Luxoft, Epam und Reksoft

Die Russen kommen

18.03.2008
Die russischen IT-Dienstleister verstärken ihr Engagement in Deutschland. Dabei bauen sie auf kulturelle und geografische Nähe sowie ein leistungsstarkes Hochschulsystem.

Offshore ist gleich Indien. Diese verkürzte Formel für die Auslagerung von IT-Aufgaben in Niedriglohnländer haben sich die Provider vom Subkontinent mit ihrer jahrelangen Erfahrung im britischen und US-amerikanischen Markt redlich verdient. "Es ist beeindruckend, mit welcher Präzision und Perfektion die indischen Anbieter ihre Geschäfte betreiben", schildert Friedrich Löer vom Sourcing-Beratungshaus TPI seine Erkenntnisse aus einer Indien-Reise. Dort hat er IT-Lieferzentren von Wipro, Infosys, Tata Consultancy Services (TCS), IBM und Accenture unter die Lupe genommen. "Die Unternehmen haben ihre Dienstleistungen auf dem Reißbrett geplant und die Strukturen daran ausgerichtet." Dazu zählen nicht nur die Servicezentralen mit ihren Kommunikations- und Sicherheitseinrichtungen, sondern auch leistungsstarke Schulungszentren. Infosys unterhält beispielsweise einen Campus für 15.000 Mitarbeiter und Lehrer, um das Firmen-Know-how kontinuierlich zu fördern. Dort wird der anhaltende Zustrom von Hochschulabsolventen zudem auf die bevorstehenden Kundenprojekte vorbereitet. Derartig ausgestattete Firmenhochschulen inklusive Freizeit-Aktivitäten für die Belegschaft sind heute in allen indischen IT-Häusern und Niederlassungen großer westlicher Anbieter Standard.

Die größten Offshore-Länder

Die Anstrengungen sind aber auch Ausdruck eines wachsenden Wettbewerbs um Offshore-Projekte der europäischen und US-amerikanischen Anwender. Den fechten die etablierten Offshorer nicht allein mit den westlichen Konkurrenten aus, die allesamt große Niederlassungen in Indien unterhalten, sondern auch mit anderen Nationen. Die größten Offshore-Länder nach Indien sind laut einer Erhebung des "Fortune Magazine" heute China und Russland. Während im Reich der Mitte etablierte Offshore-Anbieter und IT-Dienstleister aus Indien, Europa und den USA um chinesische Hochschulabsolventen werben, hat sich in Russland eine dem indischen Erfolgsmodell vergleichbare Unternehmenskultur etabliert.

Die größten Anbieter von russischen Offshore-Ressourcen Luxoft, Epam Systems und Exigen wurden Anfang der 90er Jahre gegründet. Sie haben sich zum Teil ausdrücklich auf den Export von IT-Services spezialisiert. "60 Prozent der Ausfuhren gehen in die USA", berichtet beispielsweise Valentin Makarov, Präsident des russischen und weißrussischen IT-Verbands Russoft. "Der Grund dafür ist einfach: Die US-Anwender waren die Ersten, die ihre IT ausgelagert haben und wenig Bedenken bei der Verlagerung ins Ausland hatten." Dabei sind die russischen Provider zum Teil sehr konsequent vorgegangen und haben Management-Strukturen nach US-amerikanischem Vorbild aufgebaut und Niederlassungen in den USA aufgebaut. Epam-Gründer und –CEO Arkadiy Dobkin hat seine Offshore-Company gleich in den USA aus der Taufe gehoben und dann dort russische Entwicklungsdienste verkauft. "50 Prozent des Umsatzes erzielen wir in den USA, doch der Anteil schrumpft zugunsten des europäischen Geschäfts", bestätigte auch Sergey Karas, Vice President Global Strategy bei Luxoft, die Konzentration auf US-Kunden.

Erfahrungen mit Outsourcing sammeln

Eine für hiesige Anwender interessante Alternative ist der kleinere Anbieter Reksoft, der gezielt den deutschen Markt anspricht. Unternehmensgründer Alexander Egorov hat lange Zeit in Deutschland und der Schweiz gelebt und stellt bevorzugt deutschsprachige Mitarbeiter ein. Auf der Kundenliste finden sich Namen wie T-Systems, der Frankiermaschinenhersteller Francotyp Postalia sowie der Springer Verlag. Doch mittlerweile zeigen auch die großen Konkurrenten verstärkte Aktivitäten im hiesigen IT-Servicemarkt. Luxoft unterhält seit Februar 2008 eine Büro in Frankfurt am Main. Seit 2006 ist Epam in Deutschland mit einer eigenen Niederlassung vertreten: "Unser Schwerpunkt ist die Kundenbetreuung, das Projekt-Management und die Beratung", erläutert Thomas Feindt, Senior Director Consulting bei Epam.

Valentin Makarov, Präsident des russischen und weißrussischen IT-Verbands Russoft: Vor dem Jahr 2000 hatten russische Firmen eine schlechte Reputation. Heute ist das Vergangenheit, und wir arbeiten auf Augenhöhe mit den Indern.
Foto: Russoft

Die deutschen Anwender, so Russoft-Funktionär Makarov, interessieren sich erst langsam für die IT-Leistung aus dem Ausland. Zunächst einmal mussten die hiesigen Kunden überhaupt erst Erfahrungen mit dem Outsourcing sammeln. Dort wo Interesse an Offshore-Services aufkeimt richten die Verantwortlichen den Blick zunächst einmal gen Indien. Das ist verständlich, weil die indischen Provider im Wettbewerb um die westeuropäische Kundschaft mit stabilen Unternehmensstrukturen, viel mehr Mitarbeitern, Erfahrung, englischen Sprachkenntnissen und ausgefeilten Entwicklungsprozessen punkten können. Beispielsweise ist die Zertifizierung nach CMMI Level 5, die Abläufe, Dokumentation und Qualitätssicherung definiert, unter indischen Provider kein Unterscheidungsmerkmal, sondern eine Selbstverständlichkeit. Große russische Anbieter wie Luxoft und Exigen haben ihre Abläufe ebenfalls an CMMI Level 5 ausgerichtet, doch das ist keineswegs üblich. Wenngleich der Nutzen der Zertifizierung umstritten ist, gibt sie suchenden Anwendern Orientierungshilfe.

Die russischen Anbieter haben im Vergleich zu den indischen Konkurrenten nicht nur einen verspäteten Einstieg ins Geschäft aufzuholen, sie wurden auch durch die Wirren in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion in ihrer frühen Entwicklung gebremst. "Die politischen Krisen, Instabilität, Unternehmenssteuern und mafiöse Strukturen haben Anwender in den 90er Jahren abgeschreckt", schildert Makarov. "Vor dem Jahr 2000 hatten russische Firmen eine schlechte Reputation. Heute ist das Vergangenheit, und wir arbeiten auf Augenhöhe mit den Indern." Nicht zuletzt die Lobbyarbeit von Russoft habe einen Sinneswandel auch in der russischen Regierung herbeigeführt. Heute fördert der Staat den jungen Industriezweig, etwa mit Marktentwicklungsstrategien, günstigen Steuern, Gesetzen und schlanker Bürokratie. "Die Regierung hat erkannt, dass Russland nicht allein auf die Erfolge in der Ölindustrie bauen kann", bestätigt Luxoft-Manager Karas. Stolz verweist die Branche darauf, dass sie im Jahr 2007 4,6 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt erwirtschaftet hat. Seit Juni 2004 gibt es ein Ministerium für IT und Kommunikation.

Russische IT-Services: Die Zeit ist günstig

Das macht selbstbewusst, auch im Wettbewerb mit anderen Nationen, insbesondere mit Indien: Den indischen Offshore-Anbietern überlässt man gerne Großprojekte in der Anwendungsentwicklung und im Support. "Einfache Vorhaben ohne wissenschaftlichen Anspruch mögen die Russen nicht", beschreibt Russland-Kenner Mathias Weber, Bereichsleiter IT-Services beim deutschen Branchenverband Bitkom. Zwar betonen alle Anbieter, dass sie anspruchsvolle Aufgaben von der Beratung und Architekturdesign bis hin zu Implementierung und Testing bewältigen können. Doch russische Experten werden häufig auch mit der Codierung betraut. Wichtige Branchen sind etwa die Telekommunikation, IT-Anbieter und Banken. Aber auch Handel und Automobilindustrie decken ihren Entwicklungsbedarf zum Teil in Russland. Häufig gibt es Anfragen für Embedded-Software-Projekte, aber auch Web-basierende Applikationen aus Russland sind gefragt. Für klassische ERP-Vorhaben und die Pflege betriebswirtschaftlicher Bestandssoftware auf dem Großrechner ist Russland nicht zwingend erste Wahl. "Unser Schwerpunkt ist nicht die Mainframe-Entwicklung. Wir betreiben lieber Java-, .Net- und Netweaver-Projekte", klärt Epam-Manager Feindt auf.

Sergey Karas, Vice President Global Strategy bei Luxoft: 50 Prozent des Umsatzes erzielen wir in den USA, doch der Anteil schrumpft zugunsten des europäischen Geschäfts.
Foto: Luxoft

Die Zeit ist günstig für russische IT-Dienstleistungen. "Das Zeitfenster ist vielleicht noch fünf bis zehn Jahre geöffnet, dann ist der Bedarf der russischen Wirtschaft so groß, dass sie selbst alle IT-Ressourcen beansprucht", sagte Makarov. Derzeit profitieren die auf den Export ausgerichteten IT-Dienstleister noch von dem enormen Output des Hochschulsystems. Rund 52 000 IT-Experten arbeiten derzeit für den russischen IT-Export, jedes Jahr kommen rund 10 000 Universitätsabsolventen hinzu, die ausschließlich für IT-Unternehmen im Ausland tätig sind.

Auf der Suche nach Kunden in Westeuropa werben die russischen Anbieter vor allem mit der geografischen und kulturellen Nähe. "Unsere Stärke ist die Qualität und die ähnliche Mentalität. Das erleichtert die Zusammenarbeit in den Projekten", betont Olga Rimsky-Korsakova, Deputy Director Marketing bei Reksoft. "Und die geografische Nähe erlaubt im Bedarfsfall eine schnelle Anreise." Die kann hin und wieder erforderlich sein, denn nicht in allen Belangen arbeiten die russischen Projektteams so, wie es ein deutscher Ingenieur gelernt hat und gewohnt ist. "Die Dokumentation und Prozesstreue ist nicht so stark ausgeprägt wie in den Vorhaben in Deutschland", schildert Rüdiger Striemer, Vorstandsmitglied der Adesso AG Deutschland, seine Erfahrung aus einem laufenden Projekt mit der ersten russischen Lotteriegesellschaft. "Die Russen krempeln gerne mal die Ärmel hoch und legen los, ohne sich um vereinbarte Abläufe zu scheren." Auch Termine werden verschoben. Das gilt nicht nur für den Projektplan, sondern auch für Meetings. Das ist natürlich ärgerlich, wenn Partner eigens dafür anreisen. "Man muss Flexibilität zeigen. Die kurzfristige Verschiebung ist keinesfalls Zeichen einer Geringschätzung, sondern Teil der kreativen russischen Arbeitsweise", schildert Striemer.

Selbstbewusste Russen

Mitte der 80er Jahre haben sich in der damaligen Sowjetunion die ersten Kooperativen mit der Softwareentwicklung befasst. Sie gelten als Keimzelle der heutigen Softwareindustrie in Russland. Mit dem Zerfall der Sowjetunion Anfang der 90er Jahre wandelten sich die Aktivitäten in kommerzielle Firmen. Unternehmen wie Luxoft, Epam Systems und Reksoft haben ihre Wurzeln in diesen Jahren. Oftmals sind sie aus dem Umfeld der vielen Technischen Universitäten in Russland gegründet worden. Die jungen Unternehmer haben sich frühzeitig auf den Weg in die USA gemacht, um dort das professionelle Firmen-Management zu erlernen und um Kunden zu finden. Aber auch in die Gegenrichtung gab es rege Geschäftsreisen. Weil die USA sehr gut über die technischen und wissenschaftlichen Fertigkeiten des ehemaligen Klassenfeindes informiert waren, sicherten sie sich zügig Zugang zu den gut ausgebildeten IT-Experten. Deutlich vor den europäischen und deutschen Unternehmen – etwa Siemens und Telekom – haben US-Firmen wie Intel, Motorola und Hewlett-Packard Entwicklungszentren dort aufgebaut. Dabei vertrauen sie auf die ausgeprägte Lösungskompetenz der selbstbewussten Russen. "Vergeben Sie eilige Projekte in die USA, große Vorhaben nach Indien und nicht lösbare Probleme nach Russland. Die Russen können alles", brachte Steve Chase, Chef der russischen Niederlassung von Intel, einmal das Selbstverständnis der Nation auf den Punkt.