Politiker und das Internet

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25.05.2010
Nach den zumeist missglückten Versuchen, Barack Obama im Web 2.0 zu folgen, haben deutsche Politiker nun das Internet erneut für sich entdeckt: Sie bauen am Rückkanal.

Seit etwa einem halben Jahr ist Markus Beckedahl ein gefragter Mann in der Politikszene. Der Netzaktivist und Blogger bekommt massenhaft Einladungen zu Veranstaltungen und zu öffentlichen Diskussionen mit Politikern zum Thema Internet. Als sachverständiges Mitglied sitzt der 33-Jährige auch in der neuen Enquete-Kommission des Bundestages "Internet und digitale Gesellschaft". Jahrelang hatte die Netzgemeinde das Gefühl, von der Politik argwöhnisch betrachtet oder bestenfalls ignoriert zu werden. Nun haben sich die Zeiten offenbar geändert: Die Politik entdeckt das Internet.

Netzaktivisten klagen, dass die Politik und auch die Gesellschaft das Internet jahrelang nur als Ort des Bösen betrachte hätten. "Alles, was mit dem Internet zu tun hatte, löste immer sofort Angst aus. Deutschland diskutierte immer nur über die Risiken und zu wenig über die Chancen", meint Beckedahl. Die Politik habe die Gestaltung des digitalen Raums lediglich auf Überwachungsmaßnahmen wie die Vorratsdatenspeicherung, also die massenhafte und anlasslose Speicherung von Internetdaten, beschränkt. Nun sei es an der Zeit, in der Netzpolitik ein "verlorenes Jahrzehnt" nachzuholen.

Die Politik nähert sich dem Thema zum einen parteipolitisch: Im US-Präsidentschaftswahlkampf nutzte Barack Obama erfolgreich das Netz, um Wähler zu mobilisieren. Stefan Gehrke, Geschäftsführer von politik-digital.de, sagt, dass viele deutsche Politiker dies im Bundestagswahlkampf nachahmen wollten. Sie glaubten, im Netz mit vermeintlich wenig Aufwand neue Wähler erreichen zu können. Doch dieser Versuch sei oft fehlgeschlagen - vor allem bei Politikern, die sich im Netz jungdynamisch gaben, tatsächlich aber ganz anders sind. "Für sie war das Internet nur eine weitere, reine Abspielplattform", sagt Gehrke. Das falle der Netzgemeinde sehr schnell auf.

Rückkanal geschlossen

Ein Auftritt im Internet ist für viele Bundes- und Landespolitiker mittlerweile Standard. "Was noch nicht häufig genutzt wird, ist das Web 2.0., also die Möglichkeit, einen Rückkanal zu den Bürgern zu öffnen", sagt Gehrke. Somit sei das, was das Internet wesentlich ausmache, bei den Politikern oft noch gar nicht angekommen. Für Alvar Freude vom Arbeitskreis gegen Internet-Sperren und Zensur ist das vor allem eine Generationenfrage. In der Politik würden nun Leute nachwachsen, die sich auch persönlich mehr mit dem Thema beschäftigten und mehr Kompetenz in die Diskussionen einbrächten.

Als die große Koalition 2009 das Gesetz für die Sperrung von kinderpornografischen Internet-Seiten auf den Weg brachte, formierte sich im Netz großer Widerstand. Nach Einschätzung von Gehrke merkten die Politiker, dass es da "eine sehr interessierte Öffentlichkeit gibt, die offensichtlich auch Macht hat". Dass die Piratenpartei, in der sich vor allem Netzaktivisten engagieren, bei der Bundestagswahl zwei Prozent der Stimmen bekam, schürte bei etablierten Parteien die Angst vor einer neuen Konkurrenz. "Das bringt viele Politiker dazu, sich mit dem Thema (dem Internet) zu beschäftigen", sagt Gehrke.

Das Ergebnis: "Netzpolitik ist ein Trendthema", meint Beckedahl. "Politiker wollen sich damit profilieren, und es gibt auf einmal eine Offenheit, das Thema zu entdecken und mitzugestalten, die es vorher nicht gab." Der Bundestag beschloss im März, eine Enquete-Kommission zum Thema Internet einzusetzen. Dort tummeln sich vor allem junge Nachwuchspolitiker. "Grundsätzlich bin ich zuversichtlich, dass dabei etwas Verwertbares rauskommt - und sei es nur, dass sich die deutsche Politik offiziell mit dem Thema beschäftigt", meint Gehrke.

Kein gemeinsamer Ansatz

In der Bundesregierung ist ein gemeinsamer Ansatz, wie man sich dem Thema ordnungspolitisch nähern will, noch nicht zu erkennen. Für den Datenschutz im Netz fühlen sich mindestens Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), Verbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) und Innenminister Thomas de Maizière (CDU) zuständig. Der Ausbau des schnellen Breitband-Internets wird im Wirtschaftsministerium vorangetrieben. Ob kinderpornografische Seiten im Netz nur gelöscht oder auch gesperrt werden sollen, darüber streitet Leutheusser-Schnarrenberger noch mit de Maizière.

De Maizière sammelt unterdessen im Internet Meinungen und Ideen für die künftige Gesamtstrategie der Bundesregierung unter dem Titel "Deutschland Digital 2015". Und er trifft sich regelmäßig mit Netzaktivisten. "Es ist sehr positiv, dass die Politik diesen Leuten jetzt zuhört", sagt Gehrke. Allerdings müsse man nun auch sehen, was daraus entstehe. Wenn sich in der Netzgemeinde das Gefühl breitmachen sollte, dass sich doch nichts ändere, könne die Politik auch viel kaputtmachen. (dpa/ajf)