E-Procurement: Ende der Experimentierphase

12.06.2002 von Christian Zillich
MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Niedrigere Produkt- und Prozesskosten, Mitarbeiterreduzierung in den Einkaufsabteilungen und sogar geringere Lagerflächen lassen sich mit gut funktionierenden E-Procure ment-Projekten erreichen. Die diesjährige Fachmesse E-Procure 2002 zeigte, dass viele Anwender aufgrund dieser Einsparpotenziale ihre Anstrengungen im Bereich der elektronischen Beschaffung verstärken.

Auch wenn beim E-Procurement die Pionier- und Hypephase vorüber ist, zählt die elektronische Beschaffung aufgrund der vergleichsweise hohen Einsparpotenziale zu den wenigen IT-Bereichen, für die Finanzvorstände noch Geld auszugeben bereit sind. Dieser Trend schlug sich auch in den Besucherzahlen der E-Procure 2002 in Nürnberg nieder: Während andere IT-Messen gegen abnehmendes Interesse zu kämpfen haben, wartete die von der Nürnberger Messe in Zusammenarbeit mit dem Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME) vor einem Jahr ins Leben gerufene Veranstaltung mit deutlichen Zuwächsen auf.

75 Prozent nutzen Online-Beschaffung

Hans-Jörg Bullinger:

"Für Zulieferer gilt es, die internen Prozesse so modular und flexibel aufzubauen, dass die Prozessanforderungen der Kunden erfüllt werden können."

Eröffnungsredner Hans-Jörg Bullinger, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO), Stuttgart, untermauerte den positiven E-Procurement-Trend mit Zahlenmaterial von IDC: Demnach nutzten im vergangenen Jahr 38 Prozent der europäischen Einkaufs-Manager das Internet für die Beschaffung von Produkten und Dienstleistungen, weitere 36 Prozent planen das erstmals in diesem Jahr. Unter dem Strich beschaffen somit rund drei Viertel der Einkäufer Waren zumindest teilweise online. Die Marktforscher von Forrester Research gehen davon aus, dass bis 2005 ein Drittel der zwischenbetrieblichen Umsätze via Internet abgewickelt werden. Die Top-100-Unternehmen in Europa investieren dafür im Schnitt rund elf Millionen Euro, so die Prognose.

Laut Bullinger ist die Zeit des Experimentierens weitgehend vorbei. Viele Unternehmen hätten ihre ersten Erfahrungen bereits ausgewertet und würden sich nun auf die für sie wirklich wichtigen Vorhaben konzentrieren. Als Hemmschuh habe sich während der ersten Phase der E-Procurement-Nutzung die Qualität der elektronischen Produktdaten erwiesen. Entweder sei sie nicht ausreichend oder der Aufwand für die Datenpflege zu hoch gewesen. Insbesondere Lieferanten hätten deshalb mit Herausforderungen zu kämpfen, die noch keine Rolle spielten, als Papieraufträge und -rechnungen die wesentlichen Schnittstellen zum Kunden darstellten.

Die Nachfrageseite bestimmt, so Bullinger weiter, in vielen Fällen die Anforderung an die Daten und deren Integration und dadurch häufig auch die Abläufe bei den Anbietern. Je nach Wunsch des Einkäufers müsse die Auftragsabwicklung beispielsweise mit oder ohne Auftragsbestätigung, per Einzelrechnung, Sammelrechnung oder Gutschrift, mit dem eigenen oder einem vom Kunden vorgegebenen Logistikdienstleister erfolgen. „Nun gilt es, die internen Prozesse so modular und flexibel aufzubauen, dass die Prozessanforderungen der Kunden erfüllt werden können“, resümierte Bullinger.

Doch nicht immer hat der Kunde das Sagen: Unternehmen mit zu geringem Einkaufsvolumen können nicht damit rechnen, von ihren Zulieferern mit maßgeschneiderten Katalogen versorgt zu werden. So geschehen bei der Schering AG, Berlin: „Wir sind nicht groß genug, damit sich Lieferanten nach unseren Standards richten“, beschreibt Astrid Borgmann, Leiterin Corporate Purchasing und E-Procurement bei Schering, die Ausgangssituation. Der Pharmaspezialist hat sich deshalb für die Teilnahme an dem Marktplatz CC-Chemplorer entschieden. Zumindest was die Integration seiner Backend-Systeme angeht, muss er sich nur mit der Schnittstelle zum Marktplatz auseinander setzen.

Deutliche Fortschritte beobachtet Bullinger auf dem Gebiet der Standardisierung. Hier lobte er insbesondere die Bemühungen des BME, der mit „BMEcat“, „E-Class“ und „Opentrans“ drei erfolgversprechende Initiativen gestartet hat. Beim Austausch von elektronischen Produktdaten habe sich in Deutschland BMEcat bereits durchgesetzt: „Mehr als 80 Prozent der Kataloge werden heute nach diesem Standard erstellt.“ Aber auch im internationalen Umfeld verbreite sich das Format zunehmend. Prominentes Beispiel ist der Automobilmarktplatz Covisint.

Standardisierung macht Fortschritte

Bei der Klassifikation von Produkten und Dienstleistungen sowie der technischen Beschreibung von Gütern kommt hierzulande überwiegend E-Class zum Einsatz. Für vielversprechend hält Bullinger auch die Opentrans-Initiative, die einen Standard für den Austausch und die Verarbeitung von Angeboten, Aufträgen, Lieferavis und Rechnungen verabschiedet hat. Die weitreichende Kompatibilität von Opentrans mit anderen Standardisierungsinitiativen wie ebXML, xCBL oder Rosettanet lasse eine hohe Akzeptanz erwarten.

Ein Forum des Kongresses beschäftigte sich mit der Frage nach der Wirtschaftlichkeit von E-Procurement-Projekten. Leider fanden bei diesem Thema nur wenige so deutliche Worte wie Bernhard Deppe, Leiter Corporate Purchase Management der Hella KG Hueck & Co. Der Manager ist bei dem Lippstädter Automobilzulieferer im Bereich Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe sowie Dienstleistungen für ein jährliches Einkaufsvolumen von rund 41 Millionen Euro verantwortlich. Während viele Anwender gerne verschweigen, dass ein deutlicher Teil dieser Einsparungen durch Personalreduzierungen erreicht wird, scheut sich Deppe nicht, dieses Thema offen anzusprechen.

Die Ängste der beteiligten Einkäufer, sie würden sich selbst wegrationalisieren, seien nicht einfach von der Hand zu weisen. „Hier bringt es nichts, mit verdeckten Karten zu spielen und zu glauben, man könne die teilweise berechtigten Ängste der Mitarbeiter mit Desinformation ausräumen“, so der Chefeinkäufer. Bei Hella ist durch die Straffung der Abläufe bei der C-Teile-Beschaffung der Personalstand von vorher 28 auf heute 14 Mitarbeiter gesunken.

Controlling erspart Genehmigungsverfahren

Für Hella lohnt sich das E-Procurement nicht nur wegen niedrigerer Produktpreise, die sich durch Bündelungseffekte einstellen, sondern vor allem aufgrund geringerer Prozesskosten. Diese entstehen durch den Wegfall einzelner Prozessschritte, beispielsweise aufwändige Genehmigungsverfahren, sowie die Automatisierung des Workflow. Mittlerweile kann das Unternehmen auf 43 Lieferantenkataloge zugreifen, wobei die Zulieferer die Kosten für den Aufbau der Kataloge selbst trugen.

Der Automobilzulieferer verzichtete bei der Umsetzung seines E-Procurement-Projekts sowohl auf Genehmigungsverfahren als auch auf Kostenobergrenzen bei der Bestellung. Risiken sieht Deppe hier keine, zumal Fehlentwicklungen spätestens beim Controlling auffielen und über ein monatliches Reporting an die Kostenstellenverantwortlichen gemeldet würden. Die dadurch erhöhte Transparenz sorge im Gegenteil dafür, dass nichts für den privaten Verbrauch der Mitarbeiter abgezweigt werden könne.

Dezentrale Anlieferung verringert Lagerbedarf

Dadurch, dass die Bedarfsträger ihre Bestellungen nun selbst aufgäben und die Waren direkt an den Verbrauchsort anliefern lassen könnten, habe sich ein weiteres Sparpotenzial erschließen lassen. Zwar koste die dezentrale Anlieferung erst einmal Geld, doch dafür könnten die Lagerflächen stark reduziert werden. Für die Zulieferer sei das allerdings nicht so erfreulich: „Einige Lieferanten machen mit uns nun weniger Umsatz, weil durch die direkte Anlieferung kein Material mehr gebunkert werden muss“, so Deppe.

Möglich werde dies auch dadurch, dass sich die Lieferzeiten durch den E-Procurement-Einsatz drastisch verkürzt hätten. Wenn beispielsweise beim Zulieferer Hahn & Kolb die Bestellung vor 18 Uhr eingehe, sei die Lieferung am nächsten Tag um 11 Uhr vor Ort. Das Beispiel zeigt einmal mehr, dass sich die E-Procurement-Potenziale nur dann umfassend nutzen lassen, wenn sich Anwender nicht scheuen, ihre Geschäftsprozesse zu ändern, statt sie lediglich elektronisch abzubilden.