Interview mit Reinhard Clemens, Vorstandsmitglied Deutsche Telekom

"Die Telcos müssen in die Cloud"

27.09.2016 von Jürgen Hill
Die Telekom hat die Themen Technik, IT und Innovationen in einem neuen Ressort gebündelt. Die COMPUTERWOCHE ließ sich von T-Systems-Chef Reinhard Clemens die Strategie dahinter sowie die künftigen Zuständigkeiten der Geschäftskunden-Sparte genauer erklären.
Reinhard Clemens ist im Telekom-Vorstand für die Geschäftskundensparte T-Systems verantwortlich.
Foto: Deutsche Telekom

COMPUTERWOCHE: Claudia Nemat ist mittlerweile für das Vorstandsressort Technologie und Innovation zuständig. Was bedeutet das für eine T-Systems, denn Innovationsthemen wie Cloud oder Digitalisierung waren doch bislang dort angesiedelt?

REINHARD CLEMENS: Um die Frage zu beantworten, lassen Sie uns kurz auf die aktuelle Aufstellung eingehen: T-Systems adressiert zurzeit drei Themen - die interne IT, das Thema Security sowie das externe IT-Geschäft mit Großkunden. Und die Telekom stellt gerade ihr Netz auf IP um. IP ist die Grundlage für unser zukünftiges pan-europäisches Netz. Dieses wird Services softwarebasiert produzieren, also auf einer "Standard-Hardware" alle Services bereitstellen und nicht wie bisher pro Service dedizierte Hardware benötigen.

Ziel dieses Software Defined Network ist, dass wir letztlich eine zentrale Netzfabrik für alle Länder in ganz Europa haben, in denen wir unterwegs sind. Wir erzielen damit Synergieeffekte und sind im Netz-Management effizienter. Ferner können wir Produkte, die wir in einem Land produzieren, relativ schnell in anderen Ländern vermarkten. Damit das funktioniert, braucht es eine ganz enge Koordination zwischen der Netztechnik und der internen IT des Konzerns.

CW: Und das bedeutet nun?

CLEMENS: Das Zusammenspiel von IT und Technik wird extrem wichtig. Dies bringen wir bei Claudia Nemat zusammen, denn bei ihr liegt ja schon heute der Technik-Part, jetzt kommen die interne IT und Innovation dazu. Es gibt natürlich viele Berührungspunkte zu T-Systems, zum Beispiel dort, wo man sich im Geschäftskundenbereich für eine Lösung entscheiden muss. Nehmen wir die Cloud-Produkte, die ja über uns vermarktet werden: Die Grundlage kommt aus dem Bereich von Claudia Nemat als Vorleistung und T-Systems setzt eine bestimmte Funktion oben drauf. Da unsere Geschäftskunden global aufgestellt sind, muss ich das nicht nur im Footprint der Telekom anbieten können, sondern weltweit - egal ob in Brasilien, Singapur oder China.

Wegen dieser globalen Thematik laufen auch Projekte wie die Next Generation Enterprise Network Alliance (ngena), oder Security bei T-Systems. Das gilt auch für die Bereiche Gesundheit und Vernetztes Auto. Besonders enge Zusammenarbeit gibt es beim Internet of Things (IoT). Die Digital Division von T-Systems treibt das Thema konzernweit, aber gerade bei Innovation wird der Austausch mit dem Bereich von Claudia Nemat sehr intensiv sein.

CW: Sie sprachen davon; dass im Zuge von ngena mehr Services zentral erstellt werden. Was genau soll die Allianz bezwecken?

CLEMENS: Was beschäftigt Geschäftskunden - ob Großkunden oder Mittelständler - wenn es ums Netz geht? Die Geschwindigkeit, mit der wir Netz-Services zu Verfügung stellen können. Nehmen wir an, Sie wollen eine Filiale in den USA eröffnen und sie brauchen einen standardisierten DSL-Anschluss. Dann dauert die Bereitstellung heute noch zwischen 60 und 90 Tagen. Dazu müssen wir die letzte Meile mit dem TK-Anbieter verhandeln. Wir nutzen auch die großen Seekabel, was eine Ausschreibung erforderlich macht. Das dauert für ein kleines Projekt mit wenig Komplexität viel zu lange.

CW: Stimmt, ich würde eine Bereitstellung innerhalb von 24 Stunden erwarten.

CLEMENS: Genau, und jetzt stellt sich die Frage, wie macht man so etwas? An einem Corporate Network sind im Kundenauftrag zig Telcos beim Netzdesign beteiligt. Deshalb gehen wir einen anderen Weg und bauen mit ngena eine strategische Allianz - ähnlich einer Star Alliance in der Luftfahrt, wo einer den Zubringer macht und der andere den Fernflug durchführt. Dabei bucht der Reisende durchgängig und muss sich um gar nichts kümmern. Dieses Modell ins Telco-Business umgemünzt: In Zukunft sitzt ein Kunde am Bildschirm und designt sein Netzwerk am Rechner - wo benötigt er den Anschluss, welche Bandbreite etc. Wenn er fertig ist, drückt er eine Taste und in vier Tagen steht der Anschluss. Uns muss er dann nicht mehr sprechen. Bis es so weit ist, übernehmen die Partner die Aufgabe.

CW: Klingt in der Theorie gut, aber in der Praxis?

CLEMENS: Die erste Hürde ist, dass sie Rahmenverträge mit einer Menge Telcos benötigen. Deshalb die Idee einer richtigen Allianz, mit klaren Regeln, abgestimmten Prozessen und Qualitätsvereinbarungen.

Auf dieser Grundlage produzieren wir hoch automatisiert standardisierte Netzwerk-Services. Dafür bauen wir in den nächsten zwölf Monaten weltweit 25 ngena-Netzwerkknoten auf. So liefern wir einen globalen standardisierten IP-Service. Das heißt, wenn ich VoIP als Service anbieten will, dann muss ich das einmal in diesem Netz produzieren und dann ist er global für alle verfügbar. Die Qualität ist in Deutschland, in Brasilien oder in Amerika genau gleich. Damit bekommen die Kunden mehr Flexibilität und Geschwindigkeit - genau das, was sie in einer globalen Welt erwarten.

CW: Und wie senken Sie die Kosten?

CLEMENS: Wir folgen dem Prinzip der Shared-Economy, das heißt, wir nutzen zum großen Teil das, was bereits vorhanden ist, nämlich die Infrastruktur der Partner in den Ländern. Ich spare mir die Aufbaukosten der ganzen lokalen und regionalen POP-Infrastrukturen. Nach den vier Partnern, die mit uns gemeinsam in Barcelona ngena der Öffentlichkeit vorgestellt haben, konnten wir bereits sechs weitere Unternehmen gewinnen, die in konkrete Vertragsverhandlungen mit ngena eingestiegen sind. Zudem sprechen wir mit weiteren rund 20 interessierten Telcos. Die entsprechende Software basiert auf Cisco.

Das Konstrukt wird für das Standardgeschäft in 80 bis 90 Prozent der Fälle den Ansprüchen genügen. Für Highspeed-Trading einer Bank ist es nicht ausgelegt. Auf ngena werden wir dann noch Cloud-Security-Funktionen aufsetzen. Die Idee ist dabei ist: Wir produzieren Security in der Cloud. Wir bauen also nicht die kundenspezifische Sicherheit aus Virenscannern und Software-Paketen nach. Geschäftskunden, die einen Netzzugang der Telekom buchenbekommen so eine gereinigte Leitung von uns. Mit Virenscanner und Firewall nicht mehr im Unternehmen, sondern in der Cloud.

Das Data-Center der Telekom in Biere bei Magdeburg.
Foto: Deutsche Telekom

Deshalb ist Biere (ein großes Telekom-RZ bei Magdeburg, Anmerkung der Red.) für uns so wichtig, denn dort produzieren wir die Services. Dort sitzen auch die großen Cloud-Anwendungen. Wir haben schon 50 Partner in Biere. Als einziges RZ dieser Welt finden sie dort fast alle Cloud-Wettbewerber in einem RZ. Die Kunden können so aus einem ganzen Cloud- Baukasten wählen. Ihnen steht HANA, Microsoft Azure, Salesforce, Cisco oder Openstack von Huawei zur Verfügung.

Die Geschichte von T-Systems
T-Systems – so fing alles an
Im Jahr 1995 wurde die Deutsche Bundespost privatisiert und die Deutsche Telekom AG entstand. Fünf Jahre später, im Jahr 2000 gründete die Telekom T-Systems als Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH). Zum Kerngeschäft des international agierenden Dienstleisters zählt die Informations- und Kommunikationstechnologie. Die Telekom-Tochter T-Systems bietet ihre Dienstleistungen sowohl mittelständischen Unternehmen als auch global agierenden Konzernen an.
Debis kommt dazu
Die Deutsche Telekom AG hatte im Oktober 2000 einen Anteil von 50,1 Prozent am IT-Dienstleister Debis Systemhaus erworben. Der herstellerunabhängige IT-Dienstleiser gehörte vollständig der Debis AG und damit der DaimlerChrysler AG. Mit dem Kauf hatte das neue IT-Dienstleistungsunternehmen T-Systems rund 37.000 Mitarbeiter.
Weitere Töchter kommen dazu
Im Jahr 2001 gliederte die Telekom zahlreiche weitere Unternehmen in die T-Systems aus. Unter deren Dach schlüpften beispielsweise DeTeCSM, Berkom, Multimedia Software GmbH Dresden, DeTeSystem, Infonet oder Telecash. Alle T-Systems Einzelfirmen beschäftigten rund 40.000 Mitarbeiter.
Noch mal Debis
Im Januar 2002 übernahm T-Systems die restlichen 49,9 Prozent des Debis Systemhauses. Allerdings gestaltete sich die Integration alles andere als einfach. Die Debis-Mitarbeiter waren eine dezentrale und projektorientierte Arbeitsweise mit vielen Freiheiten gewohnt. Sie trafen auf Kollegen und Vorgesetzte, die aus der zentralistischen Welt eines ehemaligen Staatsunternehmens kamen, darunter auch Beamte. Kaum verwunderlich, wer sich am Ende durchsetzte. Viele Debis-Führungskräfte verließen daraufhin das Unternehmen.
Fluktuation auf Chefsessel
Karl Heinz Achinger, langjähriger Chef des Debis-Systemhauses (im Bild), wurde zum Vorstandsvorsitzenden von T-Systems berufen. Der 1942 in Garmisch-Partenkirchen geborene Achinger hatte in München Betriebswirtschaft studiert und seine Berufslaufbahn bei den Motoren- und Turbinenunion (MTU) in München begonnen. 1989 war er zu Daimler-Benz gewechselt. Doch er hatte nur kurz den T-Systems Chefsessel inne. Aufgrund von Meinungsverschiedenheiten über die strategische Ausrichtung musste er bald wieder seinen Stuhl räumen.
Christian A. Hufnagl
Es übernahm Christian A. Hufnagl. Doch auch der drei Jahre jüngere Hufnagl hielt es nicht besonders lange an der Spitze von T-Systems aus. Zwar war er als ehemaliger DeTeSystem-Chef mit der Telekom-Welt bestens vertraut, doch im Januar 2003 war für ihn Schuss und auch er musste abdanken.
Die Ära Konrad F. Reiss
Anfang Januar 2003 übernahm Konrad F. Reiss das Ruder. Der studierte Betriebswirt war nach Stationen bei Cap Gemini und Debis Systemhaus im Januar 2003 in den Vorstand der Deutschen Telekom berufen worden und übernahm gleichzeitig als Vorsitzender der Geschäftsführung von T-Systems International die Geschicke der IT-Tochter. Reiss richtete das Unternehmen neu aus. Unter seiner Leitung erhielt der IT-Dienstleister eine neue, moderne Unternehmensstruktur und ein klares Profil im Outsourcing- und IT-Servicemarkt.
Dynamic Services
Früh, ab dem Jahr 2004, investiert T-Systems unter Reiss in die Virtualisierung der Serverinfrastruktur in den Rechenzentren, noch bevor sich dafür der Begriff "Cloud Computing" etabliert.
Meisterstück Toll Collect
Neben der gelungenen Neuausrichtung von T-Systems rettete der Manager auch ein anderes Prestige-Projekt vor einem Fiasko. Als sein Meisterstück gilt das Toll-Collect-Projekt. Als ihm die Verantwortung für die Entwicklung des stark gefährdeten Mautsystems Toll-Collect übertragen wurde, stutzte er es Projekt auf ein Maß, das sich innerhalb der geforderten Zeit umsetzen ließ, holte die richtigen Projekt-Manager an Bord und schaffte es im Januar 2005, termingerecht ein lauffähiges System zu übergeben.
T-Systems verlässt Herkules-Konsortium
Der Erfolg des Toll-Collect-Projekts hatte die Position von Reiss im Unternehmen gestärkt. Kurze Zeit später kündigte er den Ausstieg aus dem mit IBM und SBS gegründeten Konsortium an, das mit der deutschen Bundeswehr über das Outsourcing-Projekt Herkules verhandelte. Marktbeobachter begrüßten diesen Schritt, denn das Prestigevorhaben des Verteidigungsministeriums galt als sehr schwierig und riskant.
Der plötzliche Tod des Managers
Die Todesnachricht des erfolgreichen Managers schockierte die IT-Welt. Konrad F. Reiss, CEO der T-Systems International GmbH, verstarb am 7. April 2005 überraschend im Alter von 47 Jahren an Herzversagen während eines Osterurlaubs in Südafrika. Reiss hatte sich um T-Systems enorme Verdienste erworben. Er hinterließ eine Ehefrau und drei Kinder. Die Leitung von T-Systems übernahm interimsweise Wilfried Peters, bislang verantwortlich für den Bereich Finance & Controlling.Für T-Systems sollte eine lange Phase der Unruhe folgen.
Lothar Pauly als Nachfolger
Der im Oktober 2005 berufene Nachfolger Lothar Pauly war in der IT-Branche kein Unbekannter. Er übernahm als Chief Executive Officer (CEO) die Telekom-Tochter T-Systems, im Vorstand der Telekom war er für Systemgeschäft, Produktion, IT und Einkauf verantwortlich. Pauly trat im Mai 2007 von seinem Posten als CEO zurück, „um Schaden vom Telekom-Konzern fernzuhalten“, wie es hieß. Richtig miteinander warm geworden sind T-Systems und Pauly allerdings nie.
Pauly und Siemens
Pauly trat im Mai 2007 von seinem Posten als CEO zurück, „um Schaden vom Telekom-Konzern fernzuhalten“, wie es hieß. <br/><br/> Übersetzt hieß das: Lothar Pauly holte seine Siemens-Vergangenheit ein. Nach einer Ausbildung zum Industriekaufmann und BWL-Studium heuerte Pauly 1987 bei Siemens an und verbrachte dort in verschiedenen Positionen viele Berufsjahre, zuletzt als Leiter des Geschäftsbereichs Communications (Com). Vermutlich waren die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft München gegen Pauly im Zuge der Siemens-Schmiergeldaffäre sowie die schlechte wirtschaftliche Lage von T-Systems so schwerwiegend, dass ihn der damalige Telekom-Chef René Obermann am 31. Mai 2007 entließ. Richtig miteinander warm geworden sind T-Systems und Pauly allerdings nie.
Verkaufsgerüchte
Für eine geregelte Stabsübergabe fehlte schlichtweg die Zeit. Nachdem Finanzvorstand Karl-Gerhard Eick kommissarisch den Posten von Pauly für wenige Wochen übernahm, leitete Wilfried Peters abermals als kommissarischer Vorsitzender der Geschäftsführung von T-Systems von Mitte Juni bis Dezember 2007 T-Systems. Dann hatte die Telekom endlich einen neuen Mann für die Unternehmensspitze gefunden.<br/><br/> Infolge der Unruhen bei T-Systems machten Spekulationen die Runde, die Telekom wolle die IT-Tochter am liebsten verkaufen.
Reinhard Clemens wechselt zu T-Systems
Ende 2007 wechselte Reinhard Clemens schließlich zum Telekom-Konzern, wo er am 1. Dezember die Rolle des Geschäftsführers von T-Systems übernahm. Gleichzeitig sitzt Clemens – wie seine Vorgänger – auch im Vorstand der Deutschen Telekom. Dort verantwortet er die Geschäftskunden-Sparte des Konzerns. <br/><br/> Der 1960 geborene Clemens kam von der EDS Holding GmbH, wo er als Deutschland-Geschäftsführer das hiesige Outsourcing-Geschäft des amerikanischen IT-Dienstleisters angekurbelt hatte.
Neuausrichtung von T-Systems
Ziemlich bald machte sich Clemens daran, T-Systems neu auszurichten. Ein Teil dieser Strategie war es, die bislang rechtlich getrennten Untergesellschaften zu einer einheitlichen Organisation zusammenzuführen. Reinhard Clemens leitet seit Ende 2007 die Geschicke von T-Systems und hat damit so lange wie kein CEO vor ihm dieses Amt inne.
Großauftrag von Shell
Im Jahr 2008 sicherte sich der IT-Dienstleister einen Großauftrag von Shell. Der Vertrag hatte ein Volumen von eine Milliarde Euro (rund 1,58 Milliarden Dollar) bei einer Laufzeit von fünf Jahren. Rund 900 IT-Spezialisten von Shell wechselten zur Telekom-Tochter. Der Shell-Deal wurde zum Auslöser für eine Auftragswelle bei T-Systems.
Probleme mit Outsourcing-Deals
Das schnelle Wachstum offenbarte auch Schattenseiten. Anfang 2011 stoppte etwa die WestLB ein Outsourcing-Deal mit T-Systems. Zudem gab es Berichte über unzufriedene Kunden, darunter angeblich auch Shell.
Ständiger Wandel
Über die Jahre passte T-Systems seine Strategie immer wieder den sich rasch veränderten Strömungen des IT-Dienstleistungsgeschäfts an, doch die im Frühjahr 2014 angekündigte Neuausrichtung hat eine besondere Dimension. <br/><br/> T-Systems richtet sich ganz klar auf neue Wachstumsfelder wie die anstehende Digitalisierung der Wirtschaft, Anwendungen im Machine-to-Machine-Umfeld (M2M), Cloud, Sicherheit, intelligente Netze und Big Data aus. Dafür strebt man im klassischen Geschäft mit Betriebsdienstleistungen keine hohen Ziele mehr an, sondern möchte das aktuelle Niveau halten. Outsourcing-Leistungen, mit denen das Unternehmen groß geworden ist, drücken aufgrund des hohen Preisdrucks im Markt auf die Marge und rücken nach und nach aus dem Fokus von T-Systems.

"Wir bauen Sicherheit schon im Netzwerk ein"

CW: Sie wollen Security-Services vermarkten. Wie positionieren Sie eine T-Systems im Vergleich zu Playern wie Trend Micro und Co.?

CLEMENS: Auch Security gehen wir anders an: wir offerieren eine netzzentrierte Sicherheit. Die klassischen Anbieter liefern dagegen Softwarepakete oder Appliances. Und wie sieht deren Strategie aus? Sie machen die Haustür vor meinem Haus ein bisschen dicker und verstärken das Schloss. Dazu Scheiben in Panzerglas. Unsere Strategie dagegen: Ich fange schon dort an, um zu sehen, wo sich die potentiellen Angreifer ins Auto setzen. Dabei erliege ich nicht dem Trugschluss, dass dies 100-prozentige Sicherheit gewährleistet. Aber ich sehe viele Gefahren früher, denn unsere Lösung ist netzzentriert.

Das heißt, wir bauen Sicherheit schon im Netzwerk ein. Also im physischen Netz einer Telco - in den Netzknoten - sitzen die Filter. Dort sehen wir einen Virus kommen, lange bevor es das Netz eines Anwenders erreicht. Wir vermarkten also Security as a Service. Gleichzeitig sehen wir uns als Anbieter entlang der gesamten Digitalisierungskette: Vom sicheren Endgerät, über den sicheren Betrieb bis hin zur Hilfe, wenn ein Angreifer doch mal erfolgreich war. Und das gilt für das komplette Kundenspektrum - vom Privat- bis zum Großkunden.

CW: Und Sie glauben, die Anwender vertrauen der Security aus der Cloud mehr als klassischen Lösungen?

CLEMENS: Ja, denn Sie werden im Mittelstand kaum jemanden treffen, der nicht schon einmal Sicherheitsprobleme hatte - und alle haben ein Stück weit resigniert. In der neuen Welt werden alle früher oder später in die Cloud müssen, weil sie ihre Anwendungen nur noch in der Cloud bekommen. Denken Sie heute an Photoshop oder Lightroom, die Produkte sind nur noch aus der Cloud erhältlich. Schauen Sie sich Microsoft, Oracle oder SAP an, genau der gleiche Trend.

Blicken wir 10 Jahre in die Zukunft - und ich glaube, es geht wesentlich schneller - dann werden wir keine Software-Pakete mehr kaufen und fünf Jahre laufen lassen, weil sie dann uralt sind. Viele Unternehmen schließen heute noch ein Enterprise Agreement ab, um die Software sieben Jahre lang zu nutzen. Das ist zunächst wesentlich günstiger als eine Cloud-Lösung mit ihren jährlichen Subscription-Preisen. Diese Unternehmen werden ihre Strategie allerdings nicht durchhalten können, denn ihnen steigen die Mitarbeiter aufs Dach.

Die Mitarbeiter - vor allem die jüngeren - wollen die neuesten Produktivitäts-Tools wie WebEx oder Skype für Business sowie andere Collaboration-Tools nutzen. Wir leben in einer globalen, digitalisierten Welt, in der sich nicht nur die Arbeitswelt komplett verändert, sondern auch die Kundenschnittstellen. Wie wollen Unternehmen glaubhaft darstellen, dass sie digitalisieren und die neusten Technologien für Kunden einsetzen, wenn sie gleichzeitig alles in Eigenregie auf ihren Rechnern im Keller betreiben?

CW: Sicher, das ist eine Herausforderung, aber ist die Antwort wirklich einfach nur, dass die Digitalisierung die Kunden in die Cloud treibt?

CLEMENS: Ja, auch wenn die Konsequenzen etwas komplexer sind. Das haben wir mit unserer eigenen Strategie, Wettbewerber in ein Rechenzentrum zu holen, erlebt. Jeder wollte uns in den Verhandlungen reglementieren, wen wir nicht mehr reinlassen dürfen, wenn er in unser RZ geht. Das haben wir alles abgelehnt, denn in der digitalen Welt entstehen komplett andere Kundenschnittstellen.

Nehmen Sie nur das Smartphone - wer das Handy als Kundenschnittstelle nicht beherrscht, der wird verlieren. Über das Smartphone werden ganze Verkaufsprozesse laufen - und nicht über die Zeitung oder irgendein anders Medium. Und viele Unternehmen werden - ob sie wollen oder nicht - künftig Kundenkontakt haben. Ein Waschmaschinenproduzent zum Beispiel kannte früher die Nutzer seiner Produkte nicht. Will er jetzt auch Waschmittel per One-Click-Shopping anbieten, hat er plötzlich eine Kundenschnittstelle.

Das ist dann für den Produzenten nicht nur ein neues Geschäftsmodell. Die Schnittstelle eröffnet ihm auch neue Chancen, denn er kann sofort reagieren und den Kunden direkt adressieren, wenn die Maschine kaputt geht und nicht mehr zu reparieren ist. Das passiert dann alles, bevor der Kunde ins Internet anfängt, nach einem neuen Gerät zu suchen.

CW: Womit wir beim Stichwort Predictive Maintenance wären?

CLEMENS: Ja. Predictive Maintenance, aber fast noch wichtiger ist, das Unternehmen kann aktiv werden und behält Kontrollpunkte beim Kunden. Es verliert den Kunden nicht ans Internet. Deshalb überlegen Gerätehersteller, mit der Waschmaschine auch das Waschmittel oder mit dem Staubsauger auch den passenden Beutel direkt über die Schnittstelle zum Kunden zu vertreiben.

CW: Sie haben Ihren Cloud-Umsatz um 24 Prozent im letzten Halbjahr gesteigert - eine AWS allein im 2. Quartal 59 Prozent. Ist T-Systems hier der David, der gegen Goliath kämpft?

CLEMENS: Die Zahlen stimmen. Wir müssen schneller wachsen, da gibt's nichts zu diskutieren. Viele unserer Cloud-Produkte laufen erst jetzt an. Wir haben Huawei, Microsoft, Cisco oder VMware als Partner. Für mich ist die Größe einer AWS nicht das Problem. Ich fokussiere mich auf die Frage, wie ich das Produkt erhalte, das zu 100 Prozent die Kundenanforderungen deckt. So hatte eine Open Telekom Cloud bereits nach zwei Monaten 120 Kunden. Meine Intention ist jetzt nicht, für die Partner Infrastruktur zu betreiben. Vielmehr wollen wir einen Service für die Anwender offerieren, an dem alle Beteiligten mit einem Revenuesharing-Modell partizipieren.

CW: Gilt das Revenuesharing nur für Huawei oder auch andere?

CLEMENS: Das gilt auch für die anderen Partner - zwar immer etwas unterschiedlich und mit anderen Ausprägungen. Wir erhalten immer einen Anteil vom Umsatz.

CW: Sie sprachen von 120 OTC-Kunden, welche Unternehmen sind das?

CLEMENS: Das sind Konzerne dabei, aber auch ganz kleine Unternehmen für die schlicht der Preis OK ist. Und das, obwohl wir im Augenblick nur die nackte Infrastruktur anbieten. Wir fangen jetzt an, Services aufzusetzen.

CW: Und wie sieht die Roadmap dazu aus?

CLEMENS: Eine Idee ist ein IoT-Standard-Sensor-Packet. Den Sensor mit seinen Funktionen können Sie überall mit etwas Klebstoff anbringen. Etwa, wenn sie einen Elektromotor überwachen wollen, um zu kontrollieren, ob die Welle Vibrationsprobleme hat. Mit Batterie läuft der Sensor fünf Jahre und ist preislich attraktiv. Die Daten laufen alle in die Cloud und dort haben sie eine Schnittstelle, um die Daten auch auslesen zu können.

Hinzu kommen Services wie Predictive Maintenance etc. Sie werden vieles von uns sehen, was auf der Grundidee basiert, Analytics mit der Intelligenz von Sensoren zu kombinieren. Ich will mit standarisierten einfachen Komponenten anfangen und nicht dieses komplexe Ökosystem für die integrierte Fabrik bauen. Das Ganze beginnt mit einfachen, billig herzustellenden Sensoren, die dank integrierter Batterie keinerlei Verkabelung brauchen und keine TÜV-Abnahme benötigen. Und mit Narrowband, das im nächsten Jahr in Betrieb geht, wird die Idee noch weiter befeuert. Denn mit Narrowband kommen sie sechs Etagen tief in die Tiefgarage und haben keine Probleme mehr, einen Fahrstuhl oder Keller auszuleuchten.

CW: Und das könnte konkret bedeuten?

CLEMENS: Dass sich etwa die Idee intelligenter Parkplätze in den Städten sehr schnell und günstig realisieren lässt. So bekommen Sie ein komplettes Bild über die freien Parkplätze und zeigen dies auf dem Schirm im Auto oder auf dem Handy an. Derart vernetzt könnten Sie auch gleich online bezahlen - der Gang zum Parkautomaten und der Parkschein auf dem Armaturenbrett hätten sich erledigt. Und Städte wie Hamburg bräuchten keine 800 Leute mehr, um Tickets für Parksünder zu verteilen.

Bei solchen IoT-Szenarien ist die Realtime-Fähigkeit der Daten entscheidend. Deshalb glaube ich an zentrale Speicherorte für Massendaten, zumal es überhaupt keinen Sinn macht, wenn etwa VW, BMW, Mercedes und Co. alle eigene Lösungen bauen. Es wird bei solchen Themen einen Infrastruktur-Player geben.

Parkleitsystem der Telekom in Pisa
Telekom-Parkleitsystem in Pisa
Das Schild weist Autofahrer auf die freien Parkplätze hin.
Die Parkfläche...
auf der Piazza Carrara am Ufer des Arno.
Die Parkfläche
Aktuell sind Arbeiter noch mit dem Einbau der Sensoren von Kiunsys beschäftigt.
Sensoren
Die Sensoren registrieren, welche Parkbuchten frei oder belegt sind.
Der M2M-Parkplatz
Hier das Gesamtkonzept des sensorgestützten Parkleitsystems.

"Ein Netz wird immer gebraucht"

CW: In welcher Rolle sehen Sie dabei eine Telekom/T-Systems? Offerieren Sie womöglich die Telefonie als Service von einem Dritten?

CLEMENS: Vorab, ein Netz wird immer gebraucht. Allerdings hat sich die Telefonie gewandelt. Wenn Sie heute ein Smartphone nutzen oder an einer Videokonferenz teilnehmen - ist das Data oder Telefonie? Technologisch hat das mit dem klassischen Telefonieren nichts mehr gemeinsam, denn wir versenden IP-Pakete. Noch haben wir Techniken wie SIP-Trunk, doch irgendwann muss ich das IP-Paket nur noch in Voice umsetzen. Egal, ob Skype, WebEx etc., es wird in der Cloud produziert. Und das wird auch mit der Telefonie geschehen. Sie wird eine App, die ich aus der Cloud beziehe - da wird nichts mehr unten im Keller mit Hilfe einer PBX produziert.

CW: Und in der Cloud trifft der Anwender bei Ihnen auf chinesische Hardware - für viele ein No Go?

CLEMENS: Wer produziert denn noch Server? Lenovo, Dell, und dann noch HP. Der Rest kommt aus China. Schauen Sie nur, wie Huawei im TK-Bereich sich vom Wettbewerb technologisch abgesetzt hat. Heute lässt sich kein Mobilfunknetz mehr ohne Huawei bauen. Und es gibt fast kein Chip mehr, der nicht aus China kommt. Zudem lassen sich Staaten nicht vom Herkunftsland des Rechners abschrecken, wenn sie im Cyberspace aktiv sind.

In jedem Fall müssen Unternehmen Datenschutz betreiben und die Daten an einem Standort mit möglichst hohen Schutzmechanismen vorhalten. Stellen Sie sich einen gravierenden Rechtsstreit mit US-Behörden vor, wenn wichtige E-Mails ihres Unternehmens in der Cloud auf den Servern eines Anbieters in den USA lägen, Dann würden die Daten in den USA per Gerichtsbeschluss beschlagnahmt. Deshalb brauchen wir Lösungen in Europa, die nach europäischer Rechtsstaatlichkeit funktionieren.

CW: Und welche Aufgabe hat eine Telekom/T-Systems in dieser Cloud-Welt?

CLEMENS: Die erste Aufgabe einer Telco ist, Bandbreite zur Verfügung zu stellen. Die zweite ist, QoS zu ermöglichen. Und schließlich wird sie Services bereitstellen. Der Anwender will lediglich ein Cockpit, in dem er Applikationen und Netz koppelt. Er interessiert sich nicht für die dahinter liegende technische Lösung. Er will Connectivity und einen Office-Arbeitsplatz. Und das muss funktionieren. Für viele Unternehmen - das erlebe ich in IoT-Diskussionen immer wieder - ist die ganze TK- und IT-Welt zu komplex. Nicht umsonst sagte einer unserer Kunden, liefert mir das als Service, ich will damit nichts zu tun haben und garantiert mir, dass es fünf Jahre läuft.

Wenn Sie sehen, wie wir unser Unternehmen in den letzten zwei Jahren umgebaut haben, dann ist das gigantisch. Wir sind weg vom klassischen Outsourcer, der Mitarbeiter und Infrastruktur übernimmt und dann alles günstiger weiterbetreibt. Nun fangen wir an und bauen eine Transformations-Infrastruktur für unsere Kunden. Gleichzeitig helfen wir den Unternehmen in diese Cloud-Umgebung und stellen sicher, dass es eine Cloud mit deutschen Datenschutz ist. (mb)

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Zur Mobile World 2011 ...
... präsentiert die Telekom ihren ersten LTE-Stick.
2008:
Fehltritt mit Folgen – Manfred Balz tritt als erster Vorstand für Datenschutz, Recht und Compliance der Telekom sein Amt an.
Anja Feldmann:
Feldmann leitet seit 2006 den Lehrstuhl für „Intelligent Networks“ und „Management of Distributed Systems“ der Deutsche Telekom Laboratories, einem An-Institut der Technischen Universität Berlin. Sie erhält den Leibnitz-Preis für ihre Konzepte eines Internet 2.
2007:
Friedrichshafens Oberbürgermeister Josef Büchelmeier, Ferdinand Tempel, Leiter T-City Repräsentanz und Bereichvorstand Technik T-Home Friedrich Fuß freuen sich über die Auswahl von Friedrichshafen als T-City.
2006:
Nach Kai-Uwe Ricke soll der ehemalige T-Online-Manager René Obermann Ordnung in das Telekom-Geschäft bringen.
Am 1. Januar 2005 ...
startete die LKW-Maut, an deren Realisierung T-Systems maßgeblich beteiligt war.
Von 2002 bis 2006 ...
steuerte Kai-Uwe Ricke als Telekom-Vorstand die Geschicke des Unternehmens.
2000:
Der schicke Robert T-Online wirbt für den Börsengang des gleichnamigen Telekom-Ablegers. Für die Anleger am Ende eine Pleite. Insofern wäre ein Pleitegeier wohl das bessere Symbol gewesen.
1998:
Die Regulierungsbehörde für Post und Telekommunikation – heute Bundesnetzagentur – die in diesem Gebäude in der Bonner Tulpenallee residiert, nimmt ihre Arbeit auf und sollte der Telekom noch viel Ärger bereiten.
1996:
28,50-DM-Mann (so hoch war der Aktienpreis für Privatanleger) Ron Sommer zieht als CEO den ersten Börsengang der Telekom durch.
Tim Berners Lee:
Der Erfinder des World Wide Web, das ab Anfang der 90er seinen Siegeszug antrat und auch das Geschäft der Telekom mit DSL-Anschlüssen beflügelte.
Start des D1-Netzes 1992:
Dieser Chip machte es möglich, über D1 zu telefonieren
Erst 1966 ...
wurde die letzte Handvermittlungsstelle auf automatisierten Betrieb umgestellt. Das Fräulein vom Amt starb aus.
1965:
Telefonieren auch in die USA über den Satelliten Early Bird.
1961:
Für heutige Verhältnisse gigantisch mutete das erste Telefon für das A-Netz an, das 1958 startete.
1904 ...
installierte Quante in Berlin die erste Telefonzelle
1877 ...
funktionierte in Berlin das erste Telefon, hergestellt von Siemens.