Whistleblower

Edward Snowden sucht Asyl-Vereinbarung mit Brasilien

17.12.2013
Geheimdienst-Enthüller Snowden geht in die Offensive. Er prangert die weltweite US-Spionageaktivitäten an. Und er bereitet den Boden für die Zeit nach seinem Russland-Asyl. Ginge es nach ihm, würde Brasilien 2014 seine neue Heimat.

Der frühere US-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden will Brasilien bei der Aufklärung der US-Abhöraktivitäten helfen, wenn er dauerhaftes Asyl in dem Land erhält. Solange ihm ein Land kein permanentes politisches Asyl gewähre, werde die US-Regierung ihn weiter daran hindern zu sprechen, schrieb Snowden in einem "Offenen Brief an das brasilianische Volk", der am Dienstag unter anderem in der Zeitung "Folha de São Paulo" veröffentlicht wurde. Die brasilianische Regierung hatte allerdings bereits im vergangenen Sommer abgelehnt, Snowden dauerhaft Asyl zu gewähren.

Snowden schrieb, sei beeindruckt von der starken Kritik Brasiliens an den US-Spähprogrammen, die er enthüllt hatte. Wiederholt habe er seine Bereitschaft geäußert, Brasilien bei der Untersuchung möglicher illegaler Lauschangriffe gegen seine Bürger zu unterstützen.

Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff war wie einige ihrer Amtskollegen in Lateinamerika und Europa persönlich Ziel von Ausspähaktionen des US-Geheimdienstes NSA. Wegen der Affäre hatte sie unter anderem einen im Oktober geplanten Staatsbesuch in Washington verschoben. Snowden wies in seinem Brief auf die detaillierten Kontrollmöglichkeiten der NSA hin, die unter anderem "fünf Milliarden mal am Tag" weltweit Handy-Ortungen vornehme und dies unter dem Deckmantel der Datensammlung tue. "Meine größte Angst war, dass niemand auf meine Warnungen hören würde. Niemals war ich so glücklich, so falsch zu liegen."

Die Reaktionen auf seine Mitteilungen in bestimmten Ländern hätten ihn begeistert, und Brasilien sei ganz sicher eines dieser Länder. Viele brasilianische Senatoren hätten für ihre Untersuchungen mutmaßlicher Verbrechen gegen brasilianische Bürger seine Unterstützung angefragt. "Ich habe meine Bereitschaft erklärt, immer zu helfen, wenn es angemessen und rechtens ist, aber die US-Regierung hat unglücklicherweise hart daran gearbeitet, meine Möglichkeiten dazu zu limitieren - und ist sogar soweit gegangen, die Präsidentenmaschine von (Boliviens Staatschef) Evo Morales zur Landung zu zwingen, um mich zu hindern, nach Lateinamerika zu reisen!"

Die "Folha" berichtete, dass der Brief Snowdens an offizielle Stellen geschickt werden und Teil einer Online-Kampagne auf der Internetseite der Nichtregierungsorganisation Avaaz sein solle. Die Kampagne soll laut "Folha" im Namen Snowdens vom Brasilianer David Miranda geleitet werden, dem Lebensgefährten des in Rio lebenden Journalisten Glenn Greenwald, über den viele der Snowden-Enthüllungen publik wurden. Von der brasilianische Regierung gab es zunächst keine Reaktion auf den Brief. (dpa/tc)

Die Lehren aus der NSA-Affäre -
Viktor Mayer-Schönberger, Professor für Internet Governance and Regulation
"Es geht nicht mehr um das Ausspähen der Gegenwart, sondern um einen Einblick in die Zukunft. Das ist der Kern von Prism. Präsident Obama hat schon recht, wenn er sagt, die von Prism gesammelten Daten seien doch für sich genommen recht harmlos. Er verschweigt freilich, dass sich daraus statistische Vorhersagen gewinnen lassen, die viel tiefere, sensiblere Einblicke gewähren. Wenn uns nun der Staat verdächtigt, nicht für das was wir getan haben, sondern für das was wir – durch Big Data vorhersagt – in der Zukunft tun werden, dann drohen wir einen Grundwert zu verlieren, der weit über die informationelle Selbstbestimmung hinausgeht."
Prof. Dr. Gunter Dueck, Autor und ehemaliger CTO bei IBM
"Ich glaube, die NSA-Unsicherheitsproblematik ist so ungeheuer übergroß, dass wir uns dann lieber doch gar keine Gedanken darum machen wollen, so wie auch nicht um unser ewiges Leben. Das Problem ist übermächtig. Wir sind so klein. Wir haben Angst, uns damit zu befassen, weil genau das zu einer irrsinnig großen Angst führen müsste. Wir haben, um es mit meinem Wort zu sagen, Überangst."
Oliver Peters, Analyst, Experton Group AG
"Lange Zeit sah es so aus, als würden sich die CEOs der großen Diensteanbieter im Internet leise knurrend in ihr Schicksal fügen und den Kampf gegen die Maulkörbe der NSA nur vor Geheimgerichten ausfechten. [...] Insbesondere in Branchen, die große Mengen sensibler Daten von Kunden verwalten, wäre ein Bekanntwerden der Nutzung eines amerikanischen Dienstanbieters der Reputation abträglich. [...] Für die deutschen IT-Dienstleister ist dies eine Chance, mit dem Standort Deutschland sowie hohen Sicherheits- und Datenschutzstandards zu werben."
Dr. Wieland Alge, General Manager, Barracuda Networks
"Die Forderung nach einem deutschen Google oder der öffentlich finanzierten einheimischen Cloud hieße den Bock zum Gärtner zu machen. Denn die meisten Organisationen und Personen müssen sich vor der NSA kaum fürchten. Es sind die Behörden und datengierigen Institutionen in unserer allernächsten Umgebung, die mit unseren Daten mehr anfangen könnten. Die Wahrheit ist: es gibt nur eine Organisation, der wir ganz vertrauen können. Nur eine, deren Interesse es ist, Privatsphäre und Integrität unserer eigenen und der uns anvertrauten Daten zu schützen - nämlich die eigene Organisation. Es liegt an uns, geeignete Schritte zu ergreifen, um uns selber zu schützen. Das ist nicht kompliziert, aber es erfordert einen klaren Willen und Sorgfalt."
James Staten, Analyst, Forrester Research
"Wir denken, dass die US-Cloud-Provider durch die NSA-Enthüllungen bis 2016 rund 180 Milliarden Dollar weniger verdienen werden. [...] Es ist naiv und gefährlich, zu glauben, dass die NSA-Aktionen einzigartig sind. Fast jede entwickelte Nation auf dem Planeten betreibt einen ähnlichen Aufklärungsdienst [...] So gibt es beispielsweise in Deutschland die G 10-Kommission, die ohne richterliche Weisung Telekommunikationsdaten überwachen darf."
Benedikt Heintel, IT Security Consultant, Altran
"Der Skandal um die Spähprogramme hat die Akzeptanz der ausgelagerten Datenverarbeitung insbesondere in den USA aber auch in Deutschland gebremst und für mehr Skepsis gesorgt. Bislang gibt es noch keinen Hinweis darauf, dass bundesdeutsche Geheimdienste deutsche IT-Dienstleister ausspäht, jedoch kann ich nicht ausschließen, dass ausländische Geheimdienste deutsche Firmen anzapfen."
Viktor Mayer-Schönberger, Professor für Internet Governance and Regulation
"Die NSA profitiert von ihren Datenanalysen, für die sie nun am Pranger steht, deutlich weniger als andere US-Sicherheitsbehörden, über die zurzeit niemand redet. Das sind vor allem die Bundespolizei FBI und die Drogenfahnder von der DEA. [...] Es gibt in der NSA eine starke Fraktion, die erkennt, dass der Kurs der aggressiven Datenspionage mittelfristig die USA als informationstechnologische Macht schwächt. Insbesondere auch die NSA selbst."
Aladin Antic, CIO, KfH Kuratorium für Dialyse und Nierentransplationen e.V.
"Eine der Lehren muss sein, dass es Datensicherheit nicht mal nebenbei gibt. Ein mehrstufiges Konzept und die Einrichtung zuständiger Stellen bzw. einer entsprechenden Organisation sind unabdingbar. [...] Generell werden im Bereich der schützenswerten Daten in Zukunft vermehrt andere Gesichtspunkte als heute eine Rolle spielen. Insbesondere die Zugriffssicherheit und risikoadjustierte Speicherkonzepte werden über den Erfolg von Anbietern von IT- Dienstleistern entscheiden. Dies gilt auch für die eingesetzte Software z.B. für die Verschlüsselung. Hier besteht für nationale Anbieter eine echte Chance."
ein nicht genannter IT-Verantwortliche einer großen deutschen Online-Versicherung
"Bei uns muss keiner mehr seine Cloud-Konzepte aus der Schublade holen, um sie dem Vorstand vorzulegen. Er kann sie direkt im Papierkorb entsorgen."