst für Work-Life-Balance sensibilisiert werden. Auf die Aufforderung, sich für eine Work-Life-Balance-Schulung anzumelden, erhielt Elmar Borgmeier, Manager bei der IT-Beratung Syngenio, einmal die Antwort: "Dafür habe ich keine Zeit." Silvia Löcher von IDS Scheer weiß, dass Selbstbeschränkung eine große Herausforderung, aber auch eine Frage der Einstellung und Planung ist.

Freizeittermine wie den Job planen

Mona Mayer, die bei Accenture arbeitet, betont: "Es gibt auch Freizeit unter der Woche!" Die IT-Beraterin quartiert sich darum bewusst nicht im Hotel ein, sondern wohnt in einer Projektwohnung, um von dort zu ihrem Kunden zu gelangen. In jeder Stadt, in die sie ein Kundenprojekt betreut, sucht sie sich einen Schlagzeuglehrer und nimmt einmal in der Woche Unterricht. Eine solche aktive Freizeitgestaltung helfe, die "Nachlässigkeit des Individuums" zu überwinden, das gerne seine freie Zeit dem Job opfert, sobald es nicht anderweitig verplant ist.

Freizeittermine wie Jobtermine planen, heißt denn auch Eggelhöfers Tipp, der auch für die Urlaubsplanung gilt. Syngenio-Manager Borgmeier sieht es als das größte Problem an, ständig das Handy anzulassen. Deshalb plant er seine Urlaube am liebsten an Orten, an denen er nicht erreichbar ist - zum Beispiel mitten in Afrika.

Beraterin und Mutter

Sechs Wochen nach der Babypause und der Rückkehr an den alten Arbeitsplatz passierte der IT-Beraterin Silvia Löcher von IDS Scheer folgendes: An dem Morgen, als sie zum Kunden fahren wollte, um den Blueprint für die Buchhaltungslösung zu diskutieren, lenkte sie ihren Wagen in eine andere Richtung: Ihr knapp zehn Monate alte Baby hatte sich einen Magen-Darminfekt eingefangen und musste ins Krankenhaus.

Silvia Löcher hat zwei kleine Kinder und arbeitet als IT-beraterin bei IDS Scheer in Saarbrücken.
Foto: Silvia Loecher, IDS Scheer

"Vom Krankenhaus aus habe ich dann schweren Herzens alle Teilnehmer angerufen und den Termin abgesagt", erzählt sie. Mit so einer Situation hatte die junge Mutter und Beraterin nicht gerechnet. Als Löcher erst zwei Wochen später wieder ins Team zurückkehren konnte, war sie "schon ein wenig verunsichert". Doch die Reaktion beim Auftraggeber wischte ihre Sorgen beiseite: "Alle fragten, wie es dem Nachwuchs geht", erinnert sich Löcher, und ihr ist die Erleichterung immer noch anzumerken, als sie sagt: "Mir ist ein Stein vom Herzen gefallen."

Teilzeit für Berater ist eine Frage der Organisation

Die IDS Scheer AG setzte bereits vor zehn Jahren ein Programm für junge Mütter und Väter auf, das den Mitarbeitern ermöglicht, auch in der Phase der Familiengründung weiterzuarbeiten. Dazu gehört es, Teilzeitberater für Kundenprojekte im Duo einzuplanen. So übernahm Löchers Kollege ihre Aufgabe beim Kunden, solange sie ihr Kind pflegte. Mittlerweile hat sie zwei Kinder von zwei und vier Jahren und arbeitet 50 Prozent, seit Anfang 2009 auch wieder bei Kunden. Nach der Geburt ihres zweiten Kindes fing sie mit weniger Stunden an und kümmerte sich um Angebote, Pre-Sales-Aktivitäten und Recruiting.

"Ich habe keine Feigenblattfunktion", betont Löcher, die sich darüber freut, dass junge Frauen mit dem Thema "Kinder und Arbeit" offensiver als früher umgehen. Eine Bewerberin fragte sie, wie sie bei ihrem Wunsch, Kinder und Job zu verbinden, von ihrem Arbeitgeber unterstützt werde. Den interessierten Frauen konnte Löcher von ihren guten Erfahrungen berichten.

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