ERP-Einführung bleibt für den Mittelstand ein Balanceakt

22.06.2007 von Hadi Stiel
Weil der Markt für betriebswirtschaftliche Software bei den Großkunden weitgehend abgegrast ist, suchen Hersteller wie SAP, Microsoft, Oracle, IBM und Hewlett-Packard kleinere Kunden. Die sind jedoch schwer zu finden.

Die Softwareanbieter mühen sich, ihre Kunden zu motivieren, weiter in Enterprise Resource Planning (ERP) zu investieren. Der Erfolg ist bisher allerdings überschaubar. Die Marktforscher von IDC (International Data Corporation) beziffern das Wachstum im deutschen ERP-Geschäft für das laufende Jahr auf gerade einmal 4,4 Prozent gegenüber 2006. Ein Hoffnungsschimmer sei jedoch im Mittelstand zu erkennen. Hier würden die Umsätze mit Lizenzen und Wartung stärker als im Durchschnitt wachsen.

Laut Andreas Zilch, Lead Advisor bei der Experton Group, ist dieses Feld für die IT-Größen aber schwierig zu beackern. "Viele mittelständische Unternehmen sind hoch spezialisiert aufgestellt. Demzufolge erwarten sie eine ERP-Software, die auf ihren spezifischen Bedarf zugeschnitten ist." Auf der anderen Seite, räumt er ein, schaue gerade ein Mittelständler besonders auf die Kosten. "Er fokussiert damit vermehrt eine ERP-Standardsoftware, die ohne großen Aufwand umgesetzt und betrieben werden kann." Diesen Anspruch, so Zilch, könnten die IT-Größen jedoch bis heute nur bedingt erfüllen.

Standard als goldener Mittelweg

Edgar Aschenbrenner, HP Servcies: Mit einer Standardorientierung ist das Unternehmen flexibler.
Foto: Aschenbrenner Edgar

Edgar Aschenbrenner, General Manager für den Bereich HP Services in Deutschland, rät den IT-Entscheidern, auf Standard-ERP-Lösungen wie SAP R/3, Mysap, Microsoft Navision und Oracle Enterprise One zu setzen: "Mit der Optimierung der Geschäftsabläufe kommt das Unternehmen solchen Standards auf halbem Weg entgegen." Aschenbrenner geht davon aus, dass eigens entwickelte Sonderfunktionen im Projekt und Betrieb ein Vielfaches der Standardfunktionen kosten. Diese sollten nur dann zum Einsatz kommen, wenn es betriebliche Umstände unbedingt erfordern. "Mit einer Standardorientierung ist das Unternehmen zudem flexibler in der Entscheidung, ob es die ERP-Lösung selbst oder im Hosting betreiben lassen will", betont er. Auch die Hosting-Provider setzen auf die ERP-Standards der Marktgrößen.

Peter Fasching, Leiter Methoden und Tools bei Siemens IT Solutions and Services, empfiehlt den mittelständischen Unternehmen, sobald das Geschäftsprozess-Soll feststeht, das eigene Anforderungsprofil Position für Position mit dem Leistungsprofil der unterschiedlichen ERP-Produkte abzugleichen. "Nur so wird für die Entscheider transparent, wo funktionale Lücken klaffen, die gegebenenfalls durch zusätzliche Programmierung, Anpassungs- und Integrationsmaßnahmen gefüllt werden müssen." Die Anwenderunternehmen sollten zudem genau prüfen, ob für das Geschäft weniger wichtige Sonderfunktionen auf Kosten einer ERP-Standardisierung wirklich integriert werden müssen: "Investitions- und Folgekosten dafür sind oft zu hoch." Anders sehe es bei geschäftskritischen Sonderfunktionen aus. "Deshalb", so Fasching, "muss im Vorfeld genau analysiert werden, in welchem Wertbeitrag-Kosten-Verhältnis die einzelnen ERP-Module und -Funktionen für die anvisierten Prozesse und damit das Geschäft stehen." Unter dem Strich misst der Berater dem Thema ERP im Mittelstand erhebliche Einsparungspotenziale zu. "Viele Medienbrüche innerhalb der geschäftlichen Abläufe, die heute noch aufwändige, manuelle Tätigkeiten nach sich ziehen, können so beseitigt werden."

Einmal gebaut – weltweit ausgerollt

Ulrich Kemp, T-Systems: Standardisierung schützt davor, die ERP-Lösung kostspielig überzudimensionieren.
Foto: Kemp Ulrich

Eine weitgehende Standardisierung schützt außerdem davor, die ERP-Lösung kostspielig überzudimensionieren, zu hohe Projektrisiken einzugehen und später ihren Betrieb, ob intern oder extern, unnötig aufzublähen, ergänzt Ulrich Kemp, bei T-Systems verantwortlich für das Geschäft mit Groß- und Mittelstandskunden. Die ERP-Installation möglichst passgenau für die anvisierten Geschäftsabläufen zu vereinfachen, mache sich für mittelständische Betriebe aus einem weiteren Blickwinkel heraus bezahlt: "Einmal konzipiert und umgesetzt, kann die ERP-Lösung später einfacher und reibungsloser auf die anderen Standorte des Unternehmens ausgerollt werden." Kemp ermahnt die Entscheider, gerade diesen Part einer erfolgreichen ERP-Einführung nicht zu unterschätzen. Zumal immer mehr mittelständische Unternehmen aus Wettbewerbsgründen gezwungen seien, sich sogar global aufzustellen.

Die Storsack Gruppe, ein Produzent von Schüttgutbehältern, ist ein gutes Beispiel dafür. Um einen durchgehenden Material- und Warenfluss über drei Kontinente im Auge zu behalten, hat der Hersteller, vorerst nur in Deutschland, seine drei ERP-Installationen an drei Standorten – zweimal Navision, einmal Sage - zu einer konsolidiert. Diese wird seit etwas mehr als einem Jahr als Dynamic Services bei T-Systems gehostet. "Die für Deutschland etablierte Standardlösung zur Steuerung unserer Material- und Warenflüsse wird Beispielcharakter für den kompletten Verbund haben", prognostiziert Wolfgang Schütte, IT-Manager für die Storsack Gruppe in Rheine. Er berichtet von Einsparungen bei der Hardware gegenüber der Installation zuvor von 20 bis 30 Prozent. Zudem lägen auch die Betriebskosten niedriger.

ERP-Rollout bleibt eine Herausforderung

Unternehmen mit internationalen oder gar globalen Ambitionen dürften trotz weitgehender ERP-Standardisierung den Ausrollprozess nicht auf die leichte Schulter nehmen, warnt Siemens-Mann Fasching. "Der Bedarf an Modulen und Funktionen innerhalb des Beziehungsgeflechts muss genau analysiert werden, um Unterschiede im lokalen Bedarf konkretisieren und die ERP-Architektur richtig strukturieren zu können." Dazu kämen die unterschiedlichen rechtlichen Auflagen in den einzelnen Ländern, die befolgt werden müssten, sowie die durchgehende Etablierung eines Zeichen- und Textformats, beispielsweise mittels Unicode. "Fällt die Entscheidung im vernetzten ERP-Verbund auf externes Hosting, müssen auch der beziehungsweise die Provider sämtliche lokalen Anforderungsprofile erfüllen, einschließlich der Service-Level-Agreements für die Geschäftsprozesse, IT-Sicherheit und Compliance", gibt er zu bedenken.

Für HP-Manager Aschenbrenner steht außer Frage: "In der Regel sind mittelständische Unternehmen ohne große IT-Mannschaft und mit einem relativ geringen IT-Budget mit ERP-Hosting besser bedient." Zusätzlich zum Abruf von ERP-Anwendungen richteten sich die IT-Ressourcen dynamisch am aktuellen Bedarf des Unternehmens aus. "Dadurch orientieren sich auch die laufenden Gebühren für den mittelständischen Betrieb hautnah am Geschäftsverlauf."

Für Andreas Schumann, IT-Leiter bei der Firma KHS, die Getränkeabfüllanlagen plant, baut und installiert, stehen die Vorteile durch externes SAP-Hosting wie Einsparungen und dynamischer Servicebezug außer Frage. "Außerdem halten wir uns durch das Hosting über HP Services den Rücken frei für unser Kerngeschäft und für die strategische Weiterentwicklung unserer Systemlandschaft", berichtet er. Der Ausbau des globalen Supply-Chain- und Produktdaten-Managements binde derzeit alle Entwicklungs- und Management-Kapazitäten des Unternehmens. KHS hat für einen schnellen Fortschritt die meisten Prozesse an den Softwarestandard von SAP angepasst. "Dafür mussten wir bereit für Veränderungen sein", räumt der IT-Leiter ein. Nur dort, wo der Standard elementare Anforderungen des Geschäftsmodells nicht bedient, entwickelt das Unternehmen selbst. Schumann spricht von einem Verhältnis von Standard- zu Sonderfunktionen von neun zu eins. "Diese Sonderentwicklungen machen allerdings bis zu 30 Prozent unserer Projektbudgets aus", stellt er klar. "Bei den Betriebskosten fällt das Verhältnis noch ungünstiger aus."

ERP-Hosting nicht überstürzen

Herbert Engelbrecht, Partner und Leiter Kompetenz-Center Corporate Sourcing bei Ernst & Young, rät den Unternehmen allerdings, sich nicht überstürzt zugunsten ERP-Hosting zu entscheiden. "Die Verantwortlichen sollten im eigenen Kosteninteresse die Gebührenstrukturen der in Frage kommenden Provider genau unter die Lupe nehmen." So seien die Kunden, neben dem Verbrauch an IT-Ressourcen als Berechnungsgrundlage, beim ERP-Hosting oft mit weiteren Kostenfaktoren konfrontiert. Dazu zählten Gebührenmodelle nach Anzahl der eingesetzten Module, der installierten Arbeitsplätze bis hin zum Nutzungsgrad bestimmter Funktionen. "Auch die Installations-, Integrations- und Anpassungskosten sollten zwischen beiden Seiten vor dem Zuschlag eindeutig vertraglich geklärt sein", betont er. Nur so runde sich das Gesamtkostenbild für den Kunden im Vergleich zum Eigenbetrieb ab.

Andreas Zilch, Experton Group: Gerade für den Mittelstand sind die Kosten rund um ERP-Installationen essenziell.
Foto: Zilch

Noch wichtiger für das Unternehmen seien Engelbrecht zufolge die Qualität der ERP-Leistungen sowie die dafür gebotenen Service Level Agreements (SLAs). "Bei geschäftskritischen Applikationen wie ERP sollten die Entscheider im eigenen Verfügbarkeits-, Performance-, IT-Sicherheits- und Compliance-Interesse auf Ende-zu-Ende-SLAs für ihre Geschäftsprozesse drängen", empfiehlt der Berater. Nach der Hosting-Entscheidung sollte das Unternehmen mit regelmäßigen Messungen dieser SLAs am Ball bleiben: "Nur so lässt sich das Leistungsniveau des Providers bewerten, Fehlentwicklungen frühzeitig entgegensteuern, vertraglich zugesicherte Leistungen einfordern, Ablaufrisiken fürs Geschäft und Compliance bemessen und die notwendige Kostentransparenz gewährleisten."

"Gerade für den Mittelstand sind die Kosten rund um die ERP-Installation essenziell", bestätigt Berater Zilch. So hat die Experton Group durch eine Befragung von 465 deutschen Firmen, 208 davon mit weniger als tausend Mitarbeitern, herausgefunden, dass Kostenreduzierung, -kontrolle und -transparenz zusammen mit den Themen Sicherheit und Compliance ganz oben auf ihrer IT-Agenda stehen. "Für die Unternehmen heißt das, gerade bei geschäftskritischen Applikationen wie ERP zur richtigen Balance zwischen ausgelagerten und eigenerbrachten Services zu finden." Zudem komme für den Mittelstand eine zu starke Orientierung am ERP-Standard einem Kompromiss gleich. Dafür sei die dynamische Anpassung der IT-Ressourcen durch den Dienstleister ein riesiger Kostenvorteil gerade für den Mittelstand.

Fünf Tipps für die ERP-Einführung