Divergenzen bei Einführungstermin der Glasfaser im Ortsnetz:Postminister will Bigfon-Ergebnisse abwarten

09.12.1983

BERLIN/MÜNCHEN - Die Entscheidung über den Einsatz der Glasfaser im Ortsnetz fällt erst Ende 1986 nach Abschluß der Bigfon-Versuchsphase. Das erklärte Bundespostminister Christian Schwarz-Schilling vor der Presse in Berlin. Zugleich gab er den Startschuß für das Projekt "Breitbandigesintegriertes Glasfaser-Fernmeldeortsnetz", an dem sich sechs Konsortien mit unterschiedlichen firmenindividuellen Konzepten beteiligen. Demgegenüber plädiert das Münchener lfo-Institut in einem Gutachten für das Bundeswirtschaftsministerium für einen schnelleren Glasfasereinsatz.

Postminister Schwarz-Schilling skizzierte in Berlin die künftige Netzausbaustrategie und den Stellenwert der Bigfon-Versuche. Danach will die Post zunächst die Digitalisierung der Netze vorantreiben, um auf diese Weise alle schmalbandigen Dienste wie Fernsprechen, Text- und Datenübertragung, Faksimile und Bildschirmtext "mit ein und derselben Anschlußleitung mit höherer Geschwindigkeit (bis zu 144 KBit pro Sekunde) und zum Teil wesentlich verbesserter Qualität" im ISDN (Integrated Services Digital Network) abwickeln zu können.

Für Unternehmen, die zusätzlich Videokonferenzen oder Datenübertragung in Höchstgeschwindigkeiten wünschen, wird man Schwarz-Schilling zufolge in den nächsten Jahren "breitbandige Overlay-Netze in Glasfasertechnologie" auslegen. Diese würden dann über Satelliten verbunden, so daß man nicht auf den sicherlich 30 Jahre dauernden Ausbau von Glasfaser-Ortsnetzen warten müsse.

Zugleich könne auf diese Weise der Einsatz der neuen Technologie "sowohl nachfragegerecht als auch entsprechend dem jeweiligen wirtschaftlichen Entwicklungsstand" erfolgen.

Unabhängig "von diesen Aktivitäten" von der Ausbaustrategie und den "Bigfon"-Versuchen, die neben den heute üblichen und zu erwartenden künftigen Fernmeldediensten auch die Übertragung von 24 Rundfunkprogrammen in Stereoqualität sowie der ortsüblichen Fernsehprogramme vorsehen - nimmt die Bundespost für die Hörfunk- und Fernsehverteilung die Breitbandverkabelung in Kupferkoaxialtechnik vor. Schwarz-Schilling begründete dies damit, daß der Bedarf an mehr Programmen schon jetzt da sei. So zeigten die neuesten Umfrageergebnisse, daß zwischen 30 und 50 Prozent der Bundesbürger eine größere Programmauswahl wünschten.

Post will sich Optionen offenhalten

Abweichend von seinem vorbereiteten Redetext meinte der Minister im Hinblick auf die zukünftige Entwicklung außerdem, es sei durchaus vorstellbar, daß die Kupferkoaxialtechnik vom Zentrum der Wohnungen ausgehe und die Glasfasertechnologie in den geschäftlichen Zentren ihren Ausgang nehmen werde. Beides könne "einmal zusammenwachsen"; das aber werde durch die Nachfrage entscheide Schwarz-Schilling wörtlich: "Die Post lehnt es ab, sich zu früh auf eine Option festzulegen". Bei der Einführung der Glasfaser im Ortsnetz werde man daher auch zunächst das Ende der "Bigfon"-Versuche abwarten, ehe man weitere Entscheidungen treffe.

Bis dahin, so hofft die Post, steht dann auch die Nachfolgegeneration technischer Einrichtungen zur Verfügung, die den breiten und kostengünstigen Einsatz der Glasfaser ermögliche - die "Bigfon Phase II", die nach Meinung des Ministers zur Regeltechnik führen müsse. Dazu sei es notwendig, daß "in nächster Zeit Gespräche zwischen der Industrie und der Post stattfinden, in denen diese Gedanken konkretisiert werden". Es werde auch nötig sein, sich über künftige Einsatzbereiche der Glasfasertechnik zu unterhalten, denn es zeige sich immer deutlicher, daß mittelfristig das zentrale Problem der Durchsetzung dieser Technologie "das Auffinden von Wegen zur schnellen Reduzierung der Kosten ... sein wird". Die großartigen Möglichkeiten der Glasfasertechnik dürften aber nicht dazu verführen, zu meinen, "daß die Post ein Unternehmen zur Förderung moderner Kommunikationstechnologien sei!".

Im Unterschied zu Schwarz-Schilling sollte nach Meinung des Münchener Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung bereits 1985 und nicht erst, wie derzeit vorgesehen, ab 1988 mit der Verlegung der Glasfaser im Ortsnetz begonnen werden. Die Entscheidung hierfür - so betonen die Wirtschaftsforscher in ihrem Gutachten für das Bundeswirtschaftsministerium - müßte noch in diesem Jahr, spätestens aber Anfang 1984 erfolgen.

Diese "Innovationsstrategie" setze allerdings voraus, daß bei den Entscheidungsträgern ein Konsens darüber besteht, den Ausbau der gesamten kommunikationstechnischen Infrastruktur aus wettbewerbs- und wachstumspolitischen Gründen zu forcieren. Damit gebe sich die Bundesrepublik ähnlich langfristige Ziele wie Japan oder Frankreich.

Für die Bundespost, der beim Ausbau des Telekommunikationssystems eine Schlüsselrolle zukomme, setze dieses "Innovationsszenario" von 1987 zusätzliche Investitionen von nominal rund 19 Milliarden Mark voraus. Von dieser Modernisierungsstrategie seien zwar zunächst keine größeren Wachstums- und Beschäftigungsimpulse zu erwarten, angesichts der längerfristig ausschlaggebenden Bedeutung für das allgemeine Innovationstempo einer Volkswirtschaft sei ein solches Vorgehen jedoch unbedingt erforderlich. Mit dem gegenwärtigen Konzept droht die Bundesrepublik nach Meinung der Münchener Wirtschaftsforscher gegenüber ihren wichtigen Konkurrenten USA und Japan in Rückstand zu geraten.