Customizing, Add-ons und Modifikationen

ERP-Anpassungen: Wie man im Standard bleiben kann

25.09.2002
Standardsoftware wird selten die individuellen Geschäftsprozesse eines mittelständischen Unternehmens von vornherein abdecken. Sie muss angepasst werden, ohne allerdings die Release-Fähigkeit des ERP-Systems in Frage zu stellen.

HAT SICH ein Unternehmen für eine Enterprise-Resource-Planning (ERP)-Lösung entschieden, steht es vor der Frage, wie sich seine Prozesse mit der neuen Software abbilden lassen. Im Wesentlichen gibt es drei Möglichkeiten:

- Customizing, also die Verwendung einer reinen Standardlösung, wobei das ERP-System durch die Einstellung einer Vielzahl von Parametern auf die Belange des Kunden zugeschnitten wird.

- Add-ons, das bedeutet die Erstellung von Zusatzprogrammen, ohne dabei den Kern des ERPSystems zu berühren.

- Modifikation von Standardprogrammen, das heißt Änderungen im Code vorzunehmen, was sich unter Umständen als der problematischsteWeg entpuppen kann.

Trotz hoher Flexibilität der heutigen ERP-Systeme reicht Customizing allein oft nicht aus, um alle Prozesse des Anwenders abzubilden. Um den Anforderungen der Kunden aus unterschiedlichen Branchen trotzdem gerecht zu werden, arbeiten einige Hersteller nicht nur mit Systemhäusern zusammen, die sich in der jeweiligen Branche auskennen, sondern bieten darüber hinaus so genannte Industry Solutions an. Derartige Lösungen bestehen aus dem Standardkern des ERP-Systems plus Erweiterungen um branchenspezifische Funktionen. Die Systemhäuser bieten ebenfalls Add-Ons an, die auf bestimmte Industriezweige ausgerichtet sind. In beiden Fällen werden Zusatzfunktionen bereitgestellt, die den Kern des ERP-Systems nicht verändern und somit zu hundert Prozent Release-Fähigkeit garantieren, also auch dann noch funktionieren, wenn der Hersteller eine aktualisierte Version seiner ERP-Module auf den Markt bringt und dieses Update eingespielt werden soll.

Auf dem neuesten Stand

Doch was ist zu tun, wenn selbst nach Ausschöpfung der genannten Möglichkeiten immer noch Wünsche offen bleiben? Oberster Grundsatz für alle weiteren Anpassungen bleibt auch dann der Erhalt der Release-Fähigkeit. Denn moderne ERP-Systeme zeichnen sich auch dadurch aus, dass sie in Form von Updates ständig verbessert werden - ein Vorteil, den kein Anwender leichtfertig aufs Spiel setzen sollte.

Trifft bei einem Release-Wechsel die neue Version eines Programms auf eine vom Kunden modifizierte Version, wird lediglich die betroffene Komponente nicht automatisch auf den neuesten Stand gebracht. Über die Modifikationsassistenten der ERP-Pakete lassen sich Programmänderungen zwar in die aktuelle Version übertragen. Doch das kann erheblichen manuellen Aufwand bedeuten und eine latente Fehlerquelle öffnen.

Bei der Adaption werden die vom Kunden vorgenommenen Programmänderungen an die entsprechende Stelle der neuen Version kopiert, was bei umfangreichen Modifikationen nicht ganz einfach ist. Es muss ein gewisser Testaufwand dahingehend einkalkuliert werden, ob die Programmänderungen mit dem Update harmonieren.

 

 

 

 

Alternativ zur Modifikation bietet das ERP-System noch einen anderen Weg, um es mit anwenderspezifischen Funktionen anzureichern. Einige Hersteller von Standardprodukten haben hier Vorsorge getroffen, indem sie ihre Programme an zentralen Stellen leere Unterprogramme aufrufen lassen. Diese können Anwender mit eigenen Funktionen oder Daten füllen. Einzige Einschränkung: Die Schnittstellen sind vom Hersteller festgeschrieben, und damit auch die Daten - die sich über das Interface austauschen lassen. Wichtig dabei ist, dass die Unterprogramme per Definition nie von einem Release-Wechsel tangiert und individuelle Anpassungen seitens des Anwenders somit geschützt sind.

Die umfassendste Alternative, eine Standardsoftware zu individualisieren, bieten die jeweiligen Entwicklungsumgebungen. Grenzen werden dabei weniger durch die Standardsoftware als vielmehr durch die Vernunft gesetzt. Wirklich kompliziert wird es in den zugegebenermaßen seltenen Fällen, in denen mit dem Update auch eine neue Datenbasis eingeführt wird, sich also die Struktur der Datenspeicherung ändert. In diesem Fall müssen alle individualisierten Programme für die neue Datenbasis umgeschrieben werden, was umso mühsamer ist, wenn die Dokumentation der Individualprogrammierung lückenhaft oder die der neuen Programmstruktur nicht detailliert genug ist. Bei aller Flexibilität darf deshalb nicht vergessen werden, dass „individualisierte Standardsoftware“ schnell zum Paradoxon wird. (ue) 

* Norbert Paul ist R/3-Anwendungsberater bei der Steeb GmbH in Darmstadt.