Durchwursteln gilt nicht mehr

10.05.2006 von Alexandra Mesmer
Was Firmen und Mitarbeiter tun können, damit die Arbeitsbeziehung bis zur Rente funktioniert, verrät Thomas Bartscher, Professor für Personal-Management an der Fachhochschule Deggendorf, im Gespräch mit CW-Redakteurin Alexandra Mesmer.

CW: Alle reden davon, dass wir immer älter werden und eines Tages einen großen Fachkräftemangel haben werden. Haben die Unternehmen den demografischen Wandel in ihrer Personalpolitik schon berücksichtigt?

Hier lesen Sie ...

  • warum ältere Mitarbeiter in der Personalpolitik der Unternehmen bislang keine Rolle mehr spielten;

  • wieso das Entlohnungsmodell "Je älter, desto höher das Gehalt" nicht mehr zeitgemäß ist;

  • was Unternehmen und Mitarbeiter in Sachen Qualifizierung tun müssen, damit sie wettbewerbsfähig bleiben.

Thomas Bartscher, Fachhochschule Deggendorf: 'In unseren Köpfen muss sich festsetzen, dass ältere Arbeitnehmer nicht weniger leistungsfähig sind, sondern anders leistungsfähig.!

THOMAS BARTSCHER: In den zurückliegenden Jahren setzte die Personalarbeit besonders auf junge Mitarbeiter. Von den älter gewordenen Beschäftigten hat man sich schnell getrennt mit der Begründung, dass sie "es nicht mehr bringen". Es war preiswerter, jüngere Mitarbeiter einzustellen, die aufgrund ihrer gerade abgeschlossenen Ausbildung mit den neueren technischen Entwicklungen vertrauter als ihre älteren Kollegen waren. Häufig haben die älteren Mitarbeiter unterschätzt, dass mit ihrem hohen Arbeitseinsatz eine schleichende Dequalifizierung einherging. Dass mit der Ausstellung älterer Mitarbeiter Wissen verloren ging, werteten die Unternehmen als weniger bedeutend.

CW: Wird der demografische Wandel die Unternehmen künftig zu einer ganzheitlichen Personalarbeit bewegen?

BARTSCHER: Wenn die gesamtwirtschaftliche Entwicklung zumindest so stabil bleibt wie jetzt, werden nicht mehr ausreichend junge und qualifizierte Arbeitnehmer am Arbeitsmarkt verfügbar sein. Somit habe ich als Arbeitgeber ein hohes Interesse daran, dass meine Mitarbeiter (auch die langjährigen) beständig an ihrer eigenen Qualifikation arbeiten und diese auf den neuesten Stand bringen. Die Unternehmer müssen bestrebt sein, ihre aktuelle Qualifikationsstruktur zu sichern und gleichzeitig weiterzuentwickeln. Für Mitarbeiter und Unternehmen muss das Ziel heißen: Employability erhalten und lebenslanges Lernen fördern.

CW: Wie soll eine Personalentwicklung aussehen, die ältere Mitarbeiter einbezieht?

BARTSCHER: Lebenslanges Lernen muss gelebt werden. Die betroffenen Menschen müssen sich von althergebrachten Wissens- und Glaubenssätzen verabschieden und neue, zum Teil fremde oder gar beängstigende Lernwelten betreten. Unternehmen müssen ihren Mitarbeitern beständig verpflichtende Lehr- und Lernangebote anbieten. Die Mitarbeiter sollten selbstverständlich entsprechende Lernangebote wahrnehmen - unabhängig davon, ob diese das Unternehmen bezahlt oder nicht. Kommen die Mitarbeiter für die Kosten auf, müssen sie diese als Investition in ihr Leistungsvermögen begreifen. Für die Personalentwicklung heißt dies konkret, dass auch Mitarbeiter, die älter als 40 Jahre sind, die Chance erhalten, an Qualifizierungsmaßnahmen teilzunehmen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass ältere Mitarbeiter anders lernen als jüngere Kollegen. Gegebenenfalls muss bei den Älteren zunächst die Metaqualifikation "lernen zu lernen" wieder aktiviert werden.

CW: Wie kann Personalentwicklung mit den vermeintlichen Defiziten älterer Arbeitnehmer umgehen?

BARTSCHER: Es ist wichtig, ältere Mitarbeiter über mögliche Qualifikationsdefizite wertschätzend zu informieren. Häufig ist es so, dass sich ältere Mitarbeiter kein genaues Bild davon machen, wie hoch ihr Qualifizierungsbedarf ist. Hier gilt es mit der Vorstellung zu brechen, die noch fest in deren Köpfen sitzt: "Für die verbleibenden Berufsjahre werden meine Qualifikationen reichen!" Nicht selten sind etwa ältere Führungskräfte darauf stolz, dass sie eine Mitarbeiterin haben, die ihnen die E-Mails ausdruckt. Zudem müssen Personalentwickler bedenken, dass die künftigen älteren Mitarbeiter eine Art Trauerprozess durchlaufen müssen. Am Beispiel ihrer Vorgänger haben sie noch gesehen, dass man sich sehr wohl die letzten Jahre "durchwursteln" kann und dann noch mit einem "goldenen Handschlag" verabschiedet wird. Diese Option besteht heute und in Zukunft nicht mehr. Wollen die älteren Mitarbeiter nicht zwangsläufig arbeitslos werden, müssen sie sich den für sie ungewohnten Lernprozessen aussetzen. Auch dann werden sie aber nicht unbedingt mehr verdienen oder einen Karrieresprung machen können.

CW: Welche Rolle spielt der Umgang mit älteren Mitarbeitern für das Image eines Unternehmens?

BARTSCHER: Jüngere Mitarbeiter achten heute genau darauf, wie ihr Unternehmen ältere Kollegen behandelt. Wird diese Praxis als tendenziell unethisch, unsensibel oder unwürdig erlebt, hat das Folgen: Gerade die leistungsfähigen jungen Mitarbeiter wollen dann rechtzeitig den Absprung schaffen, um bei anderen Arbeitgebern anzuheuern, denen es ein ehrliches Anliegen ist, auch mit älter gewordenen Mitarbeitern erfolgreich am Markt zu agieren.

CW: Können es sich Unternehmen weiter leisten, den Mitarbeitern mit zunehmendem Alter steigende Bezüge zu zahlen?

BARTSCHER: Die Vorstellung, am Ende des Arbeitslebens das höchste Jahreseinkommen erzielen zu können, ist ein überholt. Dieses Konzept passt in die jetzige und künftige Arbeitsmarktsituation nicht mehr hinein. Ältere Arbeitnehmer werden ja heute gerade deshalb entlassen, weil sie gemessen an ihrem Leistungsvermögen den Unternehmen zu teuer erscheinen. Flexibilität wird in Zukunft gefordert sein. Man kann sehr wohl im Alter noch viel verdienen, wenn man aufgrund seiner Erfahrung und seines Leistungsvermögens kräftig zur Wertschöpfung beiträgt. Ist letzterer Zusammenhang nicht mehr voll gegeben, wird man auch finanzielle Einbußen akzeptieren müssen.

CW: Müssen die Unternehmen alternative Karrieremodelle für ältere Mitarbeiter entwickeln?

BARTSCHER: Ja. Viele ältere Mitarbeiter würden gern von der bislang getragenen Verantwortung entlastet werden. Unternehmen sollten darauf positiv reagieren - was sie derzeit nicht tun. Älteren Mitarbeitern sollte die Möglichkeit eines "sidesteps" eröffnet werden. Sie sollten zum Beispiel auch Aufgaben ohne direkte Führungsverantwortung übernehmen können. Ältere Mitarbeiter sind gerne bereit, projektbezogen intensive Arbeitsphasen mitzutragen; von permanent leistungsintensiven Verantwortungsbereichen möchten sie sich dagegen schrittweise zurückziehen. Hier sollten Unternehmen in Zukunft flexibel und wertschätzend reagieren, wenn ihnen ältere Mitarbeiter signalisieren, dass sie weniger herausfordernde Aufgaben übernehmen wollen. In unser aller Köpfe muss sich festsetzen, dass ältere Arbeitnehmer nicht weniger leistungsfähig sind, sondern anders leistungsfähig.

Thomas Bartscher ...

... lehrt Human-Resources-Management und Organisation an der Fachhochschule Deggendorf. Der Betriebswirtschaftsprofessor leitet die berufsbegleitenden MBA-Studiengänge „General Management" und „Personal- und Organisationsentwicklung" (www.masterportal.de) sowie das Managementcenter Deggendorf (www.mcdeg.de). Vor seiner Hochschultätigkeit arbeitete Bartscher in der Industrie und verantwortete Organisations- und Personalentwicklungsprojekte.