Krise in Japan

Elektronikindustrie in Sorge

28.03.2011 von Heinrich Vaske und Martyn  Williams
Nach dem verheerenden Erdbeben zeichnet sich ab, wie stark die japanische und die weltweite Elektronikindustrie betroffen sind.

Wie lange wird es dauern, Werke und Anlagen zu reparieren, die Stromversorgung zu stabilisieren und die landesweite Logistik wieder aufzubauen? Diese bange Frage stellen sich weniger die Japaner, von denen viele noch mit weitaus existenzielleren Problemen beschäftigt sind. Es sind vor allem die IT- und Elektronikanbieter rund um den Globus, die zumindest kurzfristig um ihre Lieferfähigkeit bangen.

Das verheerende Erdbeben, das vielen Japanern zur persönlichen Tragödie wurde, hat Auswirkungen auf ganze Industriezweige weltweit. Beispielsweise steht ein Viertel der globalen Produktion von Silizium-Wafern still. Ursache der Probleme sind je ein zerstörtes Werk der Shin-Etsu Chemical Co. in Shirakawa und der MEMC Electronic Materials Inc. in Utsunomiya. Zusammen, so berichten die Analysten von IHS iSuppli, werden in diesen Fabriken 25 Prozent des weltweiten Bedarfs an Silizium-Wafern produziert, ohne die keine Halbleiter hergestellt werden können.

Knapper Flash-Speicher

Shin-Etsu hatte zunächst Schäden an vier Fabriken gemeldet, zwei davon sind inzwischen wieder in Betrieb. Die Fabrik in Shirakawa produziert 300-Millimeter-Wafer, die für leistungsfähigere Chips mit hoher Transistordichte verwendet werden, vor allem in Speicherchips wie Flash Memory und DRAM. Betroffen, wenn auch mit geringeren Auswirkungen auf die Weltmärkte, ist ebenso das Segment der Logikchips, die auch die Wafer-Technik dieser Anbieter nutzen. Shin-Etsu hat inzwischen mitgeteilt, die Produktion angesichts der zerstörten Anlagen auf andere Fertigungsstätten verlagern zu wollen. Das Unternehmen kann aber ebenso wenig wie MEMC sagen, wann der Betrieb in den betroffenen Fabriken wieder aufgenommen werden kann.

Was wird aus iPad 2?

Von den Erdbebenfolgen tangiert dürften in mehr oder weniger starkem Ausmaß nahezu alle Elektronikanbieter sein. Das öffentliche Augenmerk gilt zurzeit aber vor allem Apple, dessen iPad 2 angetreten ist, die Vormachtstellung im Tablet-Markt zu verteidigen. Die Analysten von IHS iSuppli gehen davon aus, dass Apple nicht nur mit NAND-Flash-Speicher durch Toshiba oder mit DRAM-Speichern durch Elpida Memory Inc. unterversorgt sein dürfte. In beiden Fällen könne notfalls der südkoreanische Technologiegigant Samsung einspringen, auch der US-Anbieter Micron Technology sei in der Lage, Flash-Speicher zu liefern.

Schwieriger zu beseitigen seien voraussichtlich die Engpässe, die das Touchscreen-Glas, die digitale Kompasstechnik und die Akkus betreffen. Die Lieferanten Asahi Glass Co., AKM Semiconductor und auch Apple Japan selbst leiden laut IHS iSuppli mehr oder weniger stark unter den Folgen der Katastrophe. Teilweise sind sie durch die Zerstörung von Werken und Anlagen direkt betroffen, teilweise indirekt, weil die unregelmäßige Stromversorgung die Produk¬tion erschwert, Logistikketten beeinträchtigt sind und die Versorgung mit Rohmaterialien teilweise unterbrochen ist.

Rohmaterialien fehlen

Probleme bei der Mitsubishi Gas Chemical Company Inc. und der Hitachi Kasei Polymer Co. Ltd. spielen bezüglich der Rohmaterialien eine wichtige Rolle. Beide Anbieter bedienen zusammen rund 70 Prozent des weltweiten Bedarfs an Materialien, die für die Herstellung von Leiterplatten (Printed Circuit Boards = PCBs) verwendet werden. PCBs stecken in allen elektronischen Produkten, vom PC über das Smartphone bis hin zur digitalen Armbanduhr. Die Unternehmen liefern dazu spezielle Kupferfolien. Den Analysten zufolge sollen die Lager nur so weit gefüllt sein, dass sich bereits ein Lieferausfall von mehr als zwei Wochen auf die Supply Chains auswirken werde.

Nokia in Sorge

Allerdings zeigt sich schon jetzt, dass die Lage ungemütlich werden könnte. So teilte Nokia mit, es werde „einige Störungen“ bei der Versorgung mit Produkten und Dienstleistungen geben. Das Unternehmen begründete das mit Engpässen bei der Belieferung mit wichtigen Komponenten und Rohstoffen aus Japan. Das Bild sei noch nicht in allen Einzelheiten klar.

Sony hat mittlerweile angekündigt, aufgrund von Problemen bei wichtigen Lieferanten bis Ende März in fünf Werken die Produktion ruhen zu lassen. Betroffen sind Fertigungsstätten in den Präfekturen Shizuoka, Aichi, Gifu und Oita. Es werde überlegt, die Produktion vorübergehend ins Ausland zu verlagern, hieß es. Die Fabriken stellen Kameras, Handys, Flachbildschirme, Mikrofone und Sendetechnik her. Immerhin laufe die Herstellung von Batterien in einem Werk in Shimotsuke nördlich von Tokio wieder. Unklar ist noch, wann die sieben Sony-Werke in den von der Katastrophe betroffenen Regionen Tohoku und Ibaraki ihre Produktion wiederaufnehmen werden.

Nachbeben mit Folgen

Betroffen ist aber nicht nur Sony: Nahezu alle Technologiegrößen im Land, darunter Fujitsu, Hitatchi, Canon, Mitsubishi und NEC, hatten nach der Katastrophe Werke schließen und Notfallfpläne verkünden müssen. Nicht gerade leichter wird die Situation durch immer wieder auftretende heftige Nachbeben: Erreichen diese eine Stärke von mindestens fünf auf der Richter-Skala, fährt die Produktion in den meisten Halbleiterfabriken automatisch herunter. Bis sie wieder hochgefahren werden kann, vergehen Tage.

Energieversorgungs-Probleme teilweise hausgemacht

An einer verhängnisvollen Weichenstellung für die Stromversorgung aus dem 19. Jahrhundert leiden die Japaner noch heute. 1883 wurde der zentrale Versorger Tokyo Electric Light Co. gegründet, der 1895 einen merklichen Wachstumsschub bekam, nachdem er Equipment für die Stromerzeugung von der deutschen AEG in erheblichem Umfang zugekauft hatte. Im Westen der Insel gründete sich derweil der Versorger Osaka Electric Lamp, der seinerseits technisches Equipment von General Electric erwarb.

Folge war, dass sich die mit AEG-Technik ausgestattete Tokyo Electric Light am europäischen Energieübertragungsstandard von 50 Hertz orientierte, während die Osaka Electric Lamp – mit Blick auf die USA – auf eine Netzfrequenz von 60 Hertz baute. Was seinerzeit kein Problem darstellte, führt heute zu massiven Schwierigkeiten: Die in Mitleidenschaft gezogene nordöstliche Region Japans lässt sich nicht ohne Weiteres aus anderen Kraftwerken im Westen versorgen.

Osten und Westen sind inkompatibel

Es ist zwar möglich, die beiden Netze zu verbinden, doch dazu sind Einrichtungen für die Umwandlung der Frequenzen nötig. Drei solche Stationen gibt es bereits, aber ihre Kapazität liegt bei insgesamt nur einem Gigawatt. Das Erdbeben hat jedoch dafür gesorgt, dass elf Reaktoren vom Netz mussten, darunter die im Krisengebiet Fukushima. Damit sind der ostjapanischen Stromversorgung insgesamt 9,7 Gigawatt entzogen worden. Dieses Defizit lässt sich durch die westlichen Versorger angesichts der technischen Einschränkungen unmöglich ausgleichen.

Das ist der Grund dafür, dass die Regierung in Ostjapan die Stromversorgung rationiert und damit wichtige Industriezweige in Bedrängnis bringt. Damit die Lichter in der Hauptstadt Tokio nicht ausgehen, müssen im Umland zehn Millionen Haushalte zeitweilig auf Energie verzichten. Wie schwierig die Lage ist, zeigte eine Warnung der Tokyo Electric Power Co. (Tepco) am vergangenen Donnerstag: Durch den Kälteeinbruch hatten die Menschen ihre Heizungen so weit aufgedreht, dass die Stromversorgung unmittelbar vor dem Kollaps stand. Sofort ließen die Unternehmen ihre Mitarbeiter nach Hause gehen, die öffentlichen Verkehrsbetriebe stellten den Transport ein, und in den meisten Häusern gingen die Lichter und elektronischen Geräte aus. Die Stadt entging einem größeren Stromausfall – für wie lange, ist völlig unklar. Laut Tepco werden die Stromeinschränkungen noch Monate andauern.