ERP: Mit A1S leitet SAP einen Strategiewechsel ein

10.09.2007 von Frank Niemann
Mit der On-Demand-Lösung A1S versucht SAP, auch im Geschäft mit mittelständischen Firmen die globale Marktführerschaft zu erlangen. Doch mit dem Angebot schafft sich SAP Konkurrenz im eigenen Haus. Ungeklärt ist das Partnermodell sowie die Anpassbarkeit und Erweiterbarkeit von A1S.

Viele Unternehmen im Mittelstand suchen nach neuer Business-Software. Das Angebot ist reichlich. Und anders als im ERP-Geschäft mit Konzernen, das SAP dominiert, hat sich im Mittelstand noch kein globaler Marktführer herauskristallisiert. Das wollen die Walldorfer ändern. Mit A1S will SAP Firmen in der Größe von 50 bis 500 Mitarbeitern Geschäftsapplikationen auf einer Hosting-Plattform bereitstellen. Am 19. September stellt der Softwarekonzern das bisher gut gehütete Geheimnis der Öffentlichkeit in New York vor. Für Firmen soll A1S erst im nächsten Jahr zur Verfügung stehen.

Viele Beobachter fragen sich, was hinter dem Angebot steckt. Einige Experten von Gartner, darunter Christian Hestermann, Research Director beim Beratungshaus, konnte zumindest ein wenig hinter die Kulissen blicken. Hestermann ist Mitherausgeber der Gartner-Studie "SAP Strategy Changes with A1S".

SAP macht nicht alles neu

"SAP hat nie behauptet, zu 100 Prozent alles neu zu entwickeln." Christian Hestermann, Research Director ERP bei Gartner.
Foto: Gartner Research

A1S wird auf der Grundlage der Infrastrukturplattform "Netweaver" und des Enterprise Services Repository entwickelt. SAP folgt hier Konzepten einer Service-orientierten Architektur. Aus einzelnen Web-Services, die betriebswirtschaftliche Funktionen bereitstellen, lassen sich Applikationen bauen. Die Services seien zwar vom Funktionsumfang mit denen bestehender Produkte vergleichbar, sie sollen laut Hersteller aber auf andere Weise implementiert werden. "SAP hat nicht einfach Code seiner bestehenden Business-Software übernommen", erklärt Hestermann. Das bedeute jedoch nicht, dass der Konzern bestehende Technik ganz aus den Augen verliere. "SAP hat nie behauptet, zu 100 Prozent alles neu zu entwickeln", bemerkt Hestermann.

Die Idee von Service-orientierter Software ist, Geschäftsprozesse nicht zu programmieren, sondern aus Funktionsbausteinen, die als Web-Services vorliegen, Anwendungen zu definieren (orchestrieren). Dazu soll A1S in der Lage sein. Das neue Produkt erlaubt Gartner zufolge eine detailliertere Service-Konfiguration als es heute in der "SAP Business Suite" möglich ist. Zwar biete die Business Suite weit mehr Funktionen als A1S, doch die neue Lösung werde in Sachen Service-Orientierung deutlich weitergehen. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass A1S das kommende Netweaver-Release 7.1 verwendet, während die SAP Business Suite noch einige Zeit auf der aktuellen Version Netweaver 2004s basieren dürfte.

Überlappungen im Portfolio

SAP verfolgt zwei Entwicklungen: Einerseits entwirft sie mit A1S eine neue Plattform auf der grünen Wiese (SAP spricht von "SOA by Design"), andererseits setzt sie Service-orientierte Konzepte Stück für Stück im bestehenden Produkt um ("SOA by Evolution"). Überlappungen mit dem heutigen Angebot der SAP sind Hestermann zufolge nicht auszuschließen, zumal sich A1S an produzierende Firmen wendet, die zu SAPs Hauptkundschaft zählen. Solche Unternehmen benötigen Funktionen, um Güter zu produzieren, zu verkaufen und an den Kunden auszuliefern sowie Services anzubieten. Hier drückt sich der Softwareexperte jedoch bewusst vage aus, da letztendlich noch kaum jemand den genauen Funktionsumfang von A1S gesehen hat. Selbst Gartner durfte bislang nur einen Prototypen bewundern. Das Kompositionswerkzeug, mit dem sich aus Services Lösungen herstellen lassen, führte SAP indes nicht vor.

Durcheinander um die Partnerstrategie

Zu sehen bekam Gartner beispielsweise Methoden zum Einrichten der Software. Sie gestatten es auf elegante Weise, über einen Wizard, der dem Benutzer Fragen stellt, Abläufe etwa für das Kunden-Management einzurichten. Nach Ausführungen der SAP würde daraufhin die Plattform die entsprechenden Services heranziehen, die für die so definierten Geschäftsprozesse erforderlich sind. "Das erscheint auf den ersten Blick so einfach, als könnte der Endanwender damit klarkommen", so Hestermann. Und tatsächlich war es SAPs ursprüngliche Absicht, ganz auf den indirekten Kanal zu verzichten, und zwar sowohl im Vertrieb als auch bei der Implementierung. Vermarktet werden sollte das Produkt nur über das Internet und per Telefon. Doch Partnerunternehmen unterstützen den Kunden in der Regel auch dabei, die Geschäftsprozesse optimal auszurichten und Verbesserungspotenzial aufzuzeigen. Deshalb sollen nun doch Partner beim Verkauf und der Einführung eingebunden werden.

Ob dies neue Partner sein werden oder die gleichen Firmen, die heute bereits SAP-Software bei Kunden einführen, ist noch nicht klar. Gartner hat den Eindruck, dass SAP neue Kanäle nutzen möchte. "Der Konzern fürchtet, die etablierten Partner könnten sich zu sehr auf ihr klassisches Geschäft konzentrieren, das darauf beruht, für das Anwenderunternehmen möglichst viele Dienstleistungen zu erbringen ", meint Hestermann. Dies würde jedoch der Idee, Lösungen rasch aufzusetzen, entgegenstehen. Unklar bleibt ferner, wie A1S-Partner bezahlt werden sollen, da sie ja keine Softwarelizenzen wiederverkaufen. Die Partnerfrage treibt alle Softwarehäuser um, die in das On-Demand-Geschäft einsteigen. Die heute schon etablierten SaaS-Anbieter wie etwa Salesforce.com verfolgen fast ausnahmslos ein direktes Geschäft.

Wer übernimmt das Hosting?

Ebenfalls noch nicht festgelegt hat sich SAP in Sachen Hosting. SAP könnte die Server betreiben oder wie bei den bereits bestehenden On-Demand-Angeboten für CRM, eine Kooperation eingehen. Außerdem soll die neue SAP-Software nicht nur als Service angeboten werden. Für 2009 ist vorgesehen, A1S auch On-Premise (Betrieb in der IT-Umgebung des Kunden) anzubieten, und zwar auf einem dedizierten, von SAP verwalteten Rechner (Appliance). Später will es der Anbieter dann dem Kunden überlassen, ob er die Lösung mietet, selbst betreibt oder beide Betriebsarten vermischt.

Kann SAP Modifikationen verbieten?

Hinter der Modifizierbarkeit von A1S steht ein weiteres großes Fragezeichen. Auch wenn die Lösung voraussichtlich zehntausende Services zur Verfügung stellen wird, aus denen sich Geschäftsprozesse gestalten lassen, dürfte es Anwender geben, deren Prozessanforderungen nicht abgedeckt werden. Dies macht kundenspezifische Objekte erforderlich, die sich mit vorhandenen Standard-Geschäftsobjekten verbinden lassen. Genau das will die SAP Gartner zufolge jedoch auf jeden Fall vermeiden. Solche Eingriffe könnten die Release-Fähigkeit der Umgebung beeinträchtigen. SAP und andere Hersteller sind aus Erfahrung klug geworden: Anwender von betriebswirtschaftlicher Software, die durch eigene Entwicklungen das Standardprodukt verändert haben, können ein Lied davon singen, wie aufwändig und teuer sich mitunter ein Upgrade gestaltet. Hestermann glaubt jedoch, das SAP diese starre Haltung nicht lange aufrecht erhalten kann. "Es ist reines Wunschdenken zu glauben, Kunden kommen ohne spezifische Anpassungen aus." Zudem würden konkurrierende On-Demand-Anbieter wie Salesforce.com und Netsuite sowie demnächst Microsoft mit "Dynamics CRM Live" Softwareplattformen betreiben, die Anwendern erlauben, eigene Geschäftsobjekte anzulegen und mit bestehenden Services zu integrieren.

A1S treibt SAPs Produktentwicklung

Sollte A1S erfolgreich sein, könnten auch Kunden außerhalb des Mittelstands auf die Idee kommen, diese Lösung zu wählen. Dann allerdings, so glaubt Gartner, wird SAP ein auf der A1S-Technik aufsetzendes neues Produkt auflegen, das dann auch für Großkunden geeignet ist. "A1S wird sehr wahrscheinlich Einfluss auf die Weiterentwicklung von SAPs Produktlinien nach 2010 haben", sagen die Analysten voraus.

Auch wenn noch viele Fragen offen bleiben, lässt sich doch feststellen, dass A1S für SAP essentiell ist. "Zu sagen, der Erfolg des Produkts sowie der des neue Geschäftsmodell ist nur wichtig für SAP, wäre eine Untertreibung", meint Gartner. Der Konzern gehe diesen Schritt nicht zuletzt deshalb, um Wettbewerbern zuvor zu kommen, die künftig das klassische Kerngeschäft der Walldorfer in Frage stellen könnten.