Enterprise 2.0: Kein Bedarf mehr an Beratern?

09.08.2006
Die neuen Web-basierenden Angebote und Techniken wie Software as a Service (SaaS), Ajax und Enterprise Mashups befreien Unternehmen von aufwändig zu implementierenden Standard-Applikationen.

"Bereiten Sie sich auf einen erneuten Paradigmen-Wechsel vor", rät der Brancheninformationsdienst Kennedy Information Services seinen Lesern, die vornehmlich aus der Beraterzunft kommen. Gemeint ist eine Entwicklung, die die Publikation als "Enterprise 2.0" bezeichnet, und die, so warnen die Autoren, werde die Consulting-Branche mit voller Wucht treffen. Denn bereits heute verfügbare Betriebsmodelle für Applikationen wie etwa Software as a Service (SaaS) sowie neue Web-2.0-Techniken werden bald unternehmensweite Standardapplikationen etwa von SAP und Oracle ersetzen.

Einführung, Pflege und Erneuerung der monolithischen ERP-Applikationen haben Beratern und Systemintegratoren in der Vergangenheit viel Arbeit und Geld beschert. Schätzungen zufolge haben Anwender pro Euro, den Sie in den Kauf einer Softwarelizenz investiert haben, weitere sechs Euro an Dienstleister überwiesen. Einschließlich der Entwicklungsservices für die Anbindung der Applikationen an die Geschäftsprozesse der Fachbereiche, ergibt sich aus sämtlichen Arbeiten ein zuverlässiger und gut vorhersehbarer Einnahmenstrom für Conulting-Häuser.

Doch mittlerweile greifen auch die klassischen Softwarehersteller SaaS- und Web-2.0-Techniken auf, um sie in ihr Angebotsportfolio zu integrieren. Der Unterschied zum bisherigen Softwareeinsatz ist, dass sich Anwenderunternehmen weder um Paketierung, Installation, Modifikation und Revisionen kümmern müssen. Das alles erledigt der SaaS-Provider, der die Applikationen hostet und via Web-Techniken den Nutzern zur Verfügung stellt.

Bislang haben Berater und Systemintegratoren von neuen technischen Paradigmen stets profitiert. Das galt beispielsweise für den Wechsel von der zentralen, großrechnergestützen Datenverarbeitung zum Client-Server-Computing als auch für Neuerungen, die der Einzug des Internets in die Unternehmen mit sich brachten. "Doch ist die nächste Transformation Gefahr und Herausforderung für die Consulting-Branche?" fragen die Autoren des US-amerikanischen Nachrichtendienstes nun.

Jeff Kaplan, langjähriger Beobachter der Beratungsindustrie und heute Geschäftsführer bei Think-Strategies Inc., glaubt, die Entwicklung werde die Branche hart treffen. "Die neue Generation der SaaS-Alternativen läuft robust genug, um die Aufgaben der großen Brocken zu übernehmen, die die Consultants bislang eingeführt haben. Schauen Sie auf Salesforce.com. Das Unternehmen bietet eine effiziente Alternative zu Siebels Softwarelösungen. Salesforce.com konnte sich viel schneller etablieren, als alle erwartet haben."

Er ist nicht der einzige Marktbeobachter, der dir Branche warnt. Rod Boothby, Management-Consultant bei Ernst & Young, ergänzt: "Berater, die an großen Implementierungen für CRM-Tools arbeiten, werden die ersten Betroffenen sein, weil mehr und mehr Unternehmen sich für einfache Lösungen wie Salesforce.com entscheiden. Eine ähnliche Bewegung gibt es unter Hedge-Fonds, die verstärkt Services wie GlobalOp nutzen. GlobalOp bietet Fonds-Managern komplette Back-Office-Lösungen. Berater, die Handels- und Abrechnungen entwickeln, sind damit überflüssig."

Die Anwender zeigen sich von den neuen Techniken fasziniert, weil sie endlich dem IT-Stau ein Ende bereiten, mit dem sich die Nutzer seit Jahrzehnten plagen. Mit den neuen Serviceangeboten müssen Fachabteilungen nicht wochenlang warten, bis IT-Abteilungen oder die IT-Berater individuelle Lösungen entworfen und eingeführt haben. Das Interesse an den neuen Web-Techniken hat also einen vergleichbaren Hintergrund, wie der Erfolg des PCs vor knapp zwanzig Jahren. Auch damals haben sich die Fachabteilungen ohne Abstimmung mit der zentralen IT eigene Desktops und Server installiert, weil sie nicht auf die behäbige zentrale Datenverarbeitung warten wollten.

Ohne Zweifel ändert dieser Trend die Arbeit und das Geschäft der Berater. Offen ist allein, wie schnell sich der Wandel einstellt. Joe Kraus, CEO des wiki-basierend Online-Dienstes JotSpot, erwartet kurzfristig keine tief greifenden Änderungen. Doch innerhalb der nächsten fünf Jahre, so seine Schätzung, werden die neuen Möglichkeiten auf breiter Front Einzug in die Unternehmen halten. "Meistens überschätzen wir die kurzfristigen Auswirkungen neuer Verfahren, die langfristigen Bedeutung wird dagegen erheblich unterschätzt", vermutet er. (jha)

Neue Begriffe 2.0

SaaS (Software as a Service): Das Model ist vor wenigen Jahren unter dem Schlagwort Application Service Providing (ASP) gescheitert. SaaS stellt genauso wie ASP den Nutzern gehostete Applikationen auf Basis einer monatlichen Miete zur Verfügung. Heutige SaaS-Lösungen sind auf die Nutzung im Web zugeschnitten. Beispiele sind Salesforce.com und Rightnow.

Weblog beziehungsweise Blog: Online-Tagebücher mit Internet-Fundstücken, Neuigkeiten, Kommentaren und Verweisen auf andere Web-Seiten.

Corporate-Blogs finden Anwendung in der Kommunikation, im Marketing oder im Service.

Wiki: HTML-basierendes und schnell zu implementierendes Content-Management-System, bekanntet geworden durch die Online-Enzyklopädie "Wikipedia"

Ajax: Technik zur Entwicklung dynamischer Web-Anwendungen.

RSS (Really Simple Syndication): Automatische Verbreitung von Web-Inhalten.

Enterprise Mashup: Wiederverwertung vorhandener Web-Inhalte. Im Unternehmensumfeld beschreibt dieses Vorgehen eine neue Art, Unternehmensanwendungen zu erstellen, indem es Inhalte etwa aus internen Suchmaschinen, Web-Diensten, BI-Tools und Massaging-Systemen kombiniert.