Schwierige Auslagerungsprojekte

Die Risiken des Offshorings

28.07.2010 von Armin Strauß
Um Kosten zu sparen, erwägen viele Anwender die Auslagerung von IT-Leistungen in Länder mit niedrigen Lohnkosten. Wer die Gefahren nicht kennt, wird scheitern.
Quelle: LaCatrina/Fotolia
Foto: Fotolia, LaCatrina

Um dem Teufelskreis aus Kostendruck, steigendem IT-Bedarf und verbesserter Effizienz zu entfliehen, denken viele Unternehmen über die Verlagerung von IT-Leistungen in Niedriglohnländer nach. Doch die Aussicht auf schnelle Einsparungen verleitet Entscheider oft, die Risiken des Offshorings zu missachten. Das Beratungshaus PA Consulting nennt auf den folgenden Seiten die wichtigsten Gefahren und Gegenmaßnahmen.

1. Interner Widerstand

Interne Mitarbeiter verweigern sich, weil sie einen Personalübergang zum künftigen Offshore-Anbieter fürchten: Anfang 2010 haben die Piloten der Lufthansa gestreikt, weil sie die Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland fürchteten. Der Konzern lässt viele Linienflüge von ausländischen Tochterunternehmen mit einem niedrigeren Lohnniveau betreiben. Streikankündigungen, Streiktage und starker Widerstand haben das Unternehmen mehrere Millionen Euro gekostet. Das ist ein typisches Beispiel dafür, wie sich ein interner Widerstand bündeln und formieren kann. Jedes Offshoring-Vorhaben kann eine vergleichbare interne Blockade auslösen.

Was ist zu tun?

Einer Erhebung von Capgemini zufolge nimmt die Veränderungsbereitschaft über die Hierarchieebenen hinweg ab. Der Vergleich mit einer früheren Studie zeigt zudem insgesamt schlechtere Werte.

Um mit Widerständen konstruktiv umzugehen, sollten in jedem Auslagerungsvorhaben das Change-Management und die Gestaltung der Kommunikation mit den Mitarbeitern bereits im Rahmen der Strategieentwicklung eine bedeutende Rolle spielen. Besonders wichtig ist die Integration der Führungskräfte, denn an deren mangelndem Veränderungswillen liegt es nach einer Studie von Capgemini meistens, wenn Offshoring-Projekte scheitern.

Sobald Neuerungen anstehen, steigt der Kommunikationsbedarf enorm. Das Tagesgeschäft muss störungsfrei weiterlaufen, gleichzeitig müssen aber Informationen vorbereitet und implementiert werden. Beide Prozesse müssen sauber abgestimmt sein. Dies ist nur möglich, wenn alle Beteiligten wissen, was wann warum zu geschehen hat. Qualifizierte Kommunikation wird zum entscheidenden Erfolgsfaktor eines Offshoring-Vorhabens. Widerstände im Kleinen und im Großen können das Unternehmen teuer zu stehen kommen.

2. Imageverlust

Schlechte Presse durch die Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland kann dem Ansehen des Unternehmens schaden: Ungeachtet der Tatsache, dass heute die Mehrheit der großen und mittelständischen Unternehmen bereits auf Offshore-Ressourcen zugreift oder dies zumindest in Betracht zieht, fürchten viele Entscheider den Druck der Öffentlichkeit.

Was ist zu tun?

Quelle: Karaboux/Fotolia
Foto: Fotolia, Karaboux

Zunächst einmal sollte das eigene Vorhaben während der Strategieentwicklung bewertet werden. Ist es so umfangreich, dass es viele Menschen beeinflussen wird und entsprechende Fragen aufwirft? Ist das nicht der Fall, dürfte das Medieninteresse eher gering ausfallen, und die Gefahr eines Imageverlusts ist klein. Wird die Frage hingegen bejaht, sollte das Unternehmen die Risiken darstellen, die entstehen, wenn es auf das Offshoring verzichtet. Zudem sollten die Verantwortlichen frühzeitig den offenen Austausch mit Kunden, Mitarbeitern, Lieferanten und gegebenenfalls auch Aktionären suchen und die Ernsthaftigkeit des Vorhabens unterstreichen. Wichtig ist es, das Offshoring als Transformationsprojekt zu behandeln. Es muss demnach ein gut geplantes und strukturiertes Stakeholder-Management inklusive Kommunikation betreiben. Hilfreich ist es, Schlüsselpersonen zu identifizieren und zusammenzuführen, die sich als Veränderungskoalition des Offshoring-Vorhabens annehmen und es vorantreiben.

3. Überzogene Sparziele

Unternehmen erwarten oft zu hohe Einsparungen: Viele Anwender beginnen Projekte mit überzogenen Sparzielen. Sie unterschätzen die speziell mit Offshoring verbundenen erhöhten Aufwendungen. Auch bei guter Vorbereitung sind Vorhaben mit Offshore-Komponenten komplex.

Was ist zu tun?

Der Aufwand von Outsourcing- und Offshoring-Projekten wird häufig unterschätzt. Einer Umfrage von PA Consulting zufolge kennen beispielsweise viele Unternehmen die Kosten der Provider-Steuerung nicht.


Die Anwender sollten in gewissem Maß bereit sein, ihre Ziele anzupassen, denn es gibt viele Herausforderungen, die das Projekt beeinflussen. Das Unternehmen muss mit einem anderen Dienstleister zusammenarbeiten, mit neuen Partnern kommunizieren, eine passende Infrastruktur aufbauen, mit internen Widerständen umgehen, ein eigenes Projektteam für die Steuerung des Dienstleisters einrichten, kulturelle Unterschiede verstehen und überbrücken sowie eigene Lösungen entwickeln. Um Prozesse zu steuern und vom Vorhaben dauerhaft zu profitieren, ist eine "Retained Governance Organization" erforderlich, deren Aufbau Zeit und Geld kostet. Unternehmen sollten mit kleinen Projekten oder Aktivitäten beginnen, die überschaubar und nicht geschäftskritisch sind. Möglicherweise ist sogar ein zeitweiliger paralleler Onshore- und Offshore-Betrieb ratsam. Eine frühzeitige Risiko-Einfluss-Analyse, die die Auswirkung auf die Organisation abschätzt, ist ein Muss. Nur so ist eine fundierte Wahl der geeigneten Projekte möglich. In der Budgetplanung für das Offshoring sollten auch die Schulungskosten nicht vergessen werden. Unterm Strich bestimmt zum Großteil der Reifegrad der internen IT-Organisation, wie viel sich sparen lässt. Insgesamt kann nur eine ganzheitliche Betrachtung des kompletten Offshoring-Vorhabens Aufschluss über das Sparpotenzial geben.

4. Schwieriges Provider-Management

Die interne Steuerungsmechanismen sind nicht ausreichend auf das Management des Offshore-Anbieter vorbereitet: Die interne Steuerung der Zusammenarbeit mit Outsourcing- und Offshoring-Partnern ist ein kritischer Erfolgsfaktor für das Projekt. Verfügen die internen Mitarbeiter über ausreichend Outsourcing- und Offshoring-Erfahrung? Haben sie bereits Sourcing-Transaktionen komplett begleitet? Kennen sie sowohl die Kunden- als auch die Provider-Seite? Das wäre ideal.

Was ist zu tun?

Die Aufgaben der Retained Organization sind vielfältig. Die verbleibenden Mitarbeiter müssen darauf vorbereitet werden.

Je weniger Know-how im Haus vorhanden ist, desto kleiner sollten die ersten Offshoring-Projekte sein. Sieht das Vorhaben einen Personalübergang vor, sollten die Mitarbeiter, die bleiben, frühzeitig ausgewählt und in die Entscheidungen eingebunden werden. Eine klare Kommunikation über die Offshoring-Motivation und die zukünftige Rolle in der Retained Organization ist sehr wichtig. Im Rahmen von Schulungen müssen Mitarbeiter über die Erwartungen und Herausforderungen aufgeklärt sowie auf ihre Aufgaben und die kulturellen Unterschiede vorbereitet werden.

5. Die Leistungsfähigkeit des Anbieters

Quelle: Jeff Metzger/Fotolia
Foto: Jeff Metzger/Fotolia

Kann der Offshore-Partner die zugesagten Leistungen liefern? In der Regel unterschätzen die Anwender eher das Leistungsniveau der Serviceanbieter. Das führt dazu, dass das Potenzial nicht voll ausgeschöpft wird. Der Vertrag wird von vornherein zu eng gestaltet. Weil die Kunden vor allem die Kosten im Blick haben, vernachlässigen sie es, von Innovationskraft, Industrialisierung und Integrationsmöglichkeiten des Partners zu profitieren. Gerade dafür bieten frühere Offshoring-Projekte sehr gute Beispiele.

Was ist zu tun?

Die Kundenseite sollten auch Themen jenseits der Kosteneinsparungen in den Vertrag aufnehmen. Nur so kann der Kunde das eingekaufte externe Know-how zum eigenen Wettbewerbsvorteil einsetzen. Sourcing muss ganzheitlich betrachtet werden. Wieso sollte der Provider sich um Innovationen kümmern, wenn sie nicht Teil von Zielvereinbarungen und Key-Performance-Indikatoren (KPIs) sind?

6. Kulturelle Unterschiede

Quelle: Oktoberfest.de
Foto: Oktoberfest.de

Die kulturelle Distanz zwischen dem Anbieter- und Anwenderunternehmen erschwert die Zusammenarbeit: Die Mitarbeiter der Projektpartner sind von verschiedenen Kulturkreisen geprägt, weder vertragliche Regelungen noch interkulturelles Training können die Unterschiede beheben. Die Diskrepanzen treten zumeist schon während der Ausschreibung und Transaktion auf. Vor allem in der Lieferphase häufen sich die Schwierigkeiten, hier sind schon einige Offshoring-Vorhaben unter finanziellen Aspekten gescheitert.

Was ist zu tun?

Es ist möglich, die kulturellen Unterschiede gewinnbringend einzusetzen, indem die Partner die Aufgaben so verteilen, dass Stärken der jeweiligen Kultur zum Tragen kommen. Wer mit Menschen aus fremden Kulturen zusammenarbeitet, muss deren Sitten und Bräuche, Gefühle und Befindlichkeiten kennen und respektieren. Er muss umgekehrt seinen Partnern aus anderen Kulturkreisen die eigenen Verhaltensweisen vermitteln können. Nur wer Gegensätze bewusst wahrnimmt, vermeidet Kosten, Zeitverluste und Konflikte. Die interkulturelle Kompetenz ist ein wichtiger Erfolgsfaktor von Offshoring-Projekten. Schulungen helfen am besten, wenn sie nicht erst im Rahmen einer laufenden Transaktion stattfinden.

7. Die Verlässlichkeit der Provider

Sind die indischen Provider dauerhaft zuverlässige Partner? Der indische IT-Dienstleister Satyam geriet 2009 weltweit in die Schlagzeilen, weil sein Gründer Ramalinga Raju die Bilanzen um mehr als eine Milliarde Dollar geschönt hatte (siehe auch "Indiens Enron-Skandal" schockiert die Branche). Zeitweise drohte der Skandal die gesamte indische IT-Branche zu beschädigen. Satyam wurde später von Tech Mahindra übernommen, die Aufregung hat sich gelegt. Dennoch gerät seitdem immer wieder die Frage nach Stabilität des Anbieters auf die Tagesordnung.

Was ist zu tun?

Ein Benchmark, vorab geführte Gespräche mit unterschiedlichen Mitarbeitern des Providers, Besuche vor Ort und nicht zuletzt eine ausführliche Due Diligence helfen dem Kunden, die richtige Auswahl zu treffen. Auch können Experten vor Ort zu Rate gezogen werden, die die dortigen Gepflogenheiten kennen und die Partner einschätzen können. Wie sieht es mit der politischen und rechtlichen Stabilität des Landes aus? Die Wahl eines sicheren Gerichtsorts ist vor allem mit Blick auf Gewährleistungsansprüche sowie den Schutz von Urheberrechten von Bedeutung.

8. Hohe Fluktuation

Quelle: picsfive/Fotolia
Foto: Fotolia, picsfive

Die indischen Provider leiden unter einer hohen Fluktuation ihrer Mitarbeiter am Offshore-Standort: Ein immer wiederkehrendes Risiko in Offshoring-Beziehungen ist die hohe Abwanderungsrate von wichtigen Know-how-Trägern auf der Anbieterseite.

Was ist zu tun?

Es gibt keine perfekte vertragliche Lösung für das Problem, aber entsprechend formulierte Service-Level-Agreements (SLAs) können das Risiko des Kunden verringern. Denkbar sind definierte Abwanderungsraten für vorab festgelegte Schlüsselpositionen, die der Provider nicht überschreiten darf, wenn er nicht relativ hohe Strafzahlungen entrichten oder eine reduzierte Vergütung hinnehmen will. Der Vertrag kann auch Incentives vorschreiben, die der Provider seinen Schlüsselpersonen bieten muss. Das können attraktive Campuswohnungen oder Freizeitangebote sein. Zudem kann der Vertrag regeln, welches Bildungsniveau in den Teams herrschen und wie erfahren sie in internationaler Zusammenarbeit sein müssen.

9. Datenschutz

Datenschutz ist nicht nur im Offshoring ein wichtiges Thema. Hier dargestellt ist die Zahl der Datenschutzpannen in Deutschland. Besonders viele Verstöße gab es im letzten Quartal 2009. Quelle: PR-COM, Projekt Datenschutz
Foto: PR-Comm Projekt Datenschutz

Sensible Daten dürfen nicht außerhalb Deutschlands oder der EU gespeichert werden: Der Transfer von personenbezogenen Daten in außereuropäische Länder sowie deren dortige Speicherung und Verarbeitung können das Datenschutzrecht verletzen. Die hohen Anforderungen, die das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) für eine Übermittlung und Verarbeitung von personenbezogenen Daten ins Ausland stellt, lassen sich nur erfüllen, wenn in dem betreffenden Land ein angemessenes Datenschutzniveau garantiert ist.

Was ist zu tun?

Eine unzulässige Datenübermittlung kann schmerzhafte Folgen haben und sollte unbedingt vermieden werden. Verantwortlich für eine vorschriftsmäßige Datenübermittlung ist das in Deutschland ansässige auslagernde Unternehmen. In Indien existieren zum Beispiel keine expliziten Datenschutzgesetze.

Die Zulässigkeit eines Datentransfers hängt auch davon ab, ob der IT-Provider selbst in Indien oder einem anderen Billiglohnland ein angemessenes Datenschutzniveau garantieren kann oder ob einer der im BDSG vorgesehenen Ausnahmetatbestände vorliegt. Andernfalls muss das auslagernde Unternehmen für vertragliche Absicherungen sorgen. Neben der individuellen Vertragsgestaltung kommt die Übernahme der so genannten EU-Standardvertragsklauseln (abrufbar über http://www.europa.eu.int) für die Auftragsdatenverarbeitung mit Unternehmen in Drittländern in Betracht.

Mindestmaß an Datenschutz

Diese von der Europäischen Union herausgegebenen Vertragsklauseln gewährleisten einen Mindeststandard des Datenschutzes. Sie spezifizieren etwa die Pflichten von Datenexporteur und Datenimporteur und enthalten eine Drittbegünstigungsklausel für betroffene Personen sowie Haftungsregelungen. Die Vorteile der Standardvertragsklauseln liegen darin, dass keine Genehmigung der Aufsichtsbehörde einzuholen ist und teure, langwierige Verhandlungen der Vertragspartner entfallen. Die EU-Standardklauseln dürfen allerdings inhaltlich nicht verändert werden. Sollen sie dennoch an die individuellen Bedürfnisse der beteiligten Unternehmen angepasst werden, müssen die Änderungen von der Aufsichtsbehörde akzeptiert werden. Damit kann sich das Projekt verzögern.

Wird das Datenschutzrecht umgangen, droht Schadensersatz. Zudem kann die unzulässige Datenweitergabe als Ordnungswidrigkeit gewertet werden, die mit einer Geldbuße von bis zu 250.000 Euro zu ahnden ist. Bei vorsätzlichem Handeln wird das Vergehen möglicherweise sogar strafrechtlich verfolgt.

Fazit: Offshoring kann sich lohnen

Offshoring kann Kosten senken, die Effizienz verbessern und neue Experten mit ihrem Wissen schnell einbinden. Ein solches Vorhaben gelingt aber nur, wenn es als Transformationsprojekt betrachtet und behandelt wird. Dazu müssen mögliche Risiken vorab abgeschätzt und bewertet werden. (jha)