Nachgefragt

ERP-Zufriedenheit 2005

06.10.2005 von uk 
Was ERP-Anwender von ihrer Software halten, lässt sich theoretisch leicht mit Fragebögen erfassen. Aber geben die Ergebnisse auch die Realität in den Unternehmen wieder? CW-Mittelstand hat nachgefragt.

PETER KRAFT ist Leiter IT und Organisation bei der kocher-plastik Maschinenbau GmbH, einem Maschinenbauunternehmen mit 325 Mitarbeitern und Sitz in Sulzbach-Laufen. Das Unternehmen fertigt Spezialmaschinen, mit denen in einem durchgängigen Prozess Kunststoffflaschen hergestellt, befüllt und verschlossen werden. Dieses „blow-fill-seal-Verfahren“ für die aseptische Verpackung von flüssigen und pastösen Produkten kommt vor allem in der Pharmaindustrie zum Einsatz. Die Komplexität der Produkte und die hohen Ansprüche der Kunden aus aller Welt stellen besondere Anforderungen an den Materialfluss und die Fertigungssteuerung bei Kocher Plastik.

Flexibilität ist wichtig

Da verwundert es auf den ersten Blick schon ein wenig, dass die bei Kocher genutzte ERP-Software nicht einem großen, weltweit bekannten, seit Jahrzehnten bestehenden Markenunternehmen entstammt. Selbst manchem Kenner des ERP-Marktes war die Software „Godyo P/4“ bislang eher unbekannt, und in der ERP-Zufriedenheitsstudie taucht sie in diesem Jahr erstmals auf. Allerdings mit einem furiosen Start: Weit rechts oben findet sich das Produkt in der Übersicht der Systeme - da, wo die Bewertungen für System und Anbieter von „gut“ in „sehr gut“ übergehen. Dieses Ergebnis überrascht Kraft nicht. Seit drei Jahren setzt der Maschinenbauer Godyo P/4 ein und gehört damit zu den ersten Anwendern des Systems, das 2001 auf den Markt kam.

Kennen gelernt hatte Kraft den Hersteller zuvor als Dienstleister, der die früher bei kocher-plastik eingesetzte PPS-Lösung „Hofert“ datenbankfähig machte und unter dem Namen „PHOENIX“ weiterentwickelte. Basierend auf der Erfahrung mit dem alten System programmierte Godyo Ende der Neunzigerjahre mit „P/4“ ein völlig neues Produkt, an dem Kraft vor allem seine Flexibilität und Offenheit lobt. Das ist umso auffälliger, als mangelnde Flexibilität auch in diesem Jahr wieder der Hauptvorwurf der Anwender gegenüber Herstellern und Systemen ist. Die Nachfrage scheint angebracht: Was versteht der erfahrene IT-Leiter unter Flexibilität? Die Antwort kommt ohne Zögern: „Das ist für uns die Möglichkeit, betriebsspezifische Eigenheiten einzubringen, ohne wesentlich vom Standard abweichen zu müssen - bei voller Wartbarkeit und Releasefähigkeit des Systems.“

Auch die anderen Kritikpunkte, die im Ranking der häufigsten Beschwerden vorn liegen, sind für Kraft nicht von Bedeutung. „Wir haben es hier mit einem System zu tun, das komplett neu konzipiert wurde und viele Fehler und Unzulänglichkeiten der Vergangenheit einfach nicht mehr aufweist“, kommentiert er.

Systemausbau ist geplant

Ein Umstand, von dem nicht nur er und seine vier IT-Mitarbeiter - darunter zwei Auszubildende - profitieren, sondern auch die rund 140 Anwender in den Fachabteilungen. Dennoch beobachtet Kraft den Markt sehr aufmerksam, besucht regelmäßig Workshops und Messen und beschäftigt sich dort überwiegend mit dem Thema ERP. Ernsthafte Alternativen hat er dabei jedoch bislang nicht gefunden, zumal das System von Godyo laufend weiterentwickelt wird. Als Nächstes sei beispielsweise die Einführung eines Moduls für ein verbessertes Projekt-Management mit Koppelung zur Kapazitätsplanung und Materialwirtschaft geplant. Darüber hinaus sieht Kraft derzeit allenfalls im Bereich des Vertriebs-Managements Verbesserungsmöglichkeiten in Form von zusätzlichen Funktionen im CRM-Bereich.

Gute Anpassungsmöglichkeiten

Auch Jörg Lipp, Manager IT & Communications der LGC Promochem GmbH in Wesel, bestätigt im Wesentlichen das Ergebnis der Umfrage. LGC Promochem ist auf den Groß- und Außenhandel mit Chemikalien für die Umwelt- und Pharma-Analytik spezialisiert. Als Anwender der Software „SQLBusiness“ von Nissen und Velten benutzt LGC Promochem ein System, das als solches mit 4,4 ein sehr gutes „Gut“ erhielt - die viertbeste Bewertung in dieser Kategorie überhaupt. In puncto Zufriedenheit mit dem Anbieter lautete das Ergebnis (4,2) zwar nicht ganz so gut, auch hier jedoch liegt SQL-Business deutlich über dem Durchschnitt.

„Diese Beurteilung deckt sich mit unseren Erfahrungen“, so Lipp. 1997 evaluierte er das System, seit 1998 wird es im Unternehmen produktiv eingesetzt. Sehr zufrieden ist Lipp vor allem mit den Möglichkeiten zur Anpassung des Systems. „Allerdings haben wir hier auch eine ganz Menge Know-how aufgebaut“, fügt der IT-Fachmann hinzu, der in Sachen Entwicklung auch selbst Hand anlegt. „Das ist sicher nicht der Normalfall, dass ein Unternehmen mit rund 50 Mitarbeitern drei Mann in der IT-Abteilung beschäftigt, von denen einer selbst entwickelt, aber wir sind mit dieser Strategie bisher gut gefahren“, erklärt er. Nur mit einer schlagkräftigen IT sei LGC Promochem in der Lage, die komplexen Supply-Chain-Prozesse der Chemie- und Pharmabranche abzubilden. „Wir verstehen uns nicht als reiner Technikdienstleister im Unternehmen, der nur die PCs am Laufen hält, sondern stehen den Fachabteilungen im Haus auch bei der Entwicklung von Lösungskonzepten für Organisation und Abläufe beratend zur Seite.“ Nach zehn Jahren im Unternehmen verfügt Lipp in diesem Tätigkeitsbereich über jede Menge Erfahrung.

Umso wichtiger war für ihn denn auch bei der Systemauswahl die Zusammenarbeit mit dem Lieferanten. „Was mir bei Nissen und Velten gefallen hat: Die verstanden, wovon sie redeten. Und das von Anfang an.“ Außerdem konnte Lipp sich das System bei einem Referenzkunden im Echtbetrieb ansehen.

Mangelnde Standardisierung

Am System selbst überzeugten ihn vor allem die ausgeprägte Integration von Modulen zur Unterstützung aller Unternehmensbereiche (Warenwirtschaft, Rechnungswesen, Vertrieb (CRM), Katalogerstellung) und natürlich die Ausrichtung auf den technischen Großhandel sowie der Umstand, „dass man das, was man in den Unterlagen über das Produkt lesen kann, auch in der Software funktional abgebildet findet“. Bei anderen Anbietern habe es zwar viele Versprechungen gegeben, doch hinter manch hochtrabender Bezeichnung verbarg sich letztlich nur ein Feld in irgendeiner Maske.

Als Kritikpunkt führt Lipp die Hotline an. „Wenn man eine Software so extensiv nutzt wie wir und selbst über Know-how in der Anpassung verfügt, dann stößt man immer wieder mal auf Fragen, mit denen die Hotline für den ,normalen‘ User nichts anfangen kann.“ Trotzdem fühlt der IT-Leiter sich so gut betreut, dass er schon darüber nachdenkt, mittelfristig auf „NVinity“, die neue ERP-Lösung von Nissen & Velten, zu migrieren. Sowohl das Produkt selbst als auch die zugrunde liegende Entwicklungsumgebung „Framework Studio“, die unter anderem auf der .NET-Technologie basiert, sind seiner Ansicht nach für den Aufbau einer zukunftssicheren Infrastruktur konzipiert.

Fehlende Flexibilität, Hauptkritikpunkt Nummer eins in der Studie, sieht Lipp nicht als Problem. Dass die Datenpflege zweithäufigster Kritikpunkt der Anwender ist, kann er zwar angesichts der Bedeutung und Komplexität des Themas nachvollziehen, sieht die Schwierigkeiten - auch aufgrund von Projekterfahrungen mit anderen Systemen in anderen Unternehmen - jedoch weniger in den Restriktionen der Software als vielmehr in der immer noch mangelnden Standardisierung bei den auszutauschenden Formaten für die Massendatenpflege. Ein System könne schließlich immer nur so gut sein wie die Daten, mit denen es gefüttert wird. (uk)