SOA Innovation Lab

Digital Navigator soll Ordnung in den Digitalisierungsprozess bringen

21.06.2016 von Christoph Witte
Das SOA Innovation Lab hat ein Werkzeug entwickelt, mit dem Unternehmen ihren Transformationsgrad bewerten und weitere Fortschritte planen können. Mit dem „Digital Navigator“ lässt sich herausfinden, wie digitale Strategien umgesetzt werden können.

Der Druck, der auf Unternehmen lastet, ihre Geschäftsprozesse, Produkte und Services zu digitalisieren, hat in den letzten zwei Jahren enorm zugenommen. Gleichzeitig fühlen sie sich oft unzureichend vorbereitet und ausgestattet. Der Megatrend Digitalisierung wird zur existenziellen Herausforderung.

Alle stellen sich die Frage nach dem "Wie"

Cloud Computing, Mobile Endgeräte, Fortschritte in der Sensorik sowie neue Analysewerkzeuge erlauben es, Geschäftsmodelle kundenorientierter auszurichten. Viele etablierte Unternehmen mit ihren oft verkrusteten Organisationsformen, Strukturen und Prozessen sind dafür nicht schnell und flexibel genug. Dennoch herrscht inzwischen Aufbruchstimmung. Digitale Geschäftsmodelle entstehen, die Transformation hat begonnen.

Auffällig ist, dass die Umsetzungskonzepte meist auf Methoden und Technologien aufsetzen, die von den Enterprise-Architektur-Experten entwickelt wurden. Man denke etwa an API-First, Micro-Services oder die IT der zwei Geschwindigkeiten. Alexander Hildenbrand und Karsten Schweichhart, Vorstände im SOA Innovation Lab, sind auch deshalb überzeugt davon, dass Enterprise Architektur Management (EAM) ein Schlüssel für eine schnelle und erfolgreiche Digitalisierung ist.

EAM als Schlüssel für Digitalisierungsprojekte
Foto: SOA Innovation Labs

Das SOA Innovation Lab ist eine Non-Profit-Einrichtung, in der elf deutsche Großunternehmen engagiert sind, darunter Daimler, Deutsche Bahn, Telekom, Wacker Chemie und einige Behörden. Das Lab sieht sich als Business-Netzwerk, das Wissen zu EAM und Service-orientierten Architekturen (SOA) teilt. Gegründet wurde es von Johannes Helbig, dem ehemaligen CIO der Post, der 2010 den Wettbewerb "CIO des Jahres" gewann.

"EAM ist daran gewöhnt, Geschäft und Technologie gleichzeitig zu betrachten", erklärt Schweichhart. "Da sich die Digitalisierung nur vorantreiben lässt, wenn beides beherrscht wird, betrachten wir EAM als Schlüsseldisziplin. Mit ihrer Hilfe gelingt es, die aus dem Zusammenwachsen physischer und virtueller Welt erwachsende Komplexität zu strukturieren und zu beherrschen", sagt der Experte, der sich hauptberuflich bei der Deutschen Telekom im Business Development Industrie 4.0 engagiert.

Für digitale Erweiterungen braucht es mehr digitale Fähigkeiten

Hildenbrand, Leiter Business Applications bei der Wacker Chemie AG, ist wie Schweichhart Vorstandsmitglied im SOA Lab. Er gibt ein Beispiel: "Bisher kümmert sich ein Unternehmen, das Waschmaschinen herstellt, um Entwicklung, Produktion, Vermarktung und Service. Um auch künftig wettbewerbsfähig zu sein, geht der Trend hin zur digitalen Erweiterung. Die Produkte werden mit Sensoren, Kommunikationsfähigkeit und digitalen Services ausgestattet. Dazu braucht das Unternehmen zusätzliche Fähigkeiten."

Durch die digitale Dimension nehme aber die Komplexität des Produkts und des Service zu. Da sich Kernprozessen ändern, sind teilweise auch andere Prozesse in Bereichen wie Finanzen, Sicherheit, IT und Personal tangiert. "Neue Geschäftsmodelle treiben die Veränderung", so Hildenbrand. "Der Hersteller könnte sich ja auch entscheiden, nicht mehr Waschmaschinen anzubieten, sondern dem Kunden eine Service-Gebühr pro gewaschenes Kilo Kleidung in Rechnung zu stellen. Damit wären viele bisherigen Abläufe des Unternehmens in Frage gestellt, müssten neu strukturiert und teilweise mit zusätzlichen Technologien unterstützt werden."

Der Digital Navigator strukturiert 60 digitale Fähigkeiten

Um besser erkennen zu können, welche Fähigkeiten - Enterprise-Architekten sprechen von "Digital Capabilities" - Unternehmen genau benötigen, um bestimmte Digitalisierungsschritte zu gehen, hat das SOA Innovation Lab gemeinsam mit der Unternehmensberatung Detecon einen Digital Navigator (PDF) entwickelt. Den Mitgliedern des SOA Innovation Labs steht er kostenfrei zur Verfügung. Das Tool nennt sechs Handlungsfelder, die in knapp 60 Digital Capabilities unterteilt sind:

Diese Handlungsfelder sind den drei Anwendungszwecken ("Digital Dimensions") Customer & Partnering, Product and Services sowie Enterprise zugeordnet.

Welche Fähigkeiten Unternehmen im digitalen Business brauchen.
Foto: SOA Innovation Labs

"Mit dem Navigator bekommen Unternehmen ein Werkzeug an die Hand, mit dem sich eine Strategie zum Auf- oder Ausbau des digitalen Business entwickeln und steuern lässt", zeigt sich Schweichhart, der das Projekt innerhalb des SOA Innovation Lab geleitet hat, überzeugt . "Sie können erkennen, welche Fähigkeiten sie zusätzlich benötigen, welche sie bereits haben und ob sie die vorhandenen eventuell ausbauen müssen." Anwenden lasse sich der Navigator für alle Fragestellungen der Digitalisierung, zum Beispiel für die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle, die Prozessoptimierung sowie für technische Innovationen.

Der Waschmaschinenhersteller, der seinen Reparatur-Prozess noch nicht digitalisiert hat, würde aufgrund einer eher lückenhaften Beschreibung des Problems den Kunden zu einem vereinbarten Termin aufsuchen, den Fehler finden und ihn im besten Fall beheben. Weil er aber im Vorfeld kaum Informationen zur Fehlerursache erhalten hat, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sein Servicefahrzeug nicht mit den nötigen Ersatzteilen bestückt ist und der Kunde ein zweites Mal aufgesucht werden muss. Das ist teuer und für beide Seiten unbefriedigend.

Besser wäre es, wenn ein Besuch ausreichen würde, um den Fehler zu beheben. Das würde aber voraussetzen, dass der Service-Point bereits weiß, wo das Problem liegt, damit der Servicetechniker bestmöglich instruiert und sein Fahrzeug mit den richtigen Ersatzteilen bestückt ist. Um diesen Prozess mit digitalen Mitteln zu verbessern, könnte der Hersteller auf das Handlungsfeld "Digital Information Management" des Digital Navigator zurückgreifen.

Die Bausteine der Digitalen Transformation
Foto: SOA Innovation Labs

Darin sind folgende Capabilities zusammengefasst:

Prozess-Assessment zeigt Lücken auf

Ergebnis eines solchen Teil-Assessments könnte folgender Prozess sein: Der Kunde kontaktiert den Service-Point des Herstellers, und der erstellt ein Service-Ticket, in dem die wahrscheinlich benötigten Ersatzteile bereits aufgelistet sind. Die Liste dient gleichzeitig als Pick-Liste des automatischen Kommissionierungssystems, das die Service-Fahrzeuge für die Touren des nächsten Tages bestückt. Gleichzeitig dienen die im Ticket aufgeführten Adress- und Termininformationen der Tourenplanung des Servicetechnikers, so dass er jeden Kunden zeitgerecht erreicht.

Damit der Prozess so ablaufen kann, benötigt der Waschmaschinenhersteller praktisch sämtliche der oben genannten Capabilities. "Beispielsweise wird ein sehr schnelles und mächtiges Data-Mining- und Analysetool gebraucht, dass die vom Kunden geschilderten Symptome mit historischen Defektursachen abgleichen kann. So lässt sich entscheiden, mit welchen Ersatzteilen das Fahrzeug bestückt wird", erklärt Hildenbrand. Außerdem müsste natürlich die Datenqualität sichergestellt sein, um eine hohe Trefferquote bei den Ersatzteilen zu erzielen. Gleichzeitig gilt es, die Daten vor unautorisiertem Zugriff zu schützen.

Wäre die Digitalisierung dieses Prozesses dann erfolgreich abgeschlossen? Der Digital Navigator zeigt, dass die Fähigkeiten des Datenmanagements ausgeschöpft werden, aber nicht zum Beispiel die der Cyber-physischen Systems.

Digitalisierung bedeutet immer auch Automatisierung von Prozessen.
Foto: SOA Innovation Labs

Ein nächster Schritt wäre es, Waschmaschine, Lager und Servicefahrzeug zu einem Cyber-physischen System aufzurüsten. "Sensoren an der Waschmaschine könnten den Zustand verschiedener Kernkomponenten ständig an den Hersteller übertragen. Dann müsste gar nicht mehr gewartet werden, bis der Kunde anruft. Der Service-Techniker baut die neue Wasserpumpe ein, bevor sie den Dienst versagt. Und das Fahrzeug 'weiß' bereits, was es geladen hat und zu welchem Kunden es unterwegs ist." Auf diese Weise ließen sich weitere Mehrwerte für den Kunden erschließen.