Interview mit Rüdiger Spies

"Die Krise beschleunigt Innovationen"

30.04.2009 von Werner Kurzlechner
Business Intelligence (BI) bietet immer feinere Möglichkeiten der Daten-Analyse und Prognose. Auch wenn die jüngste Krise gezeigt hat, dass schlimme Fehlentscheidungen in den Unternehmen nach wie vor nicht ausgeschlossen sind, glaubt IDC-Analyst Rüdiger Spies mittelfristige an die Früchte dieses technologischen Fortschritts - sofern sich die Anwender als lernfähig erweisen.
Rüdiger Spies ist Analyst bei IDC.

Stephen Elop, Business-Chef bei Microsoft, hat kürzlich erklärt, BI im herkömmlichen Sinne sei "bald tot". Hat er recht?

Rüdiger Spies: Das kommt letztlich darauf an, was man unter BI versteht. BI-Tools, die vor nicht allzu langer Zeit gekauft wurden, werden noch eine Weile am Leben bleiben. Aber als Marketing-Schlagwort hat der Begriff eher ausgedient. Er ist auch auch unserer Sicht ein wenig veraltet, wenn man darunter im klassischen Sinne nur Data Warehouse, Reporting und ein paar Analyse-Tools oben drauf versteht. Wir bei IDC sprechen mittlerweile ja auch lieber von Business Analytics und meinen damit eine integrierte Analytics-Plattform. Neben herkömmlichen BI-Produkten zählen dazu etwa Applikationen zur Analyse von Financial Performance und Strategy Management oder Supply Chain Analytics.

Ihr IDC-Kollege Dan Vesset hat kürzlich "evidenz-basierte Entscheidungsfindung" zum zentralen BI-Trend erklärt. Aber ist denn Prognose nicht selbstverständlich ein Teil von Business Intelligence?

Rüdiger Spies: Es ist sicherlich relativ einfach, aus historischen Daten Trends zu errechnen. Dass dabei nicht notwendigerweise die richtigen Schlussfolgerungen gezogen werden, haben indes die vergangenen Krisenmonate eindrucksvoll gezeigt. Technologisch ist man mittlerweile bei Complex Event Processing (CEP) angelangt. Dabei handelt es sich um Tools, die aus großen eingehenden Datenmengen - zum Beispiel Kreditkartentransaktionen oder Daten von RFID-Chips - komplexe Zusammenhänge erkennen und aufzeigen können. Dadurch gewinnen Unternehmen aus dem Finance- oder Retail-Bereich neue und fundiertere Entscheidungsgrundlagen für kurzfristige Reaktionen auf Geschäftsumfeldänderungen.

Aber diese Tools werden falsche Entscheidungen kaum verhindern?

Rüdiger Spies: Nein, denn das ist keine Frage der Tools, sondern des Business-Umfeldes. Auf das kreative Denken der Menschen kommt es an. Mit Hilfe von BI kann eine Bank zum Beispiel erkennen, wenn Kindergeldzahlungen auf ein Konto zu fließen beginnen. Wenn sie klug ist, wird sie beim Inhaber nachgeschaltete Marketingaktivitäten in Gang setzen. Den frischgebackenen Eltern etwa eine Ausbildungsversicherung oder eine Hausratversicherung anbieten. Logistikfirmen haben entsprechende Möglichkeiten bei der Optimierung der Lieferkette. Ähnliche Vorgänge spielen sich auch auf sehr viel komplexerem Niveau ab. Nicht umsonst haben in der Datenanalyse geschulte Hochschulabsolventen bessere Berufschancen.

Dann gibt der menschliche Faktor also den Ausschlag. Aber welche Rolle spielt dabei denn noch die IT?

Rüdiger Spies: Die IT hat zum einen zu garantieren, dass die wesentlichen Daten denn Anwendern schnell zur Verfügung stehen. Zum anderen liegt ihre wichtige Aufgabe in der dauerhaften Schulung der Anwender. Sie sollte ein Auge darauf haben, dass diese auch nach einer vorübergehenden Anfangseuphorie am Ball bleiben. Und dieses Know-how gilt es ständig weiterzuentwickeln. Denn die Anwender haben es bei der heutigen BI nicht mehr mit einfachen transaktions-orientierten Systemen zu tun. Die User sind viel stärker gefragt als früher, das kreative Moment besitzt einen wesentlich höheren Wert.

Trotz verfeinerter Hilfsmittel ist die Wirtschaft in die Krise geschlittert, Fehlentscheidungen haben sich zuletzt offensichtlich gehäuft. Liegt da nicht größere Skepsis nahe?

In der Krise die richtigen Akzente setzen

Rüdiger Spies: Aber immerhin sind dieses Mal andere Fehler begangen worden als bei der letzten Krise. Das heißt, dass die Fehler von 2001/02 vermieden worden sind, weil in der Regel die gleichen Leute wie damals Verantwortung tragen und sich durchaus als lernfähig erweisen. Das setzt sich übrigens jetzt fort, indem die richtigen Akzente in der Krise gesetzt werden. BI-Suiten sind nach wie vor gefragt, weil die Bedeutung einer detaillierten Geschäftsplanung erkannt worden ist. Zurecht genießen Planung und Budgetierung, Financial Consolidation Tools, Daten-Qualität und Data Governance Priorität. Wobei ich darauf hinweisen möchte, dass für die Sicherung der Daten-Qualität nicht die IT, sondern die Anwender verantwortlich sein sollten. In dieser Frage gibt es in manchen Unternehmen leider Unklarheiten.

Ist die Krise dadurch ausgelöst oder verschärft worden, weil in Firmen immer noch nach Bauchgefühl statt auf Grundlage valider Daten entschieden wird.?

Rüdiger Spies: Auf der Ebene der Geschäftsleitung kommt es durchaus noch vor, dass bewusst anders entschieden wird, als die harten Daten nahe legen. Im mittleren Management ist dies aber mittlerweile so gut wie ausgeschlossen. Dort sind Leute einer jüngeren Generation am Werk, denen eine engineering-artige Arbeitsweise in Fleisch und Blut übergegangen ist. Schon aus Sorge um den eigenen Erfolg wird dort auf eine tragfähige Entscheidungsbasis vertraut. Aber im Wettbewerb kommt es eben darauf an, als erstes die zündende Idee zu haben - wie etwa beim Beispiel mit dem Kindergeld von vorhin. Die Krise beschleunigt solche Innovationen, weil man in den Unternehmen inzwischen weiß, dass es gerade jetzt auf sie ankommt.

Wie hat sich denn die Krise auf die BI-Nachfrage ausgewirkt? Und was ist dran an den viel diskutierten Trends Open Source und BI as a Service?

Rüdiger Spies: BI steht nach wie vor - wie seit vielen Jahren - ganz oben auf der Prioritätenliste. Wie gesagt hat sich der Fokus bei den Tools jetzt stärker auf Controlling oder Data Quality verlagert. Open Source ist tatsächlich stark im Aufwind, was sich auch am Preisverfall für BI-Software ablesen lässt. Dieser Trend gilt auch für den Backend-Bereich. Software as a Service würde ich im BI-Segment nicht unbedingt empfehlen. Auch die Unternehmen halten sich da bislang merklich zurück, vor allem aus Sorge um die Daten. Das ist schlichtweg eine Vertrauensfrage.