August-Wilhelm Scheer im Interview

Ein Patent macht noch keinen Gründererfolg

03.11.2012
Deutsche IT-Firmen von internationalem Zuschnitt gibt es nur wenige. Für IT-Gründer August-Wilhelm Scheer hängt Markterfolg nicht nur von der Idee, sondern auch vom richtigen Vertriebskanal ab.

CW: Herr Professor Scheer, Sie haben 1984 Ihr erstes IT-Unternehmen gegründet. Was macht einen erfolgreichen Top-Manager der IT-Branche aus?

August-Wilhem Scheer: "Auf der obersten Chefetage sind Charisma, Überzeugungs- und Integrationsfähigkeit gefragt."
Foto: Scheer Group

Scheer: Er braucht genug Fachwissen, um dauerhafte Technologietrends von kurzfristigen Modewellen unterscheiden zu können. Auch muss er fachlich von seinen Mitarbeitern akzeptiert werden. Je höher die Management-Funktionen, desto mehr tritt detailliertes Fachwissen gegenüber Führungserfahrungen und Persönlichkeitsmerkmalen in den Hintergrund. Auf der obersten Chefetage sind Charisma, Überzeugungs- und Integrationsfähigkeit gefragt. Das sind Eigenschaften, die wir im Software Campus gezielt weiterentwickeln.

CW: Deutschland gilt als Land der Erfinder. Seit fünf Jahren stagniert jedoch die Zahl der Patentanmeldungen. Warum schaffen viele Ideen nicht den Sprung aus den Forschungslaboren in die Wirtschaft?

Scheer: Eine Patentanmeldung ist kein Garant für Erfolg. Erst durch eine breite Nutzung von Patenten stellt sich der Markterfolg ein. Leider haben wir in Deutschland zu wenige große IT-Unternehmen mit internationalem Zuschnitt. Mittelständige IT-Firmen schaffen es im Allgemeinen nicht, mit eigenen Produkten dauerhaft im Markt zu reüssieren. Also begnügen sich die meisten Mittelständler damit, die IT-Produkte größerer IT-Hersteller einzuführen. Auch in der Konstellation können Mittelständler erfolgreich sein, wenn Startups ihre guten Ideen darauf ausrichten, das Potenzial der weitläufigen Vertriebskanäle von Großunternehmen voll aufzuschöpfen. So können aus kleinen Pflanzen starke Bäume werden. Innovationsnetze und Kompetenz-Cluster sind nach meiner Erfahrung die wirksamste Strategie, um IT-Unternehmen in Deutschland, unabhängig von ihrer Größenordnung, weiter nach vorn zu bringen.

CW: Wie können Absolventen eine spannende Idee umsetzen und mit Erfolg in den Markt bringen?

Scheer: Man muss nicht Unternehmer werden, um eine spannende Idee umzusetzen. Das ist auch als engagierter Mitarbeiter innerhalb eines Unternehmens möglich, vorausgesetzt das Unternehmen ist innovativ und fördert Innovationen. Dennoch wird der Markterfolg von Ideen immer wieder mit Gründern in Verbindung gebracht. Bill Gates, Steve Jobs, aber auch Hasso Plattner sind dafür beeindruckende Beispiele und Vorbilder innerhalb der IT-Branche. Das Wagnis Gründung kann dann von Erfolg gekrönt sein, wenn die Produktidee originell ist und einen bisher noch nicht erkannten Markt adressiert. Unter diesen Voraussetzungen kann sich eine junge Firma mit einer guten Idee in den Markt hinein entwickeln. Zudem muss die Zusammensetzung des Gründerteams stimmen. Es muss in der Lage sein, das Unternehmen nicht nur in der Anfangsphase zu führen, sondern auch, wenn es größer geworden ist. Dazu müssen die Gründer fähig, offen und bereit sein, ihre Persönlichkeit weiter zu bilden.

CW: Hatten Sie ein Vorbild, das Sie besonders beeindruckte?

Scheer: Ich habe die IDS Scheer rund zehn Jahre später als SAP oder Microsoft gegründet und hatte damit eigentlich die Gründungswelle für Unternehmenssoftware schon fast verpasst. Deshalb wurde für mich die Entwicklung der Scheer-Gruppe zur hohen Hürde und Herausforderung. Als noch Hochschullehrer in der Anfangsphase war mein Doktorvater für mich ein Vorbild. Er brillierte durch Persönlichkeit und analytisches Denkvermögen. Aber auch Miles Davis ist für mich ein großes Vorbild. Der Jazzmusiker hat es fertig gebracht, fünf Stiländerungen in der Musik auf den Weg zu bringen und anzuführen. Eine solche Aufgeschlossenheit und Innovationskraft sind gerade in der IT-Welt mit ihren kurzen Innovationszyklen besonders gefragt.

Software Campus: Forschen und führen lernen

Das Programm Software Campus, angestoßen auf dem IT-Gipfel vor zwei Jahren in Dresden, richtet sich an junge Informatiker und unterstützt deren IT-Forschungsprojekte mit bis zu 100.000 Euro über zwei Jahre lang. Getragen wird die Initiative nicht nur von Bundesregierung und Hochschulen in Berlin, Darmstadt, Karlsruhe, München oder im Saarland, sondern auch von Partnern aus der Industrie wie Robert Bosch, Datev, Deutsche Post, Deutsche Telekom, SAP, und der Software AG. Die Teilnehmer des Software Campus werden in ein firmenübergreifendes Netzwerk integriert und sollen dabei fachliche und ökonomische Kompetenzen erwerben. Ziel ist es, dem Fach- und Führungskräftemangel entgegenzuwirken, so Bundesforschungsministerin Annette Schavan: "Die Studierenden sollen das Rüstzeug für ihren Weg in Spitzenpositionen der Wirtschaft und Forschung erhalten."

Sabine Janzen ist eine der ersten elf Teilnehmer im Software Campus.
Foto: Universität des Saarlandes

Auf dem jüngsten IT-Gipfel in München hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel schon die ersten elf Teilnehmer des Software Campus begrüßt, darunter auch Sabine Janzen. Die Informatikerin promoviert an der Universität das Saarlandes und hat als Industriepartner die Scheer Group und als Mentor August-Wilhelm Scheer. Sie beschäftigt sich mit Systemen, die im Dialog mit dem Nutzer eigene Ziele verfolgen, also strategisch agieren können. Dazu Janzen: "Bis dato ist es so, dass Systeme in der Interaktion oder im Dialog mit dem Nutzer nur auf die Interessen des Nutzers reagieren. Im realen Leben verfolgen die Teilnehmer meist unterschiedliche Interessen, die im Dialog ausgeglichen werden müssen. Ich möchte untersuchen, inwieweit sich Gleichgewichts- und Verhandlungsstrategien aus der Wirtschaft eignen, um Dialogsysteme zu entwickeln, die mit dem Nutzer unter strategischen Gesichtspunkten interagieren, dabei Ziele verfolgen." Im ersten Schritt soll dieser Ansatz in der Handelsdomäne, am Point of Sale, getestet werden. Im Weiteren sieht Janzen Anwendungsszenarien für derartige Systeme in den Bereichen Ambient Assisted Living oder Healthcare.

Forschung und Praxis werden im Software Campus verbunden. Für einen engen Praxisbezug sorgen auch die Mentoren, Manager der Partnerunternehmen, die den jungen Informatikern Führungswissen vermitteln sollen. SAP-Co-CEO Jim Hagemann Snabe hofft, "dass mindestens jeder zweite Absolvent des Software Campus in zehn Jahren als Führungskraft in deutschen IT-Unternehmen arbeitet". Sabine Janzen kann sich zumindest vorstellen, dass sie in zehn Jahren als CIO in einem internationalen Unternehmen arbeitet. Das müsste aber durch eine kreative und innovative Stimmung geprägt sein, "also weit entfernt von ´Das haben wir schon immer so gemacht´."