Cloud-ERP kommt nur langsam in die Gänge

ERP aus der Cloud

07.05.2013 von Frank Naujoks
Die Vision, IT-Services wie Strom aus der Steckdose zu beziehen, klingt verlockend. Doch nur langsam folgen die Softwareanbieter einigen wenigen SaaS-Pionieren. Kunden sind beim Einsatz von ERP-Lösungen aus der Cloud besonders zögerlich.
Foto: ALMAGAMI, Shutterstock.com

Wenn es um den Betrieb geschäftlicher Anwendungen geht, wird das Thema ERP als Software as a Service (SaaS) immer häufiger diskutiert.SAP baut mit seinem Cloud-Paket "Business ByDesign" schrittweise die globale Präsenz aus. Der amerikanische Anbieter Plexonline offeriert eine rein im SaaS-Modell verfügbare Lösung für Fertigungsunternehmen. Auf Buchhaltung, Projekt-Management und CRM/Vertrieb hat sich der Bonner Anbieter Scopevisio ausgerichtet.

Microsoft bietet nicht nur über Partner SaaS-Angebote für "Dynamics NAV" an, sondern nutzt die Erfahrungen aus dem Betrieb der eigenen CRM-Lösung, um sein Ende 2012 vorgestelltes "NAV 2013" selbst als On-Premise- und On-Demand-Version anzubieten. Diesen hybriden Weg gehen auch Anbieter wie Comarch, IFS, Sage oder eNVenta, die ihre vorhandenen Lösungen in die Cloud gebracht haben und parallel weiter als klassische On-Premise-Version vertreiben.

10 Trends im ERP-Markt 2013
Für das Jahr 2013 sind wichtige Entwicklungen in Sachen ERP-Software und ERP-Markt abzusehen. Für Anwender interessant zu wissen, denn ERP-Systeme bilden das Rückgrat der betrieblichen Informationsverarbeitung und verschlingen einen großen Teil des jährlichen IT-Budgets.
1. Der ERP-Markt bleibt dynamisch
Die schon seit Jahren vorhergesagte, aber bisher nicht eingetroffene Konsolidierung des Marktes für Enterprise Resource Planning wird auch 2013 nicht erfolgen. Zwar werden wieder einige traditionelle Anbieter aufgeben oder Systeme aus der aktuellen Weiterentwicklung nehmen, aber dieser Effekt wird durch zwei wesentliche Zuflüsse neuer ERP-Anbieter mehr als ausgeglichen: zum einen drängen noch immer internationale Anbieter auf den deutschen Markt, wie in den letzten Jahren Plex oder Jeeves. Zum anderen entwickeln sich bisherige Nischenanbieter mehr und mehr zu vollwertigen ERP-Anbietern, etwa der Berliner Anbieter Projektron, der mit seiner Lösung BCS ein vollwertiges ERP-System für projektorientierte Dienstleister anbietet.
2. Weiter hohe Investitionsbereitschaft
Die vom Center for Enterprise Research betriebene ERP-Trendstudie 2012 brachte eine erstaunlich hohe Investitionsbereitschaft der ERP-Anwender ans Licht. Fast 70 Prozent der Unternehmen befassen sich derzeit mit Investitionen in ihre ERP-Landschaft, das heißt, planen in ihre ERP-Systeme zu investieren oder machen gegenwärtig bereits. Vor diesem Hintergrund ist mit einer erheblichen Abkühlung der Investitionsbereitschaft im ERP-Umfeld im Jahr 2013 nicht zu rechnen.
3. ERP-Bedeutung nimmt ab
Trotz der hohen Investitionsbereitschaft sind die Tage gezählt, in denen das ERP-System die einzige unternehmensweite Anwendungslösung darstellte. Gerade Unternehmen mit spezialisierten Prozessen gehen zunehmend dazu über, neben das ERP-System weitere unternehmensweit genutzte Anwendungen zu stellen. Dennoch bleibt das ERP-System weiterhin der Maßstab für die betriebswirtschaftliche Bewertung der Geschäftsabläufe und auch führendes System für die meisten Stammdaten.
4. Anbieter werden professioneller
Viele deutsche Mittelständler haben sich zu internationalen Weltmarktführern entwickelt und ihre Organisation sowie ihren Auftritt entsprechend angepasst. Die Softwarelieferanten dieser "Hidden Champions" haben diese Professionalisierung bisher erst teilweise absolviert. Das Center for Enterprise Research sieht jedoch bei vielen Anbietern große Anstrengungen, die für Softwareanbieter wichtigen Prozesse Vertrieb, Support und Entwicklung deutlich zu professionalisieren.
5. Big-Data-ERP ohne Business Analytics
Während noch vor wenigen Jahren die Beschaffung von Daten über Kundenverhalten oder Fertigungsprozesse ein großes Problem darstellte, hat sich der Fokus nunmehr auf die Auswertung dieser großen Datenmengen - Big Data - verschoben. Eine aktuelle Untersuchung des Lehrstuhls www.wettbewerbsfaktor-analytics.de zeigt, dass ERP-Systeme in diesem Punkt wenig leistungsfähig sind und sich dieses Manko in naher Zukunft auch kaum ändern wird.
6. ERP muss Prozesse besser abbilden
Die Anbieter kämpfen gegenwärtig mit ganz anderen Baustellen. Immer mehr Kunden verlangen umfassende Lösungen für das Geschäftsprozess-Management, die eng mit dem ERP-System verzahnt sind. Im Idealfall ist dies nicht nur für das Einführungsprojekt von Vorteil, sondern auch für Schulung und Support in der Betriebsphase. Diesen Anforderungen werden die Anbieter unterhalb der SAP-Liga derzeit nur unzureichend gerecht.
7. Technologie und Architektur werden wichtiger
Der Hype um serviceorientierte Architekturen ist weitgehend vorbei. Nachdem sich der Pulverdampf um dieses Thema verzogen hat, wird folgendes deutlich: Die Anwender schauen stärker auf die Architektur und den Beitrag der vom ERP-Anbieter verwendeten Technologie zur Integrationsfähigkeit ihres ERP-Systems. Dabei ist nach wie vor die Funktionalität eines der wichtigsten ERP-Auswahlkriterien.
8. ERP wird mobiler
Der Trendreport der Universität Potsdam zeigt bei mobilen Lösungen einen deutlichen Unterschied zwischen den Interessen der Anwender und den Investitionsschwerpunkten der Anbieter. Während für Anbieter der Funktionsausbau für mobile ERP-Oberflächen den wichtigsten Entwicklungsschwerpunkt darstellt, ist das Interesse der Anwender noch eher zurückhaltend. 40 Prozent der befragten Unternehmen haben derzeit kein oder nur ein geringes Interesse an mobilen Lösungen.
9. Die Cloud bleibt wolkig
Kaum ein Thema wurde 2012 so intensiv diskutiert wie Cloud Computing. Wesentliche Hürden sind dabei, wie vertrauliche Informationen behandelt werden, und wie die Abrechnung der genutzten Services erfolgt. Folgender bisher weniger stark diskutierter Aspekt wird 2013 jedoch stärker ins Bewusstsein treten: die sehr stark branchenbezogene Cloud-Nutzung. Während die Serienfertiger zu fast 80 Prozent eine abwartende Haltung einnehmen, besteht bei 50 Prozent des stationären Handels und sogar 60 Prozent des Online-Handels ein starkes Interesse an Cloud-Lösungen.
10. ERP ist spannend
Das Schöne an den vorgestellten Trends und Entwicklungsperspektiven ist, dass Anbieter und Anwender durch ihr Marktverhalten dazu beitragen können, diese Trends zu gestalten. Insofern wird 2013 auch wieder ein spannendes ERP-Jahr werden.

Insgesamt bewegt sich der Umsatzanteil der Cloud-Angebote an den ERP-Komplettlösungen derzeit allerdings noch im unteren Prozentbereich. Dabei sollte eigentlich die wirtschaftliche Situation des IT-Leiters den SaaS-Anbietern in die Karten spielen. Mit folgenden SaaS-relevanten Herausforderungen sind die IT-Leiter konfrontiert:

Aus Sicht der Anwender sollten sich die Einsatzbedingungen von SaaS-ERP-Angeboten wie folgt darstellen:

  1. Das System wird ohne Aufbau von Infrastruktur bezogen: Notwendig sind ein Rechner mit einem Internet-Browser und eine entsprechende Verbindung, eine Installation von Software ist nicht nötig. Das gilt für eine klassische Büroumgebung. Zu klären sind Offline-Arbeitsmöglichkeiten, beispielsweise die Zugriffe mobiler Mitarbeiter.

  2. Die Applikation bietet hohe Standards mit entsprechender Zertifizierung in Bezug auf Datensicherheit, Performance und Verfügbarkeit: Entsprechende Service-Level-Agreements und Zertifizierungen erreichen in der Regel eine sehr gute Verfügbarkeit und meist auch einen besseren Schutz-Level als Server, die in kleinen und mittleren Unternehmen installiert sind. Zusätzlich garantiert der Anbieter Backup- und Recovery-Szenarien. Anwender müssen jedoch klären, welche gesetzlichen Grundlagen gegebenenfalls die Verwendung ihrer ERP- oder Kundendaten einschränken und welcher Gesetzgebung der Anbieter unterliegt.

  3. Die Bezahlung erfolgt periodisch nach einem "Pay-per-Use"-Modell: In der Regel bestimmen die Faktoren Laufzeit, Nutzerzahl und Funktionsumfang den Preis - eine echte verbrauchsabhängige Abrechnung ist das zwar noch nicht, doch diese Modelle sind für Anwender kalkulierbar und schützen vor bösen Überraschungen. Anfangsinvestitionen sind nicht nötig. Entsprechend wird die Liquidität geschont.

  4. Das System lässt sich einfach, in der Regel ohne IT-Fachwissen oder Beratungs-Know-how, konfigurieren: Dies hat allerdings den Nachteil, dass sich Anwender im Rahmen der Herstellervorgaben bewegen und so manche geliebte Eigenart ihrer Abläufe aufgeben müssen. Die Systemoberfläche sollte einfach und intuitiv sein und sich weitgehend ohne Schulung erlernen und bedienen lassen.

  5. Die Systemfunktionalität kann durch eine weitgehend nicht reglementierte und unabhängig agierende Entwickler-Community erweitert werden: Erweiterungen gibt es in der Regel auf Systemmarktplätzen. SAP bietet mit entsprechenden Entwicklerwerkzeugen Partnern die Möglichkeit, Ergänzungen und Branchen-Templates nach einem Zertifizierungsprozess zur Verfügung zu stellen.

Kriterien für SaaS-Einsatz

Unabhängig vom gewählten Bereitstellungsmodell (on Premise, SaaS oder hybrid) sollte ein ERP-System funktional "passen". Dabei müssen gewisse "Killerkriterien" erfüllt werden - diese Liste sollten Anwender aber übersichtlich gestalten und nicht mit einer Wunschliste verwechseln. Wichtig für ein erfolgreiches Projekt ist das Zusammenspiel von Menschen, Technik und Prozessen.

Funktional unterscheiden sich die führenden ERP-Systeme kaum noch. Allerdings gibt es technische Unterschiede, die Projekte teurer und komplexer machen können. Zu hoffen, dieses Problem durch Übergabe der technischen Verantwortung an den SaaS-Anbieter zu lösen, wäre allerdings zu kurz gegriffen. Die Herausforderung gerade in größeren Projekten ist nicht die Installation eines Programms auf einem Server, sondern die Konfiguration und die Festlegung der Geschäftsprozesse. Das gilt auch im SaaS-Betrieb. Aus Kostengründen empfiehlt sich ein hoher Standardanteil, und nur dort, wo es unumgänglich ist, eine möglichst Release-fähige Anpassung.

ERP-Lösungen aus der Cloud
ERP aus der Cloud wird hierzulande noch wenig genutzt. Wir stellen Lösungen von SAP, Lexware, myfactory, weclapp, Scopevisio und Netsuite vor.
Lexware
Lexware gibt es seit 1989, damals startete das Softwarehaus mit einem Programm für optimierte Reisekostenabrechnungen, das sukzessive in Richtung Buchhaltung, Lohn- und Gehaltsabrechnung und Warenwirtschaft ausgebaut wurde. Vier Jahre später übernahm die Haufe-Gruppe das Unternehmen. Die Gruppe beschäftigt rund 1300 Mitarbeiter, in 2011 erwirtschaftete Haufe gut 200 Millionen Euro.
weclapp
Ertan Özdil, weclapp-Geschäftsführer und -Gründer, sollte 2005 als Abteilungsleiter Systementwicklung im 3-U-Konzern, zu dem auch die weclapp GmbH gehört, Business-Lösungen von Drittanbietern einkaufen und implementieren. Weil die Kompatibilität der Anwendungen untereinander nicht überzeugte, entstand die Idee, eine eigene, Cloud-basierende Softwaresuite zu entwickeln. Rund 50 Mitarbeiter beschäftigt der Marburger Anbieter.
Scopevisio
Nachdem die Scopevisio-Gründer Jörg Haas und Rüdiger Wilbert mit einer erfolgreichen Krankenhaussoftware abgeschlossen hatten, wollten sie etwas ganz Neues machen - eine Unternehmenssoftware, die "kompromisslos benutzerfreundlich und 100 Prozent Cloud" sein sollte. Das 2007 gegründete Bonner Unternehmen, das heute 42 Mitarbeiter beschäftigt, stieg mit dem Baustein Finanzen für Buchhaltung und Analysen ein und vervollständigt nach und nach das geplante Komplettsystem.
SAP
Der ERP-Gigant: 59.420 Menschen arbeiten weltweit für SAP, in 2011 wurden 14,26 Milliarden Euro erwirtschaftet. SAP Business ByDesign - eine SaaS-Lösung, mit deren Entwicklung der Walldorfer Hersteller sich lange schwer tat - ist in 15 Ländern erhältlich und von Preis und Funktionsumfang der "Rolls Royce" unter den ERP-Cloud-Lösungen.
myfactory
ERP als Service: Die myfactory International GmbH beschäftigt aktuell 20 Mitarbeiter in Deutschland. 2002 trat das Unternehmen mit der Idee einer über das Web zu nutzenden, kompletten ERP-Applikation für den Mittelstand an. Basis der "myfactory.BusinessWorld" ist Microsofts .Net-Technologie. Als Early Bird bot der Münchener Hersteller seit 2007 die ERP-Palette von myfactory im SaaS-Modus an.
Netsuite
Die deutsche Website des 1998 als NetLedger gegründeten US-amerikanischen Anbieters Netsuite muss um 2009 aufgegeben worden sein, Pressefragen werden auf Englisch beantwortet. Wer einen Partner finden möchte, muss zunächst ein Formular ausfüllen. Zu den deutschen Partnern zählen beispielsweise Ontect oder SBS SPL Business Solutions GmbH. Das deutsche Partnernetz wird dem Anbieter zufolge über die britische Niederlassung und die globalen Support- und Development-Teams unterstützt.

Wenn ein Anbieter ein sogenanntes hybrides Betriebsmodell offeriert - also die technische Basis für die On-Demand- und die On-Premise-Version identisch ist -, können Anwender das System leichter nach ihren Bedürfnissen zusammenstellen. So bietet sich in der Zentrale die On-Premise-Variante an, die Anpassungen beispielsweise für die Produktion enthält. Für Tochtergesellschaften und Niederlassungen kann man auf die On-Demand-Variante zurückgreifen. Vorteil: Das ERP-System bleibt einheitlich, Finanzkonsolidierungen fallen leichter, und der Schulungsaufwand sinkt.

Vorteil für Collaboration und Beschaffung: Aus Anwendersicht eignen sich gut abgrenzbare Funktionsmodule für den SaaS-Einsatz. Ganze ERP-Suiten spielen kaum eine Rolle. Angaben in Prozent, n = 71.
Foto: i2s Research 2012

Aus Sicht der Anwender haben ERP-SaaS-Angebote aber noch einen weiten Weg bis zur Marktreife vor sich, wie die i2s-Umfrage "ERP trifft Cloud" ergab. Angesichts der noch jungen Historie überrascht dies allerdings nicht. Genauso wenig wie die unterschiedlichen Einschätzungen zum Funktionsumfang: Während Händler und Dienstleister den SaaS-Lösungen bereits eine gut ausgeprägte Funktionalität attestieren, sehen Fertiger noch Handlungsbedarf. Auch die Firmengröße spielt bei der Cloud-Affinität eine Rolle - je kleiner das Unternehmen des Befragten, als desto geeigneter werden die Lösungen eingeschätzt. Dies ist auch auf geringere funktionale Anforderungen und Ansprüche zurückzuführen.

Den Vorteilen von SaaS-ERP wie kalkulierbare Kosten, Standardisierung, Security und Backup-Szenarien stehen aus Anwendersicht Nachteile wie eingeschränkte Anpassbarkeit, der Zwang zur permanenten Online-Verfügbarkeit der Nutzer, kaum vorhandene Branchen-Templates und gegebenenfalls Datenschutzfragen gegenüber. Bei SaaS-Investitionen sollten Anwender auch die Punkte Datenrückgabe und Überlebensfähigkeit des Anbieters beachten.

Immer mehr kleinere Kunden sind bereit, auch unternehmenskritische Anwendungen extern betreiben zu lassen. Nur Anbieter, die hier eine überzeugende Antwort auf Fragen nach Sicherheit, Datenschutz, Preis, Branchenangeboten und Partnerkompetenz finden, werden künftig erfolgreich sein. Das Wachstum wird zunächst getrieben von einzelnen funktionalen Ergänzungen und Modulen, weniger von den großen ERP-Suites. (ba)

ERP-Betriebsvarianten im Vergleich

Kostenart

ERP-SaaS

ERP-on-Premise

Anschaffungskosten Lizenz

entfällt

variabel, bedeutend

Upgrade-Lizenzkosten

entfällt

variabel, durchaus bedeutend

Mietkosten

Abrechnung nach Benutzer, Volumen/Nutzung oder Firmengröße

entfällt

Wartungskosten

in Miete enthalten

15 bis 25 Prozent der Lizenzkosten pro Jahr

Support-Kosten

in Miete enthalten

eventuell im Wartungsvertrag enthalten

Hardwarekosten

keine Extra-Anschaffung zu erwarten

hoch

IT-Infrastrukturkosten

Internet-Verbindung

hoch

IT-Personal/Support-Kosten

gering

durchaus bedeutend

Implementierungskosten

variabel, durchaus bedeutend

variabel, hoch

Quelle: Naujoks/i2s