Markenführung im Mittelstand

"Eine gute Marke hat Ecken und Kanten"

02.07.2014 von Carina Kontio
Dominic Multerer war erst 16 Jahre alt, als er als Deutschlands jüngster Marketing-Chef von sich reden machte. Heute berät und begleitet der 22-jährige Multerer mehrere mittelständische Unternehmen bei Markenprozessen, darunter etwa Dürkop, eine der größten Autohändler Deutschlands. Er schreibt Beiträge für führende Wirtschaftspublikationen, hält Vorträge auf Kongressen - sowie Vorlesungen an Business-Schools. Sein "Guerilla-Denken-und-Handeln-Credo": Marken müssen bewusst Regeln brechen, um anders zu sein.

Sind Markenaufbau und -pflege nur etwas für große Konzerne, die Millionenbudgets investieren können?

Nein. Marke kann und muss auch "kleiner" gelebt werden. Marke ist keine Frage des Geldes, sondern der Einstellung, der schlussendlichen Positionierung und Umsetzung. Jeder Handwerker kann zu einer Marke werden. Schauen wir uns "Mustafas Gemüsekebap" in Berlin an: selbst ein kleiner Dönerladen kann eine Marke sein und werden. Was natürlich ein logischer Unterschied ist: je größer das Unternehmen, desto größer wird auch der Aufwand beziehungsweise das Budget sein.

Dominic Multerer berät und begleitet mehrere mittelständische Unternehmen bei Markenprozessen, u.a. Dürkop, eine der größten Automobilhandelsgruppen Deutschlands und mps public solutions, einen führenden Anbieter im Markt für kommunale Software, der zum Marktführer werden soll.
Foto: Dominic Multerer

Was sind die häufigsten Fehler, die Unternehmen beim Thema Markenführung begehen?

Zunächst muss man mit dem Thema starten und eine Grundsatzentscheidung treffen: Will ich diesen Weg gehen oder nicht? Daran scheitert es im Vorfeld. Oft verliert man sich in operativen Aufgaben, wenn man Marketingarbeit leistet. Man sollte 30 Prozent der Arbeitskraft in strategische Markentätigkeiten stecken. In der Praxis verliert mit der Zeit der strategische Ansatz, welcher die Marke bis zu dem Zeitpunkt für ihre Verhältnisse groß gemacht hat, an Bedeutung. Darunter leidet die Führung und das klare Bild am Markt. Es kommt auf klare Strukturen, Bewusstsein und Konsequenz an.

So brechen Sie erfolgreich Regeln

Beim Prinzip „Schockierend“ im Sinne von „polarisierend“ geht es nicht nur um den Bruch mit gewohnten Konventionen im Bereich der Kommunikation einer Branche. Es geht um einen schmalen Grat zwischen tolerierter Grenzüberschreitung und gesellschaftlich geächtetem Verhalten. Wer polarisieren will, zielt auf einen Erregungszustand bei der Zielgruppe. Der kann durch Freude, Glück, Liebe, Ekel, Wut oder Ähnliches ausgelöst werden. Die Aktion berührt unser tiefstes Innerstes.
Der Mechanismus, der zum Einsatz kommt, läuft so ab: Es passiert etwas völlig Überraschendes, das ganz und gar nicht zum Umfeld passt. Die Aktion oder das Motiv provoziert. Das Erfahrene muss verarbeitet werden. Es beschäftigt einen nachhaltig und länger. Dadurch wird eine sehr hohe Aufmerksamkeit erzielt. Bei Wiederholung besteht ein großer Wiedererkennungswert.
(Quelle: Dominic Multerer, Marken müssen bewusst Regeln brechen, um anders zu sein)
Das Prinzip „Unberechenbar“ trägt den Regelbruch bereits in sich. Alles, was nach den Regeln geschieht und läuft, ist berechenbar. Die Kunst, „unberechenbar“ als positive Eigenschaft einer Marke darzustellen, besteht in der Wahrung des Vertrauens. Daher ist „unberechenbar“ im Sinne von unterhaltender Überraschung zu verstehen, wie sie sich zum Beispiel in einem freudigen „Oh, das hätte ich aber nicht erwartet!“ ausdrückt.
Das Prinzip dient dazu, über Aufmerksamkeit Relevanz zu schaffen. Im Augenblick des Staunens kommt ein Dialog mit der Zielgruppe zustande. Die kommunizierte Botschaft sorgt dafür, dass sich die Zielgruppe mit der Marke oder dem Produkt auseinandersetzt; und die Botschaft kommt dabei immer wieder neu und immer wieder unerwartet rüber, ist aber immer wieder „typisch“.
Wofür steht "maximal“? Reflektieren Sie einen Moment. "Maximum"steht für das Absolute, das Extreme, das Größte, das Bedeutendste und das Unüberbietbare. Denken Sie dabei groß! Kleines Denken schränkt ein. Maximales Denken und Handeln dagegen beinhalten das Überwinden von Grenzen. Sie müssen Regeln brechen.
Wenn Sie das Maximalprinzip anwenden, es leben wollen, beginnen Sie damit, einen Abstand zwischen sich und dem Wettbewerb aufzubauen. Vermeiden Sie Stillstand. Stillstand bedeutet Rückschritt.
Wenn man sich entschließt, anders zu sein als alle anderen, erfordert dies die innere Bereitschaft dazu. Dieser Schritt zieht mindestens einen, wenn nicht gar mehrere Regelbrüche nach sich. Halbherzigkeit ist wenig hilfreich! Sie verursacht sogar mehr Schaden als Untätigkeit. Sie brauchen Mut und ein breites Kreuz, wenn Sie als Erster in Ihrer Branche etwas anders machen. Setzen Sie eindeutig und konsequent alles um, was Sie ab jetzt anders machen möchten, damit Sie sich vom Markt abheben - eben indem Sie ihm "einen Schritt voraus"sind.
Das Prinzip "One step ahead"beschreibt einen ständigen Prozess. Stillstand ist der Tod! Beobachten Sie immer wieder Ihren Markt. Der Markt wird Sie ebenfalls beobachten und bei Erfolg kopieren wollen. Behalten Sie im Kopf: Der Schnelle frisst den Langsamen. Marktführer können Sie nur werden, wenn Sie "one step ahead"sind.
Geiler Content oder guter Inhalt. Klingt simpel, wird jedoch eher selten erreicht. Geiler Content geht mitten ins Herz. Er berührt einen. Oft bedarf es kaum Worte, um zu verstehen, was ausgedrückt wird. Wenn Sie verstanden haben, wer Sie sind, was Menschen bewegt, wie Sie Menschen erreichen und wo Sie Menschen erreichen, werden Sie auch für Ihre Zielgruppe relevant.
Interessieren sich die Menschen wirklich und intensiv für Ihre Marke und für Ihr Produkt, dann haben Sie geilen Content, über den man spricht.
Wissen ist Macht, heißt es im Volksmund. Das ist jedoch nur die halbe Wahrheit. Wissen wirkt sich auf Entscheidungsprozesse aus, und zwar in unterschiedlicher Weise. Ich muss meinen Markt, mein Umfeld, in dem ich agieren möchte, genau beobachten. Dabei ist ein Blick "über den Gartenzaun" hilfreich.
Ein Blick auf andere Branchen weitet den Blick für andere und neue Ideen im eigenen Geschäftsumfeld. Auch Kunden gilt es zu beobachten und wahrzunehmen.

Wie gelingt es denn, das Profil der eigenen Marke zu schärfen?

Die Herangehensweise ist oftmals unterschiedlich, da sie zum Unternehmen und seinen Abläufen passen muss. Schlussendlich geht es immer um die identischen Merkmale: Bewusstsein für das derzeitige Eigen- und Fremdbild und eine klare Vision, wohin die Reise des Unternehmens gehen soll. Darauf aufgesetzt ist das Profil der Marke - je nach Unternehmenshistorie und -lage - zu erarbeiten, zu entstauben oder zu schleifen. Das ist ein strategischer Markenprozess zwischen 6 - 9 Monaten, danach folgt die Umsetzung und Markenführung.

Was macht eine gute Marke, die sich im Markt gegen andere Mittelständler und auch global operierende Wettbewerber behaupten muss unverwechselbar?

Ecken und Kanten. Viele möchte das nicht haben, weil man "Kunden" verlieren könnte. Hat man keine Ecken und Kanten ist man halt nur nett. Nett ist leicht austauschbar. Es bedarf Profil. Dazu gehört eine klare Vorstellung des Bildes, welches das Unternehmen am Markt auslösen möchte. Das fehlt vielen. Rationale und emotionale Markenaspekte müssen berücksichtigt und inszeniert werden.

Was kostet eine gute Marke?

Was könnten denn Ecken und Kanten sein?

Bei klassischen Möbelhäusern wird ihnen alles an den Allerwertesten getragen, bei Ikea müssen sie selbst schleppen. Stihl verkauft "nur" Kettensägen, durch die emotionale Aufladung des umspannenden Themas anhand von Sportveranstaltungen - und der konsequenten Inszenierung in anderen Medien - ist das Unternehmen eine (kommunikative) Marke geworden. Wichtig ist, dass der Kunde die Marke erlebt und diese nicht nur abstrakt konsumiert. Marke muss erlebbar sein.

Die Lehren der Hidden Champions
1. Führung und Ziele
Hidden Champions wissen nicht nur, was sie wollen, sondern haben auch die Willensstärke und Energie, manchmal die Besessenheit, ihre Ziele in Taten umzusetzen. Führung bedeutet, dass sie dieses Feuer in vielen Menschen unterschiedlicher Nationalitäten und Kulturen entzünden.
(Quelle: Hermann Simon, "Hidden Champions des 21. Jahrhunderts")
2. Hochleistungsmitarbeiter
Hidden Champions schaffen - und profitieren von - Bedingungen, die eine extrem geringe Fluktuation erzeugen. Hochleistung erreicht man nur mit einer Mannschaft, die eine starke Motivation und Identifikation mit dem Unternehmen aufweist. Grundlage hierfür ist die Selektion der richtigen Mitarbeiter.
3. Dezentralisierung
Manche Hidden Champions stoßen mit engen Märkten und hohen Marktanteilen an Wachstumsgrenzen. Sie gehen den Schritt in die Diversifikation. Um ihre traditionellen Stärken nicht zu gefährden, wählen sie die konsequente Dezentralisierung - in der Regel bis hin zu rechtlich eigenständigen Firmen.
4. Fokus
Fokussierung bietet normalerweise die einzige Chance, Weltklasse zu werden. Hidden Champions fokussieren ihre beschränkten Ressourcen besser als andere und bleiben bei dieser Richtung, bis sie die Spitzenposition erreicht haben. Dabei ist die Definition des Spielfelds selbst Bestandteil der Fokussierung.
5. Globalisierung (1)
Nichts verändert die Welt in den nächsten Jahrzehnten stärker als die Globalisierung. Für Unternehmen, die diesen Wandel nutzen, eröffnen sich ungeheure Wachstumschancen. Der Aufbau weltweiter Produktions- und Vertriebssysteme dauert jedoch oft genug mehrere Generationen. Zunächst internationalisieren sich die Umsätze, dann folgt das Personal und als Letztes das Management.
5. Globalisierung (2)
Die meisten Hidden Champions stecken mit ihren Strategien und dem Umsetzen in der Praxis mitten in diesem Prozess. Simon: "Um die Chancen zu nutzen, muss man seine nationalen Beschränkungen ablegen und große Ausdauer mitbringen."
6. Innovation
Die meisten Hidden Champions planen massive Innovationsaktivitäten. Sie integrieren dabei Markt und Technik als gleichwertige Antriebskräfte. Diese Ausgewogenheit gelingt nur wenigen Großunternehmen. Innovation ist in erster Linie eine Frage von Kreativität und Qualität - keineswegs nur eine Sache des Geldes.
7. Kundennähe
Kundenorientierung ist für den Erfolg der Hidden Champions wichtiger als Wettbewerbsorientierung. Die langjährige Kundenbeziehung ist ihre größte Stärke. Denn es gilt: Hochleistung für Kunden führt automatisch zu Wettbewerbsvorteilen. Simon: "Topkunden ähnlich wie Topkonkurrenten als Leistungstreiber einsetzen."

Viele Mittelständler denken, dass ihr Budget für eine professionelle Markenführung zu knapp ist. Was kostet denn eine gute Marke?

Ich habe jetzt schon einige Markenprozesse geführt und stelle immer wieder fest: Am Ende benötigen die Unternehmen nicht mehr Marketingbudget als in den Jahre zuvor. Wir setzen das Budget intelligent(er) innerhalb eines Konzeptes ein. Wir hinterfragen Bestehendes und schauen, was Sinn macht und was nicht - und passen es auf das "neue" Vorhaben an. Das Unternehmen hat die selben Kosten, aber eine effiziente und zielführende Markenarbeit. Das Problem vieler Unternehmen ist, dass aktuell keine klare Markenlinie herrscht, welche geführt wird. Daher verbrennt man links und rechts häufig Geld und landet am Ende bei ähnlichen Kosten. Manchmal ist es wie Frühjahrsputz, manchmal "Finetuning". Das hängt vom Unternehmen ab.

Foto: Kirill Kedrinski - Fotolia.com

Wie findet denn ein mittelständisches Unternehmen am einfachsten zu "seiner" Marke?

Mit Klartext, ob man das Thema Marke für sich sieht oder nicht. Es macht Sinn, von Anfang an eine neutrale Person für diese Aufgabe an der Hand zu haben, welche einen Markenprozess anführt, gestaltet und moderiert. Diese Voraussetzung müssen geschaffen werden, damit klare Ansprachen möglich sind. Ratsam sind hier externe Partner, da diese auch Sachverhalte ansprechen (müssen), die wehtun. Grundsätzlich muss Bewusstsein für das Thema Marke entwickelt werden, welches sich während eines Markenprozess automatisch einstellt. Und ganz wichtig ist der klare Umsetzungsplan, wie die Marke nicht nur eingeführt, sondern über einen gewissen Zeitraum geführt werden soll - am besten 3-5 Jahre. Schließlich muss es im Operativen mit Leben gefüllt und inszeniert werden. Wichtig ist daran zu denken, dass die Marke erlebbar werden muss. Der Kunde muss es verstehen. Wir müssen "raus" und Erlebnisse erzeugen, welche zu unserer Marken passen. Das bleibt im Kopf. Broschüren & Co. sind Basisarbeit, die Kür ist es Erlebnisse zu schaffen. Wer das kann, gewinnt.

Herr Multerer, wir danken Ihnen für das Gespräch

(Quelle: Handelsblatt)