ERP-Projekte: Viele Gründe für ein Scheitern

10.05.2007
Wenn Anwender ERP-Lösungen einführen, stehen oft die Funktionen der Software im Vordergrund. Zu wenig berücksichtigen die Verantwortlichen aber organisatorische und zwischenmenschliche Fragen.

Obwohl der Erwerb einer ERP-Software eine erhebliche Investition für Unternehmen darstellt, mangelt es nach Meinung von Experten oft an einer klaren Zielsetzung. "Projekte werden von einigen Key-Usern vorangetrieben, die für ihre Fachabteilungen erforderliche Funktionen im Blick haben, nicht jedoch Prozessverbesserungen für das ganze Unternehmen herbeiführen können", stellt Thomas Jensen immer wieder fest. Er ist Director Business Consulting beim ERP-Anbieter Infor und zählt zu den Referenten der Fachkonferenz der "14. ERP-Tage", die derzeit in Aachen stattfinden.

Zentrale Anwender – Key-User – sollten idealerweise kompetente Mitarbeiter sein, die die Unternehmensprozesse kennen und die Entwicklung der ERP-Lösung gemeinsam mit dem Einführungspartner beziehungsweise dem Hersteller begleiten können. Ihre Aufgabe ist darüber hinaus, anderen Mitarbeitern die Softwarefunktionen ihrer Abteilung nahezubringen. Jensen zufolge würden Unternehmen jedoch viel Potenzial verschenken, wenn sie bei der Einführung nicht auch neue Prozesse sowie die künftige Firmenstrategie berücksichtigen würden. Diese festzulegen obliegt der Geschäftsleitung. Häufig würden Unternehmen jedoch Projektteams mit Leuten bestücken, die vom Status-quo geprägt sind, also im schlimmsten Fall lediglich die bestehenden Abläufe in eine neue Software gießen wollen. Der Infor-Manager vermisst zudem bei Anwendern oft die Bereitschaft, die ERP-Lösung nach der Implementierung kontinuierlich zu verbessern.

Als Problem erweist sich bei ERP-Projekten auch die mangelnde Transparenz über die Entscheidungsbefugnisse im Anwenderunternehmen, ergänzt Max Staaks, der als Senior Manager bei Ernst & Young ERP-Einführungen begleitet. Zum Teil komme es zu vermeidbaren Fehlern im Projektverlauf: Staaks zufolge würden die Einführungspartner zwar den Projektfortschritt dokumentieren, doch mitunter lesen die Key-User des Kunden diese Schriftstücke nicht zeitnah, so dass es zu einem späteren Zeitpunkt zu Überraschungen kommen kann, weil sich die Lösung in eine Richtung entwickelt hat, die der Anwender so nicht wollte.

Dass es auch anders geht, berichtet Marianne Schröder, IT-Managerin bei Heinrich Eibach aus Finnentrop. Dort musste nach der Insolvenz des ERP-Anbieters DTM eine neue Lösung gefunden werden. Die Wahl viel auf "Mysap ERP 2004" von SAP. Für die Einführung wurden Key-User-Teams gebildet, die auch mit Mitgliedern der Geschäftsleitung und der IT bestückt wurden. Laut Schröder hatten die zentralen Anwender genügend Zeit, um sich über Prozesse Gedanken zu machen und diese mit anderen Anwendern zu diskutieren. "Es gab einen Projekttag, an dem nur Prototypen für Materialwirtschaftsprozesse debattiert wurden, an einem anderen Tag ging es um Vertriebsabläufe." Dieses Ritual wurde mehrmals wiederholt.

Vor Endlosdebatten in Sachen Prozessdesign warnt indes Peter Bickel, Leiter IT bei Axima Suez in Köln. "Wer nach einem Tag noch keinen Entwurf für den Ablauf hat, dem bringt ein weiterer Tag auch nichts mehr." Ohnehin seien Prozessmodelle nicht in Stein gemeißelt. "Zum Zeitpunkt der Ausschreibung zum Softwareerwerb stimmen die Modelle schon nicht mehr, da sich Anforderungen ständig ändern." Axima Suez hatte eine R/2-Installation abgelöst und nutzt nun seit rund zwei Jahren SAP R/3. Hierzu mussten sich Bickel und sein Team mit den weltweiten Niederlassungen des Unternehmens abstimmen. Dies machte es dem IT-Manager erheblich schwerer, Veränderungen an den Prozessen durchzusetzen: "Plötzlich haben Sie Personen innerhalb des Konzerns gegen sich aufgebracht, die Sie anfangs nicht auf der Rechnung hatten." Dass sich selbst ein ganzer Standort gegen eine konzernweite ERP-Lösung sträuben kann, musste die Gleason Corporation feststellen, die hierzulande in Ludwigsburg und München vertreten ist. Da die Niederlassung in Rockford, Illinois, ihre besonderen Prozesse nicht abgedeckt sah, nutzt man dort noch Altsysteme. Zumindest die Finanz- und Controlling-Daten werden an die firmenweite ERP-Lösung übermittelt.

Regeln und Verfahren für erfolgreiche ERP-Rollouts gibt es viele. Dennoch endet so manches ERP-Projekt in einem Desaster. Technik, Kosten oder Zeitverzug sind nach Meinung von Michael Bartsch dabei nicht die vornehmlichen Gründe. "Projekte scheitern aus sozialen Gründen, wenn sich Leute nicht verstehen oder nicht mehr miteinander reden wollen." Bartsch ist Rechtsanwalt bei der Kanzlei Bartsch und Partner aus Karlsruhe und Experte für ERP-Verträge. Der Anwalt kennt auch schon so manchen Fall, in dem sich ERP-Kunde und Anbieter vor Gericht trafen, da das Projekt im Chaos endete. (fn)