Die Themen rund um das Web 2.0 kommen allmählich in den Unternehmen an - allerdings noch nicht in diesem Jahr. Das fand das Beratungsunternehmen Capgemini in seiner aktuellen Trendstudie heraus. Dafür analysierte es die Angaben von insgesamt 173 Entscheidungsträgern aus Unternehmen in Deutschland, Österreich und der Schweiz, von denen 40 Prozent mehr als eine halbe Milliarde Euro im Jahr umsetzen. Der Erhebungszeitraum erstreckte sich von Ende September bis Ende Oktober 2010. Die Topmanager äußerten sich zu folgenden Themen: Entwicklung der IT-Budgets, Organisation der IT, Innovationen, Trends und Stand der IT-Industrialisierung, also Fertigungstiefe sowie Grad der Automatisierung, Standardisierung und Modularisierung.
Toptrend Virtualisierung
Auf die Frage nach den Trends gaben die Studienteilnehmer eine eindeutige Antwort: Schon im Jahr zuvor das Thema Nummer 1, wurde die Virtualisierung auch diesmal wieder am häufigsten genannt. Dabei verlagert sich der Schwerpunkt mittlerweile von den Servern zu den Desktops. Es geht darum, die Arbeitsplatzrechner zentral administrierbar zu machen, um Personalressourcen und Lizenzkosten zu sparen sowie die Auslastung der Hardware zu verbessern.
Dauerbaustelle Integration
Überraschend unter die Top Five der IT-Trends schaffte es in diesem Jahr die Integration von Standard- und Individualsoftware. Diese Aufgabe bleibt trotz Standardisierung der Schnittstellen und Service-orientierter Architekturen anspruchvoll, erläutert Uwe Dumslaff, Chief Technology Officer für Deutschland, Österreich und die Schweiz bei Capgemini, der als Autor der Studie zeichnet. Nach wie vor verlassen sich viele Unternehmen in ihren Kernprozessen auf individuelle Anwendungen, so Dumslaff, weil sie auf Wettbewerbsvorteile hoffen. Diese Systeme würden nur langsam abgelöst; hinzu kämen ständig neue spezialisierte Applikationen.
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Evergreen Risiko-Management
Auch im vergangenen Jahr auf einem der vorderen Plätze rangiert ein Thema, das spätestens seit der Wirtschaftskrise als geschäftskritisch gilt: das Risiko-Management. Vor allem die Finanzdienstleister bauen ihre Risk-Management-Systeme ständig weiter aus - teils aufgrund gesetzlicher Anforderungen, teils aus eigenem Antrieb. Doch auch im Handel oder der extrem von Zulieferern abhängigen Automobilbranche gewinnt das Thema an Bedeutung.
Stiefkind Daten-Management
In Sachen Master-Data-Management und Datenqualitäts-Management haben die Unternehmen großen Nachholbedarf, so die Capgemini-Studie. Die Unternehmen beginnen offenbar erst nach und nach, ihre Daten unternehmensweit zu vereinheitlichen. Das ist umso erstaunlicher, als der Bedarf bereits in der Befragung aus dem Herbst 2009 festgestellt wurde: Beide Themen fanden sich damals schon unter den Top-Prioritäten.
Wie Dumslaff ausführt, wird dieser Trend getrieben durch zunehmende Geschäftsprozessintegration sowie die wachsende Notwendigkeit für Risiko- und Compliance-Management, aber auch durch die immer besser werdenden Analysemöglichkeiten, beispielsweise im Customer-Realationship-Management. Heute seien die Unternehmen in der Lage, ihren Kunden maßgeschneiderte Produkte anzubieten und ihr Marketing individuell auszurichten - sofern sie die dazu notwendigen Daten aus ihren Silos befreien und bereichübergreifend nutzbar machen können.
Kein Bedarf für Microblogging
Auf die Plätze verwiesen die von Capgemini befragten Entscheidungsträger auch diesmal wieder die Themen, die zwar sexy aussehen, aber ihre Eignung für das Business erst noch beweisen müssen. Dazu zählt vor allem das unternehmensinterne Microblogging. Es reißt im Augenblick offenbar so gut wie keinen IT-Verantwortlichen vom Hocker. Wie Dumslaff erläutert, nutzen die Mitarbeiter entweder externe Plattformen oder sind mit E-Mails, Intranet, internen Chat-Möglichkeiten und Newsletters bereits ausgelastet, so dass es keinen Bedarf für eine weitere Kommunikationsplattformen gibt.
Ähnliches gilt für Unternehmens-Blogs. Auch hier hält sich das Interesse der IT-Entscheider in Grenzen - wenngleich die Befragten einräumen, dass dieses Thema im kommenden Jahr an Bedeutung gewinnen könne.
GoogleApps bleibt umstritten
Auch das Thema gehostete E-Mails, oder konkret: "Google Apps", findet laut Capgemini immer noch wenig Befürworter auf der Entscheiderebene. Es gebe zwar einige Konzerne, die - relativ unbeachtet von der Öffentlichkeit - auf das Angebot aus der Cloud umgestiegen seien. Aber viele schreckten immer noch davor zurück, ihre vertraulichen Daten einem Dienstleister anzuvertrauen, der über den Speicherort keine detaillierten Auskünfte geben kann.
Social CRM - bislang nur Hype
Auf die lange Bank schieben die Unternehmen laut Capgemini bis auf Weiteres auch das Hype-Thema "Social CRM", sprich: die Auswertung von Informationen aus sozialen Netzen. Keiner der Studienteilnehmer habe über konkrete Projekte berichten können. Allerdings klingt die Idee überzeugend und wird auf Kongressen oder in den Medien vehement diskutiert. Deshalb erwartet eine Reihe der Befragten auch, dass Social CRM in den kommenden Jahren wichtiger werde.
Mashups spielen keine Rolle
Informationen aus fremden Quellen kombinieren und in das eigene Web-Angebot integrieren - dazu dienen Mashups. Mit Hilfe dieser Technik lassen sich beispielsweise E-Mails, Tabellen und Präsentationen im Intranet zusammenfügen oder die Zimmerpreise bevorzugter Hotel beziehungsweise der Weg zum Kongresszentrum in die Reiseanwendung integrieren. Im Internet eigentlich gang und gäbe, hat das Thema den Weg in die Unternehmen offenbar nicht gefunden, so Capgemini. Die Ursache dürfte auch darin liegen, dass die befragten Topmanager es für unwichtig halten.
Die tatsächlichen Projekte
Andererseits ist eine Technologie, die in der Studie als wichtig eingestuft wird, nicht zwangsläufig auch das Thema zahlreicher Projekte. Vielmehr stehen die tatsächlich umgesetzten Projekte häufig im Widerspruch zu dem, was als "Trend" gilt. Im Falle der Virtualisierung mag das daran liegen, dass die Lösungen in den Unternehmen häufig bereits in Betrieb sind.
Das Gegenteil ist auf dem Web-2.0-Sektor der Fall: Laut Studie planen viele Unternehmen, spätestens im kommenden Jahr ihre Portale und Web-Applikationen benutzerfreundlicher zu gestalten, um ihren Auftritt nach außen zu verbessern. Ein weiterer Megatrend ist die Arbeit an Applikationen für mobile Endgeräte. Wie Dumslaff erläutert, haben sich viele Führungskräfte mittlerweile einen Tablet-PC angeschafft, den sie privat und - soweit möglich - auch geschäftlich nutzen. Damit gerät die IT-Abteilung unter Druck. Sie muss zumindest testen, inwieweit diese Kleinstrechner den Vertrieb, die Produktion, die Logistik und das Management produktiver machen können. Der Zugriff vom Tablet auf einige SAP-Systeme im Backend ist bereits möglich. Zudem werden erste Anwendungen für den Kundenzugriff via Tablet entwickelt.
Viele neue Projekte widmen sich in diesem Jahr dem Enterprise Content Management (ECM). Das ist kein neues Thema, aber es bekommt unter anderem durch die gestiegenen Anforderungen an Rechtssicherheit und Compliance eine ganz neue Bedeutung. Laut Capgemini nutzen die Unternehmen ihre ECM-Systeme längst nicht mehr nur zur Archivierung. Vielmehr unterstützen sie damit auch ihre Prozesse.
Ähnliches gilt für Identity- und Access-Management. Hier arbeiten die Unternehmen längst an Lösungen, mit denen sie der Vielfalt an Endgeräten und Anwendungen Herr werden sowie die wachsenden Sicherheitsanforderungen erfüllen wollen. In diesem Jahr kommen Projekte für das Master-Data-Management hinzu. En vogue sind auch Unified-Communications-Lösungen.
Was ankommt - und was nicht
Firmen-Wikis, -Blogs, Rich Internet Applications, Foren und internes Microblogging werden immer noch als "nahezu bedeutungslos" eingestuft, konstatiert Dumslaff. Das dürfte sich aber im Laufe der nächsten 24 Monate ändern. Die für die Studie befragten IT-Verantwortlichen gingen davon aus, dass sie sich künftig häufiger mit Web 2.0 beschäftigen müssen.
Als Nischenphänomen erscheint heute der Trend, die Kunden in die Produktentwicklung einzubinden. Unternehmensübergreifende Collaboration-Plattformen lohnen sich allenfalls für die Pharmaindustrie, die mit ihrer Hilfe kleinere Labore und Unternehmen in ihre äußerst kostspielige Forschung integriert. In den meisten anderen Branchen ist es aber, so Dumslaff, derzeit noch preiswerter und effizienter, die Kunden über Fokusgruppen, Umfragen oder Tests an der Entwicklung zu beteiligen.
Große Hoffnungen wurden in der Vergangenheit auf das semantische Web gesetzt. Aus Sicht von Capgemini hat sich jedoch inzwischen gezeigt, dass die die Entwicklung länger dauert als gedacht. Bislang gebe es nur Pilotanwendungen, und es werde wohl noch einige Jahre dauern, bis sich die CIOs ernsthaft mit der Technologie auseinandersetzen.