Social Media und BYOD treffen auf ERP

ERP meets Facebook

01.01.2013 von Frank Naujoks
Die IT-Welt wandelt sich. Trends wie Consumerization und Social Networks treffen auf ERP und bilden eine explosive Mischung. Unternehmen müssen sich darauf einstellen und insgesamt großzügiger werden.

Durch den vielfältigen Einsatz von IT im Privatleben steigen auch die Anforderungen an die Unternehmens-IT. Die Art und Weise, wie Arbeit organisiert und abgewickelt wird, verändert sich. Das führt in der Folge dazu, dass sich auch die Firmen anders aufstellen müssen, wollen sie im Wettbewerb um Kunden und Mitarbeiter bestehen. Vor allem durch die rasante Ausbreitung von sozialen Netzen und Communities etc. - landläufig unter dem Sammelbegriff Social Media zusammengefasst - ist eine zusätzliche Dimension entstanden. Die Rolle der Anwender im Unternehmen gewinnt an Bedeutung, denn die Firmen verlieren zunehmend die Herrschaft über die eingesetzte IT. Die Nutzer werden autonomer.

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Trotz des Kontrollverlusts eröffnen sich für Unternehmen beachtliche Möglichkeiten. Die Nutzung von Social Media als Kommunikationskanal erlaubt es, das digitale Ego umfassend und positiv darzustellen. Gleichzeitig kann man Kunden zu Fans machen, die sich im Social Web für das eigene Unternehmen engagieren und für ein glaubwürdiges Marketing sorgen können.

Selbst wenn sich die damit verbundenen Einzelmaßnahmen überwiegend schnell umsetzen lassen, sollten sie doch einer Strategie folgen. Es ist wichtig, sich nicht zu verirren und die Potenziale voll auszuschöpfen. Der technologische Wandel, der erstmals über den privaten und nicht den Unternehmensalltag vollzogen und getrieben wird, soll sich nach Einschätzung von Gartner in den nächsten fünf Jahren noch weiter beschleunigen. Für die Unternehmen bedeutet das, sie müssen versuchen, die Änderungen in Verhaltensweisen und Technikeinsatz in ihre etablierte Unternehmenskultur und -infrastruktur zu integrieren. Aber auch die Anforderungen an die Mitarbeiter steigen. Gefragt ist zunehmend ein Wissens-Mix aus Bereichen wie Business und Technologie, aber auch Kunst und Lifestyle.

Tipps für das Enterprise 2.0
Tipps für das Enterprise 2.0
Unternehmensinterne Social-Media-Plattformen bringen Teamarbeit und Wissens-Management auf ein neues Niveau. So gelingt das Enterprise 2.0.
Klein und früh anfangen:
Wer schon zum Start den großen Wurf plant, wird ewig planen und wenig einführen.
Pilotprojekte in Social-Media-affinen Teams:
Geeignet sind insbesondere verteilte Gruppen mit viel Projektarbeit. Sie haben einen hohen Abstimmungsbedarf und sind zugänglich für neue Kommunikationsformen.
Multiplikatoren identifizieren:
Mitarbeiter, die andere Kollegen begeistern können, sind Gold wert. Das Social Business funktioniert nur mit einer kritischen Masse.
Portale sind besser als Einzellösungen:
Wenn sich Mitarbeiter für Wikis, Foren und soziale Netze getrennt anmelden müssen, verlieren sie schnell die Lust.
Arbeitsprozesse abbilden:
Wenn Abläufe wie Urlaubsübergabe und Dokumentenbearbeitung vom sozialen Netz unterstützt werden, erschließt sich den Mitarbeitern ein Nutzen. Das fördert die Akzeptanz.
Klarnamen vorschreiben:
Wer den Umgangston in öffentlichen Diskussionsforen im Internet kennt, wird ihn sich nicht im eigenen Unternehmen wünschen. Anonymität fördert Beleidigungen und Mobbing, Klarnamen schützen davor.
Guidelines formulieren:
Wenn Geschäftsabläufe abgebildet werden, sollte klar sein, wo welche Inhalte gepostet werden sollen und dürfen.
Betriebsrat einbinden:
Social Business schafft Transparenz im Unternehmen und sollte daher mit der Arbeitnehmervertretung abgesprochen werden.
Datenschutz beachten:
Soll sich das soziale Netz auf ausländische Niederlassungen erstrecken, müssen zuvor Datenschutzbestimmungen abgeklärt werden.

ERP-Anwender im Wandel

Während der klassische ERP-Anwender in der "alten Zeit" ein klar umrissenes Aufgabenfeld hatte und die IT an der Unternehmensgrenze endete, ist das Aufgabenfeld heute dynamisch geworden und ständigen Änderungen unterworfen. Hierarchien verlieren an Einfluss, Unternehmensgrenzen werden durchlässig. Es kommt mehr auf den Einzelnen an und wie er seine tägliche Arbeit angeht und erledigt.

Die Folgen für Unternehmen sind gravierend. Nicht nur die Produktionsanlagen werden flexibler, auch die für den Unternehmenserfolg wichtigen Wissensarbeiter bewegen sich. Das gilt auch für die IT, die dank Software as a Service (SaaS), UMTS und Notebooks ihren stationären Charakter verliert. Anwender sind weniger an klassische Vorgaben gebunden. Sie sollen ihre Arbeit gut erledigen - das kann auch mit Alternativlösungen geschehen.

Noch ist die Mehrheit der Unternehmen allerdings träge und nur punktuell offen für Web-2.0-Angebote. Man schaut sich um und probiert das eine oder andere aus. Was funktioniert, wird eingesetzt. Erst von einer Minderheit, dann aber immer schneller von der Mehrheit. Widersetzen kann sich der Entwicklung kein Unternehmen. Und auch die Anbieter von ERP-Lösungen müssen auf das neue Nutzerverhalten und den veränderten Einsatz ihrer Lösungen schnell Antworten finden.

Rollenspiele im ERP-System

Foto: Sergej Khakimullin/Shutterstock

Das Individualitätsdenken der Anwender steht im Gegensatz zu langjährigen Grundlagen von ERP-Systemen wie Standardisierung und Prozessorientierung im Sinne von eingeschränkter Prozessführung. Das heutige User-Verhalten entspricht immer weniger dem Anwendermuster aus den Gründerjahren der ERP-Systeme. Dem klar umrissenden Aufgabenfeld steht zunehmend ein dynamisches, sich beispielsweise durch Wachstum veränderndes Aufgabengebiet mit anderen Rollen gegenüber. Diese müssen in der aktuellen Arbeitswelt laufend neu definiert und entsprechend im System abgebildet werden. Gleichzeitig steigen auch die Anforderungen der Anwender an die Systeme. So wäre es beispielsweise wünschenswert, wenn die Marketingabteilungen auch die Interessenten aus sozialen Netzen einbinden und erreichen könnten.

ERP-Systeme basieren im Kern oft noch auf Bauplänen aus ihrer Startphase - und die liegt nicht selten Jahrzehnte zurück. Zwar wurden die ERP-Suiten im Lauf ihres Lebenszyklus technisch immer mal wieder "aufgemotzt". Das geschah aber nicht immer durchdacht. Mit den immer weiter wachsenden Ansprüchen sind hier neue ERP-Ansätze notwendig. Diese sind zwingend hybrid und müssen eine Beteiligung der User am IT-Customizing zulassen.

Belastungsprobe für die ERP-Architekturen
Jörg Blom, Deloitte
Es geht darum, die eigene IT-Landschaft zu dokumentieren und ihre Weiterentwicklung mit einer Methode zu begleiten. Das Ziel ist es, durch diesen Ansatz die Komplexität der Architekturen in den Griff zu bekommen.
Marco Lenck, DSAG
Gerade im mobilen Bereich nimmt die Komplexität mit Sicherheit massiv zu.
Uwe Günzel, Capgemini
Derzeit kommen einige neue technische Möglichkeiten ins Spiel, die das Zeug haben, ERP-Systeme alter Prägung - ich will nicht sagen, in Frage zu stellen -, aber doch Anlass geben, diese zu überdenken.
Karsten Sontow, Trovarit
Der klassische Mittelständler fordert zwar lautstark ein flexibles und anpassbares ERP, sieht aber nicht, dass dies eigentlich Architekturthemen sind.
Michael Gottwald, Softselect
Eine moderne Software-Infrastruktur, die sich auf die im Unternehmen vorhandenen Prozesse abstimmen lässt und auch auf Änderungen flexibel reagiert, kann zu einem entscheidenden Wettbewerbsvorteil werden.
Deutschen Baan Usergroup (DbuG)
In vielen Unternehmen werden noch ältere Versionen von ERP-Systemen eingesetzt, die in ihrer Architektur historisch bedingt eher monolithisch und somit den aktuellen Anforderungen nur eingeschränkt oder nicht gewachsen sind.
Frank Niemann, Pierre Audoin Consultants (PAC)
Die Unternehmen stehen vor der Herausforderung, dass sie ihre ERP-Systeme in immer kürzeren Zyklen anpassen müssen. Sie wollen nicht mehr nur Transaktionen abwickeln, sondern mehr Entscheidungsunterstützung.

Neue User-Kultur formt sich

Bis dato sind die IT-Kulturen und die IT-Governance in den Unternehmen in aller Regel nicht auf das neue User-Verhalten abgestimmt. Auch an dieser Stelle sind neue Ansätze erforderlich, die sich von einem reinen Technikdenken verabschieden. Unter dem Schlagwort "Bring your own Device" (ByoD) praktizieren bereits viele Firmen eine offenere Kultur und tragen der Tatsache Rechnung, dass die IT der Mitarbeiter durchaus aktueller ist als die des Unternehmens. Immerhin jedes sechste Unternehmen leistet mittlerweile sogar Support für mitgebrachte Geräte.

Gleichzeitig agieren die Anwender immer autonomer, nutzen virtuelle Datenspeicher wie "Dropbox", um auch unterwegs arbeiten zu können, organisieren ihre Meetings mit "Doodle" und managen ihre Projekte mit Angeboten wie "Zcope".

Das Verlangen nach mehr Offenheit führt dazu, dass sich IT-Anwendungs-Landschaften in den Unternehmen immer mehr zu basisdemokratischen Systemen entwickeln. Das Wissens-monopol der IT-Abteilungen wird damit gebrochen. Um diese komplexen Systeme zu führen und zu gestalten, muss man sie jedoch verstehen und verinnerlichen. Außerdem gilt es abzuwägen zwischen immer mehr zu unterstützenden und einzubindenden Systemen einerseits und den Kosten, die aus dem Technologiezoo entstehen, andererseits. Eine attraktive Auswahl an Standard-IT kann hier der beste Kompromiss zwischen Kosten und Mitarbeiterwünschen nach dem "coolen Gadget" und nach Mobilität sein.

Stirbt der Dinosaurier ERP aus?

Noch tun sich die meisten Unternehmen schwer, ihren Anwendern mehr Freiheiten bei der Auswahl der Endgeräte einzuräumen. Angaben in Prozent, n = 195.
Foto: i2s

SAP hat gerade seinen 40. Geburtstag gefeiert, doch Alter schützt vor Veränderung nicht. Der Walldorfer Softwarekonzern hat eine klare Marschrichtung vorgegeben, die auf den Säulen On Demand, On Device und natürlich On- Premise-ERP-Software ruht. Damit versucht man elegant, die beiden Haupttreiber, nämlich Mobilität sowie permanente Verfügbarkeit und Zugriffsmöglichkeit, zu vereinen. Gleichzeitig wird aber auch exemplarisch das zentrale Problem der etablierten Anbieter deutlich: Das Geld wird derzeit noch in der "alten Softwarewelt" verdient, mit Lizenzverkäufen, Wartungsgebühren und Beratungsleistungen.

Doch auch in Walldorf ist der Wandel deutlich zu spüren. Die dynamische Entwicklung kommt vor allem aus dem On-Demand-Bereich: Die SAP-Entwickler schreiben SaaS-Software wie Business ByDesign, gleichzeitig werden Lösungen für viel Geld dazugekauft, etwa der Anbieter SuccessFactors mit seiner Palette aus Human-Capital-Management-Software.

Diesen Wandel gehen auch andere Anbieter mit. IFS, das im nächsten Jahr 30. Geburtstag feiert, hat eine On-Demand-Version im Angebot und betont die "außergewöhnliche Anwenderfreundlichkeit" seiner Software. Laut einer 2011 von IFS in Auftrag gegebenen Studie finden nur 29 Prozent der 1244 Befragten ihre ERP-Software leicht und intuitiv zu bedienen. 36 Prozent sagen sogar, dass die gewählte Lösung nicht zum Unternehmen passe. Jeder zweite Teilnehmer ist sich sicher, dass die Software entwickelt worden ist, ohne an Anwenderfreundlichkeit zu denken. Entsprechend gehen 48 Prozent der Befragten davon aus, dass Anpassungen und Modifikationen an der Software notwendig sind, wenn sich Geschäftsmodelle ändern, beispielsweise weil neue Produkte auf den Markt gebracht oder Prozesse angepasst werden.

Die Wünsche der Anwender sind entsprechend. Über 40 Prozent wünschen sich Programme, die einfach zu implementieren und schnell anzupassen sind. Jeder zweite träumt von Software, die leicht zu konfigurieren ist, und zwar ohne Hilfe von externen Beratern und Systemhäusern. Doch die Realität sieht noch nicht danach aus: Knapp die Hälfte der Befragten hält die eingesetzte Software für schwer zu ändern und anzupassen, mehr als 40 Prozent sind der Meinung, dass die Programme ihnen Geschäftsprozesse aufzwingen, und fast genauso viele bemängeln fehlende Funktionalität.

Kontrollverlust

Das Kundenverhalten und die Wünsche der Anwender ändern sich und werden nun auch deutlich zum Ausdruck gebracht - darauf müssen sich die Anbieter einstellen. Kleine, funktionale Alternativen lauern an jeder Ecke im Web und untergraben die Stellung der alten ERP-Monolithen. Doch auch für die IT-Verantwortlichen bleibt dieser Wandel nicht ohne Folgen. Sie müssen damit leben, Einfluss und die Allmachts-Rolle zu verlieren. Doch dieser Prozess lässt sich durchaus aktiv beeinflussen. Folgende Empfehlungen machen den Weg leichter:

Wandel ist nicht aufzuhalten

Akzeptieren Sie den Kontrollverlust über die Unternehmens-IT in gewissem Maße.

Den Wandel aufhalten werden weder IT-Anbieter noch IT-Abteilungen in den Unternehmen. Zwar kann man versuchen, den Status quo möglichst lange aufrechtzuerhalten. Doch der Preis für den Widerstand ist hoch: Talentierte Mitarbeiter werden sich abwenden oder erst gar nicht einstellen lassen. Und agile Unternehmen werden die behäbigen überholen. (ba)