IT-Manager, Carrier, Analysten

Die Zukunft der Corporate Networks

03.11.2010 von Jürgen Hill
Unternehmensnetze stehen vor einem tief greifenden Wandlungsprozess. Wir wagen den Blick in die Glaskugel und zeigen die wichtigsten Trends auf.

E-Mails zuverlässig zustellen, jederzeit den Zugriff auf Unternehmensdaten ermöglichen, eine störungsfreie Kommunikation per VoIP gewährleisten - so lauteten bislang die Herausforderungen im Networking. Doch nach der Verschmelzung von Telekommunikation und IT-Welt wartet auf die Netzverantwortlichen bereits der nächste Paradigmenwechsel: Im Zuge von RZ-Virtualisierung und Cloud Computing sollen die bislang getrennten Speicher- und Datennetze zusammenwachsen. Welche Auswirkungen hat dies auf das eigene WAN und LAN? Worauf sollten IT-Administratoren achten? Welche Technologien prägen den Wandel? Und wo bleibt der Mensch - sprich Mitarbeiter - in dieser virtuellen Welt? Wie lassen sich Teleworker und Außendienstleute clever in das Netz und den Workflow integrieren und gleichzeitig managen?

Die COMPUTERWOCHE befragte IT-Manager, Carrier und Analysten, wie sie die Zukunft der Corporate Networks sehen.

Jürgen Kirchmann: Die Grenzen zwischen LAN und WAN verschwinden

Jürgen Kirchmann, Regional Director DACH bei Extreme Networks
Foto: Extreme Networks

Das eigene Netz wird in Zukunft maßgeblich zum wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens beitragen. Dabei werden die Anforderungen immer komplexer. Zudem muss das Netz zunehmend eine integrative Aufgabe übernehmen, also Geräte, Dienste und virtualisierte Anwendungen jederzeit sicher und verfügbar bereitstellen. Gleichzeitig gilt es, den Aufwand für Betrieb und Wartung zu minimieren. Weitere Herausforderungen sind, virtualisierte Server und deren Anwendungen, skalierbare Speichernetze auf Basis von Ethernet sowie Sprache und Video optimal in die bestehende Infrastruktur einzubinden. Insgesamt werden dabei die klassischen Grenzen zwischen LAN und WAN immer mehr verschwinden. Denn Techniken wie Cloud Computing tragen dazu bei, dass die Zahl dedizierter Netzwerkregionen sinkt. Damit stellt sich auch für Unternehmen die Frage, wer künftig ihr Netz betreibt. Die Entscheidung, ob Eigenbetrieb oder Zukauf bei einem Outsourcing-Partner, sollten Unternehmen entsprechend ihrer Kernkompetenzen und Geschäftsziele treffen. Der Schlüssel zum Erfolg wird sein, kostenoptimiert, zu jeder Zeit, an jedem Ort, performant, unterbrechungsfrei und möglichst energieeffizient auf alle benötigten Daten und Dienste zugreifen zu können."

Detlef Eppig: Erfolgreiche IT-Entscheider achten auf Trends in der Consumer-Kommunikation

Detlef Eppig, Director of Network Operations bei Verizon Business
Foto: Verizon Business

Netzwerke unterliegen zurzeit deutlichen Veränderungen, damit sie künftige Anforderungen erfüllen können. Fortschritte hinsichtlich der Art und Weise, wie Technologiekomponenten miteinander in Verbindung stehen, einschließlich des Trends hin zu Service-orientierten Architekturen (SOA), führen zu einer höheren Bandbreitenflexibilität sowie einer schnelleren Bereitstellung von Netzwerk-Services und geben Unternehmen mehr Kontrolle.

Schon in den vergangenen zehn Jahren haben sich die Netze rasant weiterentwickelt; die kommenden zehn Jahre versprechen zusätzliche Innovationen. So werden die Netzwerke noch flexibler, und Unternehmen müssen noch schneller auf wechselnde Unternehmensanforderungen reagieren - anstelle von Monaten hat dies innerhalb von Stunden zu geschehen. Dabei werden diejenigen IT-Entscheider erfolgreich sein, die Trends in Verbraucherkommunikation und Netztechnik besondere Beachtung schenken, da diese sowohl den Arbeitsplatz als auch den Markt mitgestalten werden.

Die Netzlandschaft selbst entwickelt sich hin zu Ethernet-basierten Infrastrukturen. So setzen wir beispielsweise weiterhin 40G-Technologie im Backbone ein, während auf stärker frequentierten "Hauptschlagadern" auf 100G-Technologie aufgerüstet wird. Bislang hat es Sinn ergeben, eigene Netzwerkkomponenten zu besitzen. Heute machen Ausmaß, Reichweite und Komplexität der Unternehmensumgebung Netzbetrieb und -verwaltung zu einer Herausforderung. Deshalb werden Firmen ihre IT- und Kommunikationsmittel verstärkt auslagern, um Ressourcen zu rationalisieren. Cloud Computing ist hier ein Thema, um Wettbewerbsvorteile zu generieren.

Thorsten Meudt: Mit "Wire Once" zur flexiblen Infrastruktur

Thorsten Meudt, Global Program Manager des Geschäftsbereichs HP Networking
Foto: HP

Um die Serverauslastung im Zuge der Virtualisierung besser zu unterstützen, sind flexiblere IT-Infrastrukturen gefragt. Das Leitmotto lautet hier "wire once" - eine einheitliche Infrastruktur verbindet die Server mit jedem Netz, egal ob Fibre Channel, Ethernet oder iSCSI. Bei einer Änderung, beispielsweise dem Verschieben einer Applikation in einen anderen physikalischen Server oder gar ein externes Rechenzentrum, wandern die Netzwerkkonfigurationen, wie etwa die Sicherheitsparameter, künftig mit.

Wenn im Rahmen der Virtualisierung zum Beispiel die Server immer "mobiler" werden, müssen auch die Netze flexibler werden und gleichzeitig hochverfügbar sein. Dieser Entwicklung müssen IT-Verantwortliche heute Rechnung tragen, wenn sie für die Zukunft richtig gerüstet sein wollen. Dazu sollten sie bewusst auf eine auf offenen Standards basierende - und damit im Gegensatz zu proprietären Lösungen zukunftssichere - Technologie setzen. Dies ermöglicht eine evolutionäre Migration, denn die Standards sind interoperabel mit der bestehenden und der künftigen IT-Infrastruktur.

Hyperic HQ
Die Monitoring-Software Hyperic HQ bietet dank VMware-Einstieg in der neuen Version auch viele Features zur Überwachung virtualisierter Umgebungen.<br /><br /> Lizenz: GPL v2
openNMS
Obwohl deutlich billiger (wenn nicht sogar umsonst), muss OpenNMS den Vergleich mit den traditionellen Enterprise-Monitoring-Lösungen HP OpenView und IBM Tivoli nicht scheuen. <br /><br />Lizenz: GPL
Vyatta
Vyatta verwandelt (fast) jede x86-Hardware in einen Router mit VPN- und Firewall-Funktionen.<br /><br />Lizenz: Open Core
FreeNAS
Diese NAS-Server-Software mit schmucker Benutzeroberfläche basiert auf FreeBSD und unterstützt jedes File-Sharing-Protokoll, das man sich wünschen könnte.<br /><br />Lizenz: BSD License
Cacti
Cacti ist der derzeitige Standard für Open-Source-Netzgrafiken: Jedes Gerät und jeder Service, der numerische Daten ausspuckt, kann vermutlich in Cacti integriert werden. <br /><br />Lizenz: GPL v2
RANCID
RANCID protokolliert die Konfigurationseinstellungen von Netzwerkkomponenten und speichert jede Änderung einzeln in Protokolldateien ab. Unverzichtbar für Admins, die nicht als einzige Zugang zur Technik haben.<br /><br />Lizenz: Terrapin Communications OSS License
FOG
Legen Sie eine Kopie des gesamten Rechners an, verwalten Sie wechselnde Festplatten- und Partitionsgrößen - alles per Browser-Zugriff, sogar über das Handy. <br /><br />Lizenz: GPL
Webmin
Web-basiertes Systemmanagement für Unix-Plattformen, multi-user-fähig und dank modularen Aufbaus individuell anpassbar.<br /><br />Lizenz: GPLv2
Puppet
Mit Puppet lassen sich lassen sich Server-Deployments, -Updates und andere Administrationsaufgaben automatisieren. <br /><br />Lizenz: GPL
OTRS ITSM
IT Service Management komplett: Features für Change Request, SLA Management, Dashboards in Echtzeit, Reporting und vielem mehr: OTRS ITSM bietet alles was nötig ist, um den IT Service compliant und up to date zu halten.<br /><br />Lizenz: GNU Affero GPL

Hagen Rickmann: Das Netz ist die Hauptschlagader für geschäftskritische Prozesse

Hagen Rickmann, Leiter Portfolio- und Innovation-Management bei T-Systems
Foto: T-Systems

Die Bedeutung der Wide Area Networks (WANs) wandelt sich derzeit stark. Dieser Wandel ist nicht nur durch neue Technologien im Sinne von Zentralisierung von IT oder Cloud-Services geprägt. Vielmehr beeinflussen auch neue Business-Anforderungen die Netzentwicklung. Dazu zählen Punkte wie Globalisierung oder ein schnelles Go-to-market, das der Kommunikationsinfrastruktur mehr Flexibilität abverlangt: Das Unternehmensnetz ist also heute wichtiger denn je, es ist sozusagen die Hauptschlagader für geschäftsrelevante Prozesse.

All das sind Anforderungen, denen die historisch gewachsenen Netze nicht gerecht werden. Sie sind in der Regel heterogen und bieten keine durchgängigen Services. So haben Großunternehmen viele verschiedene Provider, die gar nicht in der Lage sind, weltweit einheitliche Services anzubieten. Hier ergibt sich ein dringender Handlungsbedarf für IT-Verantwortliche. Dabei hat sich das Lego-Prinzip bewährt, bei dem standardisierte Portfoliobausteine und innovative Themen miteinander verankert werden. Dies erlaubt ein global einheitliches Service-Management, ohne dass individuelle Anforderungen zu kurz kommen.

Axel Foery: Die Grenzen zwischen unterschiedlichen Technologien müssen fallen

Axel Foery, Director Borderless Network bei Cisco
Foto: Cisco

Früher waren Unternehmen abgeschlossene Einheiten - die eigentliche Firma und ihre Peripherie. Entsprechend gab es Anwendungen für den externen Austausch und für die internen Abläufe, und alles war sicher. Doch heute verschieben sich diese traditionellen Grenzen bis hin zu ihrem vollständigen Wegfall. Beispielsweise sind immer mehr Menschen außerhalb der Unternehmensgrenzen tätig, weshalb es möglich sein muss, überall und ohne Einschränkungen zu arbeiten. Gleichzeitig müssen die Grenzen zwischen den verschiedenen Technologien fallen, denn wir nutzen - im Büro, zu Hause oder unterwegs - die unterschiedlichsten Geräte (Macs, PCs, iPhones, Smartphones).

Auch wenn die IT-Umgebungen damit zunehmend komplexer werden, behalten einige grundlegende Anforderungen weiterhin ihre Bedeutung. Dazu gehören Skalierbarkeit, Verfügbarkeit, Performance, Sicherheit und Verwaltbarkeit. Auf Netzebene heißt dies, dass Switching-Lösungen umweltfreundlichere Prozesse durch höhere Energieeffizienz ermöglichen müssen. Gleichzeitig hat der LAN-Betrieb so komfortabel zu sein, dass Probleme schnell gelöst werden können. Und für den Anwender selbst hat das Netz einen Servicezugriff ohne Ortsbindung zu gewährleisten. Für den IT-Verantwortlichen bedeutet dies, dass er ein nahtloses Sicherheitskonzept über alle Netzebenen zu realisieren hat.

Wie IT das Leben von morgen bestimmt
IT-Tools in Autos verhindern Unfälle, Virtualisierung rettet die Natur und Netzwerke ersetzen Unternehmen. Die Analysten von McKinsey stellen zehn Technik-Trends vor und erklären, wie sie die Welt verändern.
1. Unternehmen schaffen gemeinsam mit ihren Kunden Wert:
Angefangen hat Cocreation in der IT-Branche mit der Open Source-Bewegung, bald wird es Mainstream sein, so McKinsey. Der neue Fachbegriff umschreibt das Phänomen, wonach Kunden sich gegenseitig beraten und unterstützen. Unternehmen machen sich das zu Nutze.
2. Das Netzwerk entwickelt sich zum Unternehmen:
Multinationale Konzerne müssen die Skills ihrer Mitarbeiter über interne und externe Grenzen hinweg nutzen. Andernfalls verschenken sie Potenzial.
3. Skalierbare Collaboration:
In einer Informations- und Wissensgesellschaft wächst die Zahl der "Kopfarbeiter" stärker als die der Fließband-Arbeiter. Unternehmen kommen nicht mehr ohne Instrumente wie Blogs und Wikis aus. Sie müssen aber auch fähig sein, diese zu managen.
4. Das Internet erobert die physische Welt:
Beispiel dafür, wie das Internet virtuelle Grenzen überschreitet, ist die Automobilbranche mit ihrer Embedded Software. Wie die Analysten schreiben, sollen beispielsweise vernetzte Sensoren künftig helfen, Unfälle zu vermeiden.
5. Die Datenmenge wächst und wächst und wächst…:
Derzeit verdoppelt sich die kursierende Datenmenge etwa alle 18 Monate, so McKinsey. Der "Big Data"-Trend werde sich auch nicht abschwächen. Unternehmen müssen Daten so organisieren, dass sie konkreten Nutzen davon haben.
6. Technik für Nachhaltigkeit:
Entscheider kommen am Umweltschutz nicht mehr vorbei. Virtualisierung und "grüne" Rechenzentren sollen helfen, Emissionen zu reduzieren.
7. Alles-as-a-Service:
Nicht nur Software, auch Infrastruktur, Plattformen und Inhalte jeder Art werden künftig "as a Service" verfügbar sein, so McKinsey. Auch dieser Trend geht über virtuelle Welten hinaus: Die Analysten beobachten steigendes Interesse an Angeboten wie Car-Sharing.
8. Mehr Umsatz von dritter Seite:
Unternehmen werden immer öfter Geld mit Zielgruppen umsetzen, an die sie jetzt noch gar nicht denken.
9. Innovationen in aufsteigenden Märkten testen:
Die IT ermöglicht etablierten Unternehmen das Testen innovativer Modelle. McKinsey nennt als Beispiel den Telekommunikations-Anbieter Safaricom, über den Einheimische Mobile Banking abwickeln können.
10. Veränderungen im öffentlichen Raum:
Derzeit lebt jeder zweite Mensch in einer Stadt - bis 2050 sollen es sieben von zehn Menschen sein. Ohne IT zur Steuerung der Verkehrssysteme, ohne Überwachung öffentlicher Plätze (inklusive Analyse der Daten, um Gefahrenzonen zu identifizieren) wird es nicht mehr gehen.

Sylvia Wünsche: Flexibilität der Netze steht an erster Stelle

Sylvia Wünsche, Analystin bei IDC Europe, Telecommunications and Networking group:

Seit der Weltwirtschaftskrise 2009 stehen Kostensenkungen und damit einhergehend die virtuelle Zusammenarbeit von Mitarbeitern im Mittelpunkt. Viele Untenehmen sind daran interessiert, dass ihre Mitarbeiter einen schnellen, sicheren und zuverlässigen Zugriff auf Anwendungen und Daten haben, um so die Unternehmensproduktivität zu steigern. Darüber hinaus steht die Flexibilität von Netzen an erster Stelle, um schnell auf veränderte Geschäftsprozesse reagieren zu können.

IT-Verantwortliche geraten damit in eine Zwickmühle: Auf der einen Seite müssen sie, wie wir glauben, auch 2011 mit eingeschränkten IT-Budgets leben. Auf der anderen Seite wird von der IT ein immer höherer Leistungsbeitrag zum Unternehmenserfolg erwartet. Deshalb liegt das Hauptaugenmerk darauf, neben Kosteneinsparungen die bestehende Infrastruktur besser zu nutzen. Hierbei zeichnen sich drei Trends ab: Eine Konsolidierung, die eine verstärkte Rezentralisierung von Infrastruktur, Software und Services beinhaltet. Oben auf der Prioritätenliste sollte ferner das Thema Virtualisierung stehen - sowohl auf dem Server als auch auf dem Desktop. Ferner wird der anhaltende Kostendruck dazu führen, dass Cloud Computing weiter vorangetrieben wird.

Jürgen Hansjosten: Für Dogmas ist im Corporate Network kein Platz

Jürgen Hansjosten, CEO TeraGate AG
Foto: Teragate

In der Diskussion um die richtige Netztechnik ist eines zumindest unstrittig: Corporate Networks werden wachsen und wachsen. Allein schon deshalb, weil Unternehmen immer größere Teile ihrer Wertschöpfung aus dem vernetzten Arbeiten ziehen. Treiber ist insbesondere die Zentralisierung von unternehmenskritischen Applikationen und Rechenzentren, für die ein performantes WAN absolut notwendig ist. Viele Unternehmen stehen hier aktuell vor einem weitgreifenden Umbau ihrer Infrastruktur. Und das Thema Cloud Computing wird weitere Veränderungen mit sich bringen. Die Anforderungen an die Datennetze wachsen also erheblich, aber welche Technik ist die beste Lösung?

Ich bin überzeugt, dass sich Ethernet als Basistechnologie durchsetzt. Es kombiniert die Vorteile der klassischen Punkt-zu-Punkt-Technologien mit den Vorteilen von IP-VPNs. Hohe Performance, flexible Topologien, kurze Latenzzeiten und kundenspezifisch konfigurierbare VLANs kennzeichnen das Ethernet-WAN. Allerdings müssen selbst wir als Anbieter von Ethernet-WAN-Services einräumen, dass für manche Dienste auch die Performance von Internet oder IP-VPN ausreicht.

Letztlich sollten IT-Verantwortliche auf der Suche nach einer wirtschaftlich veritablen Lösung flexibel und kreativ mit allen Technologien umgehen. Wie so oft, ist auch bei Corporate Networks für dogmatische Lösungen kein Platz. Besser ist der intelligente Mix - für die Performance, die man braucht, zu einem akzeptablen Preis.