ROI-Bewertung von ERP-Software

Entscheidungshilfe oder Lockmittel der Industrie?

22.01.2009 von Michael Gottwald
Anbieter ERP-Software versprechen einen raschen Return on Investment (ROI). Doch deren Berechnungsmethoden selten hilfreich. Die Praxis zeigt, dass sich ERP-Kosten leicht ermitteln lassen, der Softwarenutzen dagegen nur schwer.

ERP-Systeme sind teuer. Nicht selten Nicht selten verschlingen Betrieb, Wartung, Integration, Support und Weiterentwicklung der Software 20 Prozent und mehr der gesamten laufenden Kosten eines Unternehmens ein - insbesondere in der deutschen Industrie. Software-Anbieter versprechen ihren Kunden, die Investition in ihre Produkte würden sich bereits nach wenigen Jahren amortisieren. Inwieweit die Berechnungen des ROI (Return on Investment) - einer Software aber tatsächlich auch in der Praxis hilfreiche Entscheidungshilfen liefern und wie diese in der Auswahlphase das Investitionsrisiko minimieren können, darüber unter Experten ein Dissens.

Unternehmen investieren vor allem dann in ihre ERP-Software, wenn sie dadurch mittel- und langfristig Einsparpotenziale und Produktivitätssteigerungen erwarten können. Viele Betriebe reagieren aber erst, wenn der Leidensdruck zu groß wird. Es ist daher eine Kardinalaufgabe des IT-Leiters, regelmäßig die Effizienz der eingesetzten Systeme und der davon betroffenen Prozessstrukturen zu prüfen und betriebswirtschaftlich effektive Alternativen zu bewerten. IT-Ausgaben werden heute - im Vergleich zu früher - mit großer Sorgfalt geprüft. Aber gerade in Zeiten sinkender Budgets und reduzierten Absatzaussichten gewinnt die Frage nach schnellen ROIs für IT-Entscheider und deren Chefs stark an Bedeutung. Doch bisher stellt nur etwa jeder zehnte Anwender Rentabilitätsberechnungen an. Oftmals initiieren sogar die Softwareanbieter selbst die Diskussion darüber, hat der Autor festgestellt.

Vorsicht bei ROI-Rechnern der ERP-Hersteller

ERP-Softwarehäuser haben ROI-Rechner oder ROI-Berechnungsmethoden entwickelt, um die Wirtschaftlichkeit ihrer Produkte zu unterstreichen. Die Hersteller geben dem Interessenten ein Werkzeug an die Hand, das er mit Daten füttert. Diese Berechnungsmethoden unterliegen jedoch nicht selten eklatanten methodischen Schwächen sowie theoretischen Modellannahmen, die oft den Praxisanforderungen nicht Stand halten. Hersteller gehen von Grundannahmen aus, die nicht der Realität entsprechen. Zudem werden Einflussgrößen nicht berücksichtigt. Was nützen beispielsweise kürzere Durchlaufzeiten in der Auftragsabwicklung, wenn wegen schlechter Auftragslage ohnehin nicht viel zu tun ist. Grundsätzlich sind die ROI-Werkzeuge und -Methoden der Hersteller wenig hilfreich, um objektiv die geeignete Software auszuwählen (siehe auch "ERP-Nutzer erwarten Kontinuität").

Kosten lassen sich ermitteln, der Nutzen nur schwer

Auf ROI-Betrachtungen verzichten sollten Unternehmen bei ihren Investitionsentscheidungen deshalb natürlich nicht. Denn bei der Abwägung von Kosten und Nutzen, die mit einem Projekt verbunden sind, werden die unternehmensspezifischen Ist-Prozesse Soll- und zu erwartenden Szenarien gegenübergestellt und bewertet. Die Kunst besteht nun darin, verwertbare Zahlen dafür zu gewinnen.

Die Kosten für eine ERP-Softwareeinführung zu ermitteln fällt meistens nicht schwer (siehe auch "Wo es bei ERP-Projektleitern hakt"). Komplizierter ist es dagegen, den Nutzen zu erfassen. Der Grund: Positiveffekte wie höhere Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit, vermiedene Fehler oder verbesserte Services lassen sich quantitativ kaum berücksichtigen. Wenn überhaupt, können diese Angaben lediglich als subjektiv gefärbte Schätzvariable in die Berechnung einfließen.

Auch nach einer ERP-Einführung ist es schwierig, den wirtschaftlichen Nutzen der Software zu ermitteln. Wie will man beispielsweise feststellen, in welchem Maße ein Auftragsplus auf die neu eingeführte ERP-Software zurückzuführen ist?

ERP-Trendreport 2009

Das Hamburger Marktforschungsunternehmen SoftSelect GmbH befragt Anwender im Rahmen des "ERP Trendreport 2009". Ziel der Befragung ist, sich abzeichnende Trends und Tendenzen auf dem ERP-Markt auszuloten, der derzeit durch die Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise beeinflusst wird. Betrachtet wird unter anderem, inwieweit sich die Anforderungen der Anwender an die Architektur und zugrunde liegende Technologien ändern, wie sich das Interesse an Web-Komponenten oder an Miet-Modellen entwickelt und wie Unternehmen den Nutzen ihrer ERP-Investitionen bewerten. Die Umfrageergebnisse werden voraussichtlich zur CeBIT 2009 veröffentlicht.

Zur Beantwortung des Fragebogen werden etwa 5 bis 10 Minuten benötigt. Die ERP-Anwenderbefragung läuft noch bis zum 31. Januar 2009.

Alle Teilnehmer erhalten nach der Veröffentlichung der Ergebnisse einen Auszug der Untersuchungsergebnisse und nehmen an einer Verlosung teil. Hier geht´s zur Online-Befragung.

Vergleich des ROI für verschiedene ERP-Produkte

Oft sind ROI-Berechnungen für verschiedene Softwareprodukte allein schon deshalb wenig realistisch, weil sie voraussetzen, dass sämtliche Randbedingungen über den Betrachtungszeitraum gleich bleiben. Zudem fließen in der Regel zunächst nur die direkten Einführungskosten in diese Betrachtungen ein. Dass die Systeme zum Teil erheblich unterschiedliche Folgekosten für Wartung, Kosten für Anpassung und Integration sowie den laufenden Betrieb aufweisen (Stichwort: Total Cost of Ownership), wird an der Stelle aufgrund der schwierigen Erfassung oftmals ausgeklammert.

Trotz Wirtschaftskrise werden Firmen in ERP investieren, achten vermutlich aber noch stärker auf ROI-Aspekte.
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Vergleichsweise einfach lässt sich der Nutzen von Softwareprojekten für abgegrenzte, überschaubare Projekte ermitteln. Der Maschinen- und Fahrzeugbauer AEBI & Co. AG beispielsweise führte bereits 2003 das Web-gestütztes CRM-Portal ein, um Kunden eine automatisierte Ersatzteilbestellung zu erlauben. Zuvor waren pro Tag mehrere hundert Ersatzteilbestellungen per Fax, per Mail oder per Telefon eingegangen, die zwei Mitarbeiter manuell ins ERP-System eingeben mussten. "Kurz nach der Einführung des Portals sind bereits über 90 Prozent der Ersatzteilbestellungen über das Web-Portal abgewickelt worden. Die beiden Mitarbeiter, die bis dato mit der Einpflege der Ersatzteile in die ERP-Umgebung beschäftigt waren, konnten in kurzer Zeit nahezu vollständig eingespart und seitdem an anderer Stelle im Unternehmen eingesetzt werden. Die Investition hat sich für uns bereits nach weniger als neun Monaten gerechnet", erklärt Gavin Palmer, stellvertretender Leiter Services bei AEBI. Der Kunde bestellt, der Lagerarbeiter ruft Bestellstati ab, der Lieferschein wird automatisch gedruckt und die Ware ausgeliefert. "Der Besteller profitiert zudem von mehr Transparenz und schnelleren Lieferungen", so Palmer weiter.

Bei einem ungleich komplexeren Projekt wie der Einführung einer ERP-Software ist eine solche Berechnung raum möglich. Einerseits liegt dies an den zahlreichen Parametern. Andererseits reorganisieren viele Firmen ihre Abläufe, wenn sie ERP-Programme installieren (siehe auch "Die Tugenden des ERP-Projektverantwortlichen"). Doch wie soll man organisatorische Maßnahmen in die die Nutzenberechnungen für ein Softwareprodukt einfließen lassen?

ROI-Betrachtungen vor der Einführung sind die Ausnahme

In der ERP-Praxis sind ex-ante ROI-Betrachtungen im Gegensatz zu ex-post-Bewertungen daher eher die Ausnahme. Die ROI-Analyse aus der Retrospektive bewahrt Unternehmen zwar nicht vor einer Fehlinvestition, legt aber zumindest die Grundlage zur Bewertung des derzeitigen Status quo im Vergleich zu den vorigen Ergebnissen wie etwa Durchlaufzeiten, Lagerbestände, Auftragsbearbeitungszeit. Beispielsweise hat der Werkzeugbauer WKK Kaltbrunn AG aus der Schweiz Ende 2007 ein ERP-Produkt nebst Echtzeitproduktionsplanung eingeführt (siehe auch "Globale Prozesse steuern - Transparenz schaffen"). Im Ergebnis konnte das Unternehmen auf diese Weise die Durchlauf- und Lieferzeiten reduzieren, die Termintreue erhöhen, die Produktionskosten verringern und die Produktionsressourcen besser auslasten. "Wir konnten zudem Lagerbestände mit der neuen Lösung so effizienter bewirtschaften und dadurch das gebundene Kapital ohne Produktionseinschränkungen um fast 20 Prozent senken", erläutert WKK-CEO Michael Wenk. Beispiele wie das von WKK Kaltbrunn gibt es viele. Lokale, organisatorische und strukturelle Verbesserungen, die teilweise bewertbar, aber größtenteils nicht quantifizierbar sind.

Auf der ERP-Suche?

Bei der Suche nach einem passenden ERP-System hilft Ihnen der ERP-Matchmaker (http://www.erp-matchmaker.de) von Trovarit und der COMPUTERWOCHE.

Investitionsrisiken bei ERP-Systemen berücksichtigen

Nachher ist man immer schlauer. Doch Firmen wollen nicht ins Blaue investieren, um darauf zu hoffen, dass sich positive Effekte einstellen. Zumal die Investitionskosten bei ERP-Vorhaben meist um ein Vielfaches höher als bei CRM-, reinen Finanzbuchhaltungs- oder Personalsoftwareprojekten. Wird beispielsweise unter den zugrundeliegenden Modellannahmen ein ROI von 200 Prozent über einen Zeitraum von drei Jahren ermittelt, erscheint die Investition zunächst vielversprechend. Eine Aussage zu dem Risiko der Investition gibt der ROI jedoch nicht. Für den Budgetverantwortlichen ist es jedoch sehr wohl entscheidend, ob im Zusammenhang mit dem Projekt 10.000 oder mehrere 100.000 Euro veranschlagt werden müssen.

Break-Even-Analyse

Daher empfiehlt es sich, die ROI-Bewertung durch andere Formen der Rentabilitätsberechnung wie zum Beispiel einer Break-Even-Analyse (auch Gewinnschwelle) oder der Kapitalwertmethode zu ergänzen, um sich einer valideren Investitionsentscheidung zu nähern. Die Break-Even-Analyse berechnet beispielsweise die Zeit, ab wann ein Investment sich auszahlt beziehungsweise einen positiven Ertrag abwirft. Im Gegensatz zum ROI liefert dies Anhaltspunkte für das Risiko eines Einführungsprojekts in Abhängigkeit seiner Laufzeit.

In der Regel würde ein Unternehmen in die Lösung investieren, die sich am schnellsten amortisiert. Aber auch diese Entscheidung muss nicht immer die Beste sein: Beispielsweise kann ein auf zehn Jahre ausgelegtes Projekt zwar nach einem Jahr bereits die Kosten "eingespielt" haben, aber aufgrund eines ungünstigen Cashflows in den Folgejahren gegenüber einem anderen Projekt mit konstant positivem Ertrag über einen längeren Zeitraum die schlechtere Wahl sein.

Kapitalwertmethode

Die Kapitalwertmethode, ein weiteres gängiges Instrument der Investitionsrechnung, errechnet die Summe aller durch die Investition verursachten Ein- und Auszahlungen über einen definierten Zeitraum hinweg. Positive Überschüsse werden dabei stets mit einem Kalkulationszinssatz verzinst und um Inflationseinflüsse bereinigt. Am Ende erhält das Projekt den Zuschlag, das den größten Kapitalwert verspricht. Hört sich gut an, doch steht und fällt die Bewertungsmethode mit der Bestimmung aller Ein- und Auszahlungen.

Neben der ROI-Berechnung gibt es also eine Reihe von weiteren Bewertungsansätzen, die einen Anhaltspunkt für die Investitionsentscheidung geben, aber für sich genommen in ihrer Aussagekraft beschränkt sind. Daher sollten diese Instrumente sich gegenseitig ergänzen, um die Argumentation für ein bestimmtes Projekt zu unterstützen. Leider gibt auch die Kombination keine Gewissheit, da Störgrößen, Fehlkalkulationen oder unvorhersehbare Ereignisse die Vorteile der neuen Software sowohl negativ als auch positiv beeinflussen können. Risikoaufschläge und Worst-Case-Szenarien können darüber hinaus das Investitionsrisiko ein Stück weiter minimieren. (fn)