Unfallursache Smartphone

Die Generation "Kopf unten" lebt gefährlich

26.01.2015
E-Mails lesen, Nachrichten schreiben: Das lässt sich mit Smartphones auch im Gehen machen. Doch abgelenkte Fußgänger laufen Gefahr, sowohl Verursacher als auch Opfer von Verkehrsunfällen zu werden. Besonders eine Gruppe trifft es.

Ähnliche Unfälle können tödlich enden, doch die 17-Jährige hatte noch vergleichsweise Glück: Mit ihrem Blick aufs Smartphone gerichtet überquert sie die Straße, ein Autofahrer kann nicht mehr ausweichen und fährt sie an. Die junge Frau stürzt, sie kommt mit leichten Blessuren davon. Abgelenkt vom Smartphone - diese Unfallursache findet sich immer wieder in Polizeiberichten. Dabei geht es längst nicht mehr nur um telefonierende Autofahrer, sondern eben auch um Fußgänger.

Die Generation "Kopf unten" gilt sowohl als Verursacher als auch Opfer von Verkehrsunfällen.

Die Verbreitung von Smartphones - also internetfähigen Mobiltelefonen - hat in den vergangenen Jahren rasant zugenommen. Der Branchenverband Bitkom geht davon aus, dass sechs von zehn Bundesbürgern ab 14 Jahren zumindest gelegentlich ein Smartphone nutzen. Für das Jahr 2014 rechnete der Verband mit fast 24 Millionen verkauften Geräten in Deutschland. Von der Generation "Kopf unten" ist seit einiger Zeit die Rede - mit Konsequenzen auch für den Straßenverkehr.

"Die Leute werden unaufmerksamer", sagt Petra Reetz. Sie ist Sprecherin der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG), deren konzernweit 6500 Fahrer die Hauptstadt mit U-Bahnen, Bussen und Straßenbahnen versorgen. Abgelenkte Fußgänger, die noch knapp vor der heranquietschenden Tram über die Gleise laufen, sind für die Fahrer nicht neu. 1979 kam der erste Walkman auf den Markt, seither sind viele Fußgänger mit Musik auf den Ohren unterwegs. Die BVG machte schon vor Jahren mit der Kampagne "Achte auf deine Linie!" auf Gefahren aufmerksam.

Als Problem ist jetzt hinzugekommen, dass manche Smartphone-Nutzer auch mit den Augen nicht mehr auf den Verkehr achten. Stattdessen rufen sie im Gehen E-Mails ab oder schreiben WhatsApp-Nachrichten.

Der Smartphone-Knigge
Second Screen
Höflich ist nur, wer den anderen in diesen Diskurs mit einbezieht. Sonst verschwindet das Gemeinschaftsgefühl. Der Knigge-Rat empfiehlt Second Screen auf einem Tablet statt dem Smartphone, damit der andere bequemer mithineinschauen kann - sofern er das möchte. Falls nicht, sollte das Smartphone einfach ausgeschaltet bleiben, oder der Abend eben nicht als eine gemeinschaftliche Aktion definiert werden.
In der Bahn
Laut Knigge-Rat darf das Smartphone hier sowie in jeder anderen "Wartezeit" genutzt werden. Allerdings sollte es lautlos geschaltet werden. Auch von langen Telefonaten in der Gegenwart anderer ist aufgrund der Lärmbelästigung abzusehen.
Im Restaurant
Daher gibt der Deutsche Knigge-Rat für das Verhalten im Restaurant klare Regeln vor. Wie im Kino oder Theater hat das Telefon hier nichts zu suchen. Sowohl das Licht als auch das Klingeln, Piepen oder Brummen würden andere Menschen in diesen Situationen stören. Ausnahmen gestattet Knigge, wenn ein Gastgeber noch auf Gäste wartet. Hier wäre es unhöflich das Telefon auszustellen, so dass der Gastgeber nicht mehr erreichbar ist.
Im direkten Gespräch
Wer sich in einem Dialog befindet, sollte nicht einfach so einen eingehenden Anruf beantworten. Höflich ist laut Knigge, wer genau erklärt, warum es so wichtig ist, das Gespräch anzunehmen oder eine Nachricht zu lesen. Außerdem sei es angebracht, um Erlaubnis zu bitten, ob man rangehen darf.
Im Meeting
Der Deutsche Knigge-Rate hat für den Umgang mit dem Smartphone eine einfache allgemeingültige Regel: Grundsätzlich sind Nicht-Anwesende zugunsten der Anwesenden zu vernachlässigen. Entsprechend hat das Smartphone im Meetings nichts verloren.

Das hat auch der Auto Club Europa (ACE) beobachtet. Im Sommer 2013 analysierten ehrenamtliche Helfer das Verhalten von insgesamt etwa 30 000 Kraftfahrern, gut 36 000 Fußgängern und mehr als 13 000 Radfahrern an Zebrastreifen. Fehler machten dort alle drei Gruppen, auch die Fußgänger: "Im Mittel mehr als 13 Prozent der Erwachsenen schalten am Zebrastreifen offenkundig gedanklich völlig ab und schlendern oder hasten über die Straße, ohne vorher nach links und rechts geschaut zu haben", bilanzierte der ACE damals. Und ergänzte: "Dabei sind sie häufig mit ihrem Smartphone beschäftigt."

Die Polizei führt keine Statistiken darüber, wie oft Smartphones bei Unfällen eine Rolle spielen. Aus dem Polizeipräsidium Stuttgart heißt es aber: "Vermutlich haben diese Unfälle zugenommen, alleine schon aufgrund der ansteigenden Verbreitung der Geräte (..)." Prof. Peter Biberthaler, der Direktor der Klinik für Unfallchirurgie am Klinikum Rechts der Isar in München, teilt diese Einschätzung. Zwar hat er ebenfalls keine Zahlen. Aber aus seiner täglichen Routine erkenne er eine Zunahme solcher Smartphone-Unfälle.

Für Autofahrer werden ein 60-Euro-Bußgeld und ein Punkt in Flensburg fällig, wenn sie mit dem Handy am Steuer erwischt werden. Wer als Radfahrer telefoniert, muss 25 Euro zahlen. Für Fußgänger gibt es solche Strafen nicht, der Gesetzgeber sieht sie trotzdem in der Pflicht. Der Sprecher des Deutschen Verkehrssicherheitsrates (DVR), Sven Rademacher, verweist auf die Straßenverkehrsordnung. Paragraf 1 lautet unter anderem: "Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht." Rechtliche oder auch versicherungstechnische Konsequenzen seien nicht ausgeschlossen, sofern Fußgängern eine Teilschuld nachgewiesen werde, erklärt Rademacher.

Die Deutsche Verkehrswacht spricht sich für "eine große Aufklärungskampagne" aus, die besonders auf Jugendliche abgestimmt sein sollte. "Wenn wir es richtig verfolgen, handelt es sich zumeist um Jugendliche, die Opfer sind - und gleichzeitig auch noch Unfallverursacher", meint die stellvertretende Geschäftsführerin, Hannelore Herlan.

"Gefühlte Unterforderung" - das ist für den ADAC-Verkehrspsychologen Ulrich Chiellino ein Grund dafür, dass sich manche Fußgänger mit dem Smartphone ablenken. Eine Strecke von A nach B zu laufen, sei eben nicht immer aufregend. Er empfiehlt: Einfach mal schauen, was um einen herum passiert - sei es, andere Leute zu beobachten oder auf erste Frühlingsvorboten zu achten. Hauptsache ist, die Augen aufzumachen. (dpa/rs)